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Einsteins Botschaft
Achmed Radschandsani erwachte. Es war das erste Mal seit Dekaden. Seine Haut prickelte wie unter tausend Nadelstichen, als sein Körper die Bewegungsfähigkeit wiedererlangte. Eine Mission! Ich bin auf einer Mission. Er presste die Kiefer aufeinander und versuchte, das Mosaik aus Erinnerungsfetzen zusammenzufügen. Vor Jahren hatte er sich eine Prozedur eingeprägt, die er jetzt ausführen musste: Linke Faust ballen, linken Daumen im Uhrzeigersinn rotieren lassen, Stopp, gegen den Uhrzeigersinn, Finger ausstrecken, jetzt die rechte Faust ballen. Nach Dutzenden Bewegungen, die erst seine Glieder, dann den Kopf und schließlich den ganzen Körper einbezogen, war er bereit. Als er sich abstützen wollte, erblickte er seine Hand. Sie hatte sich verändert. Die Haut war verblasst und wurde von Falten und heraustretenden Adern durchzogen. Es war, als würde sie einem Fremden gehören. Radschandsani kniff die Augen zusammen und zog sich heraus.
„Guten Morgen Achmed!“ Ihm gegenüber schwebte Blake bereits vor seiner Schlafkammer. Sein Haar war ergraut, sein Gesicht bleich und abgemagert. „Du siehst ganz schön alt aus.“ Blake verkrampfte das Gesicht zu einer Grimasse, die vermutlich ein Lächeln hatte werden sollen. „Ich habe vorhin in den Spiegel gesehen. Ziemlich erschreckend.“
Radschandsani entspannte sich. „Wir haben es geschafft. Haben die Messgeräte den Flug überstanden? Was für Aufzeichnungen haben wir?“
„Mit den Checks habe ich noch nicht begonnen. Ich wollte dich und unsere Dame beim Aufwachen nicht alleine lassen.“ Blakes Daumen zeigte auf die dritte Kabine. Durch das Milchglas war eine Gestalt zu sehen, die mit den Schultern rotierte. Es würde noch mehrere Minuten dauern.
„Soll ich schon mal anfangen?“
Blake blickte ihn kurz an, dann klopfte er ihm auf die Schulter. „Na los, sonst platzt du noch vor Neugier. Und wir brauchen deinen brillanten Kopf.“
Radschandsani lächelte dankbar und hangelte sich zum Kontrollraum.
„Herzlich willkommen, verehrte Zuschauer. Unsere heutigen Gäste sind Michael Blake und Antonia Phillippe, die Besatzungsmitglieder der Contact. Ihr dritter Kollege, Major Achmed Radschandsani, hat sich kurz vor der Sendung entschuldigt, da er überraschend eine zusätzliche Übung absolvieren musste.“
Blake und Phillippe tauschten einen wissenden Blick.
„Commander Blake, Sie wurden von den Vereinigten Staaten für die Mission der Contact nominiert. Was empfinden Sie dabei?“
„Ich bin sehr stolz, mein Vaterland bei dieser historischen Expedition vertreten zu können.“ Die Antwort kam schnell, als wäre sie vorbereitet worden.
Die Moderatorin stocherte mit einer Brille auf ihre Notizen. „Colonel Phillippe, sie sollen zusammen mit Ihren Kollegen den außerirdischen Sender erkunden. Einige Kritiker behaupten allerdings, es handele sich um einen PR-Gag, mit dem die astronomischen Ausgaben begründet werden sollen.“
Phillippe zuckte mit den Schultern. „Es gibt immer Zweifler, egal wie klar die Wahrheit vorliegt.“ Ein leichter italienischer Akzent mischte sich in das ansonsten perfekte Englisch.
„Wie kommt es, dass das Signal erst vor wenigen Jahren entdeckt wurde, obwohl es vom nächsten Stern kommt?“
Blake beugte sich vor. „Das ist gar nicht so erstaunlich. Wir können erst seit Kurzem Himmelskörper entdecken, die so groß sind, wie die Erde. Der Planet Einstein befindet sich uns am nächsten. Als sich die Messungen des SETI-Projektes darauf konzentrierten, stieß man nach ein paar Jahren auf dieses Signal.“
„Und was bedeutet es?“
„Wenn wir das so genau wüssten, müssten wir nicht hinfliegen.“
Die Italienerin trommelte einen Rhythmus mit dem Zeigefinger. „Es besteht aus einer sehr einfachen Frequenzfolge, die regelmäßig wiederholt wird.“
„Vielleicht ist es ein Positionslicht für UFOs, die sich verflogen haben“, ergänzte Blake. Ein kurzes Auflachen ging durch das Publikum.
