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Eisige Flanken bieten keinen Halt

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22.07.2002
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Eisige Flanken bieten keinen Halt

Als sie um die letzte Biegung kamen stand er vollends vor ihnen. Kein Berg, ein Gott. Ein grimmiger Gigant, der sich gewaltig über das steinige Tal erhob.
„Ihr Ameisen, ihr wollt mich bezwingen? Ihr werdet scheitern“, brüllte der Wind sie an. Er trug die Botschaft des Berges zu ihnen hin. Schnee stob wie wallendes weißes Haar eines Riesen von seinem Gipfel. Die eisig gepanzerten Flanken funkelten wie eine Rüstung im gleißenden Sonnenlicht.
„Versucht es nur, versucht es nur“, zischte eine eisige Böe ihnen zu, „versucht es nur!“
Gebannt starrten sie das Ungetüm an. Nur für einen kurzen Moment machte sich ein mulmiges Gefühl in ihnen breit, bis die grimmige Entschlossenheit sie wieder in die eiserne Faust nahm und mit sich trug.
„Dich ersteigen wir, auf dir werden wir thronen“, brüllten sie. Merkten nicht, wie der Sturm ihre Worte mit sich riss und zu einem unverständlichen Gewirr zerstreute.

Müde stapften sie über den knirschenden Gletscherarm zum Fuß des Giganten. Ausläufer aus schwarzem Fels griffen nach ihnen wie die Klauen des Drachen. Der Berg schnaufte verächtlich, als sie ihre Steigeisen in seinen Eispanzer rammten. Sein Spott dröhnte in ihren Ohren.
Sie sprachen wenig, beschäftigten sich mit sich selbst. Verbissen spurten sie einen Schritt um den anderen, kämpften mit sich selbst. Mehr noch als gegen den Berg. Schauerliche Wächten versperrten ihnen ein um das andere Mal den Weg. Keiner zweifelte, keiner verzagte. Alle versagten.
Schneestürme türmten Schneemauern Schicht um Schicht vor ihnen auf. Es wurde mit jedem Schritt schwerer, sie zu durchpflügen. Sie gaben nicht auf. Wer aufgibt, verliert. Der Berg war der einzige für den dies nicht galt. Er würde in jedem Fall verlieren, ob sie nun seinen Gipfel erstiegen oder nicht.
Sein Seufzen klang wie Hohn in ihren Ohren, so kämpften sie sich noch eifriger hinauf. Krallten Finger in Felsenvorsprünge, schlugen Eispickel in seinen Panzer, rammten Steigeisen in seine Flanken. Der stumme Gigant heulte und sie deuteten es als das Trotzen des Windes.
Als es Nacht wurde schlugen sie ihr Lager auf. Keuchend, nach Sauerstoff ringend, den es nicht mehr gab, steckten sie zusammen, was dorthin nicht gehörte. Wütend versuchte der Wind die Zeltbahnen mit einem blitzenden Streich zu zerreißen. Sie waren zu stark.
Sie igelten sich ein in die Schlafsäcke. Vermummten sich und bibberten trotzdem. Beißend drang die Kälte durch die Zeltwände, wie Nadeln auf der Haut. Warum waren sie hier? Weil er da war? Weil sie ihn besiegen wollten? Keiner wußte die Antwort, nur einige glaubten sie zu wissen. Sie irrten.
Für Gedanken war kein Platz mehr. Gedanken hatten hier nichts mehr verloren, nur noch nach oben. Immer weiter.

Der nächste Tag kam und mit ihm die Leichen. Sie pflasterten ihren Weg nach oben. Erstarrt im Frost, die Arme zu flehenden Gesten gekrümmt. Je höher man klettert, desto tiefer kann man fallen. Diese, viele, würden niemals wieder nach Hause zurückkehren. Gedanken? Keine. Pech gehabt, nicht stark, nicht zäh genug gewesen. Und die, die unten geblieben sind? Schwächlinge, die es nie geschafft hätten.
„Kehrt um, kehrt um“, kreischten die eisigen Flanken. Sie verstanden nicht. Nach oben, das galt.
„Hier ist kein Platz für das Leben, oben gibt es keinen Sauerstoff. Kein Leben.“
Einen Schritt, Pause. Wieder einen Schritt, wieder eine Pause. Letzte Meter. Der Gipfel war nah. Keine Gedanken, nur weiter. Kopf war leer. Zum höchsten Punkt. Das Allerhöchste.
„Kein Ziel, ich bin nicht das Ziel.“ Das Weinen des Berges ging im verbissenen Kampf unter. Ertrank in der Leere.
Der Gipfel. Nah; erreicht. Sie waren oben, ohne Sauerstoff, ohne Lächeln. Erschöpfung, unendliche. Und nun? Der Sturm lichtete sich. Nur noch ein entferntes Heulen. Unendliche Landschaft, Berge, Täler.
Und nun? Was nun?
Abstieg. Es starben wesentlich mehr beim Abstieg, als beim Aufstieg. Die blanken Eisflanken bieten keinen Halt.

 

Hallo Prodi!

