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Eine Frage der Ebene

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06.09.2012
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Eine Frage der Ebene

1

An dem Tag, als Sammy ins Koma fiel, trat die Ethikkommission zusammen.
Das Medienspektakel hatte immense Ausmaße angenommen; nur mit Mühe konnte man die Journalisten davon abhalten, das Krankenhaus zu stürmen.
Dr. Sandbergh hatte sich deshalb schon in den ersten Tagen angewöhnt, das Haus nur noch durch den Notfalleingang zu betreten. Die Blicke des Krankenhauspersonals ignorierte er, den Aufzug hatte er zu vermeiden gelernt.

Guten Morgen, Sammy, dachte er, als er das Zimmer betrat. Darüber, dass die örtliche Kontrolleinheit die Wache vor der Tür schon wieder abgezogen hatte, wollte er jetzt nicht nachdenken. Stattdessen kontrollierte er die Anzeigen der überholten Geräte, die man ihm zur Verfügung gestellt hatte. Alles im Normbereich. Der Katheterbeutel musste gewechselt werden. Sandbergh würde Schwester Williams Bescheid geben, wenn er ging.
Halt durch, mein Junge. Er sah auf den ruhig atmenden Körper, nahm Sammys Hand. "Immer weiter atmen, hörst du? Immer weiter atmen." Sie atmeten zusammen. Ein. Aus. Ein. Aus. Sandbergh hielt nichts von Esoterik. Es ging ihm um Verbundenheit auf einer ganz anderen Ebene. Eine Verbundenheit, von der er vor seinen Studien, vor Sammy, nichts geahnt hatte.

Er schreckte hoch, als ihn jemand an der Schulter berührte.
"Schwester Williams!" Die Tür hatte er nicht gehört, ebenso wenig die dicke Krankenschwester, die nun hinter ihm stand.
"Live und in Farbe", lachte sie, während sie sich am Katheterbeutel zu schaffen machte. "Dachte ich's mir doch. Gut, dass ich früher hier bin", sagte sie und hielt den vollen Beutel hoch. "Ich weiß nicht, was ich der Tagschicht noch sagen soll. Patient ist Patient." Sie schüttelte den Kopf und sah Sandbergh an.
"Ist alles in Ordnung? Haben die Typen von der Kommission etwa schon entschieden?" Sie ließ den Beutel sinken.
"Nein, nein. Noch nicht. Nicht, bevor meine Anhörung war." Schon der Gedanke daran zog Sandbergh den Magen zusammen. Er hatte keine Ahnung, was er der Kommission sagen sollte.
Er sah der Schwester dabei zu, wie sie routiniert Gegenstände von hier nach da verschob, dann kurz innehielt und Sammy über die Wange strich.
"Michelle, wieso tun Sie das alles für ihn?" Sandbergh sah in Sammys Gesicht. Die Augen waren geschlossen und ruhig. Da war kein Traum. Nichts. Nur konvexes Stillleben, schwarz wie die Nacht. "Selbst im Institut gibt es Stimmen, die meinen, man solle es nicht übertreiben. Und dann komme ich hierher und sehe Sie. Wie Sie sich kümmern. So als würden Sie keinen Gedanken daran verschwenden, was Sie hier eigentlich tun. Manchmal halten Sie sogar seine Hand. Ich habe Sie dabei gesehen."

Schwester Williams antwortete nicht sofort. Sie befestigte einen leeren Beutel, justierte die Kochsalzlösung am rostigen Gestell und sah auf ihre Uhr. Dann setzte sie sich an die andere Seite des Bettes, sah Sammy an und ergriff dessen rechte Hand.
"Als ich noch klein war, erzählte mir meine Großmutter von ihrer Schwester. Ich habe sie nie selbst kennen gelernt, sie ist am dreißigsten Geburtstag meiner Großmutter gestorben. Laneesha, so war ihr Name. Altmodisch, nicht?“ Sie lächelte. „Sie wurde vier Jahre vor Inkrafttreten der obligatorischen Pränat-Tests geboren und hatte eine dieser Krankheiten, die es hier damals noch gab. Die Gene spielten verrückt, und dann hatte sie eben ein Chromosom drei Mal."
"Edwards Syndrom?", fragte Sandbergh fasziniert. Er hatte als Biologe das theoretische Wissen, gesehen hatte er es allerdings noch nie. In Gedanken begann er, die alten Krankheiten durchzugehen, eine faszinierender als die andere. Eine fremdartiger als die andere. Aber das Edwards Syndrom konnte es wohl doch nicht sein. Damit hatte man meist noch nicht mal das erste Jahr überlebt. Vielleicht ...

"Was spielt das denn für eine Rolle?" Sie blinzelte. "Ich weiß nicht, wie man es nannte, und es macht auch keinen Unterschied. Tante Laneesha war vollkommen unselbständig. Gesprochen hat sie auch nicht, sagte meine Großmutter. Als mir meine Großmutter das erzählte, da hatte ich schlimm Mitleid mit Tante Laneesha, wissen Sie? So ein Leben führen zu müssen. In der Schule haben wir das ja auch so gelernt, von wegen Leidersparnis und Menschenwürde."
Sie machte eine Pause und sah ihn an. "Heute gibt es etwa 41 Abbrüche täglich, allein in diesem Haus, Tendenz steigend. Wussten Sie das? Irgendwas stimmt nicht, und zack! Weg damit. Die Zentrale hat vor ein paar Tagen einen neuen Anbau angeordnet, um Kapazitäten zu schaffen. Na ja. Wo war ich?" Sie blinzelte. "Jedenfalls ist meine Großmutter richtig wütend geworden, als ich von Mitleid sprach. Nein ... nicht wütend. Eher traurig. Ich werde ihren Blick nie vergessen. Und das Leuchten in ihren Augen, als sie mir erzählte, wie viel Freude ihre Schwester verbreitet hat. Dass man in ihrer Nähe einfach nicht traurig sein konnte. Leid habe man vergebl-"
"Michelle, bitte ..." Sandbergh wurde heiß. Er schaute zur Tür und senkte seine Stimme. "Sie sollten aufpassen, was Sie sagen." Stimmen. Ein Beamter wurde vor der Tür postiert und bekam letzte Anweisungen. Also doch noch eine Wache. Und das ausgerechnet zur denkbar ungünstigsten Zeit.
"Bitte, Michelle, ich brauche Sie. Sammy braucht sie. Machen Sie keine Dummheiten", flüsterte er.
Er sah ihr an, dass sie mit sich rang. Sie hielt Sammys Hand und starrte mit zusammen gekniffenen Lippen auf sein lebloses Gesicht. Sammys regelmäßiger Atem und das Zurechtrücken eines Stuhles vor der Tür waren lange Zeit die einzigen Geräusche.

"Dr. Sandbergh", sagte sie schließlich laut. Er hielt die Luft an. "Mögen Sie Süßkartoffelauflauf?" Sein verdutztes Gesicht ließ sie laut lachen. "Und ich spreche von richtigen Süßkartoffeln, nicht dieses künstliche Zeug."
"Süßkartoffeln, ja?" Er verstand. Er hasste Süßkartoffeln. Auf der anderen Seite wusste er gar nicht, wie sie wirklich schmeckten. "Ich liebe Süßkartoffeln", lachte er erleichtert.
"Das wollte ich hören." Ihre Augen funkelten. "Heute Abend um acht bei mir. Und bringen sie Hunger mit." Sie strich über Sammys Hand und stand auf. "Ich muss jetzt arbeiten. Da sind noch andere Patienten, die versorgt sein wollen."

2

Um halb neun wusste er, dass er sich nie mit Süßkartoffeln würde anfreunden können. Aber er hatte schon wiederholt feststellen müssen, dass ihm die chaotische, ungeordnete Textur natürlicher Lebensmittel suspekt war. Es war einfach nicht seine Welt, und so gingen sie zum Dessert über.

