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Eine Welt geht schlafen

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16.12.2003
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Eine Welt geht schlafen

Eine welt geht schlafen

Eine Welt geht schlafen


Die Kaffeetasse stand noch auf dem Tisch- noch stand sie auf dem Tisch. Es war Oktober, einer jener kalten und verlassenen. Blätter fielen, Vögel zogen- mittendrin Er- eine Hülle, mit ihm, das Nichts. Wochenlang hatte er nichts gegessen, wochenlang nichts getrunken, Wochen des Schlafes. Man sagt schlafen tut man nur des Nachts, das ist so das man nur des Nachts schläft- zumindest sagt man es.
Er schlief schon länger, vielleicht zu lange- vielleicht ist er erwacht zu sich gekommen- nein, er schläft wohl noch.
Vor kurzem hatte er mich gefragt wann die Vögel ziehen. Ich wusste es nicht, woher auch. Die Vögel ziehen schließlich jedes Jahr- mal früher, mal später.
Woher soll ich das genau wissen, woher?

Die Uhr tickt dir im Nacken.

Ist er wach? – Wie dürr er geworden ist, wie schrecklich dürr. Leben? – Leben das tut er schon lang nicht mehr, das weiß ich oder zumindest glaube ich, das ich es weiß.

Er war Beamter im öffentlichem Dienst. Und jetzt? – Jetzt, da ist er eine Hülle, eine Hülle mitten im Nichts.
Das Sein floss einst durch seine Adern und verflog mit der Zeit mit dem Wind, einfach so- ganz langsam, nach und nach.

Jetzt ziehen die Vögel ohne ihn- dieser Dummkopf.

„Wenn ich gehe, nehme ich alles- eine Welt geht schlafen- mit all ihrer Existenz mit all ihrem Dasein- selbst dieser Moment und dieses Blatt stirbt- langsam, ganz langsam, nach und nach.“

„Wenn sie schläft erwacht sie.“

Ich hatte danach Angst, schrecklich Angst. Und doch, er ja schläft bloß.

„Weißt du wie viele Sternlein stehen?“ - das habe ich ihn gefragt, er ist Beamter, er muss es wissen. „Unendlich- so viele wie du willst.“ – So viel wie du willst, das sagte er immer.
Und jetzt, da ist er selbst blass- blass wie eines jener Sternlein, kalt und fern.

Ich kannte ihn nicht gut, niemand kannte ihn. Er mochte das eine mehr und das andere weniger. Zum Frühstück aß er zwei Toast, gelegentlich gönnte er sich eine Pfeife und vor dem Schlafen einen Kaffee.
Die Tasse Stand noch auf dem Tisch- noch stand sie auf dem Tisch.

Es war Oktober, die Vögel zogen und eine Welt ging schlafen.

 

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