Was ist neu

Eisenmann

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03.12.2002
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Eisenmann

Mit eiserner Faust zerschmetterte ich ihre dürren Körper. Glas splitterte. Die Scherben spiegelten blitzend das Licht der Sonne. Ich zerriss die Drähte in ihrem Inneren. Funken stoben aus den gebrochenen Leibern und wirbelten leuchtend durch die Luft. Ihr Fortschritt war nun ihre Schwäche. Zierlich hatten sie sein wollen. Leicht hatten sie sein wollen. Und jetzt traf sie meine Kraft, meine Masse, mit ungeahnter Wucht. Ihre Konstruktion, ihre technische Architektur, zerbarst unter meiner nicht enden wollenden Wut.
„Wo?“, schrie ich. Wieder und wieder. Ich klagte sie alle an und ließ sie büßen. Ich war das Strafgericht, das die Gerechtigkeit über sie brachte.

Aber fangen wir von vorne an.

Wie es begonnen hat? Wie es dazu hat kommen können? Ich weiß es noch genau. Natürlich weiß ich es noch genau. Wie sollte ich auch etwas vergessen können?
Ich saß in meiner fensterlosen Wohnung und rieb mit einem Stück Schmirgelpapier über eine bräunliche Stelle an meinem Arm. Immer wieder entdeckte ich zu dieser Zeit kleine Wunden, wo sich der Rost in meine eiserne Haut fraß. Kerben und Schrammen hatte ich schon immer gehabt. Solche Verletzungen blieben nicht aus, wenn man einen Job wie meinen machte. Ich arbeitete Untertage, dort wo die anderen nicht hinkonnten, weil es kein Licht gab. Und sie brauchten Licht um zu funktionieren. Das war ihr kleiner Tribut an den Fortschritt. Männer wie ich machten Dreck und Lärm. Die neuen, verbesserten von uns jedoch waren leicht, leise und sauber. Für sie war kein Platz dort unten. Es gab keine Möglichkeit zu funktionieren. Und dies war der einzige Grund, warum es mich noch gab. Jeden Morgen goss ich mir schwarzes, schmieriges Öl in meinen Mund, was mich den Tag über laufen ließ, ging hinaus, dann hinab und buddelte Gänge, in denen ich die Kabel für ihre Gebäude verlegte.
Eine riesige Last fiel von mir, als mich die Nachricht erreichte, dass ein neuer Tunnel gegraben werden müsse. Ich hatte schon sehr lange keinen dieser Anrufe mehr erhalten und wäre es so geblieben, hätte mich das selbe Schicksal ereilt wie all die anderen Altbestände der einstigen Zivilisation vor mir. Ohne Nutzen, keine Existenz. Nichts weiter als Altmetall.
Ich ging in die hintere Ecke meines Zimmers, nahm eine Kanne von meinem Vorrat, von dem ich hoffte, dass er noch lange halten würde und schluckte soviel, wie in mich hineinpasste. Ein dumpfes Gurgeln kam aus meinem Innern, gefolgt von einem lauten, schleifenden Geräusch. Mein Motor begann schneller zu laufen. Ich wurde wärmer und ein angenehmes Kribbeln durchfuhr mich. Es dauerte ein paar Sekunden, dann spuckte ich die erste schwarze, rußige Wolke aus, die mein Zimmer noch dunkler machte. Die Maschine lief und ich war bereit für die Arbeit.

***

Strahlend hell war der Tag. Nicht nur die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel, auch die weißen, glatten Gebäude, welche sich elegant in den Himmel schraubten, strahlten so hell, dass ich meine alten Augen vor dem Glanz verschließen musste. Die Außenhaut jedes einzelnen Gebäudes speicherte am Tage das Licht und gab es in der Nacht wieder. Es war immer Tag. Es gab immer Leben. Die neuen Männer, deren zierlicher Torso, bestehend aus Acryl, Glasfaser und Leichtmetall, übersät war mit Kollektoren, kannten so keine Auszeit. Ich ging zwischen ihnen her und auch wenn ich meine Augen geschlossen hatte und sie nur mehr oder weniger durch meine veraltete Technik erspüren konnte, so merkte ich doch genau, wie mich ihre Blicke trafen und wie sie hofften, dass bald das letzte Loch gegraben und das letzte Kabel gelegt sein würde, damit ich nicht mehr meinen schwarzen Qualm auspusten konnte, welcher sich fettig auf ihre Körper legte und das Licht ausschloss.