„Wie lange werden Sie unterwegs sein?“
„Siebzig Jahre oder vierzig Jahre. Das ist relativ.“ Der Amerikaner zwinkerte in die Kamera.
„Das bedeutet doch, dass Sie nicht mehr zurückkehren können. Ist das nicht unverantwortlich?“
Phillippe verengte die Augen und setzte zur Antwort an, aber Blake gab ihr keine Gelegenheit. „Forschung erfordert Geistesgegenwart. Aus der Interpretation von Messergebnissen müssen Ideen für Folgeexperimente geboren werden. Das kann kein Computer.“
„Und warum wird das Raumschiff nicht ferngesteuert?“
„Wenn das so einfach wäre. Alpha Centauri B ist so weit entfernt, dass zwischen einer Anfrage und der Antwort neun Jahre vergehen. Unmöglich, dabei vernünftig zu arbeiten.“
„Ich verstehe.“ Die Moderatorin fuhr mit der Brille weiter nach unten und blätterte ihre Papiere um. „Was denken Sie über Ihren Kollegen Major Achmed Radschandsani? Er hat noch keinem westlichen Sender ein Interview gegeben. Warum?“
Phillippe legte den Kopf schief, als würde sie einem Hieb ausweichen. „Achmed ist ein genialer Wissenschaftler und ein großartiger Kollege. Darauf kommt es an.“
„Aber Sie wissen, dass der republikanische Präsidentschaftskandidat, David Shore, Herrn Radschandsanis Eignung bezweifelt. Er spricht sich auch generell dagegen aus, ehemalige Kriegsgegner der Vereinigten Staaten am Projekt zu beteiligen.“
Phillippes Hände krallten sich in die Armlehnen. „Ohne die Hilfe der Arabischen Liga und der Europäischen Union wäre das Projekt niemals finanziert und verwirklicht worden. Man sollte daher alle drei Nominierungen als souveräne Entscheidung anerkennen.“ Ihre Augen funkelten die Moderatorin herausfordernd an.
Blake strich mit einem Zeigefinger über die Lippen, als würde er für jedes Wort Maß nehmen. „Wir sind nicht mehr allein. Wir haben Glück, dass die Menschheit als Ganzes verstanden hat, was das bedeutet.“
„Nun gut. Ich denke, wir werden dieses Thema später wieder aufnehmen.“ Die Moderatorin drehte sich zur Kamera und setzte ein Lächeln auf. „Nach einer kurzen Unterbrechung.“
„Greetings from Einstein!“
„U-Salimu Alaykum min el Einstein!“
„Saluti da Einstein!“
Die drei Greise winkten breit grinsend in die Kamera, als wären sie auf einem Kindergeburtstag.
Blake übernahm das Wort. „Hier ist die Contact. Ein Traum wurde Wirklichkeit.“ Drei Sekunden Pause. „Wir sind im Einstein-Orbit angekommen.“
Radschandsani kannte diese Sätze, hätte sie jederzeit mit gleicher Intonation wiedergeben können. Sie drei waren dazu ausgebildet worden, einender perfekt zu ersetzen, im Notfall alle Experimente eigenständig durchzuführen und sogar die Kapsel alleine zu steuern. Ein Sicherungssystem mit zwei doppelten Böden. In viereinhalb Jahren würden diese Worte von einer Erdbevölkerung empfangen werden, die über Jahre hinweg in hysterischer Anspannung wartete. Sie würden milliardenfach ausgestrahlt, abgedruckt, von Mund zu Mund rezitiert und bis in die ferne Zukunft verbreitet. Der Araber erinnerte sich an die Aufzeichnungen, welche bereits beim Anflug automatisch an die Erde versendet worden waren. Als er an die Bilder dachte, die er vor wenigen Stunden erblickt hatte, richteten sich seine Nackenhaare auf.
