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Ein warmer Sonntagmorgen

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14.07.2003
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Ein warmer Sonntagmorgen

Sie vernahm plötzlich wieder den erfrischenden Elan der Jugend in ihren Gliedern der sie beinahe schwebend über den sterilen Laminalboden führte. Jedes einzelne Härchen an ihrem Körper schien Lebenskraft zu verströmen und sie hatte das Bedürfnis sämtliche Menschen, die an ihr hektisch vorbeizischten, zu umarmen. Sie wusste, dass sie sich in einem Gebäude befand, also begab sie sich intuitiv nach draußen und inhalierte förmlich den Anblick der sich ihr bot.

Die Sonne schien hell und wärmend auf ihr lächelndes Gesicht, es war das Gefühl eines ungewöhnlich warmen Sonntagmorgens nach einer langen Winterzeit, das sie ergriff. Noch nie hatte sie die Welt so gesehen wie in diesem Augenblick. Sämtliche Farben der Natur leuchteten und erschienen ihr um ein Vielfaches intensiver als bisher. In diesem Moment überwältigte sie ein unvorstellbares Maß an Verbundenheit mit allen Lebewesen um sie herum. Sie wiegte sich innerlich mit den Maiglöckchen im Wind und schlummerte tief und fest mit der Katze am Wegesrand. Ebenso vernahm sie den wohltuenden Geschmack des Marmeladenbrotes, welches gerade von einem jungen Herrn in der Kantine verspeist wurde. Beinahe berauscht von diesem Übermaß an Glück stieg sie die Betontreppen des Haupteingangs herab, sank zu Boden und blickte euphorisch gen Himmel.

Auf einmal waren sämtliche alte, schon längst vergessene Freunde da und schüttelten ihr zur Begrüßung herzlich die Hände, einige Familienmitglieder kamen auf sie zugestürmt und überdeckten sie mit Küssen.

„Zeitpunkt des Todes: 10:45 Uhr.“ sprach ein Mann in gefühlsneutraler Tonlage als die Doktoren den Operationsraum verließen.

 

Hallo Jingles

nach meinem Empfinden ist dir die Geschichte wirklich gelungen. Wie du wunderschön das Wiederaufleben deines Protagantisten geschrieben hast.
Dieses überdimensionales Erleben und "Leben", wahrnehmen und geniesen hast du uns bildlich vermittelt.
Dagegen die nüchterne und gefühlsneutrale Antwort des Arztes über den Toteszeitpunkt der Person, die ja zu Anfang stehen müsste, da ja erst nach diesem Moment der neue Anfang steht.
Doch für mich ergibt sich dadurch wieder ein Kreis.
Schade, so würde ich mir meinen Anfang auch gerne vorstellen.

Einen schönen Abend wünscht dir

Morpheus

 

Danke Morpheus für deine positive Kritik!

Es ist immer schön, Lob zu hören. Zu der Sache mit dem Todeszeitpunkt: Diese Meldung muss nicht unbedingt zu Anfang stehen. Die Verstorbene könnte genausogut schon endgültig gestorben sein, bevor der Arzt die letzte Hoffnung aufgibt. Es wäre auch möglich, dass der Geist den Körper schon kurz vor dem, für uns erkennbaren, körperlichen Ableben verlässt (davon bin ich mal ausgegangen). Oder dass das Sterben der Frau und die Meldung des Arztes gleichzeitig geschieht, etc. Wie du siehst ist das absolute Auslegungssache.

 

Hallo Jingles

nein, nein, auch ich bin der Meinung, dass das Ende so bleiben sollte. Daher ergibt sie für mich eben der Kreis.

Einen schönen Abend

Morpheus

 

Hallo Jingels,

Berichte von dem Bewusstseinszustand nach dem Tode kommen immer wieder in der Philo-Rubrik vor. Ich finde, Dir ist die Schilderung der Verwobenheit der Protagonistin mit ihrer Umgebung gut gelungen, auch wenn ich bei der Vorstellung schmunzeln musste, sie habe Maiglöckchen und Katzenempfindungen gleichzeitig.
Was mir bei der Geschichte fehlt ist etwas Tiefgründiges, man kann halt glauben (oder auch nicht), dass es nach dem Tode so zugeht, mehr wird nicht gesagt.

Hektisch vorbeizischen finde ich unpassend, es scheint dort sonst doch eher gelassen- harmonisch zu zugehen.


LG,

tschüß… Woltochinon

 

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