Wenn man am Rande der Gesellschaft steht, benötigt es nur einen kleinen Stoß und man fällt in die Tiefe. Das war mir sehr wohl klar und so vermied ich es auch nur einen einzigen, noch so kleinen Fehler zu begehen.
Ich machte meine Arbeit maschinengleich. Im Rhythmus meines wummernden Motors trieb ich Hacke und Meißel ins Gestein unter der Stadt. Weitab von jenen, die mich nicht wollten, aber brauchten. Noch.
Arbeit befreite mich von meinen Gedanken, die sich immer um die gleichen Dinge drehten. Zum einen um den Zeitpunkt an dem sie mich hinaus zu dem Ort schickten, an dem die Alten sich selbst abschalteten und so Platz machten für neue und verbesserte Männer und Frauen. Und zum anderen? Einsamkeit. Niemand wollte einen schnaubenden, rauchenden und lärmenden Mann in seiner Nähe, der nichts weiter war als das Überbleibsel einer längst überholten Technologie. Einsamkeit trifft einen an einer Stelle, die man weder durch Betrug an sich selbst noch durch den Glauben an eine bessere Zukunft schützen kann. Einsamkeit trifft hart und schnell, wenn sie sich im Inneren aufrichtet wie ein riesiges, stählernes und fauchendes Tier. Wie ich schon sagte: Arbeit lenkt ab. Aber sie verdrängte nur den Gedanken an den letzten Tag, nicht an das Alleinsein. Und so vermochte es auch nicht das immerwiederkehrende Auf und Ab meines Arms die Gedanken von dieser Stelle fernzuhalten. Dennoch schlug ich weiter ein auf Felsen und Geröll. Unnachgiebig. Unerbittlich. Das perfekte Geflecht aus Leistung und Qual.

