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Eine Stunde vor dem Ende
Eine Stunde vor dem Ende
Der Lüfter des Computers surrte leise vor sich hin und vermischte sich mit dem Knistern und Knacken des Kamins. Der Schreibtisch war unordentlich und der Aschenbecher quoll bereits über. Die Asche verteilte sich auf dem Schreibtisch und der Kaffee war kalt. Ich hatte einfach vergessen ihn zu trinken. Ich glaube, ich bin kaffeesüchtig. Ich musste ihn unbedingt haben, aber jetzt stand die Tasse mit ihrem kalten Inhalt einfach da. Es würde vermutlich nicht lange dauern, bis ich aufstand, um mir einen neuen aus der Küche zu holen, aber im Moment war ich einfach zu faul.
Ich müsste mich erheben, die Treppe hinuntergehen, Milch und Zucker nach meinen Vorstellungen in die Tasse geben und den gebrühten, schwarzen Kaffee einschenken.
Stattdessen starrte ich auf den Bildschirm und las das Neueste aus aller Welt auf irgendeiner News-Plattform.
Grausame, verkommende Welt.
Im Irak ist wieder ein Auto explodiert und hat 41 Menschen zerfetzt. So viel Elend. Irgendwo in Deutschland hat eine Mutter ihre Kinder getötet, weil ihr Mann sie verlassen hat. Was soll das? Ein Politiker hat seinen Rücktritt erklärt, wegen irgendeiner Affäre. Interessiert mich nicht. In New York wurde die zerstückelte Leiche einer Nutte gefunden. Das arme Ding. An einer Meeresküste verenden gerade Wale. Ein Erdbeben. Ein Autounfall.
Zum Kotzen. Warum lese ich mir den Dreck eigentlich durch? Es ist doch täglich das Gleiche. Es wird betrogen, gelogen, zerstört und getötet.
Ah, dort. Die Nachricht des Tages. Eine alternde Hollywoodschauspielerin hat Verdauungsprobleme. Na, das ist doch mal erheiternd.
Ich glaube, ich werde mir doch erstmal einen Kaffee holen.
Ich schiebe den Schreibtischstuhl vorsichtig zurück, damit er auf dem Laminat keine Kratzer verursacht, nehme die Tasse mit ihrem erkalteten Inhalt und gehe die Treppe hinunter. Mein alter Kater hat sich in unbequemer Position auf dem Heizkörper niedergelassen. Zumindest kommt es mir so vor. Er hat dösend die Augen geschlossen und die Wärme scheint im wichtiger, als die Haltung.
In der Küche angekommen, spüre ich, dass meine Frau wiedermal die Heizung komplett runtergedreht hat. Es ist kalt. Vielleicht empfinde ich auch nur so, weil oben im Wohnzimmer der Kamin alles in eine mollige Wärme gepackt hat.
Ich schütte den kalten Kaffee in die Spüle, nehme zwei Würfel Zucker und lasse sie in die Tasse fallen. Die Milch fülle ich genau bis zur oberen Kante der Zuckerwürfel und gieße neuen, heißen Kaffee nach.
Zurück auf dem Weg nach oben, komme ich wieder an meinem alten Kater vorbei, welcher noch immer in dieser seltsamen Haltung auf dem Heizkörper verweilt. Mittlerweile hat er aber seine Augen geöffnet und schaut mich an. Was denkt er wohl gerade? „Na, mein Bester.“, sage ich zu ihm und streichle ihm behutsam über den Kopf.
Wieder vor dem Computer, überkommt mich dieses unwohle Gefühl, dass ich eigentlich mal wieder Stellenangebote durchforsten könnte.
Seit sieben Monaten bin ich nun täglich zuhause. Außer einer drastischen Anhebung meines Zigaretten- und Kaffeekonsums, gesellte sich nur eine Frustration.
Gut bezahlte Jobs sind rar und die meisten Stellenangebote gehen über Zeitarbeitsfirmen, welche einen Hungerlohn anbieten. Private Arbeitsvermittler kassieren 2.000,00€, wenn sie dich in eine Beschäftigung mit Festanstellung bringen. Hab ich mal versucht und mir vom Amt einen Vermittlungsgutschein besorgt. Auf einer Webseite eines Vermittlers wurde ich auch fündig. Da war ein Job, der mich interessierte. Ein Anruf und ich hatte am nächsten Tag einen Termin zum Gespräch.