Blake fuhr mit ruhiger Stimme fort. “Wir haben bereits einen ersten Systemcheck durchgeführt und die Geräte sagen uns, dass wir noch am Leben sind.“ Das Lächeln funktionierte wesentlich besser als vor wenigen Stunden. „Unsere Position im Orbit liegt innerhalb der Toleranzen, keine tausend Kilometer vom Sender entfernt. Durch die automatischen Aufnahmen solltet ihr bereits seit Monaten mit Daten versorgt sein. Aber wir haben sie trotzdem zuerst gesehen.“ Er zeigte ein eingeübtes Augenzwinkern, ließ die Worte kurz wirken und deutete dann in Radschandsanis Richtung. „Achmed wird uns eine erste Analyse geben.“
Radschandsani spüre einen trockenen Kloß in seiner Kehle. Sein großer Auftritt! Mit aufgerissenen Augen drehte er sich um und drückte eine Taste. Sofort erschien ein Bild auf dem Schirm hinter ihnen. Wie saftige Orangen hingen links oben zwei leuchtende Kreise, die beiden großen Sonnen des Alpha Centauri-Systems. Der Vordergrund wurde vom Umriss einer dunkelroten Kugel dominiert, die von grauen, Wolkenstreifen um die Rotationsachse durchzogen war. Vor dem Planeten befand sich ein schwarzes Quadrat. Der Araber betätigte eine weitere Taste, um das Viereck zu vergrößern. Jetzt musste er etwas sagen. Milliarden von Ohren wollten eine Erklärung aus seinem Mund hören. „Was … was wir hier sehen, ist wahrscheinlich ein Sonnensegel.“ Kurzes Räuspern. Er wusste, dass es ein perfektes Quadrat bildete, dass die Seitenlänge exakt 28,79 km betrug, dass eine Weltstadt wie Kairo etwa viermal darauf gepasst hätte. Das Einzige, was er hervorkrächzte war: „Es ist sehr groß.“ Die Perspektive verstärkte diesen Eindruck, als würde sich der rote Planet in einem riesigen, dunklen Laken schamhaft verhüllen wollen. „Es dient vielleicht der Energieversorgung für den Sender.“ Er tippte unbeholfen auf die Mitte des Quadrats, wo natürlich nichts zu erkennen war. Der eigentliche Sender hatte nur einige Dezimeter Kantenlänge. „ … der sehr klein ist.“
Verdammt, wie banal! Am liebsten hätte er sich auch hinter dem Segel versteckt. Warum hatte er nach dem Aufwachen nicht ausreichend Zeit bekommen, die Daten zu analysieren? Außerdem, auf der Erde würde man beim Eintreffen der Nachricht schon längst die Daten ausgewertet haben, mit wesentlich besseren Methoden und Geräten, als ihm zur Verfügung standen. Hier im Orbit konnten die Experimente erst in ein paar Tagen beginnen. Er dachte an Blakes Worte: ‚Wir sind hier auf der teuersten Kreuzfahrt der Geschichte. Die Sponsoren verlangen dafür etwas Entertainment.’ Gut, sollten sie haben. Es war Zeit für den Höhepunkt. „Auf dem Segel befindet sich ein bemerkenswertes Muster. Es teilt die Fläche in einhundertvierzehn unterschiedlich große Bereiche.“ Mit dem kleinen Finger fuhr er eine der Linien entlang. „In jedem der Bereiche finden sich verschiedene Symbole, die sich unregelmäßig wiederholen. Eine Art Schrift.“ Er drehte sich vom Bildschirm zurück zur Kamera. „Es könnte eine Botschaft an uns sein. Mehr wissen wir noch nicht.“
Blake ließ etwas Luft entweichen, die er während des Vortrags angehalten hatte. Ohne den Blick von Radschandsani abzuwenden, deutete er auf die Frau in ihrem Trio. „Antonia wird alles Weitere kommentieren.“
Phillippe strich sich durch ihre Haare. „Einsteins Bahn wird uns in den nächsten Tagen hinter Alpha Centauri B führen, so dass wir keine Nachrichten mehr senden können. Die kommenden Monate werden wir Energie sammeln und die bisher aufgezeichneten Daten auswerten, um wenigstens annähernd auf eurem Stand zu sein.“ Sie zeigte grinsend ihr Gebiss. Die offene Mähne wallte in der Schwerelosigkeit, als würde sie im Wasser tauchen. „Und natürlich werden wir die Nachrichten der letzten siebzig Jahre durchgehen, um zu erfahren, was ihr so getrieben habt.“ Sie hob die rechte Hand zum Gruß. „Arrivederci!“
„Goodbye!“
„As-Salamu Alaykum!“
Elektromagnetische Wellen gingen auf ihre lange Reise durch die Galaxis.