Haben Sie sich einmal ein Korallenriff angesehen? Die Neuen bauen auf den Alten auf. Es wächst heran, wird größer und erstaunlicher. So war es auch mit den Städten. Die alten Gebäude wurden zerlegt und bildeten die Basis für die neuen, und so kam es vor, dass unter so manchem hochmodernen Haus ein altes schlummerte. Ein solch vergessenes Gebäude, verschluckt von Erde und Schutt, fand ich auch an jenem Tag. Plötzlich gab das Gestein nach und mein Arm brach durch eine Betonwand, die es gestützt hatte. Der Schwung und die plötzliche Überraschung rissen mich nach vorne. Ich spürte keinen Boden mehr. Ich fiel. Und als ich aufschlug, donnerte das Geräusch von ächzendem Metall hallend durch die Dunkelheit, die erfüllt war mit Staub und vergessenen Ideen. Ein gewaltiger Schlag durchfuhr mich. Meine Maschine heulte auf, verstummte kurz und versuchte dann röchelnd und Ruß spuckend ihren alten Rhythmus zu finden. Ich lag auf dem Boden einer alten Industriehalle. Ich hatte mich tief in den Beton gegraben. Rissen durchzogen ihn sternförmig. Er sah aus wie verdorrte Erde.
Ich bewegte meinen Kopf hin und her. Zahnräder quietschten. Mein elektronisches Gehirn versuchte alle Informationen aufzunehmen, doch seine alte Technik brauchte eine Weile, um alles zu verarbeiten. Große, alte Maschinen standen um mich herum. Tote Maschinen. Manche abgedeckt mit groben Tüchern oder löchrigen Planen. Andere einfach so zurückgelassen. Sie hatten schließlich ihren Dienst getan. Ausgeschaltet.
Und dann entdeckte ich, was die eine Stelle in mir, die so sehr schmerzte, unverwundbar machen sollte. Mein Motor jaulte und heulte. Öl und Kraftstoff schossen durch meine eisernen Adern und sammelten sich auch in den Tränen, die ich vor Freude vergoss.
Alte Modelle hingen an den Wänden aufgereiht. Leblose Hüllen. Nichts weiter als Puppen. Viele waren alt. Älter als ich, und auch die Baujahre unterschieden sich von Modell zu Modell.
Warum ich mich dann so sehr freute? Weil sie mir alle irgendwie ähnlich waren. Sie waren weit entfernt davon, wie die anderen zu sein. Und dies machte sie mir gleich. Dies machte sie zu einer Idee. Zu einer Frau. Zu einer Begleiterin. Eine, die verstand was in mir vorging und das Gefühl der Einsamkeit verbannen sollte. Es sollte nichts weiter sein als eine schlechte Erinnerung, nichts weiter als ein schlecht gespeichertes Artefakt des Vergangenen.
Ich inspizierte jeden einzelnen Körper, jedes Modell. Ich nahm sie von ihren Haken und zerlegte sie in ihre Einzelteile. Ich nahm was ich brauchte. Es war wie das Spiel eines Kindes mit einem Baukasten. Erst sortierte ich nach der Funktionstüchtigkeit, denn einige der Teile waren nicht mehr richtig zu gebrauchen. Staub und Dreck hatten sich in Ventilen und Gelenken abgesetzt, so dass sie bei jeder Bewegung knirschten und hakten. Dann ordnete ich nach Innen- und Außenleben und schließlich nach Körperpartien. Meine Augen glitten über Zahnräder, Schrauben und Röhren. In meinem Kopf entstand ein Bild von dem, was einmal werden sollte. Ein Körper, ähnlich dem meinen und doch anders. Gleich und gegensätzlich. Und dann begann ich mit der eigentlichen Arbeit. Hammer und Schweißgerät verrichteten ihr Werk. Stählern klang das Baugeräusch durch die große Halle und als ich die Extremitäten zu befestigen begann, stoben die Funken des Schweißgerätes in die Höhe und fielen als feuriger Regen wieder hinab. Die Teile wurden zu einem Ganzen. Zu ihr. Die Stunden vergingen, in denen meine groben Hände Leben erschufen. Ich tauschte einen Teil von mir mit ihr. Was durch meine eisernen Adern lief, pumpte ich zu Teilen auch in die ihren. Was mir Leben schenkte, sollte auch ihr das Ihrige geben. Es fühlte sich gut an, sich für jemand anderen in gewisser Weise aufzugeben. Ich wusste in diesem Augenblick, dass ich alles für sie tun würde, dass ich mein Leben über das ihrige stellen würde. Denn das tat man, wenn man sich liebte. Und das dies so sein würde, daran hatte ich keinen Zweifel. Ich hatte sie schon geliebt, als sie noch in Einzelteilen vor mir lag. Und welche Wahl hatte sie. Ich war derjenige, der ihr die Existenz gegeben hatte. Und liebte nicht jeder seinen Schöpfer? Lag es nicht in der Natur der Sache, jenen zu verehren, dem man alles zu verdanken hatte?
Was nun noch fehlte, war der vielbesagte göttliche Funke. Das erste Starten des Motors.
Ich war viel umhergelaufen in diesem alten Industriebetrieb. Ich hatte nicht nur die alten Körper begutachtet, sondern auch die Maschinen und Apparate, deren tote Lichter blind in die Dunkelheit starrten. Aber nicht alle von ihnen waren erblindet. Einige leuchteten noch. Dies verriet mir vor allem eins: Elektrizität. Der Funke.
Ich legte Kabel um, tauschte Sicherungen aus und hoffte, dass es funktionieren würde. Angst und Unruhe trieben mich an. Hin- und hergerissen wurde ich zwischen den Gedanken, die sich damit beschäftigten, wie das Leben sich für mich ändern würde oder ob vielleicht doch alles so blieb wie bisher. Man hatte mir Hoffnung gegeben. Was sag ich da? Ich hatte mir selber Hoffnung gegeben. Habe an Dinge geglaubt, die mich mit einem Schlag in einen See aus Glück und Freude stürzen sollten. Sollte alles so bleiben oder noch schlimmer werden, dann würde ich in diesem trügerischen See ertrinken. Stahl geht sehr schnell unter.