Sandbergh lauschte in die Stille des fensterlosen Apartments. Vier Stockwerke unter der Erde. Er wusste seinen Wohnraum im Institut zu schätzen.
"Ich dachte immer, Sie hätten Kinder." Ihre Blicke trafen sich.
"Kinder? Ich? Nein." Sie lehnte sich zurück und nahm einen Schluck chinesischen Rotwein, den Sandbergh mitgebracht hatte. "Ich bin ein 20er Jahrgang. Sie sind doch auch nicht viel älter, oder?"
"2116", antwortete er. "Meine Schwester ist auch eine 20er. Die Hormone machen ihr ganz schön zu schaffen."
"Wem sagen Sie das?" Sie fuhr sich mit den Händen über ihre beeindruckende Leibesfülle. "Aber immerhin hatte ich so freie Berufswahl. Ist doch auch was Wert." Sie lächelte und stützte ihre Arme auf den Tisch. "Hat Sammy Kinder? Oder greifen die Maßnahmen bei ihm auch?"
"Nein, tun sie nicht", lachte Sandbergh. "Ich dachte, jeder weiß, dass Sammy Nachwuchs hat. Sie leben im Institut."
"Junge oder Mädchen?", fragte sie und stutzte. "Sagt man das so? Junge und Mädchen?"
Sandbergh sah sie an. Diese einfache Krankenschwester traf genau den Punkt. Sie erstaunte ihn immer wieder.
"Was denken Sie denn?", fragte er.
Sie nippte an ihrem Glas und sah ihn mit zusammen gekniffenen Augen an.
"Wissen Sie, normalerweise finde ich es nicht sehr nett, wenn man meine Frage mit einer Gegenfrage beantwortet. Aber in diesem Fall ist es wohl die beste Antwort, die man geben kann", sagte sie nachdenklich. "Um diese Frage zu beantworten, werde ich auch von Tante Laneesha erzählen müssen. Sie ist der Schlüssel zum Menschsein."
"Zum Menschsein?" Wieder verblüffte sie ihn.
"Ja. Darum geht es doch, oder? Was ist ein Mensch? Wo beginnt der Mensch? Und es ist die Antwort, vor der die Leute da draußen solche Angst haben. Die Angst, etwas weggenommen zu bekommen, von dem sie gar nicht wissen, was es denn ist. Sie haben kein Wort dafür."

Er starrte sie mit offenem Mund an. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen.
"Gucken Sie nicht so. Ich habe sehr viel gelesen, seit ich Sie das erste Mal getroffen habe. Und durch Sie habe ich mich an Tante Laneesha erinnert. Das hängt alles zusammen. So, als wäre Sammy ein ... Bindeglied."
Sie sah ihm in die Augen.
"Noch vor ein paar Monaten haben weder ich noch die Anderen gewußt, was da in Ihrem Institut geschieht, und plötzlich lag Sammy da, mitten auf meiner Station. Und redete mit mir. Können Sie sich den Schock vorstellen? Also, ich meine, er hat ja nicht wirklich gesprochen, aber ich habe ihn trotzdem verstanden, seine Symbole. So ist das eben, wenn zwei ... Gleiche ... aufeinander treffen.“
Er stutzte. „Gleiche?“
„Na, wenn zwei Lebewesen eben gleich sind, auf einer gleichen Ebene eben.“ Sie kaute auf ihrer Unterlippe, als sie nach den passenden Worten suchte. „Kommunizieren können sie dann immer. Das gilt eben auch für Menschen wie Tante Laneesha. Und sie war in ihrem Vermögen zu kommunizieren noch sehr viel eingeschränkter als Sammy, müssen Sie wissen. Aber trotzdem war sie ein Mensch, sie war gleich. Das hat keiner bestritten. Ein Mensch mit Rechten und Würde und all diesen großen Worten. Man hat ihr das alles zugestanden, mit Recht. Und warum? Aus einem einzigen Grund: Sie war ein Homo sapiens. Und da hört das Denken leider auf. Bei den meisten jedenfalls."
"Homo sapiens?" Er strahlte sie an, und ihre Augen leuchteten zurück.
"Ich sagte doch, ich habe viel gelesen", lachte sie. "Sammy ist auch der erste Grund seit meiner Ausbildung, aus dem ich die Database wieder gestartet habe."
Sie strich über das in den Tisch eingelassene Kontrollfeld. Die Wand hinter ihm erwachte zum Leben. "Ich wollte alles wissen über das Institut. Anfänge, Absichten und so was."
Sandbergh drehte sich zur Wand.

Das Wanddisplay war ein älteres Modell. So weit gehen die Kastrationskompensations-Bemühungen also doch nicht, dachte er, aber das war jetzt unwichtig. Die Wand wurde bis auf den letzten Zentimeter ausgenutzt. Videodateien aus der Anfangszeit seines Instituts neben geöffneten Veröffentlichungen des vor fünfzehn Jahren gegründeten Instituts für Neoanthropologie, und dort, am Displayrand, eine geöffnete Nachricht von ... von ...

"Professor Rumbaugh-Harrington? Die Institutsleitung?" Er konnte es einfach nicht fassen. "Sie stehen in Kontakt mit Susan?" War das wirklich die Krankenschwester, die Sammys Katheterbeutel wechselte?
Sie schien sich zu amüsieren.
„Na klar. Irgendjemand musste mir doch erklären, worum es eigentlich geht, oder? Versteht doch sonst kein Mensch.“ Ihre Augen leuchteten.

Er lachte, fast schon hysterisch, und war gleichzeitig sprachlos. Er hoffte immer, diesen Anblick bei seinen Studenten zu finden. Stattdessen fand er ihn hier, außerhalb des Instituts, fern aller Wissenschaft, vier Stockwerke unter der Erdoberfläche im künstlich belüfteten Apartment einer 20er Krankenschwester.

Er wandte sich ihr zu, betrachtete ihr volles, rundes Gesicht, ihre weiche, braune Haut, und während er in Gedanken noch seine Krankenversicherung zum Teufel jagte, nahm er ihr Glas, prostete den Gleichen unter Gleichen dieser und aller Welten laut zu und leerte es in einem Zug.

3

Das Institut hatte in diesem Jahr sein hundertjähriges Bestehen gefeiert. Abseits, von der Öffentlichkeit ignoriert. Die Gründung war eher pures Glück gewesen. Die Individuen der Experimentalgruppe hatten damals schon in der fünften Generation existiert, dazu hatte man permanent vor dem Aus des Projekts gestanden, da die Spendengelder, die es unterhielten, kaum gereicht hatten.
Doch dann war die Rettung in Form eines rudimentär ausgeprägten Zungenbeins in Nyansa, einem Individuum der sechsten Generation, erschienen, und das Auftreten artikulierter Sprache war somit nur noch eine Frage der Zeit gewesen.

Die Individuen der neunten und zehnten Generation wiesen nun Aussehen und Verhalten auf, das sie von der Kontrollgruppe mehr unterschied als verband. Die Anfänge des Projektes gegen Ende des 20. Jahrhunderts - die Erschaffung einer Mensch-Bonobo Co-Kultur - waren auf vagen Annahmen begründet worden, revolutionär für diese Zeit, wahrscheinlich auch genauso unbedacht. Die integrative Konfrontation mit komplexer menschlicher Sprache und Kultur hatte jedoch eine Kaskade ausgelöst, die man zu Beginn des Projekts nicht erwartet hatte.

Aber wer rechnete schon ernsthaft mit etwas wie Epigenetik, einer Genetik neben der Genetik, einem Mechanismus der Evolution, der tiefgreifende Veränderungen der Umwelt in die DNS eines Lebewesens graviert, on the go sozusagen, ohne den langen Umweg über die Selektion zu nehmen? Und wer hätte ahnen können, dass Sprachvermögen und Aussehen so eng zusammenhängen?