„Antonia, Michael, ich muss mit euch sprechen.“
Der Araber starrte apathisch vor sich hin und reagierte kaum, als sich die beiden zu ihm hinüberhangelten. Auf dem Bildschirm neben ihm flimmerte das Mosaik des Sonnensegels.
„Es ist unglaublich.“ Seine Stimme zitterte. „Ich habe das Muster mit Texten aus unserem Zentralrechner abgeglichen, um Ähnlichkeiten zu finden. Bei einem unserer gespeicherten Dokumente ergab sich eine Übereinstimmung von 98,6%.“
Blake runzelte die Stirn. „Du meinst, wir haben den Text bereits in der Datenbank?“ Er hob die Hand, um sich am Kopf zu kratzen. „Und, was ist es?“
Der Araber flüsterte nur ein Wort. „Suren!“
Phillippes Augen verengten sich zu Schlitzen. „Was meinst du damit?“
Radschandsani nickte fast unmerklich, starrte vor sich hin. „Das Muster entspricht vollständig der Aufteilung in 114 Suren und 6236 Verse. Die Schriftzeichen sind nicht völlig übereinstimmend, auch einzelne Wörter nicht.“ Er drehte sich zu den beiden um und sah sie mit weit geöffneten Augen an. „Eine andere Sprache mit fremder Grammatik. Aber die Grundstruktur ist die des Korans.“
Blake lachte auf. Als er sah, dass Radschandsani keine Miene rührte wurde er wieder ernst und schüttelte den Kopf. „Koran? Du meinst dieses Gottesbuch der Terroristen von damals? Wie sollen die das hierher geschafft haben? Wir sind die ersten Menschen hier.“
Der Araber zuckte mit den Schultern und senkte den Blick. „Ich weiß es nicht.“
Phillippe blickte zwischen den beiden Männern hin und her. „Und wenn es nicht von Menschen stammt? Was wissen wir denn über dieses Buch?“
„Es heißt, der Koran verkünde die Botschaft Gottes.“
Der Amerikaner wischte diese Vorstellung mit einer Handbewegung hinfort. „Diesen Anspruch erheben doch alle Religionen, oder? Und alle denken, sie hätten Recht.“
Radschandsani hob einen Zeigefinger. „Ja, aber mit einem großen Unterschied. Die Bibel und der Talmud verstehen sich als Aufzeichnung der Taten Gottes. Der Koran erhebt aber den Anspruch, direkt von Gott diktiert worden zu sein. Wort für Wort eine heilige Schrift.“ Er massierte seine Schläfen, als würde er damit verschollene Erinnerungen herauspressen können. „Nach dem Islam haben Jesus und andere Propheten zwar auch das Wort direkt empfangen, die Inhalte sind aber durch die Nachfolger verfälscht worden.“
Blake verschränkte die Arme vor der Brust. „Du weißt ja ziemlich viel über dieses Zeug, dafür dass du deine ganze Ausbildung der Physik gewidmet haben willst.“
Radschandsani spürte den Stachel in diesem Vorwurf. „Das ist in Bagdad Stoff im Geschichtsunterricht“, rechtfertigte er sich. Seit der Entdeckung des Einstein-Signals war klar, dass der Mensch nicht mehr als die einzige intelligente Schöpfung gelten konnte. Die etablierten Religionen hatten schmerzhafte Verluste erlitten. Die Beschäftigung mit derlei Humbug war für Wissenschaftler so salonfähig wie die Erstellung von Horoskopen.