Ich pustete Qualm aus mir heraus und versuchte mein vor Aufregung stotterndes Innenleben zu beruhigen. Mit geschlossenen Augen legte ich den großen Schalter einer Maschine um, die ich so umgebaut hatte, dass alles, was an Energie in dieser Fabrikanlage übrig war, sich in ihr sammelte. Erst ertönte ein leises Klicken, kaum gegen die Geräusche, die ich selbst machte, zu hören. Dann schien alles um mich herum zu vibrieren, begleitet von einem statischen Summen, welches immer weiter anschwoll und sich schließlich in einem gewaltigen Knall entlud. Der Körper meiner Frau, der in der Mitte der Halle auf einem dreckigen Tisch lag und aus dem unzählige Kabel ragten, bäumte sich auf und blaue Blitze schlugen aus ihm hervor, die den Raum zuckend erhellten. Ihre Arme schlugen taktlos umher, prallten gegen den Tisch und trafen auch den eigenen Körper. Der stählerne, glockenklare Hall, der schneidend das Summen und Krachen der Elektrizität zerriss, schmerzte in meinen Ohren. Es war ein Kreischen, ein Schreien. Es klang nach Schmerz und Qual. Ich sah, wie ihre Augenlider auf- und zuklappten. Ich legte den Schalter wieder um. Ein paar letzte blaue Blitze drangen in sie ein und schossen zuckend wieder heraus. Krampfhaft bäumte sich ihr Körper auf. Nachwehen. Und schließlich blieb nur noch Stille. Sie bewegte sich nicht. Ruhend lag sie da. Nicht viel mehr als ein totes Stück Metall. Unbrauchbar. Unbelebt.
Unerträgliche Spannung durchlief mich. Meine Sicherungen drohten unter der Belastung einfach herauszuspringen, aber ich konnte nichts dagegen tun. Vor mir lag nach all der Mühe mein ganzes Sehnen in Gestalt einer wunderschönen Eisenfrau. Ich war zwar immer noch alt, aber zukünftig, so versprach es mir meine Fantasie, müsste ich es nicht mehr alleine sein. Zu zweit könnten wir durchs Leben gehen, unseren Willen zusammentun und uns so einen Platz in der Gesellschaft erkämpfen. Einer war ein Sonderling. Ein ungeliebtes Etwas, das fast überflüssig war. Doch zwei ließen sich schon nicht mehr so schnell mit einem abfälligen Nicken abtun.
Und während meine Gedanken noch in die Zukunft eilten und sich das Gute darin ausmalten, ging die Gegenwart bereits den von mir erdachten Weg. Meine Frau, meine Braut, sie regte sich. Ihr Becken hob sich leicht und senkte sich wieder, wobei ihre unbenutzten und noch ungeölten Gelenke knirschten. Luft schoss zischend in die pneumatischen Dämpfer, Kraftstoff durchflutete ihren Motor und Elektrizität durchströmte knisternd jeden Winkel ihres Systems. Sie lebte. Ich hatte ein Leben geschaffen.
„Sie lebt!“, rief ich vor Freude und Stolz. Aus Alt hatte ich Neu gemacht. Doch ich hatte ihr nicht nur das Leben gegeben. Ich hatte uns auch eine Zukunft geschenkt.

