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Eine alltägliche Geschichte

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09.12.2003
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Eine alltägliche Geschichte

Der Junge hieß Conrad. Conrad war dreizehn, für sein Alter ziemlich klein und hager. Er hatte immer zurechtgekämmte Haare. In der Schule wurde Conrad gemobbt. Nie hatte er ein leeres Portmonai, das wusste jeder. Conrad war anders, deshalb passierte es auch. Im Grunde war es absehbar gewesen. Da gab es niemanden, der Conrad verteidigte. Deshalb wussten alle aus der Schule, dass es irgendwann einmal kommen sollte. Als das Ereignis sich gerüchteweise unter den Schülern breitmachte, sagte niemand etwas. Es wurde einfach so hingenommen.
Als nämlich Conrad einmal allein nach Hause ging, versperrten ihm drei stämmige Jungen den Weg. Conrad kannte sie, sie waren von seiner Schule. Sie standen einfach da. Wie eine Mauer, dachte sich Conrad. Nur eine Mauer hatte keine Augen. Und erst recht nicht dieses böswillige Flimmern darin. Conrad bekam Angst. Sie verfolgten seinen Gang mit ihren Blicken und zeigten damit, dass es für Conrad keinen Ausweg gab. Ein paar Meter vor ihnen blieb er stehen. Er sagte nichts. Er sah die drei nur in ihrem Ganzen an. Als Mauer. Er versuchte, diese furchtbaren Augen zu ignorieren. Es war in jedem Auge das gleiche Flimmern. Was für eine furchtbare Mauer.
"Mäuse!"
Conrad erschrak. Der Mittlere hatte seine klobige Hand ausgestreckt. Fordernd. Gierig.
"Verstehst du nicht?" Ein Schritt. Noch ein Schritt. Der Mittlere stand nun unmittelbar vor Conrad. Drohend sah er auf ihn herab. Machtlos und ängstlich erwiederte Conrad seinen Blick, hielt diesem furchtbaren Flimmern in den Augen nicht stand. Blickte weg.
"Gib dein Geld!"
Hastig kramte Conrad in seiner Schultasche, fand nur einen Fünfer.
"Mehr nicht?"
Das Flimmern.
Nein. Nein. Mehr nicht.
Dieses Flimmern.
"Du lügst! Du Mistkerl. Kannst doch ein paar armen Kindern ein wenig Geld von deinen reichen Eltern abgeben!"
Flimmern.
Nicht mehr. Nicht mehr. Lasst mich in Ruhe. Bitte. Bitte. Lasst mich.
"Sprich mit uns! Warum gibst du uns nicht dein Geld?"
Kein Geld. Habe kein Geld. Ruhe. Ruhe. Ruhe. Bitte.
"Wenn du nicht deine Klappe aufreißt, du hast es so gewollt, Kleiner!"
Lasst mich. Lasst ...
Der Fuß hob sich blitzschnell. So schnell, Conrad konnte nicht mehr reagieren. Der Fuß verfehlte sein Ziel nicht. Ein stechender Schmerz in der Bauchgegend. Conrad krümmte sich vor Schmerz. Er stöhnte. Die drei Jungen waren nur noch verschwommene Schatten. Schatten mit Augen. Und die Augen mit diesem wahnsinnigen Flimmern. Sie waren zu allem bereit.
Lasst mich. Bitte. Bitte. Hab kein Geld. Kein Geld mehr. Lasst mich in Ruhe. Bitte.
Eine Faust wie aus Stein. Mitten ins Gesicht. Seine Nase schmerzte. Er spürte, wie warmes Blut über seine Lippen floss. Erst waren es nur Tropfen. Tropf. Tropf. Tropf. Bald strömte es. Warm war es. Dickflüssig. Ein Schlag in die Seite. Wieder in den Bauch. Ein harter Gegenstand knallte auf seinen Kopf.Seine Schmerzen schienen an ihm zu brüllen. Sie brüllten jedoch nicht nach außen. Nach innen. Immer mehr Schmerzen. Blut. So warm. Und dickflüssig. Lachen. Lachen um ihn herum. Schreien. Seine Wunden. Sein Blut.
Lasst mich. Lasst mich. Lasst mich. Lasst mich bitte.
Gegenstände fielen auf ihn herab. Papier. Stifte.
Kein Geld. Kein Geld mehr. Bitte. Bitte. Lasst mich.
Er lag auf den Steinen. Sie waren kalt. Und hart. Sein Blut. Es ergoss sich auf dem Boden. Er war so kalt. Und sein Blut war so warm.
Noch ein Tritt. Er rollte durch die Wucht des Trittes auf die schreiende Seite. Er spuckte. Spuckte sein eigenes warmes, dickflüssiges Blut aus. Es verteilte sich in Tropfen auf dem harten, kalten Boden. Er wusste nicht mehr, ob er ohnmächtig oder wach war. Er hörte nur noch das Brüllen. Das Brüllen seiner Schmerzen.
Nur das Brüllen.
Was war mit dem Lachen? Mit den verschwommenen Schatten? Mit dem wahnsinnigen Flimmern, das zu allem bereit war?
Er zwang sich, seine geschwollenen, mit Blut verschmierten Augen zu öffnen. Nur einen Spalt breit. Für den Fall, dass ...
Doch sie waren verschwunden. Kein Lachen. Keine Schatten. Kein Flimmern.
Langsam richtete er sich auf.
Dann übergab er sich.
Lasst mich in Ruhe. Bitte. Bitte. Bitte. Kein Geld mehr. Kein Geld. Bitte. Bitte. Lasst mich.
Als in seinem Magen wohl nichts mehr enthalten war, richtete er sich mit Mühe in seinem Sitz auf. Er atmete jetzt ganz ruhig und gleichmäßig. Sein warmes, dickflüssiges Blut wurde kalt und verkrustete. Lange saß er so da.
Starker Junge. Starker Junge.
Seine Wunden brüllten immer noch.
Du bist ein starker Junge.
Er schwellte seine Brust, wartete einige Augenblicke und rief dann mit seiner übriggebliebenen Kraft:
"Ihr Schweine!"
Er war erleichtert. Er fühlte sich besser.
Er war ein starker Junge.
Erst jetzt liefen warme, salzige Tränen seine Wangen herunter.
Er war ein starker Junge.

