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Erdbeeren

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23.01.2007
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Erdbeeren

Eigentlich wollte ich Erdbeeren. Und ich hab sie bekommen, und darum bin ich jetzt tot.
Heute Nacht war ich neugierig und hab nachgesehen, ob sie einem wirklich das beste Kleid anziehen, und sie haben mich richtig rausgeputzt. Die Ringe haben sie mir gelassen, auch die roten Ohrstecker von Tante Moretti sind noch drin. Sogar meinen Bauch haben sie hinbekommen und die Beine liegen auch wieder nebeneinander. Der Arm blutet natürlich nicht mehr, aber ich weiß nicht, womit sie die Brust ausgestopft haben. Die war ja richtig eingedrückt. Vielleicht mit Zeitungen.
Dabei schien vorgestern die Sonne, das erste Mal seit fast einer Woche. Und wir wollten raus und was unternehmen, Lena und ich. Schwimmen oder so. Lena mochte ich schon im Kindergarten, als sie mir in der Pause ihre Milchschnitte gegeben hat. Dafür wollte sie dann meine Spangen haben, die mit den Schmetterlingen. Ich glaub, sie hat sie verloren.
Wegen vorgestern bin ich ihr nicht einmal sauer. Sie kann ja nichts dafür. Eigentlich. Ich meine, sie wusste ja nichts von dem Lastwagen. Nur von den Erdbeeren wusste sie.
Ob sie mich sehen? Tante Moretti schaut manchmal so komisch her, wenn sie ihr Glas abstellt. All die Leute - viele kenne ich nicht. Oma sehe ich da und Opa, Mama, Papa. Sie sind traurig, dass ich nicht dabei sein kann. Dabei bin ich hier, schaut doch mal, vielleicht seht ihr mich. Ich muss eh bald weiter, die Frau in dem weißen Kleid hat es gesagt.
Lena wollte Eis und ich wollte keins. Aber ich wollte auch keinen Streit, und so sind wir zum Sancho, der hat das beste, auch wenn er kein Italiener ist, sondern Spanier, aber den Leuten ist das egal, und uns auch. Lena hat gefragt, warum ich keins wollte, und ich sagte ihr, mir wäre nicht danach, ich hätte lieber Erdbeeren. Mit Sahne und Zucker, der so schön zwischen den Zähnen knistert.
Leider gibt's beim Sancho keine Erdbeeren, die gibt's nur drüben beim San Marco. Der ist Italiener, aber sein Eis schmeckt nach Pampe, nur die Erdbeeren sind gut; in einem großen Becher aus Glas und mit einem langen Löffel, mit dem man auch an die rankommt, die unten in der Sahne ertrinken.
Gläser klirren, der Braten sei gut, höre ich, aber Mama freut sich nicht. Opa sticht die Gabel in das Fleisch und sägt wie an einem Stück Holz. Opa war Schreiner, er kann wohl nicht anders. Oma sagt, wie fassungslos sie sei. Das sind sie alle: Fassungslos. Ich würde ihnen ja gerne sagen, dass es nicht schlimm ist, aber ich glaub, sie können mich nicht hören.
Irgendwie haben wir dann gestritten, Lena und ich. Weil ich Erdbeeren wollte. Richtig angezickt haben wir uns, bis sie davongestürmt ist, zum Sancho. Ich war so sauer! Immer bekam sie, was sie wollte. Nur ich nicht. Da hab ich irgendwas geschrien und bin los, wollte über die Straße und zum San Marco, wollte meine Erdbeeren. Und dann hat's gequietscht, gescheppert, und ich denke, ich hab auch gekreischt. Jedenfalls am Anfang, dann konnte ich nimmer, weil der über mich drübergefahren ist, der Lastwagen. Glaub, es hat auch weh getan. Und dann bin ich aufgestanden und hab schrecklich ausgesehen, so auf dem Boden. Alles rot.
Aber ich hab lachen müssen, so lachen, nur niemand hat's gehört. Der Lastwagen ist voll in ein Auto rein, als er ausweichen wollte, darum hat's so gescheppert. Und von hinten ist viel runtergefallen, von seiner Ladung, und direkt auf mich drauf. Lauter kleine Obstkisten waren das, mit Erdbeeren. Erdbeeren!
Da hab ich dann die Frau in dem weißen Kleid gesehen, und auch sie hat lachen müssen, als sie die Sauerei gesehen hat und ich bin ernst geworden und wollte nicht, dass sie lacht. Immerhin lag ich ja unter dem Berg aus Beeren und war tot. Aber sie hat nur gesagt, jeder bekäme immer, was er wollte.
Da hätte ich ihr am liebsten etwas gesagt, wofür Mama mich schimpfen würde.