***

Es war wunderschön. Sie war nicht nur wie eine Frau, sondern irgendwo auch wie ein unvollständiges Programm, wie eins dieser menschlichen Kinder aus den Datenbänken. Ein treffender Vergleich. Ich zeigte ihr die Welt. Alles war so neu für sie und vieles entdeckte ich auch für mich wieder. Es gibt Dinge, die beachtet man nach den Jahren nicht mehr. Sie kommen einem normal vor, gewöhnlich. Doch wenn man sie erklären muss, merkt man wie vielschichtig doch alles ist, wie verwoben und tiefsinnig. Man ist selbst wieder ganz Kind und erfreut sich an Sachen wie Tropfen, die in eine Pfütze fallen, wieder herausschnellen und erneut herabstürzen, um dann viele glatte Ringe auf der Wasseroberfläche zu hinterlassen. Auch der eigene Körper wird zu etwas Besonderem. Die Mechanik zeigt sich trotz ihrer Grobheit fast schon feinfühlig. Zahnräder und Ventile sind wie Wunderwerke der Technik. In ihrer Primitivität trotzen sie jeder Belastung. Schönheit liegt im Auge des Betrachters und im Auge eines Kindes kann alles eine immerwährende Schönheit annehmen. Aber Dinge wiederholen sich auch. Und deshalb muss dieser Satz anders formuliert werden. Schönheit liegt im Auge des Betrachters und im Auge eines Kindes kann alles eine immerwährende Schönheit annehmen, bis neues schließlich altes verdrängt und man sich immer wieder andere und bessere Sachen wünscht. Dabei wird das Alte vergessen. Die Faszination und das empfundene Glück entschlüpfen dem künstlichen Geist.
Irgendwann, meist wenn ich meiner Arbeit nachging, fing sie an ihre Runden zu drehen. Ihr geschah dasselbe wie mir. Blicke streiften sie. Missbilligende Blicke. Voll von Verachtung und Geringschätzung. Während man mich jedoch brauchte und meine Anwesenheit auf Grund meiner Aufgabe duldete, war es bei ihr anders. Hier gab es keinen Grund und niemand hatte je danach gefragt, ob man jemanden wie sie brauchte oder nicht. Ihr Dasein traf den Nerv der Moderne, wo alles einen Sinn haben und alles einem Plan folgen musste. Weder war in dieser Gesellschaft Platz für sie, noch für ein Kind, welches sich an allem berauschte.
Einmal kam sie von einem ihrer Spaziergänge wieder und sah mich traurig an. Ich merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Leise lief ihre Maschine, als wolle sie nicht gehört werden, aber zugleich auch ruckartig, als müsse sie eine große Last bewältigen. Dichter Qualm quoll aus der Öffnung in ihrem Rücken und hinterließ eine dunkle Schicht auf meinen Augen, die ich mit einer schnellen Geste fortwischte.
„Alles in Ordnung?“, fragte ich klickend und bemühte mich dabei, möglichst mitfühlend zu klingen. Sie gab keine Antwort, sondern schüttelte nur den Kopf. Es dauerte sehr lange, bis sie etwas sagte, doch als sie schließlich den Mund öffnete und mir lippenlos ihr Leid klagte, wünschte ich mir, sie nie gefragt zu haben. Ich kannte diese Geschichte. Dinge wiederholen sich einfach. Man kann keinen Kreislauf durchbrechen. Das wurde mir in diesem Moment auf grausige Weise klar. Ich fühlte nun nicht nur meinen eigenen Schmerz in dieser Welt, sondern auch den ihren. Ihr hatte man noch viel mehr angetan als nur unterkühlte und abfällige Blicke. Bei ihr waren sie gröber gewesen. Absolut kalt. Missbilligung war nun nicht länger genug. Sie hatten sie angerempelt, fortgestoßen und mit ihrem klaren, geruchslosen Öl bespuckt.
„Tu was“, flehte sich mich an und umschlang mich mit ihren Armen, so dass unsere Körper schrill aneinander stießen.
Ich beschloss ihr zu helfen. War nur wenige Sekunden zuvor der Gedanke an die Unzerbrechlichkeit des Kreislaufs so schmerzhaft und unendlich erschienen, war er nun nichts weiter als das Gespinst einer schwachen Minute. Ich konnte es. Ich war mir noch nie zuvor bei etwas so sicher gewesen. Ich würde ihn durchbrechen. Ich würde ihre und damit unsere Welt ein bisschen besser machen, den Kreis zerbrechen und den Schmerz nehmen.
Grell kratzte meine Hand über ihren Rücken. Minutenlang standen wir so da, leise laufend, Rauch auspustend und Ruhe in unserer Zweisamkeit suchend. Dann löste ich mich von ihr, warf ihr einen aufmunternden Blick zu und ging hinaus. Ich packte die Dinge ein weiteres Mal an. Ich änderte. Ich erschuf.

