- Beitritt
- 24.04.2003
- Beiträge
- 1.444
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 16
Eine ganz kurze Gaumenfreude für zwischendurch
Gibt es etwas schöneres, als den würzigen Panzer eines lieblichen Käfers zwischen den Zähnen knacken zu lassen, um anschließend seine zarte Cremefüllung auf der Zungenspitze zerschmelzend genießen zu können?
Es ist meist dunkel, wenn ich erwache. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, die Nächte als Tage zu betrachten. Das Haus, in dem ich zur Miete lebe, umfasst vier Etagen. Die oberste davon ist allein mein Reich. Mit Genehmigung des Eigentümers habe ich die drei Appartments an einigen Wänden durchbrochen und einen großen, beinahe völlig zusammenhängenden Saal aus ihnen gezaubert.
Die Fenster zersplitterten einst unter der Wucht meines kräftigen Hammers und die entstandenen, luftigen Löcher waren schon bald zu festgenagelten Barrikaden meiner privaten Festung geworden.
Heute erlebe ich mein Königreich in absoluter Hingabe zu mir selbst. Meine Untertanen krabbeln aufgeregt über die ausgeblichenen Reste eines billigen Teppiches hinweg und errichten ihre pulsierenden Brutstätten unter der Illusion knarrenden Laminates.
Wer ich bin?
Ich bin das Bindeglied zwischen Mensch und Natur. Mein Name ist eingebrannt in dem kollektiven Verständnis der jagenden Schöpfung. Ein jeder hier zittert vor Ehrfurcht, wenn meine Füße anmutig die Luft durchschneiden und mein fauliger Atem sich auf wenige Zentimeter nähert.
Ein Imperium des Ekels und ich bin der Ursprung aller Abartigkeit.
"Hunger?" - Die in Ketten gelegte Gestalt vor mir ist kaum noch in der Lage dazu, mir ein Nicken zu erwidern.
"Oh ja...und wie du hungrig bist. Ich sehe es in deinen blutenden Augen. Deine aufgedunsenen Beine fressen sich von innen auf, wo bleibt da das Verköstigungs Erlebnis deines von Säure gefluteten Magens, fragst du dich?"
Meine Frikadellen brutzeln in der Pfanne. Das beste Hackfleisch des Landes, aus eigenem, streng kontrolliertem Anbau. Mit dem Bratenschieber wuchte ich die saftigen Fleischklopse auf das teuerste Porzellan. Ein einfaches Küchenmesser trennt der Ästhetik wegen die an den Seiten noch herausragenden, winzigen Flügelchen und Beinchen ab.
"Hmmm...kannst du noch abwarten? Sie sind vielleicht ein wenig roh, aber du magst dein Essen doch gerne blutig, oder? Wenn es noch zuckt!"
Die unter dem Flurboden angebrachten Netze münden in kleine Plastikgriffe, an denen ich sie schwungvoll herausziehen kann. All diese gelblichen Perlen; eine Augenweide sie zu betrachten. Aus ein paar von ihnen bricht bereits das werdende Leben heraus. Ich verteile sie sorgsam auf den weichen Sesambrötchen. Sie schimmern wie weißer Kaviar; ein Gottesgeschenk sicherlich! Und dann erst die Sauce! Eine Meisterleistung sie zuzubereiten.
Bedauerlicherweise hält mein Gast nicht allzuviel von guten Benimmregeln. Seine Manieren beschränken sich auf das "Nein!" sagen, aber ich bin relativ zuversichtlich, dass er seine Meinung heute ändern wird.
Die erste Köstlichkeit muss ich ihm noch halb in den stinkenden Rachen stopfen. Doch dann scheint selbst er endlich Geschmack an diesen hausgemachten Delikatessen zu finden und er schluckt sie bereitwillig. Sein Körper ist sich der Annahmebestätigung noch nicht zu einhundert Prozent sicher; und so springen einige Happen des Festmahles zurück in meine Hände. Letztlich siegt aber doch sein um Überleben ringender Geist und eine Oblate nach der anderen verschwindet in seinem weit aufgerissenen Schlund.
Er muss sich auch beeilen, denn schließlich war ich es, der ihm in den vergangenen Wochen die wahre Bedeutung des Futterneides gelehrt hat, in dem ich ein paar possierlichen, wenngleich aber auch recht gefräßigen Mitbewohnern, ein Domizil in seinen Organen bereitet habe.
"Du weisst, im Gegensatz zu dir werde ich von Höflichkeit geleitet. Keine Eigeninitiative; dass besagt die Regel. Daher frage ich nocheinmal in aller Freundlichkeit...hast du etwas dagegen einzuwenden, wenn ich deine Wohnung beziehe?" - Diesesmal schüttelt er ganz energisch den Kopf.
"Okay. Ich bedanke mich bei dir. Wer wohnt gleich in der zweiten Etage? Das ist doch diese Familie mit der jungen, bildschönen Tochter, oder? Du brauchst nicht zu antworten. Noch etwas zu essen?"
Sein Stillschweigen ist mir Antwort genug.