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Ein Schnitt
Marah fühlte nichts, als sie sich schnitt.
Sie bemerkte die Blutlache vor sich. Die abgeschnittenen Zwiebelstückchen, deren Saft in Schlieren das Rot verwässerte.
»Um Gottes willen!«
Marah zuckte zusammen, erkannte, wie Sven auf sie zustürmte, und blinzelte die Tränen weg.
»Was ist passiert?«, fragte er. »Kevin! Hol mal das Desinfektionsmittel aus dem Bad. Mama hat sich geschnitten!«
»Ich weiß nicht«, sagte sie und ließ das Messer fallen.
Sven packte ihre Hand wie ein Schraubstock und inspizierte die Wunde. »Bring Kompressen mit«, rief er, »und Pflaster. Das braune, unten in der Schublade.« Er drückte leicht auf die Wundränder, und meinte, das müsste vielleicht genäht werden. Sven, der praktizierende Arzt, obwohl er bereits vor Jahren zur Forschung übergelaufen war.
»Nein, ach was.«
Kevin und sein Bruder rannten in die Küche. Er legte die Briefchen mit den Kompressen und das Desinfektionsfläschchen auf den Tisch.
Niklas umklammerte seinen Lieblingsaffen. »Mama ...« Er streckte ihr den Affen entgegen und schob die Unterlippe nach vorne.
»Alles gut«, sagte sie und zeigte ihm die blutverschmierte Hand. »Behalt ihn lieber, ich bin total versaut.«
Die Kinder machten sich bettfertig, Kevin motzte ausnahmsweise mal nicht, lieber verschlang er die neuen Mangas, die ihm sein Vater geschenkt hatte.
Das Handy gab einen Ton von sich und ein Punkt blinkte auf: Lust auf Kaffeetrinken?
Wie wärs mit ner Bar?, gab sie zur Antwort.
Marah lag auf dem Sofa und hörte ihren Mann im ersten Stock, wie er im Kinderzimmer aus 'der kleinen Hexe' vorlas. Für sie klang es so, als hielte er einen seiner Vorträge, doch Niklas kicherte. Sie mochte es, wenn er kicherte, und sie war froh darüber, dass Sven den Job übernahm.
Kerzenlicht ließ das Weinglas in ihrer Hand bernsteinfarben leuchten. Der verletzte Finger pulsierte und Menschen in Weiß kamen ihr in den Sinn. Sie musste an Niklas' Geburt denken, an all das Blut, die Aufregung, die Schwärze, und kurz nach dem Erwachen, ein Baby an ihrer Brust. Einfach so.
Wie wärs mit Freitag, im Charly, 20:00?
Marah lächelte und schickte den erhobenen Daumen zurück.
Gut gehalten, dachte Marah, als sie sich im Spiegel betrachtete und ihre Brüste zusammenpresste. Sie standen noch, trotz zweier Kinder – die Haut um Hüften und Po straff wie eh und je. Sie drehte sich von links nach rechts, strich dabei über ihren Körper, als cremte sie sich ein. Sven starrte auf den Kindle. Das Display spiegelte sich in den Brillengläsern. Dünn gewordene Haare fielen in seine Stirn.
»Morgen treffe ich mich mit Claudia, so gegen acht.« Marah huschte unter die Daunendecke, nur den Seidenschlüpfer am Leib.
»Denk dran, dass wir Samstag zu meinen Eltern fahren.«
»Ich hab’s nicht vergessen.«
»Ich mein ja nur.« Sven sah sie über die Brille hinweg an. »Wie geht’s ihr denn?«
»Ach, ganz gut, glaube ich.«
»Und deinem Finger?«
»Der pocht, keine große Sache.« Sie knipste die Nachttischlampe aus. Das Tablet tauchte den Raum in kaltes Licht. Marah drehte sich zur Seite, die Knie wie ein Embryo hochgezogen. Sie sollte mal wieder was tun, dachte sie. Fotografieren, vielleicht die Staffelei aufbauen, ein Keilrahmen musste noch im Keller stehen.