 

Eigentlich wollte ich Erdbeeren. Und ich hab sie bekommen, und darum bin ich jetzt tot.
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Aber ich hab lachen müssen, so lachen, nur niemand hat's gehört. Der Lastwagen ist voll in ein Auto rein, als er ausweichen wollte, darum hat's so gescheppert. Und von hinten ist viel runtergefallen, von seiner Ladung, und direkt auf mich drauf. Lauter kleine Obstkisten waren das, mit Erdbeeren. Erdbeeren!
Da hab ich dann die weiße Frau gesehen, und auch sie hat lachen müssen, als sie die Sauerei gesehen hat und ich bin ernst geworden und wollte nicht, dass sie lacht. Immerhin lag ich ja unter dem Berg aus Beeren und war tot.

Das sind die beiden Punkte, wo ich "hä?" gedacht habe:
- Bei "eigentlich wollte ich soundso" würde ich immer ein "aber ich bekam dasunddas" im Anschluß erwarten. Vielleicht "Eigentlich wollte ich nur ein paar Erdbeeren". Die Erwartung wäre die gleiche, aber am Schluß würde sich das aufklären.
- Sie muß selber lachen, ist aber sauer, daß die weiße Frau lacht; den Widerspruch würde ich etwas besser aufgelöst sehen wollen als nur durch "Immerhin... war ich ja tot."

Ansonsten eine sehr runde Geschichte.

 

Hallo Yours,
nach längerer Abwesenheit finde ich diese Geschichte und lese sie mit gemischten Gefühlen. Aber nur beim ersten Mal. Da ich momentan persönlich mit dem Thema Tod zu tun habe, ist meine Sichtweise sicher mehr als normal subjektiv gefärbt, aber gerade deshalb möchte ich sagen, dass mich die Geschichte tröstet. Vielleicht weil das Mädchen so selbstverständlich lebendig bleibt, auf eine andere Seite wechselt, aber nicht einfach verschwindet. Sicher ist die Geschichte auch ein Angebot, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen. Du verzichtest auf Betroffenheitsfloskeln und die Erdbeeren sind für mich ein Symbol für die Fülle des Lebens. Der lapidare, knappe Stil gefällt mir ausgesprochen gut. Eine beeindruckende Geschichte, vielen Dank.
LG,
Jutta

 

Hallo Dellen!

Danke dir fürs Lesen und deinen Kommentar.

Bei "eigentlich wollte ich soundso" würde ich immer ein "aber ich bekam dasunddas" im Anschluß erwarten. Vielleicht "Eigentlich wollte ich nur ein paar Erdbeeren". Die Erwartung wäre die gleiche, aber am Schluß würde sich das aufklären.

Ja, der schwebt so, der Ausdruck, das ist richtig. Man kann ihn ja so und so lesen, je nach Betonung.

"Eigentlich wollte ich Erdbeeren." (Ich wollte sie wirklich!)

"Eigentlich wollte ich Erdbeeren." (Ich hab was Anderes angeboten bekommen.)

"Eigentlich wollte ich Erdbeeren." (Ich bin sauer, dass ich sie nicht bekommen habe.)

"Eigentlich wollte ich Erdbeeren." (Und nicht sonst wer.)