 

Hallo erstmal!
Bitte, überwindet euch und macht euch an diese doch etwas längere Geschichte! Ich brauche unbedingt Kritik!! Schreibt eure Meinung bitte offen und möglichst so, dass ich auch etwas verbessern kann! Was haltet ihr von der Geschichte, wie gefällt euch der Stil, die Mittel. Danke, Danke!
Tschüss, eure Mariana.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Marina!

Dies ist meine erste Kritik bei KG.de, also bitte meine Kritik nicht so sehr kritisieren.

Deine „Alltägliche Geschichte“ hat mir sehr gut gefallen. Die Schlichtheit deiner Beschreibungen(insbesondere im ersten Absatz) und dieses in sich hineinflehen von Conrad verursachte bei mir teilweise eine Gänsehaut auf der Haut.

Besonders folgendes fand ich sehr Bedrückend:
<<Nicht mehr. Nicht mehr. Lasst mich in Ruhe. Bitte. Bitte. Lasst mich.
"Sprich mit uns! Warum gibst du uns nicht dein Geld?"
Kein Geld. Habe kein Geld. Ruhe. Ruhe. Ruhe. Bitte.
"Wenn du nicht deine Klappe aufreißt, du hast es so gewollt, Kleiner!"
Lasst mich. Lasst ...>>

Aber was meinst du mit <<[...] richtete er sich mit Mühe in seinem Sitz auf.>> ? In welchen Sitz?

Du scheinst meiner Meinung nach wirklich ein Talent im schreiben Depressivmachender Texte zu haben. Man kann förmlich die Schmerzen Conrads mitfühlen.