Sven schaltete das Gerät ab und schmiegte sich an ihren Rücken. Sie spürte die Wärme auf der Haut – tiefer drang sie nicht. Er streichelte ihre Schultern, dann presste er sein Becken an ihren Hintern. Sie verstand und zog den Schlüpfer aus.
Nachdem alle aus dem Haus waren, räumte sie den Frühstückstisch ab, holte die Zigarettenpackung aus dem Versteck im Vorratsschrank, trat auf die Terrasse und steckte sich eine an. Kraftlos bahnte sich Tageslicht einen Weg durch den Morgennebel. Der Teich glänzte lackschwarz an der Oberfläche, ringsum eine dünne Eisschicht wie eine silbrige Kruste. Eigenartig still war es. Marah zitterte vor Kälte, daran änderten auch der Strickpullover und die Glut der Zigarette nichts. Sie schnippte sie über die immergrüne Hecke und flüchtete zurück ins Warme.
Claudia saß ganz hinten in der Bar, auf der mokkafarbenen Bank mit den hohen Lehnen, eine Karaffe Wein und ein halb gefülltes Glas standen auf dem Tisch. Am Tresen tummelten sich vor allem Männer, gut gekleidet – rahmengenähte Schuhe, das sah sie auf einen Blick. Claudia hob die Hand, ein nutzloser Wink, denn sie flanierte geradewegs auf sie zu.
»Hey.« Claudia schloss sie in die Arme. »Wie geht’s dir?« Ihre Wangen berührten sich. »Lass dich ansehen. Siehst gut aus!«
»Du auch«, erwiderte Marah. »Schöne Bluse.«
Claudia lächelte. »Ja, nicht? Mir gefällt sie.« Sie nahm wieder Platz und klopfte neben sich. »Setz dich zu mir, ja?«
Der Kellner servierte Piccolos. Ein Gruß von den Herren an der Bar, sagte er. Die zwei Herren erhoben die Gläser in ihre Richtung. Die Frauen lächelten, prosteten zurück, schüttelten jedoch den Kopf, als man ihnen mit Gesten zu verstehen gab, es sei noch Platz am Tresen.
»Obwohl, der mit dem Bart könnte mir schon gefallen. Der sieht so männlich aus, findest du nicht?«, sagte Claudia.
Marah bleckte die Zähne und gab einen Knurrlaut von sich. Sie lachten, die Männer trugen es wie Gentlemen.
Die Migräne täuschte sie vor. Marah hatte einfach keine Lust auf Schwiegereltern, die Kinder aber schon, weshalb Sven mit ihnen hinfuhr.
Sie ging spazieren, den Schlossberg, Richtung St. Ottilien hoch. Der Blick von oben lohnte nicht, nur der Münsterturm durchstach den milchigen Schleier ringsum.
Als kein Mensch mehr ihren Weg kreuzte, atmete sie tief ein. Es roch nach nassem Laub, die kahlen Baumkronen versteckten sich im Nebel. Sie blieb stehen, hielt den Atem an, lauschte, vernahm aber nichts. Keinen Ruf der Vögel, kein Hundegebell, kein Knacken oder Rauschen. Es war ihr, als stünde sie in einer leeren Welt, und gehöre genau dorthin.
Marah setzte sich an die Bar und bestellte Cuba Libre, wie sie es früher gemacht hatte. Vor Sven, vor Kevin und Niklas. In Berlin war das, ein Ort, den sie mit Einsamkeit verband, obwohl sie nie alleine war, obwohl sie viele Männer umarmt hatte, obwohl sie von vielen Männern umarmt wurde. Eine wilde, exotische, schmerzvolle Zeit, in dieser lebendigen Stadt, die sie ein- und wieder ausgeatmet hatte.
»Sie sind heute ohne Begleitung hier?« Der So-männliche-Typ von gestern setzte sich zu ihr an den Tresen und strich sich über den Bart.
»Ja, ich bin ganz gerne mal alleine.«
»Verstehe«, sagte er und erhob sich mit einem Lächeln.