„Du willst also sagen, …“ Phillippe wählte jedes Wort mit Bedacht. „ … auf diesem Quadrat steht das Wort Gottes?“
Blake ließ ihn nicht antworten. „Blödsinn! Keine Ahnung, wer diesen Text geschrieben hat und warum. Wir wissen nur, dass es etwas ist, das sowohl wir als auch die kennen.“ Seine zornige Handkante wedelte in Richtung des Schirms und schien dabei unsichtbare Bretter zu zerschlagen. „Vielleicht ist es ja nur ein blöder Scherz. Vielleicht reist irgendjemand durch das All und macht sich einen Spaß daraus, den Text an alle intelligenten Spezies zu verteilen.“
Achmed hob die Augenbrauen. „Und wie würdest du einen solchen Jemand bezeichnen?“
Der Amerikaner schnaubte. „Du bist doch Wissenschaftler. Du weißt, was für ein Zeug im Koran geschrieben steht. Schweinefleisch, Alkohol, Fastenzeit. Beten gegen Mekka? Wie soll das bei Außerirdischen gehen?“
„Ich weiß es doch auch nicht. Da sind ja auch die letzten 1,4 Prozent. Vielleicht ...“
„Das ist totaler Quatsch.“ Mit diesen Worten stieß Blake sich von der Wand ab und flog aus dem Raum. Mehrere Sekunden lang blickte ihm Phillippe nach, ohne ein Wort zu sagen. Dann schwebte sie hinterher.
„Achmed, ich verlange eine Erklärung.“
Radschandsani riss aus seinen Träumen. Vor seiner Koje schwebte Blakes Silhouette.
„Eine Sache lässt mir keine Ruhe.“ In der Stimme schwang ein bedrohlicher Unterton.
Achmed blinzelten einige Male. „Was ist los? Wie spät ist es?“
Blake schien ihn zu überhören. „Ist es nicht merkwürdig, dass man die Ausbeute einer Solarzelle durch Einfärbung verringert?“
Natürlich, helle Flächen können weniger Licht absorbieren als dunkle. Das war Radschandsani auch schon aufgefallen, er hatte dem aber keine Bedeutung beigemessen. Es war noch nicht sicher, ob das Quadrat tatsächlich der Energieversorgung diente.
Der Amerikaner wartete keine Antwort ab. „Was schätzt du? Wie viel Energie geht dem Satelliten durch diese Bepinselung verloren?“
Schätzen? Woher sollte er konkrete Zahlen benennen können? Was wollte Blake hören? „Keine Ahnung. Wir müssten die Strahlungsleistung der hellen und dunklen Bereiche vergleichen.“
„Und wie könnten wir so etwas machen?“ Die Frage klang wie von einem Schulmeister.
Radschandsani ging die Geräte an Bord im Kopf durch. „Wir könnten das Pyrometer verwenden.“ Blakes Gesicht näherte sich, als würde er ihn mit der Nase aufspießen wollen.
„Dann fang mal an.“
„Jetzt?“
„Ja, sofort!“
Der Araber stieg aus der Schlafkoje und zwängte sich an Blake vorbei, der nur so weit zurückwich, um ihn gerade noch durchzulassen. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, dass Phillippe sich unruhig in ihrer Kammer bewegte, als würde die Spannung im Raum ihr den Schlaf rauben. Als er im Labor ankam, fand er bereits einen Wust von Auswertungen auf dem Bildschirm vor.
„Ich habe sicherheitshalber bereits alle Messungen alleine durchgeführt. Was glaubst du, was dabei herauskam?“ Blake schien wie ein Dobermann, der einen Einbrecher stellte.
Achmed beugte sich vor und studierte die Zahlen. In mehreren Fenstern war jeweils ein weißer oder ein schwarzer Ausschnitt zu sehen, darunter stand überall ein ähnlicher Wert. „Das kann nicht sein.“ Er schüttelte den Kopf. „Die Fläche reflektiert an allen Stellen mit fast identischer Leistung. Es dürfte keine Schrift zu sehen sein.“
„Ist sie auch nicht.“ Ein überlegenes Lächeln machte sich in Blakes Gesicht breit. „Die Schriftzeichen werden gar nicht von unserer Kamera aufgenommen. Sie werden von einer Software vor dem Abspeichern auf die Bilder retuschiert.“
„Wie bitte?“
„Tu nicht so unwissend! Ich habe die Logfiles des Bordcomputers durchgesehen. Jemand hat kurz nach den Start, bevor wir in die Schlafkammer gestiegen sind, ein Programm aufgespielt. Dieser Virus ist clever, wertet das 3D-Modell der Stereokamera aus und projiziert das gespeicherte Muster auf die größte Fläche.“ Er hob einen Finger. „Aber du hast nicht damit gerechnet, dass das Pyrometer unabhängig vom Zentralrechner arbeitet. Es kann nicht manipuliert werden.“ Blake betrachtete ihn grimmig. Er schien dem Araber am liebsten ins Gesicht spucken zu wollen. „Weißt du, was du angestellt hast? Welche Mächte durch diese Botschaft Auftrieb bekommen werden? Verflucht, wir müssen eine Gegendarstellung senden und du kannst zu deinem Gott beten, dass die Welt nicht bereits ins Mittelalter zurückkatapultiert worden ist. Hoffentlich wird man uns noch empfangen kö… “ Die letzen Silben gingen in einem unartikulierten Schmerzensschrei unter.