Der netten, redegewandten Frau schob ich den Vermittlungsgutschein über den Schreibtisch und ich konnte die Dollarzeichen in ihren Augen sehen.
„Wenn sie wollen, können sie morgen direkt anfangen zu arbeiten. Meine Bekannte hat eine Zeitarbeitsfirma und die kann sie bei einem Kunden unterbringen.“
Ich war fassungslos, bin ich doch davon ausgegangen, dass ich direkt beim Arbeitgeber angestellt würde. So rief diese Frau dann eine Freundin an und kassierte dafür 2.000,00€.
Ich stand auf und ging. Ohne Job, aber zumindest mit dem guten Gefühl, dieser gierigen Kuh keine 2.000,00€ in den Rachen geworfen zu haben. Das war vor circa vier Monaten. Seitdem hatte ich einige Vorstellungsgespräche, manche davon vielversprechend. Eine davon als Sicherheitschef für ein Ingenieursbüro mit guten Konditionen in Vollzeit. Der Fahrtweg war auch nicht so weit, sodass ich monatlich nicht Unmengen an Sprit verfahren müsste. Ich sollte vorab für die Firma ein Sicherheitskonzept erstellen, was ich mit Freude und Engagement tat. Nach einem weiteren Gespräch bekam ich den Job, aber als man mir den Vertrag per Mail zukommen ließ, ein weiterer Rückschlag. Teilzeitvertrag. Hälfte der Stunden. Das habe ich natürlich abgesagt. Nun sitze ich hier. Lese die Nachrichtenseite, mit Informationen aus aller Welt. Tote Zivilisten nach einem Bombenanschlag. Tote Kinder in einem idyllischen kleinen Städtchen. Verdauungsprobleme einer Diva. Was mache ich eigentlich hier?
Den gestrandeten Walen kann ich nicht helfen, es ist einfach zu weit weg. Die Kinder kann ich nicht mehr retten, was mir die Tränen in die Augen jagt. Ich würde mir diese Mutter gerne mal zur Brust nehmen, sie gegen die Wand drücken und ihr Schmerzen verursachen. Die gleichen Schmerzen, die sie den Kindern zugefügt hat. Diesen korrupten Politiker würde ich gern mal fragen, ob er sich jetzt auch einen Vermittlungsgutschein holt, um einen neuen Job zu kriegen, oder ob ihm seine bis dato angehäuften Gehälter ausreichen um Leben zu können.
Nun, der Kaffee ist schon wieder kalt, aber ich entscheide mich dazu, ihn trotzdem zu trinken. Zumindest ist er noch ein bisschen wärmer wie Pisse. In vier Stunden kommt meine Frau von der Arbeit. Sie wird mich vermutlich fragen, wie die Jobsuche vorangegangen ist. Ich bekomme jetzt schon ein unangenehmes Gefühl, wenn ich über die Antwort nachdenke, die ich ihr darauf geben muss. Es wird ihr nicht gefallen, aber mir gefällt es noch weniger.
Die Kaffeetasse ist leer. Meine letzte Zigarette habe ich auch nicht richtig ausgedrückt, da aus dem Aschenbecher Qualm in schlängelnden Bewegungen emporsteigt. Der Kater scharrt kurz an der Tür, weil ich diese geschlossen hatte
Vielleicht lasse ich heute einfach mal meinen Therapietermin platzen. Einen guten Grund hätte ich und man wäre mir deswegen vermutlich auch nicht böse. Depressionen sind so vielseitig einsetzbar.
Ich hab gelesen, wenn man sich die Waffe direkt unters Kinn hält, soll es nicht weh tun. Ob ich den Knall noch höre?
Ob ich morgen auch auf meiner täglich besuchten Nachrichtenseite stehe? Mein Therapeut wird vermutlich sagen, er hat es nicht kommen sehen. Meine Frau wird sich in die Arbeit stürzen und vermutlich das Wohnzimmer renovieren. Dann gebe ich ihr jetzt einfach mal einen Grund, dies zu tun.
Ich höre noch meinen Kater miauen, bevor ich den Abzug ziehe.