Und so kam es, dass Sammy, der sein Haarkleid zu großen Teilen verloren hatte, der einen Symbolschatz von zehntausend Wörtern beherrschte, die er zu Geschichten für seinen Nachwuchs neu zusammenfügte, Sammy, der die zweite Generation war, die Vokale artikulieren konnte und nur noch aufrecht ging, Sammy, der kein Bonobo mehr war, Sammy, der jedoch niemals ein Mensch werden würde, Sandbergh eines Tages die Frage aller Fragen stellte, und man nun darüber zu befinden hatte, ob ihm eine dem Menschen vorbehaltene Behandlung zustand oder ob er sterben musste.

4

"... möchte ich abschließend sagen, dass mir – in Anbetracht der begrenzten medizinischen Ressourcen, die seit Kriegsende zur Versorgung der Bevölkerung zur Verfügung stehen - die Tragweite der anstehenden Entscheidung vollstens bewusst ist. Doch wenn wir täglich darüber entscheiden, wem dieser Zugang offen steht, geht es doch niemals darum, wie intelligent oder intellektuell dieser Jemand ist, nicht darum, ob er eine Sprache artikulieren kann oder nicht. Ich behaupte: Es geht nicht mehr darum, ob er ein Homo sapiens ist. Es geht um etwas sehr viel Größeres, eine Art Gleichheit. Menschsein ist somit etwas, das man erreichen kann, etwas, das wir erreicht haben, etwas Abstraktes. Nichts Definitives. Nichts Definiertes. Eine Art ... Ebene, die aber nicht über allem steht, sondern dazwischen verläuft. Eine ... alternative Ebene, die man erreichen kann, aber nur, wenn die Umwelt es erlaubt. Eine Ebene, von der aus man die Welt erst begreifen kann. Eine Ebene, die nach Worten verlangt."
Sandbergh hielt die Luft an und sah in die Gesichter der Kommissare. Hatte er ihre Fragen erschöpfend beantwortet? Er wusste nicht, was er ihnen noch sagen sollte. Seit einer Stunde saß er schon hier und sah die Anhörung nur um eine Frage kreisen: Dürfen wir das?

"Dr. Sandbergh, eine Frage noch." Er sah die ältere Frau an, die nun das Wort an ihn richtete. Sie hatte die ganze Zeit nicht ein Wort gesagt und nur in die unzähligen Berichte geschaut, die sich im Laufe der vergangenen zwei Anhörungstage angesammelt hatten. "Woran genau machen Sie fest, dass Sammy diese ... unsere ... Ebene erreicht hat?", fragte sie und lehnte sich auf ihre Unterarme.

Sandbergh wurde heiß. Die Gänsehaut, die er seit jenem Tag immer bekam, sobald er daran dachte, blieb auch dieses Mal nicht aus. Das lag auch daran, dass er Sammy damals einfach stehen gelassen hatte, um sicher zu gehen, dass alles dokumentiert war. Sammy wartete noch immer auf eine Antwort. Verdammte Wissenschaft.
Er atmete tief durch.
"In Dokument Rum14 zu Sammys Abstraktionsvermögen ist ein Vorfall dokumentiert, der alle Zweifel beseitigt hat." Er ließ den Kommissaren nicht die Zeit, die Datei erst zu öffnen und fuhr ungehindert fort.
"Der Vorfall ereignete sich am 13. Februar 2150, vor fast genau zwei Monaten. Sammys Mutter Makeme war einige Tage zuvor im Alter von 57 Jahren an einem Hirntumor, einer Folge der hohen Strahlungswerte seit Kriegsende, gestorben. Es war nicht der erste Todesfall in der Gruppe, doch dieses Mal reagierte Sammy, dessen Krebs schon zu diesem Zeitpunkt Metastasen gebildet hatte, vollkommen anders. Er verstummte. Anfangs ging er noch oft zum Interaktionsdisplay, starrte jedoch nur darauf. Später verbrachte er ganze Tage am Fenster, seinen mobilen Zugang immer am Arm. Die Symbole, die er hin und wieder wählte, ergaben keinen Sinn. Außer, dass es sich um Fragen handelte, wussten wir nichts damit anzufangen. Auf Ansprache reagierte er nicht. Ich verbrachte in diesen Tagen jede Nacht in seinem Raum.
Am frühen Morgen des besagten Tages wachte ich auf und sah, dass er wieder am Fenster saß. Mich anstarrte.“
Er schluckte.
„Und dann begann er, die Frage zu stellen."
Sandbergh schossen Tränen in die Augen. Er versuchte, sie weg zu schlucken, ohne Erfolg.
"Er musste sich heran tasten, denn er wusste zu Beginn noch nicht, wie er es fragen sollte."
Stille.
"Er hatte noch ... kein Wort dafür."
Ihm stockte die Stimme.

"Dr. Sandbergh", meldete sich die Frau noch einmal und strich dabei auf ihrem Display hin und her, "ich kann das Dokument gerade nicht finden, aber sagen Sie mir, spielen Sie auf den Vorfall an, bei dem Sammy ...", sie suchte weiter, ihre Hand wischte unentwegt von der einen auf die andere Seite, "... also sprechen Sie von der ersten dokumentierten Erwähnung des Konzept—"

"Der Tod, ja", unterbrach Sandbergh die nicht enden wollende Frage.

"Ich spreche von dem Tag, als Sammy fragte, was der Tod sei."

5

Prof. Rumbaugh-Harrington hatte ihn gerade erst über die Entscheidung informiert, als er schon das Krankenhaus betrat. Die Blicke bemerkte er diesmal gar nicht. Er nahm wieder die Treppe, aber nicht, weil er dem Personal aus dem Weg gehen wollte. Heute würde ihm kein Aufzug der Erde schnell genug sein. Er rannte, während die Audiodatei der Beschlussverkündung aus seinem Earpiece klang.

"... kommen wir, in Zusammenschau der uns dargelegten Daten und Fakten, nicht umhin, dem Spezimen Sammy und seinen Nachfahren unverzüglich die unveräußerlichen Rechte eines jeden Menschen zuzusprechen. Eine entsprechende medizinische Behandlung ist somit ohne weitere Verzögerung anzusetzen. Desweiteren soll darauf hingewiesen werden, dass die Zubilligung dieser Rechte gewisse Pflichten mit einschließt. Inwieweit die Betroffenen diese umzu—"
Er stoppte die Übertragung, als er auf den Gang einbog und Schwester Williams vor Sammys Tür sah. Sie sprach mit der Wache, die mal wieder gehen wollte.

"Michelle, haben Sie es schon gehört?" Sie blickte zu ihm. Schüttelte sie etwa den Kopf? Er war eindeutig zu laut für einen Krankenhausflur, aber das kümmerte ihn nicht. Ihn kümmerte nichts mehr.
"Wir haben es geschafft! Sammy hat es geschafft!" Er atmete schwer, gestikulierte in Richtung Arztbüro und stützte sich dann nach vorne auf seine Oberschenkel, versuchte, wieder zu Atem zu kommen.
"Holen Sie Dr. Andrews, er soll die Behandlung starten, jetzt sofort!", keuchte er, "wir dürfen keine Zeit verlieren, da drin liegt ein Freund, der auf eine Antwort wartet. Und bei Gott, mich wird nichts mehr davon abhalten."
Er richtete sich auf. Sein Blick fiel auf das Gesicht der Schwester. Ihre Augen ...
"Was ..." Er blickte nach rechts, zu Sammys Tür. Zum Wachmann, der schweigend auf den Boden starrte.

Das Atmen fiel ihm plötzlich wieder schwer.
Er sank auf die Knie. Er verstand.


Sammy wartete nicht mehr.
Er hatte seine Antwort.

 

Hallo Purersternenstaub!

Das ist natürlich schon ein sehr interessantes und spannendes Thema, deswegen hab ich die Geschichte auch gerne gelesen. Aber sie bleibt ein bisschen beim Start stecken, sie macht es sich einfach, indem sie den Affen einfach im künstlichen Koma hält, so muss er nicht zum Akteur werden und am Ende ziehst du dich aus der Affäre, indem du ihn sterben lässt.