Darum dieser Halbsatz. Sie hat ihn eben so gesagt, meine Protagonistin. Was soll ich machen? Würde ich "ein paar" einfügen, das alles wäre zu rund.

Sie muß selber lachen, ist aber sauer, daß die weiße Frau lacht; den Widerspruch würde ich etwas besser aufgelöst sehen wollen als nur durch "Immerhin... war ich ja tot."

Hm, schade, dass dir das nicht gereicht hat. Ich kann es nur nicht weiter ausführen, weil meine Protagonistin es nicht ausführen würde. Das ist mein Problem, auch wenn es nach Ausrede klingt. Ich verstehe deinen Punkt, das ists nicht, aber es wäre nicht mehr ihre Sprache.

Sie ist ja sauer, weil ihr die weiße Frau damit zu nahe kommt. Sie selbst darf ja lachen, aber das heißt nicht, dass das auch jeder andere darf.

In dem Text wird ja viel gesagt, obwohl nur wenig Text geschrieben steht. Aber ich denke drüber nach, ob sich da was machen lässt.


Hallo Jutta!

Dein Kommentar berührt mich sehr. Ich mag und kann in diesem Moment nicht mehr dazu sagen, darum nur einfach danke fürs Lesen und für deinen Kommentar.

Liebe Grüße,

yours

 

Hallo

Da ist dir eine schöne kleine Geschichte gelungen, ganz flott erzählt, so mit einem sarkastischen (zynischen?) Schmunzeln zwischen den Zeilen.
Meine Frau hat die Geschichte auch gelesen und an der Stelle wo es heißt
Da hab ich dann die weiße Frau gesehen, stutzte sie und meinte, wieso, ist das Mädchen eine Farbige?
Meine Frau kommt aus einem anderen Kulturkreis und kennt die bei uns geläufigen Vorstellungen von den weißen - eigentlich weißgekleideten - Jenseitsgirlies nicht.
Aber so kann es halt manchmal zu Mißverständnissen kommen, an die man als Autor nicht denkt. Ich wüßte auch nicht, ob man das ändern sollte, also Da hab ich dann die Frau in weiß gesehen oder noch klarer Da hab ich dann eine ganz in weiß gekleidete Frau gesehen.

Viele Grüsse

 

Hallo Hawowi!

Danke dir (oder ja eigentlich euch) für den Kommentar und fürs Lesen!
Du hast Recht, ja, eine "weiße Frau" kann natürlich auch etwas ganz Anderes bezeichnen. Das werde ich ändern, damit es klar ist, was sie meint.

Einen schönen Sonntag deiner Frau und dir,

yours

 

Hey yours truly,

mich hat deine Geschichte sofort an "In meinem Himmel" von Alice Sebold erinnert. Der Plot ist ein ganz anderer und Erbeeren gibt es auch keine, aber die Perspektive eines toten Mädchens ist in diesem Buch perfekt getroffen. Du versuchst das auch, dieses verwirrte Beobachten des Mädchens einzufangen, aber mir ist das zu wenig emotional. Da bleibt es bei der Geschichte mit Lena, aber dass sie Mami und Papi vermisst - kein Wort. Sicher machst du es dir selbst schwer mit so einer kurzen Geschichte. Melancholie schwingt schon mit, wenn man liest: "Ich würde ihnen gerne sagen, dass es nicht schlimm ist, aber ich glaub, sie können mich nicht hören." Insofern trifft der Erzählton die Traurigkeit, die diese Situation erfordert.