MfG
Timothy

 

Hallo, Timothy!
Danke natürlich erstmal für dein Lob. Ich habe mich sehr gefreut, denn das ist meine erste Geschichte hier! Keine Angst, ich schreibe nicht nur solche debressiven Texte (wir hatten in der Schule auf, eine Kurzgeschichte über Gewalt zu schreiben). Ich hoffe zumindest, dass meine Texte nicht NUR depressiv machen ...
Mit der Zeile, die du infrage gestellt hast, war ich auch nicht ganz 100%-ig zufrieden. Einmal, dass ich zweimal in kurzer Zeit AUFRICHTEN geschrieben habe, und dann noch eben das mit dem Sitz. Ich meinte das so:
C sitzt davor nicht richtig auf dem Boden, aber er liegt auch nicht ganz(wenn du verstehst, was ich meine...). Als er "sich in seinem Sitz aufrichtet" setzt er sich also richtig hin, also auf sein -----.
Aber danke, dass du das nochmal geschrieben hast, ich werde darüber nachdenken.
Also dann,
viele Grüße

Mariana.

 

@Existence:
Im wesentlichen unterstütze ich deine Kritikpunkte hinsichtlich Schreibstil und Dramatik des Textes. Mariana benötigt sicher noch etwas Hilfeleistung bei Formulierungen, doch das lernt sie ja gerade hier, deine Anregungen werden ihr dabei sehr wertvoll sein.

Einwände habe ich bloß zu deinen Fragen, die das Geschehen anzweifeln. Ich finde, die Szenerie ist durchaus möglich, ja, sogar wahrscheinlich: Jedes Kind wird auf irgendeine Weise mit solchen oder ähnlichen Situationen mehrmals in seinem Leben konfrontiert. Ich bin mir absolut sicher, daß auch du dich in deiner Kindheit gegenüber anderen >durchboxen< mußtest, um dir eine Stellung in der Gesellschaft zu verdienen! Vielleicht waren die Begebenheiten andere als hier beschrieben; der Aspekt, um den es hier geht, heißt >sozialer Neid<.

Wer es nämlich nicht schafft, mit Konfliktsituationen wie den oben beschriebenen fertig zu werden, wird gemobbt, gehänselt oder gerät in eine anderweitige Außenseiterrolle. Die Langzeitwirkung solcher Erlebnisse kann dabei vielfältig sein: positiv, negativ oder sonstwie geartet. Die Eltern/ Polizei/ Lehrer spielen meines Erachtens bei der weiteren Entwicklung des Geschehens zwar eine wichtige, aber dennoch sekundäre Rolle. In erster Linie geht es um das Verhaltensmuster des Protagonisten, und dieses halte ich durchaus für realistisch, wenngleich nicht ganz so flüssig erzählt, wie man es von einem Autor mit langjähriger Erfahrung erwarten würde. Inhaltlicher Diskussionsstoff ist auf jeden Fall gegeben. Eine analoge Geschichte mit einem Mädchen in der Hauptrolle findet man unter Gesellschaft > Schulmädchen von vita.

Viel Glück beim weiteren Schreiben!
ababwa, der auch immer zurecht gekämmt ist

 

Servus Mariana!

Mich stört der Stil mit den kurzen Sätzen nicht. Es gibt Bedrohung, Ausdruck von Angst und das Bedürfnis zu verweigern was verlangt wird, dem Spuk mittels Durchhalten ein Ende zu machen. Das finde ich kommt gut rüber. Gerade durch die Nüchternheit der Erzählung wird man für das Gewaltpotential, um das es dir ja von der Aufgabe her vordergründig geht, wachsam. Dieselbe Geschichte mit all den Erweiterungen die Existence anspricht wäre sicher lesenswert und auf ihre Weise interessant. Aber Gewalt geschieht oft ohne für den Außenstehenden, oft auch ohne für das Opfer selbst verständlich zu sein und diese Variante hast du sehr gut gelöst.

Den Moment wo sich der Junge im Sitz aufrichtet ist mir auch zusammenhangslos vorgekommen und störte meinen Lesefluss, ebenso wie diese Art Autosuggestion "ich bin ein starker Junge", da wäre eine Alternative vielleicht überlegenswert.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

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