Ein hartes Abenteuer, das Deine Protagonisten da bestehen - oder vielmehr nicht bestehen... Einziges Ziel, einziges Denken: "Nach oben", koste es, was es wolle...
Kann es sein, daß hinter Deiner Geschichte ähnliche Gedanken stehen, wie in meinem letzten Mail? Oder überinterpretiere ich, wenn ich mir das denke? ;)

"bis die grimmige Entschlossenheit sie wieder ihn die eiserne Faust nahm"
- in

Alles liebe,
Susi

 

Hey Susi,
danke für deine Antwort.
Du überinterpretierst nicht, ich beschäftige mich in letzter Zeit ziemlich viel mit dem Thema. Deine Mail war dazu ein guter Denkanstoss. Deswegen die Geschichte, wie auch "Stehenbleiben". Haben ja ungefähr das selbe Thema. Liegt wohl daran, dass ich selber damit zu hadern oder kämpfen habe.

Was den Fehler angeht... *ganzschnelländer*

Eine Frage habe ich aber noch. Wie hat dir die Geschichte gefallen ;)?

Liebe Grüße
Roman

 

Hey Kristin,
danke dir für dein Lob und deine Kritik (auch für die Empfehlung!) :D!

Ich stelle mir nur die ganze Zeit eine Frage: Jedes Mal wenn eine Geschichte von mir in Empfehlungen kommt, bekomme ich keine Antworten mehr auf diese Geschichte. Gibt es da einen rationalen Zusammenhang :susp:?

Deine Kritiken werde ich noch einarbeiten, muss nur wieder los zur Arbeit. Hoffe das Essen hat geschmeckt?!? ;)

Liebe Grüße
Roman

 

Hallo Prodi,

leider ist die Welt voll mit Anzeichen von blindem Aktionismus, egal ob es einzelne Personen betrifft, oder ganze Gesellschaften.
Du schreibst „Das Weinen des Berges“ hat der Berg Mitleid mit den Bergsteigern?
Ich fand`s gut, daß diese Geschichte nicht den pauschalen `Der Weg ist das Ziel´ Ausgang hat.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Lieber Wolto,
vielleicht weint der Berg, weil er Mitleid hat, vielleicht, weil es ihm auch um sich selber geht, darum bezwungen zu werden. Ich denke der Berg ist traurig, weil er den Menschen den Weg nicht wirklich versperren will, die Menschen es aber so auffassen.

Die Aussage des Endes ist, dass der Abstieg das Gefährlichste ist. Man schafft es vielleicht hocgh, aber der Abstieg ist das Schlimme, weil man auf dem Weg nach oben schon alles verbraucht hat.

Danke für deine Kritik. Hat ja doch noch jemand gelesen, obwohl/weil es in Empfehlungen ist ;)!

Gruß
Roman

 

Hallo Prodi,

"der Berg ist traurig, weil er den Menschen den Weg nicht wirklich versperren will" vielleicht hätten die Menschen auch um den Berg herumgehen können, bzw. sie tun sich mit dem Besteigen aus Verblendung etwas an, was sie gar nicht nötig haben.
Wenn ich dann für Berg `Gott` setze...

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Das mit dem herumgehen ist ein guter Einwurf. Nur, dass es den Menschen in der Geschichte ja nicht darum geht irgendwohin zu kommen, sondern diesen Berg zu besteigen. Warum? Weil er da ist und Menschen es allzu oft nicht ertragen können, wenn etwas größer und gewaltiger ist, als sie selbst. ich schließe mich da nicht aus.

Übrigens wollte ich mit der geschichte keinem bergsteiger zu nahe treten. Primär ist das Bergsteigen einfach nur ein Bild, zumal ich die Berge unheimlich liebe.

In diesem Sinne
Liebe Grüße
Roman

 

Hallo, Roman!

Sehr bildgewaltig und mitreißend geschrieben! Was treibt die Menschen an?

Nach oben, das galt.
So ist die Doktrin. Immer weiter nach oben, immer höher hinauf.
Hier ist kein Platz für das Leben, oben gibt es keinen Sauerstoff. Kein Leben.
Aufstieg um jeden Preis, auch entgegen der Vernunft. Ob Berg, oder soziale Leiter, spielt dabei keine Rolle.

Sehr aussagekräftig auch der Schluß. Abstieg (auch sozialer) kann tödlich sein.

Applaus, Applaus!:thumbsup: :thumbsup: :thumbsup:


Liebe Grüße
Happy new year!

Antonia

 

Gefällt mir sehr gut - auch wenn ich sonst kein Fan "bildgewaltiger" Sprache bin überzeugen mich Deine Bilder.

Hervorragende, beispielhafte aber leider traurige Geschichte - für diese Rubrik wunderbar getroffen.

Als Träumerin und unverwüstliche Optimistin würde ich natürlich gern von intelligenten Bergumwanderern lesen - aber ich liebe Geschichten, die mich in meinen Träumen stören und die so nachhaltig hängenbleiben ;)

Was intelligentes und konstruktives fällt mir leider nicht ein :rolleyes: - nur: weiter so!

Gruß
Kay

 

Hey,
danke ihr beiden. Freut mich, dass die Geschichte so gut ankommt und meine Bilder sogar von jemandem der das normalerweise nicht mag gemocht werden.

@Kay: Die Geschichte soll niemandem am Träumen stören, das wäre schade. Träume sind wichtig, vielleicht wichtiger als alles andere. Nirgendwo sind wir so frei, also lass dich nicht von mir stören ;)!

@Antonia: Freut mich besonders, dass du den Schluss so gut erkannt hast. Der war mir besonders wichtig.

Vielen Dank nochmal.

Liebe Grüße
Roman

 

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