Ich ging dorthin, wo auch die anderen meiner Generation schon waren. Dorthin, wo sich die Modelle, die nicht mehr zu gebrauchen waren, hin zurückzogen um sich abzuschalten. Unter meinen schweren Schritten knirschte das alte, teils verrostete Metall. Es war ein trockenes Geräusch, wie feine Glassplitter, die man gegeneinander rieb. Mit meinen Füßen zertrampelte ich alte Körper. Köpfe und Gliedmaßen brachen. Ab und zu sank ich in den toten Leibern ein, als wären sie nichts weiter als Matsch oder Dreck. Das Gewirr aus Kabeln, Rohren und Zahnräder verursachte mir Übelkeit, erinnerte es mich doch an meine eigene Endlichkeit.
Ich durchwühlte die toten Körper, schraubte und demontierte oder riss Teile einfach heraus, die mir nützlich erschienen. Zuerst war es ein komisches Gefühl Teile von den Toten zu nehmen, aber je mehr man nahm, desto einfacher war es schließlich. Man gewöhnt sich an alles. Und schließlich diente alles einem höheren Zweck.
Ich nahm soviel mit, wie ich tragen konnte und breitete alles fein säuberlich vor meiner Frau aus, als ich wieder zu Hause war. Erst starrte sie ungläubig auf die Teile, die einmal zu anderen gehört hatten, dann blickte sie an sich selbst herab. Erst prüfend, dann zunehmend skeptisch. Als sie dies tat, dachte ich, es sei um ihre Fassung geschehen. Ich dachte, das Wissen um die Herkunft ihrer Teile würde sie nicht nur beschämen, sondern anekeln. Und vielleicht war es auch für einen kurzen Moment so, aber nur für einen sehr kurzen, denn die Stücke, die dort auf dem Tisch vor ihr lagen, waren zu verlockend. Mit meiner Hilfe würde sie noch besser und hübscher werden.
Auf ihr Nicken hin begann ich schließlich mit meiner Arbeit. Für zwei lange Tage schaltete ich sie ab, wobei nur ein kleines, grünes Lämpchen auf ihrer Brust zeigte, dass sie noch betriebsbereit war.

***

Vielleicht sollte ich an dieser Stelle die Dinge ein wenig überspringen. Mich also selbst dazu auffordern die Geschehnisse und damit meine Erzählung ein wenig zu überhasten, damit das Ende bald in Sicht kommt. So ist es auch besser für mich. Details würden vielleicht noch sehr viel mehr in mir heraufbeschwören. Ich spüre schon jetzt wieder die Wut, welche ich auch damals verspürt habe.
Es war nämlich so, dass meine Frau nie zufrieden war. Die Teile gefielen ihr, doch als sie erneut hinausging, waren die Reaktionen der anderen immer noch dieselben. Man konnte manche Dinge verändern, andere jedoch nicht. Und so flehte sie mich unglücklich an, doch noch mehr für sie zu tun. Sie noch besser und schöner zu machen und nichts anderes wollte ich auch. Ihr Glück war mein höchstes Ziel. Das Problem jedoch war, dass ich nicht wusste, wie ich mit den mir möglichen Mitteln noch Besseres aus ihr herausholen konnte. Die Fabrik war leer und auch der Schrottplatz bot keine Komponenten und Möglichkeiten mehr. Ich überlegte zu dieser Zeit sehr viel, spielte dabei sogar mit dem Gedanken eigene Teile zu kreieren und zu bauen, aber dafür war ich wiederum nicht geschaffen worden. Dafür reichte meine Feinmotorik nicht aus und so tat ich etwas, was mich zuerst zutiefst erschütterte. Aber auch da war es ähnlich wie auf dem Schrottplatz. Gewöhnung.
Ich tötete meinen ersten mit einem gewaltigen Schlag auf den Kopf. Das neue Modell ging einfach zu Boden und bewegte sich nicht mehr. Aber ich hatte auch vieles an ihm zerstört. Und so tötete ich wieder und wieder, bis ich alles hatte, was ich brauchte. Und mit meinen Morden wuchs meine Frau. Sie wuchs in ihrer Schönheit und in ihrer Anmut. Dabei bemerkte ich nicht, dass sie zu dem wurde, was ich fürchtete. Stück um Stück wurde sie zu einem von ihnen. Sie wurde neu und schon sehr bald wurden ihre Spaziergänge immer länger.

