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Eine Geschichte, die nach Titten klingt
„Als Peter bemerkte, dass er den Kühlschrank offen gelassen hatte, war es bereits zu spät.“
Peng! Ein Satz wie ein Kanonenschuss. Wer sich so etwas ausdenkt, muss ein Genie sein.
Ich mache eine Pause, um die Bedeutung des Gesagten adäquat zu unterstreichen. Nur mit Mühe gelingt es mir, ein stolzes Grinsen zu unterdrücken.
Dieser Satz ist von mir!
Einen Augenblick lang herrscht in dem Zimmer etwas, dass ich als ehrfürchtiges Schweigen interpretiere.
Dann beginnt Frettchen zu röcheln.
„Alter! Das…, boah, Mann,… das ist nun wirklich der größte Scheißdreck, den ich jemals gehört habe.“ Er zieht eine abfällige Grimasse, nimmt einen großen Schluck aus der Kölschdose, um mir dann unerbittlich sein Fazit ins Gesicht zu röhren: „So fängt man doch keine Geschichte an. Als Peter bemerkte, dass er den Kühlschrank offen gelassen hatte, war es bereits zu spät. Hey, ehrlich, Dicker: Das ist einfach nur … Wortkotze!“
Letzteres rülpst er mehr, als dass er es spricht.
Ich weiß nicht, was mir mehr stinkt. Frettchens obergäriger Atem oder sein unterbelichteter Kommentar.
Also beschließe ich, spontan zu intervenieren.
„Neeeeee!”, sage ich im Brustton tiefster Überzeugung. „Nee, nee, nee!“
Umstimmen kann ich Frettchen damit offenbar nicht.
„Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße!“, kontert er lallend und klingt dabei viel weltmännischer, als man nach dem neunten Bier klingen sollte. „Weißt du, ein erster Satz muss richtig knallen. Der muss den Leser direkt in die Geschichte reinreißen. Und hammermäßig sexy muss der sein. Verstanden? Sexy!“
Ich verstehe genug, um Frettchen meinen ausgestreckten Mittelfinger unter die Nase zu halten.
„Sätze bestehen aus Subjekt, Prädikat, Objekt“, doziere ich. „Sätze sind nicht sexy.“
Frettchen nickt energisch.
„Dieser nicht! Das fängt schon beim Objekt an. Peter! Sag mal, geht’s noch? Peter?“
„Peter ist das Subjekt!“, werfe ich ein. „Das Objekt ist der Kühlschrank. Und das Prädikat…“
Jetzt erst bemerke ich Frettchens verständnislosen Blick.
„Tuwort“, sage ich langsam.
Frettchen macht eine wegwerfende Handbewegung und ignoriert meinen Einwand.
„Klingt Peter nach Titten?“
Ich schüttele den Kopf.
„Siehste! Total unsexy.“
Ich merke plötzlich, wie heiliger Zorn in mir hochsteigt. Klingt pathetisch, ist aber so.
„Ist das alles?“, blaffe ich zurück. „Dann eben anders. Als Petra bemerkte, dass sie den Kühlschrank offen gelassen hatte, war es bereits zu spät. Ist das sexy genug? Klingt das jetzt nach Titten?“
Frettchen greift nach einer neuen Kölschdose.
„Nee, nicht wirklich. Petra! Das klingt irgendwie nach so kleinen, fubbeligen Dingern, leicht hängend, mit spitzen Nippeln und zwei, drei gekräuselten Haaren auf den Warzen. So richtig geil ist das jedenfalls nicht.“
„Was bedeutet fubbelig?“
„Noppsig!“
In diesem Moment beschließe ich, nicht weiter nachzubohren.
„Nenn sie Jordan!“, schlägt Frettchen vor. „So wie diese megadralle Blonde bei Big Brother. Die, die den ganzen Tag quasi nackt im Haus rumläuft, eigentlich nur duscht und immer heult, weil sie alle deswegen für eine billige Schlampe halten.“
„Und ist sie eine?“
Frettchen lacht dreckig und trinkt sein Bier aus.
„Also gut!“, sage ich. „Als Jordan bemer…“
„Schreib lieber: das Busenluder Jordan“, unterbricht mich Frettchen. „Sonst glauben deine Leser noch, dass du den Basketballer meinst. Durch den erklärenden Zusatz Busenluder vermeidest du von vornherein Enttäuschungen bei deiner Zielgruppe.“
Er tätschelt großväterlich meine Hand, während er spricht.
Ein wenig skeptisch beginne ich erneut, während ich insgeheim überlege, ob ich überhaupt eine Zielgruppe habe.
„Als das Busenluder Jordan bemerkte, dass sie den Kühlschrank offen gelassen hatte, war es bereits zu spät.“
Ich schüttele unwirsch den Kopf. Das ist …
„… wesentlich besser!“, fährt Frettchen in meinen Gedanken. „Aber lange noch nicht geil!“
Er stützt das Kinn auf seinen Handrücken und grübelt. Er sieht aus wie der Denker von Rodin. Allerdings in stockbesoffen.
„Weißt du, was das Problem ist?“, sagt er dann. „Der Kühlschrank! Nenn mir eine gefährliche Sache, die in einem Kühlschrank auf dich lauern könnte.“
„Sprossen?“
Es klingt albern.
Also füge ich hinzu: „Vom Biohof!“
Was die Sache nicht besser macht.
Frettchen straft mich mit vernichtendem Schweigen.
„Keine Ahnung“, sage ich dann und mache ein spontanes Brainstorming. „Steinpilze, Lamas, rosa Wurmlöcher oder meinetwegen auch ein riesengroßes Monstrum; auf dem verschiedenartige Obstsorten wachsen.“
„Ein Obstolon?“, fragt Frettchen gähnend. „Was für ein alter Hut. Ich habe den Film gesehen. Christoph Waltz war darin so was von Scheiße. Nee, Alter. Alles Käse. Erzähl mir mal lieber etwas, was ich noch nicht weiß!“
Ich fühle mich zornig. Ohnmächtig. Herausgefordert. In meinem Hirn rattert es.
Aufgebracht brülle ich Frettchen den Satz entgegen, den ich als erstes fassen kann.
„Schweine können einen bis zu dreißigminütigen Orgasmus haben.“
Oh Gott!
Ich lasse meinen Kopf krachend auf die Tischplatte fallen.
„Echt?“ Frettchen klingt interessiert. „Finde ich spannend. Bau das ein!“
„Ich weiß nicht“, entgegne ich, den Kopf immer noch auf das Holz gedrückt. „Nee … also wirklich.“
„Bau das ein!“
Ich druckse ein wenig herum, bevor ich flüstere: „Als das Busenluder Jordan bemerkte, dass Schweine einen bis zu dreißigminütigen Orgasmus haben können, war es bereits zu spät.“
Frettchen grunzt zufrieden.
„Ja, Alter!“, sagt er dann. „Ganz großer Sport! Richtig große Literatur! Super sexy! Das klingt nach Titten!“
Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Ich bin gleichzeitig peinlich berührt und dennoch berauscht von Frettchens überschwänglichem Lob.
„Findest du?“, kokettiere ich.
„Ja“, sagt Frettchen ernst. „Und weißt du was das beste daran ist?“
Fast andächtig schüttele ich meinen Kopf.
„Was denn?“, hauche ich.
„Quand Jordan cette espéce de pétasse remarquait que les cochons ont des orgasmes durant trente minutes à peu près c'était déja trop tard”, sagt er dann feierlich und greift schwungvoll nach Bier Nummer elf. „Scheiße, Alter! Dieser Satz klingt sogar auf Französisch geil!“