Halt durch, mein Junge. Er sah auf den ruhig atmenden Körper, nahm Sammys Hand.

Hier ist es ja schon entschieden, dass Sammy wie ein Mensch ist, der Erzähler sagt ja "Hand" und nicht "Pfote".

Die Geschichte spielt in der Zukunft, in der massive Eingriffe in die Natur erlaubt sind, ja anscheinend sogar von oben befohlen werden, um Erbkrankheiten auszumerzen, spielt in einer Welt, in der es nicht mehr normal ist, normale Lebensmittel zu essen. Das wird ja alles nur angedeutet, aber es ist groß angelegt. Das weckt am Anfang das Interesse und man will endlich wissen, um was es bei Sammy eigentlich geht. Dass es am Ende dann "nur" um die Frage der "Menschlichkeit" geht, enttäuscht dann fast.

"Ja. Darum geht es doch, oder? Was ist ein Mensch? Wo beginnt der Mensch? Und es ist die Antwort, vor der die Leute da draußen solche Angst haben. Die Angst, etwas weggenommen zu bekommen, von dem sie gar nicht wissen, was es denn ist. Sie haben kein Wort dafür.
Die Geschichte tastet diese Grenze des Menschseins in zwei Richtungen ab: Einmal in Richtung des Tieres und einmal in Richtung eines Menschen mit erheblichen Defiziten.
Unterlippe, als sie nach den passenden Worten suchte. „Kommunizieren können sie dann immer. Das gilt eben auch für Menschen wie Tante Laneesha. Und sie war in ihrem Vermögen zu kommunizieren noch sehr viel eingeschränkter als Sammy, müssen Sie wissen. Aber trotzdem war sie ein Mensch, sie war gleich. Das hat keiner bestritten. Ein Mensch mit Rechten und Würde und all diesen großen Worten. Man hat ihr das alles zugestanden, mit Recht. Und warum? Aus einem einzigen Grund: Sie war ein Homo sapiens. Und da hört das Denken leider auf. Bei den meisten jedenfalls.
Leider wird nicht konkret gesagt, warum Laneesha so besonders menschlich oder so besonders liebenswert war, warum sie soviel Freude verbreitet hat, das bleibt leider sehr vage und wird nur behauptet. Eine kleine Szene mit Laneesha, von der die Schwester erzählt, wäre hier sehr erhellend gewesen. Provokant gesagt: So muss ich davon ausgehen, dass hier vorausgesetzt wird, dass Menschen mit geistigen Defiziten im Allgemeinen besonders menschlich oder liebenswert sind.
Was Sammy betrifft: Warum wurde dieses Projekt eigentlich gestartet, aus den Bonobos Menschen zu machen? Was ist der Sinn davon? Dass am Ende ein Mensch herauskommt, wenn man alles daran setzt, aus einem Affen einen Menschen zu machen, ist doch eigentlich nicht so verwunderlich. Ging es darum, den Menschen zu verbessern? Dadurch, dass du diesen Sammy da aussschaltest, ihn einfach nur komatös im Bett herumliegen lässt, hast du dich der Chance enthoben, KONKRET zu zeigen, was dieser Sammy eigentlich ist. Ob er noch Anteile eines Bonobos hat zum Beispiel, in seinen Bewegungen usw. Ob er eigentlich bekleidet ist zum Beispiel. Wahrscheinlich schon, aber ab wann hat man das gemacht, ab welchem Zeitpunkt? Oder man könnte sich auch die Frage stellen: Würde Sandbergh ihn als Schwiegersohn akzeptieren, würde er ein Enkelkind von ihm haben wollen?
Außerdem: Das Problematische, aus Affen Menschen zu machen, wird eigentlich gar nicht angesprochen. Sammy bleibt ja ein Studienobjekt, er ist nicht "frei", wird noch immer am Institut "gehalten", abgesehen davon, dass er zum Zeitpunkt der Geschichte ja eh nicht mehr handlungsfähig ist. Diese Studiensituation ist jedenfalls keine, aus der "Gleichheit" spricht, das spielt sich nicht auf einer gleichen Ebene ab.
Ich behaupte: Es geht nicht mehr darum, ob er ein Homo sapiens ist. Es geht um etwas sehr viel Größeres, eine Art Gleichheit. Menschsein ist somit etwas, das man erreichen kann, etwas, das wir erreicht haben, etwas Abstraktes. Nichts Definitives. Nichts Definiertes. Eine Art ... Ebene, die aber nicht über allem steht, sondern dazwischen verläuft. Eine ... alternative Ebene, die man erreichen kann, aber nur, wenn die Umwelt es erlaubt. Eine Ebene, von der aus man die Welt erst begreifen kann.
Das würde ja heißen: Weil es ihnen gelungen ist, aus einem Affen einen Menschen zu machen, haben sie sozusagen das Menschsein erst entdeckt, oder entdeckt, was das Menschsein ausmacht. Das sind große Worte alles, aber es wird leider nicht auf konkretes Leben und Handeln heruntergebrochen.
Du stehst mit dieser Geschichte erst am Anfang, ich würde auf jeden Fall etwas Größeres daraus machen, weil so, wie es jetzt ist, wird nur Grundsätzliches abgehandelt, das vielleicht nur funktioniert, weil es eben nicht als reales Leben gezeigt wird.

Gruß
Andrea

 

Liebe Purersternenstaub

Der Titel, er könnte auf ein mathematisches Problem hinweisen, geistert nun schone eine Woche auf der ersten Seite herum, wenn ich mich einlogge. Vor zwei Tagen hatte ich ungewollt einen Komm. angeklickt, in dem glaube ich von etwas Schwarzes die Rede war, es muss zu dieser Geschichte sein. Leider habe ich daraus einen Rückschluss gezogen, der sich wohl erst am Ende auflöst. Nun muss ich vorbelastet daran gehen.

Der Katheterbeutel musste gewechselt werden. Sandbergh würde Schwester Williams Bescheid geben, wenn er ging.

Ein Rüffel schiene mir da gar angezeigt, wenn dies erst dem Arzt auffallen muss.

Sandbergh hielt nichts von Esoterik. Es ging ihm um Verbundenheit auf einer ganz anderen Ebene.

Das hätte noch gefehlt, Spuk im Spital, und dann in der Rubrik Gesellschaft. Doch es deutet auf eine sinnliche Ebene.

Videodateien aus der Anfangszeit seines Instituts neben geöffneten Veröffentlichungen des vor fünfzehn Jahren gegründeten Instituts für Neoanthropologie,

Na da bin ich ja doch teilweise auf dem Holzweg gewesen, auch wenn die Ausrichtung des Instituts sich nun gut einfügt.

Nicht teilweise, ich bin beinah vollständig von einer andern, voreiligen Annahme ausgegangen. So hat sich das Puzzle erst im Verlauf der Geschichte richtig ergeben. Ich denke, du hast es raffiniert und gut recherchiert erschlossen, diese Gleichung zum Menschen. Der Erzählrahmen hat mir gut gefallen, die Idee ist zwar futuristisch, aber von Biologen auch schon angedacht, wenn ich da recht informiert bin. Ich bin jetzt noch verblüfft und konnte keine Schwachstelle in der Beweisführung erkennen, soweit sie sich darlegt. Wirklich eine hübsche, sehr gelungene Geschichte. Glücklicherweise war sie nicht unter Science-Fiction, da guck ich selten rein.