»Nein, nein, so war das nicht gemeint.« Marah zeigte mit offener Hand auf den Hocker neben sich. »Nehmen Sie ruhig Platz. Ach, und danke noch für den Sekt.«
»Keine Ursache.«
»Sie sind auch ohne Begleitung?«
»Ich habe gehofft, Sie hier zu treffen. Ich heiße Finn.« Er reichte ihr die Hand.
»Mich?« Sie lächelte. »Wenn Sie sich da nicht zu viel versprochen haben.« Sie nahm die Hand entgegen, der Griff war fest, die Haut trocken und warm.
»Freut mich ... ähm ...«
»Marah.«
»Marah«, sagte er, befreite seine krausen Haare, die er am Hinterkopf zusammengebunden hatte, schüttelte leicht den Kopf, strich sie wieder nach hinten und fixierte sie erneut mit dem Gummi.
Finn Krüger war Architekt und hier zu Besuch. Er lebte in Berlin, Marah musste lachen, als sie erfuhr, dass er nur drei Straßen entfernt von ihrer Wohnung in Charlottenburg gewohnt hatte.
Es gab einiges zu lachen, er war amüsant, er war charmant und er gefiel ihr ausgesprochen gut. Zwei Drinks später lud er sie mit auf sein Hotel ein, sie lehnte ab, er kramte eine Visitenkarte aus der Börse und streckte sie ihr – zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt – entgegen. »Ich fahre übernächste Woche zurück.«
»Und ich bin verheiratet«, sagte sie.
Seine Finger zeigten unverändert in ihre Richtung. Marah nahm die Karte an sich und steckte sie sich ungelesen in die Gesäßtasche ihrer Jeans. Er grinste und sie merkte, dass ihr Hitze ins Gesicht stieg.
Sie bestand auf ein Kondom, hatte sie immer, früher schon. Seine Zunge nahm sie pur. In ihren Mund, in ihren Nabel und weiter unten. Als er über ihr lag, sie die Hände in seinen Hintern grub, als sie spürte, wie die Muskeln auf und ab hüpften, kitzelte sie sein Bart an der Nase und sie roch ihre Weiblichkeit an ihm. Das Geräusch, wie Haut auf Haut klatschte, ließ sie die Zähne blecken, die Nägel in den Mann hineinbohren. »Mach schon!«, zischte sie, Speichelfetzen verfingen sich in seinem Haar, er stöhnte, die Körper heiß und nass und schmierig. Sie keuchten beide, bis er sich mit einem Mal aufbäumte und zuckend das ganze Gewicht auf sie presste.
Er wollte von ihr runterrollen, doch Marah hielt ihn in Position, tastete nach dem Schwanz, der in ihr steckte, und dem Gummiring, der noch an Ort und Stelle saß, bevor sie sich von Neuem spannte, um sich selbst zu erlösen.
Marah spielte mit glänzendem Brusthaar, den Kopf auf seine Schulter gelegt und dachte an ihre Zeit in Berlin zurück, an die Leere, die sich einstellen würde. Sie könnte sich nicht mehr mit ihm treffen, meinte sie. Aber das war gelogen. Er sagte kein Wort.
Marah hatte Kevin ins Gebet genommen, auf seinen Bruder aufzupassen – sie sei ja bald wieder zuhause.
Sie fummelte ein Alkoholtuch aus dem Spender und legte ihn ins Handschuhfach zurück, rieb sich das Gesicht, bis ihre Augen brannten, anschließend waren die Hände dran, die Arme, der Hals. Am Garagentor musste sie würgen und spuckte schaumig aus. Ihr Herz raste und sie spürte einen Luftzug, als sie die Haustür aufsperrte. Die Tür zum Wohnzimmer knallte zu. Sie zuckte zusammen, dachte an Sven, verwarf den Gedanken jedoch. Er hielt einen Vortrag in Frankfurt und käme nicht vor morgen Abend heim. Sie trat ins Wohnzimmer, rief laut nach Kevin, nach Niklas, und sah, dass die Terrassentür offenstand. Sie streckte den Kopf nach draußen, durchforstete mit Blicken die Dunkelheit und schloss dann die Schiebetür von innen. »Niklas! Kevin!«
Ein lang gezogenes »Ja-ha« aus dem Kinderzimmer im oberen Stockwerk. Marah stieg die Treppe hoch und öffnete Kevins Zimmer. Kevin saß natürlich vor der Konsole – damit hatte sie schon gerechnet. »Hallo«, sagte sie.
