Ein warmer Sonntagmorgen
Sie vernahm plötzlich wieder den erfrischenden Elan der Jugend in ihren Gliedern der sie beinahe schwebend über den sterilen Laminalboden führte. Jedes einzelne Härchen an ihrem Körper schien Lebenskraft zu verströmen und sie hatte das Bedürfnis sämtliche Menschen, die an ihr hektisch vorbeizischten, zu umarmen. Sie wusste, dass sie sich in einem Gebäude befand, also begab sie sich intuitiv nach draußen und inhalierte förmlich den Anblick der sich ihr bot.
Die Sonne schien hell und wärmend auf ihr lächelndes Gesicht, es war das Gefühl eines ungewöhnlich warmen Sonntagmorgens nach einer langen Winterzeit, das sie ergriff. Noch nie hatte sie die Welt so gesehen wie in diesem Augenblick. Sämtliche Farben der Natur leuchteten und erschienen ihr um ein Vielfaches intensiver als bisher. In diesem Moment überwältigte sie ein unvorstellbares Maß an Verbundenheit mit allen Lebewesen um sie herum. Sie wiegte sich innerlich mit den Maiglöckchen im Wind und schlummerte tief und fest mit der Katze am Wegesrand. Ebenso vernahm sie den wohltuenden Geschmack des Marmeladenbrotes, welches gerade von einem jungen Herrn in der Kantine verspeist wurde. Beinahe berauscht von diesem Übermaß an Glück stieg sie die Betontreppen des Haupteingangs herab, sank zu Boden und blickte euphorisch gen Himmel.
Auf einmal waren sämtliche alte, schon längst vergessene Freunde da und schüttelten ihr zur Begrüßung herzlich die Hände, einige Familienmitglieder kamen auf sie zugestürmt und überdeckten sie mit Küssen.
„Zeitpunkt des Todes: 10:45 Uhr.“ sprach ein Mann in gefühlsneutraler Tonlage als die Doktoren den Operationsraum verließen.