Sehr gern gelesen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Lieber nastro,

das ist ja witzig. Als ich eine kulturphilosophische Arbeit zu genau diesem Thema verfasst habe, da stammte mein Eingangszitat aus – du ahnst es schon – Kafkas Bericht. :lol:


Liebe Andrea,

ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass über deinem Kommentar ein fleischgewordenes Damokles-Schwert in Form des zum Menschen gewordenen Affen schwebt. :)
Nur leider ist da kein zum Mensch gewordener Affe.
Auch schreibst du

Die Geschichte tastet diese Grenze des Menschseins in zwei Richtungen ab: Einmal in Richtung des Tieres und einmal in Richtung eines Menschen mit erheblichen Defiziten.

Auch hier muss ich eines genauer erklären.
Anstatt die Grenzen abzutasten, versucht der Text diese auf dimensionaler Ebene neu zu definieren. Sich von der alten Begriffsbestimmung loszumachen. Dementsprechend gibt es kein Tasten in die von dir aufgeführten Richtungen, sondern vielmehr ein neues Begreifen.
Und ich frage mich wirklich, ob du die Hand eines Menschenaffens tatsächlich als Pfote bezeichnest. :susp:

Vielleicht noch etwas für das Verständnis/den Hintergrund.
In einem früheren Kommentar habe ich schon erwähnt, dass mir die Studien des Great Ape Trusts als Grundlage für diese Geschichte dienten.
Es wurden auch von anderen Kommentatoren Mutmaßungen darüber angestellt, was denn da passiert.

Das Wichtigste: Es geht nicht darum, diese Menschenaffen zu Menschen zu machen! Das ist ganz, ganz wichtig – nicht zuletzt für diese Geschichte. Bis heute geht es um Grundlagenstudien zum menschlichen Spracherwerb, um das Verständnis desselben. Dazu konfrontiert man die Bonobos der Experimentalgruppe mit einer natürlichen menschlichen Umwelt was Konfrontation mit Sprache/Kultur angeht. Als man das Programm initiierte, fokussierte man sich auf Kommunikation anhand abstrakter Symbole, die bis heute eine zentrale Rolle einnehmen. Anfang der 80er Jahre nahm dort eins der Bonobo-Weibchen einen noch sehr jungen Bonobo namens Kanzi als Ziehmutter an. Obwohl dieses (schon erwachsene) Weibchen das eigentliche Zielobjekt der Bemühungen war, und man versuchte, ihr die Symbole näherzubringen, musste man feststellen, dass stattdessen ihr Ziehsohn Kanzi, der in Bonobo-Manier ständig an seiner Ziehmutter klammerte, die Symbole gelernt hatte. Einige Monate später wurde man sich sogar bewusst, dass er darüber hinaus die gesprochene Sprache verstand. Von da an fokussierte man sich auf ihn (und natürlich die anderen, die so jung dazukamen, so auch auf seine Schwester Panbanisha).
Die Studien führten zum einen zu einer größeren Akzeptanz von Noam Chomskys Generativer Grammatik, halfen andererseits dem kognitionswissenschaftlichen Ansatz in der Linguistik auf ihren heutigen Platz.
Die in der Geschichte erwähnte Mensch-Bonobo Co-Kultur beschreibt das Projektumfeld. Man lebt und schläft tatsächlich zusammen, dabei haben die Individuen der Experimentalgruppe auch Zugang zu „normalen“ Artgenossen. Kanzi fungiert inzwischen als Mediator. Es wurde mehrmals dokumentiert, dass er bei (von Savage-Rumbaugh et al. inszenierten) Missverständnissen zwischen „normalen“ Bonobos (und Schimpansen) und Menschen von der einen – wie soll man sagen – kognitiven Ebene in die andere übersetzte, um unnötige Konflikte zu vermeiden. Er und seine Kumpanen bilden auch Neologismen, wenn ihnen ein Begriff fehlt. Dazu benutzen sie abstrakte Symbole, die zu korrekten Satzkonstruktionen gebündelt werden. Mit ihnen selbst kommuniziert man über gesprochene Sprache.

Sein 2011 geborener Sohn Teco zeigt nun Eigenschaften, die vollkommen überraschen. Er zeigt ein noch größeres Verständnis für abstrakte Sprache, lernt noch schneller als Kanzi. Darüber hinaus zeigt er manches „angeborene“ Verhalten erst gar nicht, so zum Beispiel das Klammern; andere, wie der gesuchte und gehaltene Blickkontakt, die er zeigt, sind vollkommen untypisch für Bonobos/Schimpansen/Menschenaffen im Allgemeinen.

Ich habe im Herbst letzten Jahres über einige Zeit in Kontakt mit dem Great Ape Trust gestanden. Grund war, dass Teco nun in den Fokus der Autismusforschung rückt, da er einige traits aufweist. Das ist äußerst interessant, da man ja in gewissen Formen des Autismus ein großes kultur- und technologieschaffendes Potential zu sehen beginnt. Autismus könnte eine Rolle bei der Menschwerdung gespielt haben. Und man sagte mir, dass man im Laufe der kommenden Generationen mit großen phänotypischen Veränderungen rechnet.

Und wenn man jetzt überlegt, was denn der Auslöser des Ganzen war – Konfrontation mit Sprache und Kultur, also: eine einschneidende Veränderung der Umwelt – dann versteht man vielleicht auch die Geschichte ein wenig besser.
Es entstehen also keine Menschen, sondern eine Spezies entfernt sich von ihrer Basis und wird – ja, was?

Du merkst, ich rede gerne über dieses Thema.
Vielleicht wurde es ja ein wenig klarer.

Lieber Anakreon,

ja, der Katheterbeutel. Aber was erwartet man von einer Belegschaft, die am Liebsten so tut, als sei dieser Patient gar nicht existent? Da muss man schon Glück haben und so jemanden erwischen wie Schwester Williams, die extra früher zur Arbeit kommt, damit da wenigstens so etwas wie Grundpflege passiert.

Ich danke dir dafür, dass du die Geschichte trotz Sci-Fi-Rahmen tapfer durchgestanden hast. :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo PSS,

Du vermischt hier Esoterik mit Wissenschaft.

Es entstehen also keine Menschen, sondern eine Spezies entfernt sich von ihrer Basis und wird – ja, was?

Ja, was? Was willst du damit sagen? Der Mensch ist – rein wissenschaflich gesehen – ein hochentwickelter Affe. Und jetzt hat man festgestellt, dass unsere nächsten Verwandten, die weniger intelligenten Menschenaffen, wenn sie epigenetisch angestupst werden, auch sprechen lernen können. Ist ne spannende Sache, ja. Da kann man was über Spracherwerb lernen und in unsere eigene Evolution blicken.

Aber wo ist der Übergang? Wann wurde der Australopithecus zum Homo? Hat es irgendwann PENG! gemacht, et voilà, Homo? Nein. Da war ein schleichender Übergang. Und genau dieser Übergang ist es, den ich hier beschreibe, dieses Was ist das? Wo führt das hin?, die große, große Unbekannte.

Das ist eine alte Frage, und die geht so: Was kam zuerst, die Henne oder das Ei?

Ich denke, ein harter Wissenschaftler würde dir erzählen, dass Gene Proteine kodieren und ihnen dabei scheiß egal ist, mit welchem abstrakten Begriff der Neocortex des Homo Sapiens das Endresultat versehen möchte. Evolution ist halt ein Prozess, nicht mehr oder nicht weniger. Die Begriffe erfinden wir. Also wir Menschen.

Und du hängst dich hier halt an den Begriffen auf. Henne oder Ei? Henne oder Ei?

Anstatt die Grenzen abzutasten, versucht der Text diese auf dimensionaler Ebene neu zu definieren. Sich von der alten Begriffsbestimmung loszumachen. Dementsprechend gibt es kein Tasten in die von dir aufgeführten Richtungen, sondern vielmehr ein neues Begreifen.

Und ich frage mich wirklich, ob du die Hand eines Menschenaffens tatsächlich als Pfote bezeichnest.


