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Ein Schutzengel?
Gestern bin ich, glaube ich, meinem Schutzengel begegnet.
Ich fuhr mit meiner Vespa aus der Stadt nach Hause in unser zehn Kilometer entferntes Dorf. Leider bin ich nicht gerade eine sehr versierte Fahrerin, da ich mir meine Vespa erst vor zwei Jahren, im zarten Alter von 31 Jahren, gekauft habe. Da ich auch relativ wenig fahre (in diesen zwei Jahren gerade einmal 700 Kilometer!), bin ich dementsprechend ungeübt. Ich neige dazu, vor jeder Kurve fast bis zum Stillstand zu bremsen und würde mein Vespa-Schnuckelchen am Liebsten um die Kurve heben. Außerdem habe ich furchtbare Angst vor jeder Spurrille oder Schlagloch, was dazu führt, dass ich mit maximal 50 km/h dahinzuckele. Ich weiß, eigentlich sollte ich das Roller-Fahren aufgeben und meinen dicken Hintern wieder in mein Auto mit seinen sicheren vier Rädern wuchten, aber... naja, Altersstarrsinn wahrscheinlich.
Jedenfalls zuckelte ich in der Stadt so dahin, immer schön in der Mitte der Fahrbahn natürlich. Ich will ja nicht, dass mich so ein böser Autofahrer an den Rand presst. Das war auch kein Problem, da die Fahrbahn zweispurig ist und mich die Autos ganz brav in Scharen auf der linken Spur überholten. Bis auf einen. Der meinte, er zeigt es diesem Verkehrshindernis und schnitt mich beim Überholen. Ich riss beim Bremsen fast die Bremshebel heraus, schaffte es aber, den Roller und mich am Rollen zu halten. So ein kleiner Adrenalinschub soll ja in meinem Alter ganz gut für die Arterien sein! Zwei Blicke in beide Rückspiegel erleichterten mich ungemein: Anscheinend hatten mich nun alle bösen Autos überholt und hinter mir waren die beiden Fahrspuren frei. Vergnügt zuckelte ich weiter und beschleunigte sogar auf nervenzerfetzende 55 km/h. Etwa 200 Meter weiter bremste ich dann sanft an einer roten Ampel ab. Hinter mir bremste ebenfalls sanft ein silberner Ford KA. Wo kam der denn her? Ich war an keiner Nebenstraße vorbeigefahren. Im linken Rückspiegel betrachtete ich den Fahrer. Eine „sie“, ca. 25 Jahre alt mit halblangem blonden Haar. Bestimmt würde sie mich nach der Ampel auf der linken Spur überholen. Die Ampel schaltete auf grün und ich gab Gas, bis ich meine vertrauten 50 km/h erreicht hatte. Hhhhmmm, warum überholte sie denn nicht? Naja, ihre Sache. Vielleicht war sie Fahranfängerin und ganz froh, dass ihr jemand den Vorwand lieferte, dahinzuschleichen.
An der nächsten Ampel war sie immer noch hinter mir, an der übernächsten ebenfalls. Das Mädel war mir irgendwie sympathisch. Sie hielt beständig eine halbe Autolänge Abstand, so dass sich niemand zwischen uns drängeln konnte. Auch an den Ampeln blieb sie so weit hinter mir stehen, dass ich nicht, wie sonst, fürchten musste, gleich mein Hinterrad auf einer Motorhaube wiederzufinden.
So ging das bis hinaus aus der Stadt: Ich mit meinen 50 km/h und hinter mir der kleine silberne Ford KA als Begleitfahrzeug.
Wie immer, wenn ich Roller fahre, ließ ich meine Gedanken schweifen. Vielleicht war sie mein Schutzengel und fuhr hinter mir her, um mich vor den großen, bösen Autos zu beschützen? Ich grinste in mich hinein und war froh, dass niemand meine hirnrissigen Gedanken lesen konnte. Ich fuhr durch den letzten Vorort und auf die Landstraße, als ich bemerkte, dass mein ganz persönlicher Ford KA hinter mir verschwunden war. „Schade eigentlich!“, dachte ich mir, „Nun muss ich wohl wieder selbst auf meinen Weg achten!“ Wieder grinste ich in mich hinein. Neben mir zogen die neuerbauten Firmengebäude der Spielwarenfabrik vorbei. Heute hatten die Arbeiter anscheinend den Parkplatz und die Zufahrtstraße geteert. Die Zufahrt fand ich nicht sehr glücklich, da die Einsicht zur Landstraße von Bäumen verdeckt wurde. Was war denn das auf dem Parkplatz der Fabrik? Das war doch ein silberner Ford KA? Wie war der denn dahin gekommen? Die Zufahrt lag kurz vor mir und überholt hatte mich die junge Frau doch nicht. Ich bremste ab, um mir das Auto genauer anzuschauen. In diesem Moment schoss vor mir ein schwarzer BMW mit quietschenden Reifen aus der Firmenstrasse auf die Landstrasse. Erschrocken riss ich an den Bremshebeln und brachte meine Vespa zum Stehen. Mir zitterten sowohl Knie als auch Arme. Hätte ich nicht schon vorher gebremst, hätte mich dieser Verrückte über den Haufen gefahren! Nachdenklich schaute ich auf den Parkplatz und riss auf einmal die Augen auf: Der Parkplatz war leer!
Seitdem frage ich mich, ob Schutzengel wohl Ford KA fahren.