***

Eines Morgens stand ich auf und sie war nicht mehr da. Hektisch blickte ich mich um und rief nach ihr. Vielleicht war es dieser Moment, in dem ich begriff, dass ich sie mit jedem neuen Teil ein Stück weit mehr verloren hatte. Unsere Gespräche waren seltener geworden, ebenso unser Zusammensein. Aber ich hatte es nie wirklich bemerkt oder nie wirklich bemerken wollen. Ich stand auf, fuhr mein System und meinen Motor eilig hoch und suchte. Doch bevor ich hinaus in die grellhelle Stadt treten konnte, traf es mich mit voller Wucht. Die Kanister waren fort. Ich hatte nichts mehr, was ich in mich hineinschütten konnte, damit ich lief und funktionierte. Sie hatte alles fortgeschafft. Sie brauchte es nicht mehr. Sie funktionierte schon lange nicht mehr auf diese Art. Ich hätte es wissen müssen. Spätestens, als sie sich unbehaglich den Ruß vom Rumpf geputzt hatte, hätte ich es wissen müssen.
Ich überprüfte mich selbst und führte ein paar einfache Systemdiagnosen durch. Noch eine Weile hielten meine Reserven. Trotz allem wollte ich sie nicht verlieren. Die Lösung war ganz einfach. Ich musste sie nur wieder zu einem Teil von mir machen. Das Neue raus, das Alte wieder rein. Und so ging ich hinaus und suchte sie. Voller Wut. Voller Hass. Diese Gefühle galten nicht ihr. Ich gab ihr keine Schuld. Die Schuld lag bei ihnen. Sie hatten sie zu dem gemacht.

Und damit wäre ich fast an der Stelle angelangt, mit der ich begonnen habe. Ich rief nach ihr und suchte in allen Ecken der Stadt. Das grelle Licht lag heiß auf mir und vergrößerte meinen Zorn und als ich die anderen fragte, ob jemand sie gesehen hätte, bekam ich keine Antwort. Mehr noch. Viele verstellten mir den Weg. Und dann brach meine Geduld und alles floss wie ein wilder, unaufhaltsamer Strom aus mir heraus.
Feuer schoss aus ihrem Inneren, als ich die glatten Körper einfach entzweiriss. Wie hatten sie es auch wagen können, sich mir in den Weg zu stellen? Niemand konnte mich aufhalten. Es war alles so einfach. Ich brauchte meine groben Finger nur zwischen ihren Torso und ihre Beinaufhängung zu drücken, Luft in meine Pneumagelenkte zu schießen, die Drehzahl meines Motors zu erhöhen und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Es war das Gesetz der Kraft. Das Gesetz der Bewegung. Reine Mechanik. Nur wenige trauten sich und versuchten mich aufzuhalten. Mich, das alte Geschöpf einer vergangenen Zeit, von dem man sich besser schon längst getrennt hätte. Jetzt sahen sie ihren Fehler. Denn genau das war ich für sie. Nur ein Fehler.
„Wo ist sie?“ Ich duldete es nicht. Ich konnte es einfach nicht. Wieso sollte ich auch einfach so tun, als sei nichts gewesen. Ich wollte sie zurück. Mit aller Macht.