Auf der anderen Seite hat gestern die Sonne geschienen. Es gibt Erbeeren und es wird viel gelacht. Manchmal sind es Kleinigkeiten, kleine Unvorsichtigkeiten, die einem das Leben kosten. Hier ist es ein "kleiner" Mehrtonner, der einmal über diese niedliche Ich-Erzählerin rollt. Und was ist ihre erste Reaktion: Sie muss lachen. Sorry, aber das erscheint mir ziemlich unrealistisch. Die Ironie des Schicksals ist leise, wenn der Tod kreischt. Das ist diese Unstimmigkeit, die mich in deiner Geschichte stört. Ansonsten gefällt mir dein Text schon, diese Beziehung zwischen Lena und ihr, dieses Rumgezicke, wie viele andere es genannt haben. Auch die Schilderung am Grab hat mir sehr gut gefallen. (Leider hier auch Kritik an der Realität. Keine offenen Särge nach solch einem Unfall. Du kannst natürlich so argumentieren, dass der Sarg zu war und die Ich-Erzählerin, als Fast-Geist, trotzdem hineingucken konnte.)

Noch ein paar Anmerkungen:

Der Arm blutet natürlich nicht mehr, aber ich weiß nicht, womit sie die Brust ausgestopft haben. Die war ja richtig eingedrückt. Vielleicht mit Zeitungen.
An und für sich ein guter Absatz, aber die Wörter "Brust" und "ausgestopft" machen sie viel älter. Als ich das gelesen habe, musste ich an eine schöne junge Frau denken, nicht an ein kleines Mädchen. Weil der Erzählton und die kleinen Details aber vermuten lassen, dass es ein junges Mädchen sein muss, kam mir das sehr unstimmig vor.

Dafür wollte sie dann meine Spangen haben, die mit den Schmetterlingen. Ich glaub, sie hat sie verloren.
Das finde ich sehr gut. Lena will und will, aber eigentlich will sie gar nicht. Sie bekommt nur. Fast schmollend stellt deine Erzählerin fest: Das Leben ist nicht fair!

Mit Sahne und Zucker, der so schön zwischen den Zähnen knistert.
Knistert Zucker zwischen den Zähnen? Doch eher knirschen.

Opa sticht die Gabel in das Fleisch und sägt wie an einem Stück Holz. Opa war Schreiner, er kann wohl nicht anders.
Den zweiten Satz würde ich weglassen. Das klingt so nachgeschoben und erklärend. Ohne hat man auch sein Bild. Ich habe mir beim ersten Satz nur vorgestellt, wie der Opa draußen im Garten Holz sägt. Schreiner sind viel vorsichtiger und arbeiten präziser. Aber in deinem Bild "sägt wie an einem Stück Holz" soll doch diese Perversion durchkommen. Das klappt besser, wenn du den zweiten Satz weglässt, der das Ganze ja relativiert.

Oma sagt, wie fassungslos sie sei. Das sind sie alle: Fassungslos.
Diese Stelle mag ich gar nicht. Die Oma sagt, sie sei fassunglos. Alle anderen sind`s auch. Das musst du dem Leser schon zeigen.

Da hab ich dann die Frau in dem weißen Kleid gesehen, und auch sie hat lachen müssen, als sie die Sauerei gesehen hat und ich bin ernst geworden und wollte nicht, dass sie lacht.
Auch das gefällt mir nicht. Die Frau in dem weißen Kleid soll ein Engel sein, oder irgendetwas in die Richtung. Ich würde sie nicht lachen lassen. Das passt nicht. Auch nicht, dass die Ich-Erzählerin auf einmal ernst wird, wo sie das Ganze doch so unbeschwert kommentiert hat. Zudem noch das Wort "Sauerei". Würdest du zu deinen körperlichen Resten "Sauerei" sagen? Ich fürchte nicht.

Da hätte ich ihr am liebsten etwas gesagt, wofür Mama mich schimpfen würde.
Schöner letzter Satz!

Also, yours truly, trotz vielen Kritikpunkten hat mich deine Geschichte unterhalten. Dein Text transportiert viel, auf natürliche Art und Weise, nichts Abstraktes. Völlig hineinziehen konnte er mich nicht, ich hoffe mein Kommentar zeigt dir, warum. Vielleicht gehe ich mit einer falschen Erwartungshaltung an deine Geschichte, vorbelastet von Alice Sebolds Roman. Wer weiß ... Jetzt gibt es erst einmal ein Erbeereis!

Beste Grüße
markus.

 

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