Hand, Pfote. Mensch, Affe – das sind menschliche Begriffe, die, wie man sieht, verschiendene menschliche Emotionen in uns wecken. Dabei ist die Unterscheidung Mensch – Tier wissenschaftlich nicht belegbar. Das ist eine der großen Kränkungen, die Darwin uns beschert hat. Wir sind Säugetere, ein Tier unter vielen, eine eigene Spezie, ja, aber mehr nicht.


Sagt aber Andrea Pfote statt Hand bist du empört! Und entlarvst dich dabei. Du willst doch, dass Bonobos wie Menschen behandelt werden.

Das Wichtigste: Es geht nicht darum, diese Menschenaffen zu Menschen zu machen!

Wirklich?

Was willst du eigentlich?

Dass man Menschenaffen (der Begriff sagt ja schon alles) wie Menschen behandelt … aber nicht, weil sie wie Menschen sind? Das ist doch Quatsch. Was ist dann mit Mäusen und Wildschweinen und Eidechsen?
In Deutschland kann man Mäuse töten praktisch so viel man will. Und Bonobos? Wo auf der Welt kann man problemlos Bonobos abschlachten? In Nordkorea vielleicht.

Und warum ist das so? Warum sind Bonobos mehr Wert als Mäuse? Ich sag dir warum: Weil die sprechen können! Und weil sie Freundschaften knüpfen und trauern können – genau wie wir. Das ist doch der Grund.
Findest du das wirklich schlecht? Willst du das ändern? Sollen wir Mäuse wie Affen behandeln. Sollen wir sprechende Affen wie Menschen behandeln? Was willst du eigentlich?

Diese Haltung, deine Haltung, die ist nun … ja, sehr menschlich eben.
Es ist menschlich, für Schimpanzen mehr zu empfinden als für Eidechsen. Aber es ist nicht sehr eidechsig. Ich finde, das solltest du dir klar machen.
Dein Ausführungen sind so ein bisschen esoterisch angehauchte Wissenschaft – und da wird stets alles schwammig und undurchsichtig.

Das Wichtigste: Es geht nicht darum, diese Menschenaffen zu Menschen zu machen!

Das ist doch ein emotional aufgeladener Aufschrei – und, wie gesagt, ich finde deine Emotionen verraten dich dabei.

Außerdem haben Andrea H. und ich nur von dir eingefordert, dass du das Lebewesen, um das es hier geht, zum Leben erweckst – mehr nicht. Ist aber interessant. Insofern ist es vielelicht sogar ein kluger Schachzug von dir, es nicht zu tun… weil wenn du dein Affe als sprechende Figer in der Geschichte eingebaut hättest, dann hättest du schnell gemerkt, wie groß die Versuchung ist, ihn zu vermenschlichen. Das ist ein Problem, das du kaum umgehen kannst, die kann niemand umgehen: Je menschlicher du dein Affe machst – desto mehr werden deine Leser ihn mögen, desto eher werden sie denken: der verdient doch auch eine Therapie. Und das ist doch der Hauptkonflikt dieser Geschcihte, oder nicht? Verdient das Wesen eine Therapie, oder nicht? Und warum?

So gehst du das Problem aus dem Weg, dass du den Affen nicht sprechen lassen kannst, ohne ihn wie ein Mensch darzustellen (und scheinbar willst du das um jeden Preis vermeiden) – hast aber dann keinen sprechenden Affen in einer Geschichte, die von sprechenden Affen handelt – was literarisch einfach nicht befriedigend ist.
Also … Esoterik kann man auch mögen, dagegen spricht nichts, aber es wird halt schwer, wenn du es mit Epigenetik und so mischen willst. Bzw. wenn du so anfängst zu argumentieren, wie du es hier versuchst. Ich finde das geht nicht auf.


MfG,

JuJu

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo JuJu,

ich verstehe deine Aufregung. Und – Achtung, jetzt kommt was Unerwartetes – ich teile sie sogar.

Der Grund meines letzten Kommentars war Andrea, die da eine Frage stellte und sie direkt selbst beantwortete:

Warum wurde dieses Projekt eigentlich gestartet, aus den Bonobos Menschen zu machen? Was ist der Sinn davon? Dass am Ende ein Mensch herauskommt, wenn man alles daran setzt, aus einem Affen einen Menschen zu machen, ist doch eigentlich nicht so verwunderlich.

So.
Nun ist es ja so, dass meine Geschichte fiktiv ist. Haben Geschichten so an sich. Allerdings stellte Andrea da eine Frage nach dem Ursprungsprojekt, das ja real ist. Also musste ich das ein bisschen erklären.
Und – jetzt kommt das Wichtige – genau auf dieses reale Projekt bezog sich mein gleich zweimal von dir zitierter Ausspruch, dass es nicht darum gehe, Menschenaffen zu Menschen zu machen, sondern um Sprachstudien.
Darauf. Auf sonst nichts. Nada. Das ist kein emotional aufgeladener Aufschrei, es ist ein Stopp, falsche Richtung.

Es gibt eine Bewegung, die hier auch mal von einem Vorredner erwähnt wurde, die für Menschenrechte für Menschenaffen kämpft. Die Befürworter haben – sorry – nicht mehr alle Tassen im Schrank, denn diese Rechte gibt es niemals gesondert, damit sind immer Pflichten verbunden, die ein Menschenaffe (sei es Bonobo, Schimpanse, Orang Utan oder Gorilla) schlicht und ergreifend nicht erfüllen, weil kognitiv gar nicht erfassen, kann.

Darüber hinaus würde ein beinharter Wissenschaftler sagen, dass die Menschenaffen hochentwickelte Affen seien. Der Mensch wohl eher nicht. Denn – um Darwin ins Spiel zu bringen – Menschenaffen und Menschen haben den gleichen Vorfahren, seitdem aber nichts mehr miteinander zu tun. Andererseits ist das Deutsche da grundsätzlich unbefriedigend und hat schon mehr als einmal zu Mißverständnissen geführt, da es nicht zwischen monkey und ape differenziert, und ich hier nicht weiß, ob du Affe (monkey) oder Menschenaffe (ape) meinst. Das deutsche Affe wird ja meist synonym gebraucht.

Andrea sagte also, es sei nicht verwunderlich, dass ein Mensch dabei heraus käme, wenn man alles daran setzt, einen Affen dazu zu machen.
Und das ist hinten und vorne falsch, denn 1.) setzte oder setzt niemand auch nur irgendwas daran – und selbst wenn, dann käme 2.) niemals ein Mensch dabei heraus.

Und dann schreibst du

Sagt aber Andrea Pfote statt Hand bist du empört! Und entlarvst dich dabei. Du willst doch, dass Bonobos wie Menschen behandelt werden.
Also da war ich wirklich baff. Erstens ist die korrekte Bezeichnung tatsächlich Hand (frag ‘nen Primatologen) und zweitens habe ich nie, noch nie in meinem ganzen Leben gehört, wie überhaupt irgendjemand die Hand eines Menschenaffen als Pfote bezeichnet hat. Und dann lässt du dich zu diesem Du willst doch, dass … hinreissen … hätte nur noch ein Gib’s doch zu! gefehlt.
Ich hab dir oben geschrieben, wie meine Einstellung dazu ist.

Noch einmal abschließend.
Ich habe versucht, zu erklären, weshalb diese fiktive Geschichte plausibel ist. Ich habe nicht gesagt, es kommt so. Ich befinde mich nicht auf irgendeinem mir unterstellten Feldzug.
Und ich bin auch der festen Überzeugung, dass ich Sammy nicht reden lassen muss. Er redet ja auch gar nicht, er kommuniziert anhand von Symbolen auf einem Display. Und ich habe ihn auch nicht komatös gelassen, weil ich es mir leicht machen wollte, sondern: Es ändert nichts an der Geschichte. Ich wollte, das Sammy stirbt, dass es eben tragisch endet. Mehr nicht.

Also für meinen Geschmack wird das alles gerade viel zu sehr aufgebauscht und Kommentare zur Geschichtserklärung als meine dargestellt und umgekehrt, das ist sehr anstrengend. Und unnötig.