Radschandsani wirbelte herum und sah die Italienerin, in ihrer Hand ein rot gefärbtes Skalpell. Mit einem Brüllen stieß sie das Instrument in Blakes Rücken. Sein Körper zuckte ein letztes Mal zusammen und blieb dann regungslos.
Der Araber schrie auf und ruderte rückwärts durch die Schwerelosigkeit. Unkontrolliert stieß seine Schulter gegen eine Wand. Er hatte sich in eine Ecke manövriert.
Phillippe machte keine Anstalten, ihm nachzustellen. Ein freundliches Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie hob ihre Handfläche zu den Ohrläppchen, das Skalpell dabei stets hinter dem Daumen eingeklemmt. „Allahu akbar!“
Achmeds erkannte das Gebetsritual, rührte sich nicht. „Du? Warum?“
„Es ist Gottes Wille.“ Es klang wie eine Selbstverständlichkeit.
Seine Augen weiteten sich, als ob sie die Frau anspringen wollten. „Das war nicht Gott, das war Pfusch von Menschenhand.“
Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Es hätte von Gott kommen können. Die Menschen bekommen endlich einen Beweis, der ihren Glauben festigt.“ Sie schien auf seine Zustimmung zu warten.
Radschandsani sah das Funkeln ihrer Augen. Das war nicht das vertraute Temperament, sondern schlichter Wahnsinn. War es schon immer dort gewesen?
Als er nicht reagierte, fuhr sie fort. „Der Herr hat sich in seinem unendlichen Großmut bereits drei Mal an uns gewandt. Das ist zwei Mal zu viel. Die Menschen sind dummes Vieh. Ständig verlangen sie nach neuen Gottesbeweisen. Sollen sie bekommen!“ Aus ihren Zügen strahlte eine fanatische Überzeugung.
Der Araber begriff, dass es ihr Ernst war. Er erinnerte sich an ein Zitat seines Physiklehrers: ‚Glauben das Gegenteil von wissen.’ Wieso erfand sie Lügen, fälschte Beweise, mordete? „Das ist nicht richtig“, presste er hervor. „Gott gibt es nicht. Woher nimmst du diese Gewissheit?“
Ihr Lächeln wich einem harten Strich. „Achmed, ich hatte gehofft, dass du mich verstehst. Ich ehre dein Volk. Ihr habt die Heilige Schrift jahrelang gepflegt und weitergegeben.“ Sie deutete mit dem Skalpell auf ihn. „Aber deine Worte sind eine Schande.“
Der Araber hob abwehrend die Hände. Aus den Augenwinkeln nahm er Blakes Leiche wahr, wie ein böses Omen. „Ich bin mir doch einfach nur nicht sicher. Es gibt so viele Religionen und alle sagen etwas anderes.“
„Glaube ist kein Geschmack, über den man streiten kann. Wir haben nur die eine Seele und nur ein Leben, um uns vor Gott zu bewähren.“ Sie musterte ihn. Ihr Blick schien ihn zu röntgen. Dann trat Entschlossenheit in ihr Gesicht.
„Du bist ein Ungläubiger.“ Mit diesen Worten hob sie den Arm und ließ das Skalpell blitzartig niederfahren.
Radschandsani versuchte den Stoß abzuwehren, aber er war zu langsam. Als das Instrument in seinen Hals eindrang, schrie er auf. Das Blut pulsierte heraus und formte in der Schwerelosigkeit rote Fäden. Er starb rasch.