***

Schließlich fand ich sie im Erdgeschoss eines der größeren Gebäude. Sie saß dort mit anderen in einem Kreis. Ich kannte diese Zirkel, wie sie sie selbst nannten. Sie unterhielten sich auf diese Weise. Die herkömmliche Kommunikation war unwirtschaftlich. So lange nur einer redete, ging wertvolle Zeit verloren. In diesen Zirkeln teilten sie ihre Gedanken. Ich hasste es in diesem Augenblick, dass sie es konnte und ich nicht. Unaufhaltsam stürmte ich herein, packte ihren Arm und zog sie nach draußen. Sie schrie und beschimpfte mich.
„Was fällt dir ein?“, klagte sie mich an, wobei sie nach mir schlug. Ich achtete nicht darauf. Ich war davon besessen, alles wieder so wie früher zu machen. Bis zu uns nach Hause zerrte ich sie. Keiner von den anderen reagierte. Zu gefährlich war ich. Sie hatten Angst.
Angekommen, drückte ich meine verlorene Braut auf den großen Tisch. Sie konnte sich nicht wehren. Zu schwach war sie geworden. Ich riss ihr Teile vom Körper und versuchte ihre kläglichen Schreie zu überhören. Der Zweck heiligte die Mittel. Ihr Wille war mir egal. Nur meiner war wichtig. Teil um Teil nahm ich von ihr, bis sie nichts weiter war als ein Gerippe, das viel Raum für Altes bot. Ich befestigte wieder die rostigen und quietschenden Gelenke an ihrem Skelett. Ihr drahtiger Kiefer schnappte auf und zu und ihre lidlosen Augen rollten in ihren großen Höhlen. Der Anblick war grauenvoll und schön zugleich, denn die wahre Schönheit kehrte nun zu ihr und damit zu mir zurück. Ich machte sie zu dem, was sie gewesen war. Nur ein wenig schwächer.
Ich befreite sie.

***

Ich erwischte mich oft dabei, wie ich an die schwarze Decke meines Zimmers starrte und mir vorstellte eines Tages auf dem großen Platz zu liegen. Dort, wo der Rost die toten Männer und Frauen zerfraß, die man nicht mehr brauchte. Meine Frau hatte zwar das Öl wiederbeschafft, aber jeden Morgen nahm sie für sich besonders viel davon. Sie ließ ihren Motor hochtourig laufen. Es floss nur so durch sie hindurch.
Ich hatte sie zu dem verdammt, was ich selbst immer gehasst hatte. Alle warteten nur darauf, dass wir endlich von dieser Welt verschwanden. Sie wollten uns auf den Müll werfen und zusehen, wie auch die letzte Diode erlosch. Meine Frau wollte es beschleunigen. So verschwendete sie die letzten Tropfen und hoffte, dass ihr Motor und auch meiner bald stillstehen würden, denn sie hasste mich. Hasste mich für das, was ich darstellte und was ich getan hatte. Ich hatte das Bild der Moderne von der alten, grausamen Maschine bestätigt. Ich war widerwärtig in den Augen der Gegenwart. Und damit war sie es auch. Sie ekelte sich vor sich selbst. Aber es würden noch Jahre vergehen, bis wir draußen im Regen verrosten würden. Jahre vergingen, in denen wir uns gegenseitig anschwiegen. Einsam. Jeder für sich. Wir sahen uns beim Sterben zu. Ich würde sie jedoch nicht gehen lassen. Das wusste ich. Und sie wusste das auch.

 

Hi morti,

von mir leider kein Lob.

Über den Frankensteinmythos (und teilweise klang es arg abgekupfert) ist schon gesprochen worden.
Daran krankt die Story auch im weiteren Sinne: vor 150 Jahren geschrieben, wäre es ein ordentlicher (aus Historikersicht) Vorläufer der SF.
Mit heutigem Stand wirkt die Story eher ein bisschen unbedarft, höchstens als Parabel funktioniert sie halbwegs.

Das liegt daran, dass selbst der unsägliche Asimov seine Roboter nie so simpel vermenschlicht hat (über das klassische Materie/Geist-Problem wollen wir erst recht nicht reden). Angesichts der Mühe, der in der Story steckt, unfassbar.
Weshalb tut es denn nicht ein Genetiker, der eine hässliche Frau so weit „aufrüstet“ bis sie hübsch ist und ihn verlässt? So wäre das was geworden.
Schade.

Proxi

 

Hallo Proxi,
schade, dass dir meine kg nicht gefällt. Warum kein Genetiker? Nun, weil es nicht meine Idee war. Die Idee bestand in einer "Verschriftlichung" eines 50er Jahre B Movies. Deshalb die "Einfachheit" in der Roboterdarstellung. Ich wollte kein Hochglanz SciFi oder ähnliches, sondern einfach einen Blick aus dem Gestern auf das Morgen...so könnte man es sagen ;)
Ich danke dir für deinen Kommentar. Vielleicht kann dich ja mal eine andere kg von mir begeistern. Freuen würde es mich :)

Viele Grüße...
morti

 

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