Ich danke dir trotzdem für deinen ausführlichen und zeitintensiven Kommentar, JuJu.

Gruß,
PSS

 

Hi Sternenstaub,

mich hat die Story leider nicht vom Hocker gerissen.

Zum einen halte ich es fuer mehr als fraglich den MENSCHEN als Referenzgroesse fuer die Entscheidung pro/contra Krebsbehandlung eines denkenden Affen zu nehmen.
Das ist doch arg schwarz/weiss gemalt.
Meine persoenliche Ansicht ist, dass jede Form nichtmenschlicher Intelligenz (und sei sie noch so rudimentaer) von der Menschheit anerkannt und mit Rechten ausgestattet wuerde und sei es nur, um sich selbst zu erhoehen...

Die Abwaegung ueber die Zuteilung gleicher medizinischer Rechte wird sicherlich auch nicht an so profanen (wenn auch philosophischen) Fragen haengen, wie hier dargestellt.
Wahrscheinlich muss hier eine Art von "Turing-Test" entwickelt werden, was aber sicher bereits im fruehen Stadium der "aeffischen Entwicklung" angegangen wuerde. (So doof, wie aus dem Text zu folgern waere, ist kein mir bekannter Naturwissenschaftler).
Genetische Auswahl gewollter erblicher Merkmale gleich als Zeichen dystopischer Zustaende zu sehen, ist, liebe Mitforisten, auch ein sehr nettes Beispiel fuer die Praegung im Bezug auf Probleme, die unserer Gesellschaft absehbar bevorstehen.
Mit dem gleichen Recht kann ich behaupten, dass eine Gesellschaft, in der jeder die gleiche Krankenbehandlung erhaelt eine Utopie ist.

Die Story haette auch mit einem grenzdebilen Menschen (je nach Ruehrseeligkeitsaffenitaet: Kind/Minderheit) gut funktioniert und ich werde den Verdacht nicht los, dass der einzige Zweck der Uebung hier ist, Wissenschaft und kuenftigen Fortschritt im Vornherein zu diskreditieren.

Sprachlich natuerlich sehr huebsch.

Liebe Gruesse von der Insel (30 Grad)
Proxi
(der SF auch in anderen Unterforen Auffinder ;-)))

 

Hallo Proproxilator,

ich danke dir für’s Ausgraben, Lesen und Kommentieren.

Zum einen halte ich es fuer mehr als fraglich den MENSCHEN als Referenzgroesse fuer die Entscheidung pro/contra Krebsbehandlung eines denkenden Affen zu nehmen.
Es geht nicht um pro/contra Krebsbehandlung, er wird ja schon behandelt, sondern um die Frage, ob er eine qualitative Gleichbehandlung „verdient“. Darüber hinaus handelt es sich in der Geschichte nicht um einen Affen, der „eventuellerweise denkt“, sondern um ein eigenartiges Hybridwesen, das klar und deutlich u.a. durch Gebärdensprache kommuniziert und beginnt, Fragen auf vormals exklusive menschlicher Meta-Ebene zu stellen. Die Frage, die die Geschichte behandeln soll, ist ja: Wann beginnt der Mensch? Geht es nur um Homo sapiens, oder steckt dahinter eher ein Konzept?

Meine persoenliche Ansicht ist, dass jede Form nichtmenschlicher Intelligenz (und sei sie noch so rudimentaer) von der Menschheit anerkannt und mit Rechten ausgestattet wuerde und sei es nur, um sich selbst zu erhoehen...
Ja, also wenn das so wäre, sähe die Welt ganz anders aus. Statt Rechte zu vergeben, modifizieren wir die Definition von Intelligenz nur immer weiter, immer feiner, immer spezieller. Wird ein vormals als aussagekräftig befundener Test bestanden, dann wird das Ergebnis nicht etwa einfach akzeptiert, sondern dann kann irgendwas mit dem Test nicht stimmen etc. Ich denke, die Zuerkennung solcher Rechte hat nichts mit Selbsterhöhung zu tun (sonst wäre das längst geschehen), im Gegenteil: Es würde eine Erniedrigung des Menschen darstellen, und deshalb tun wir uns so schwer damit. Außerdem wäre das der Beginn einer zu vermeidenden „Abwärtsspirale“. Jane Goodall hat das mal sehr schön gesagt: Auf die Frage zur Rechtezuerkennung bei Menschenaffen beschrieb sie das Bild eines Schimpansen, der sich dann umdreht, auf die anderen Tiere zeigt und fragt: „Und was ist mit denen?“

Die Abwaegung ueber die Zuteilung gleicher medizinischer Rechte wird sicherlich auch nicht an so profanen (wenn auch philosophischen) Fragen haengen, wie hier dargestellt.
Hier lohnt es sich, die Arbeit kontemporärer Ethikkommissionen genauer zu studieren. Es sind immer die (scheinbar) profanen und (vor allem) philosophischen Fragen, die sie beschäftigen. Am Ende steht häufig ein Protokoll, nach dem zu handeln ist, und das nur sehr begrenzte Allgemeingültigkeit haben kann. Eine sehr undankbare Arbeit, die eigentlich kein Ende haben kann, aber doch muss.

Wahrscheinlich muss hier eine Art von "Turing-Test" entwickelt werden, was aber sicher bereits im fruehen Stadium der "aeffischen Entwicklung" angegangen wuerde. (So doof, wie aus dem Text zu folgern waere, ist kein mir bekannter Naturwissenschaftler).
Siehe oben.

Die Story haette auch mit einem grenzdebilen Menschen (je nach Ruehrseeligkeitsaffenitaet: Kind/Minderheit) gut funktioniert und ich werde den Verdacht nicht los, dass der einzige Zweck der Uebung hier ist, Wissenschaft und kuenftigen Fortschritt im Vornherein zu diskreditieren.
Hier haben Einige geschrieben, sie hätten genau das erwartet: einen Menschen. Und dann waren sie enttäuscht, als es nur ein Affe war (was er ja gar nicht mehr ist). Erst habe ich diese Enttäuschung nicht verstanden, doch dann sah ich es als Ausdruck der Wertigkeit eines Menschen im Gegensatz zu einem „Affen“. Man sieht nur dieses Tier, alles, was darüber hinaus geht, sieht man nicht mehr. Im Grunde drückt das Unverständnis ja genau das aus, worum es mir in der Geschichte geht.

Woher du das mit der Diskreditierung hast, bleibt mir allerdings ein Rätsel.

Sprachlich natuerlich sehr huebsch.
Na, da fällt mir doch ein Stein vom Herzen.

Liebe Grüße vom verregneten Rhein
PSS

 

Hi P.,

ich wuerde gerne noch einmal auf einige Punkte deiner Antwort naeher eingehen:

Es geht nicht um pro/contra Krebsbehandlung, er wird ja schon behandelt, sondern um die Frage, ob er eine qualitative Gleichbehandlung „verdient“.
Sieht fuer mich immer noch nach Schwarz/Weiss aus.
Selbst bei den Menschen gibt es rechtliche Abstufungen (Entzug der Freizuegigkeit, Abstufungen bei der Geschaeftsfaehigkeit, etc.).
Wenn ein Affe, Schmetterling oder Regenwurm “Erkenntnisfaehigkeit” entwickeln wuerde (und dazu gehoert sicher auch, und das macht die Test wahrscheinlich ueberfluessig, dass er auch den Menschen als solches Wesen erkennt!), haette er selbstredend einen Schutz durch die Menschheit zu erwarten. Fraglich ist lediglich die konkrete Ausformung.
Ansonsten kann man hoffen, dass Tierrechte dereinst soweit gehen, dass Grenzfaelle dadurch abgedeckt werden.
Die Frage, die die Geschichte behandeln soll, ist ja: Wann beginnt der Mensch? Geht es nur um Homo sapiens, oder steckt dahinter eher ein Konzept?
Meiner Ansicht nach ist dies eine obsolete Frage.
Denn die Antwort ist ja einfach: 1. er ist ein Tier, welches 2. ein Selbstbewusstsein besitzt und 3. mehr kann man wohl aktuell nicht dazu sagen.
Diese Frage kann gestellt werden, sofern wir eine Klasse von Intelligenzen (natuerlich und kuenstlich) finden oder erschaffen und dann z.B. erkunden, ob Selbstbewusstsein fliessend oder schlagartig entsteht, was die Voraussetzungen an Komplexitaet und Kapazitaet sind, welcher Art von Verstand moeglich ist (von purer Rationalitaet bis zu reiner Impulsivitaet; von Linearer, paralleler, rekursiver, etc. Verarbeitungsweise, usw. Usv.)
Ja, also wenn das so wäre, sähe die Welt ganz anders aus. Statt Rechte zu vergeben, modifizieren wir die Definition von Intelligenz nur immer weiter, immer feiner, immer spezieller.
Ich kann nicht erkennen, dass sich aus Intelligenz (obwohl wir ja hier eigentlich ueber “Selbstbewusstsein/Seele/Ichreflektion/wasauchimmer sprechen) Rechte ableiten lassen.
Selbst Menschenrechte sind juristische Fiktionen die fuer ein normatives Geruest einer bestimmten Gesellschaftsform unabdingbar sind.
Davon abgesehen gibt es mWn. keine allgemein anerkannten Definitionen dieser Begriffe, sondern nur deskriptive Naeherungen.
Hier lohnt es sich, die Arbeit kontemporärer Ethikkommissionen genauer zu studieren. Es sind immer die (scheinbar) profanen und (vor allem) philosophischen Fragen, die sie beschäftigen.
Also ehrlich, ich habe da so meine Zweifel. Die Mitglieder solcher Kommissionen moegen ehrenwerte Menschen sein, aber wenn ich zB lese, was Vertreter der Kirche ueber reproduktionsethische Fragen so von sich gegeben haben…
Hier haben Einige geschrieben, sie hätten genau das erwartet: einen Menschen. Und dann waren sie enttäuscht, als es nur ein Affe war (was er ja gar nicht mehr ist).
Der Unterschied ist doch vollkommen zu vernachlaessigen (ok, emocional ist mir der Affe als naechster Verwandter peinlich – viel zu menschliches Gebaren). Was soll erst werden, wenn wir es mit einer KI zu tun bekommen?
Ich glaube hier geht es in der Geschichte um etwas ganz anderes:
Der Hybrid hat eine Krankheit, leidet also. Leiden soll weder Mensch noch Tier. Ein Tier kann man einschläfern (wenn sich die Behandlung nicht lohnt). Einen Menschen nicht. Wie also den Hybriden einordnen, wenn sein Überleben davon abhängt?

Sorry, vielleicht bin ich begriffsstutzig, aber von welcher Art Rechte und welcher Form des Bewusstseins handelt die Geschichte den nun?

Sonnigen Tag noch
Proxi

 

Hallo "PSS"!

Wenn ich mir all diese Kommentare durchlese und auch Eure Geschichten, fühle ich mich beinahe fehl am Platz. Das ist ein sehr hohes Niveau und mit vielen Begriffen kann ich, ehrlich gesagt, nicht mal etwas anfangen, weil ich mich bislang nie SO intensiv damit befasst habe. Ich schreibe gern, ich lese gerne. Ich bin ein "Normalo", eine "Unwissende", aber doch mit eigenem Geschmack und Empfinden und meiner ganz eigenen Wahrnehmung - ohne Hintergrundwissen.

Vielleicht kann es Dir auch hilfreich oder meinetwegen "nur" schmeichelnd sein, wenn eine Leserin, wie sie sich hinter jeder Haustür befinden kann, eine potentielle Käuferin eines Deiner Bücher (wer weiß, was noch kommt...!? ;o) ) oder Geschichten, Dir sagt, dass sie Deine Geschichte sehr schön und bewegend findet. Denn das tue ich hiermit.

Toll gemacht!

 

Zitat:
Die Frage, die die Geschichte behandeln soll, ist ja: Wann beginnt der Mensch? Geht es nur um Homo sapiens, oder steckt dahinter eher ein Konzept?
Meiner Ansicht nach ist dies eine obsolete Frage.
Denn die Antwort ist ja einfach: 1. er ist ein Tier, welches 2. ein Selbstbewusstsein besitzt und 3. mehr kann man wohl aktuell nicht dazu sagen.

Da bin ich denn doch noch mal,

Pss und Proxi,

der Mensch ist allemal auch ein nackter Affe, wie's Nietzsche schon formuliert hat, und kann gefahrlos als Primatenart definiert werden. Gerhard Neuweiler bezeichnet uns als „Manipulations-/Artikulationstier“. Dabei folgt er der These, dass die Neuronalen Netzwerke in den Gehirnen die Evolution geprägt haben in dem je individuellen Dialog zwischen Umwelt und Organismus, wobei die Gene nur die „Buchhalter“ seien, die die Ergebnisse der Dialoge für künftige Generationen festhalten. Er legt dar, »dass der entscheidende Unterschied zwischen Affe und Mensch nicht dort liegt, wo intuitiv gesucht wird, nämlich bei den kognitiven Fähigkeiten, unserer Assoziationskraft, unserer Logik und unserer Neugier, sondern in unserer motorischen Intelligenz, die auf Besonderheiten der Primatenmotorik aufbaut.« Kopf und Hand (das naturwüchsige Handwerkszeug, wie’s Adolf Portmann schon in den 1960-er Jahren in der Propyläen Weltgeschichte nannte), Motorik (incl. des Sprechappartes) und Fingerfertigkeit (und zwar vor allem die Finger einzeln bewegen zu können) machen den Unterschied. Der Primatenforscher Irven DeVore regte mal mit der Frage an „Angenommen, wir stießen bei einer unserer Weltraummissionen tatsächlich einmal auf intelligente Wesen – Wesen, deren genetischer Code mit dem unseren zu mehr als 98 Prozent identisch ist. Wie viel Geld gäben wir wohl aus, um sie zu erforschen? Es gibt solche Wesen. Sie leben auf der Erde, und wir lassen es zu, dass sie für immer ausgelöscht werden.“ Da ist er gar nicht so weit von Stanislaw Lem, der ja relativ wenig vom Technikwahn hielt, wenn der schon in Solaris sinngemäß meint »Wir brauchen keine anderen Welten, wir brauchen Spiegel.«

Aber vielleicht versteh ich Euch auch nur miss ...

Hallo & herzlich willkommen hierorts,

Meraviglia,

wenn Dich das Thema interessiert muss man nicht unbedingt Wälzer studieren, das hat Gerhard Neuweiler schon gemacht und in einem relativ allgemeinverständlichen Aufsatz zu György Ligetis 80. Geburtstag geschrieben (elf Seiten Text nebst einigen Seiten Graphik) in :WAS HAT AUS PRIMATEN EINEN MENSCHEN GEMACHT? In Jahrbuch 2002/2003 des Wissenschaftskolleg zu Berlin 2003, S. 244 ff. Titel googlen und lesen - nix einfacher als das.

So, jetzt muss ich aber nach Wittenberg ...

Friedel

 

Hallo Friedel!

Ich glaube, da habe ich mich unglücklich ausgedrückt... ich meinte die Fachbegriffe und das Niveau bezogen auf die Kritiken, natürlich auch das Niveau der Geschichten an sich, aber über Primaten wollte ich KEIN weiteres Hintergrundwissen haben. :-D
Mich interessieren Schreiben und Lesen primär. ;o)

Danke Dir trotzdem für den Tipp, sollte ich mich plötzlich doch MEHR als erwartet für Primaten interessieren. Vor allem aber lieben Dank für den Willkommens-Gruß!

 

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