»Hi. Ich mach gleich aus, ja?«
»Wo ist Niklas?«
»Keine Ahnung, der wollte was aus der Küche holen.«
»Unten ist er nicht«, sagte sie und rief erneut nach ihrem Jüngsten.
Doch Niklas antwortete nicht.
Es stimmte wohl, dass man nur hassen konnte, was man einmal lieb gewonnen hatte. Wie den Teich, an dem Marah oft gesessen hatte, wo sie im Sommer in eine magische kleine Welt abtauchte, wenn sie träumend die Wasserschneider beobachtete, die wundersam über die Oberfläche flitzten, den Molch, der im Wasser unter Steine huschte, die Seerosen, die flirrende Libellen lockten.
Wasserschneider sah man keine mehr, der Molch war verschwunden, die Rosen faulig. Nur noch Schwärze und Eis und der Lieblingsaffe, der vor sich hin starrte.
***
Sven goss nach und lehnte sich im Sessel zurück. Er stöhnte, fuhr sich durchs Haar, das fettig vom Kopf abstand, als wollte es Distanz zu ihm aufbauen.
»Hältst du das für eine gute Idee?« Sie saß am Esstisch und überbrückte mit Blicken den Durchgang zum Wohnzimmer, wo Sven wie ein angeschlagener Boxer in der Ringecke kauerte. Sie zog mit den Zähnen ein weiteres Stückchen des runtergeknabberten Nagels ab und kaute darauf herum.
»Was meinst du?«, sagte er und trank.
»Dass du dich so volllaufen lässt.«
Das Glas in der Hand schwenkend, rappelte er sich auf, taumelte zum Tisch und setzte sich ihr gegenüber. »Ich brauch' das jetzt einfach.«
Sie spürte, wie ihr Tränen über die Wangen liefen. »Ja«, sagte sie und griff nach seiner Hand, die er zurückzog.
»Wo warst du eigentlich?«
Marah starrte ihn an.
»Wo du warst«, sagte er und zuckte mit dem Kopf, dass ihm die Brille verrutschte.
Marah fuhr zusammen. »Du meinst, als ...?
»Wo! Herrgott! Wo?«
»Spazieren. Das hab' ...«
»Ich brauch jetzt ne Kippe«, sagte er und rieb sich das Gesicht. »Hast du welche?«
Sie zögerte. »Ja«, sagte sie und bemühte sich, auf die Beine zu kommen, doch diesmal fasste er nach ihrer Hand, packte diese, und hinderte Marah am Aufstehen.
»Du rauchst also wieder. Heimlich, ja?« Er rückte sich die Brille zurecht. Marah wollte sich befreien, er ließ jedoch nicht los, beugte sich über den Tisch und hauchte ihr sauren Atem entgegen. »Was verheimlichst du mir noch, M-a-r-a-h? Hm?«
Ihre Schläfen pochten, der Mund – wie trocken geföhnt. »Was soll das!« Sie versuchte vergebens, sich loszureißen. »Glaubst du, ich mache mir keine Vorwürfe? Glaubst du ...«
»Er hätte sterben können! Verstehst du das? Unser Kind ...«
»Ist er aber nicht, okay!«
Sven schnaubte. »Kevin sagt, du hast die Pumps getragen. Die hochhackigen Scheiß-Fick-mich-Schuhe! Damit warst du spazieren, ja! Meinst du, ich merk nicht, was mit dir los ist?«
»Du spinnst.«
»Wie du dich im Spiegel ansiehst. Wie du dich rausputzt.« Er schüttelte den Kopf, grinste schief. »Für Claudia?«
Mit aller Kraft zog sie den Arm zurück, er holte unerwartet mit der freien Hand aus, die Mimik zu einer Fratze entstellt.
»Papa!« Kevin stand unvermittelt auf der Treppe, sein Gesicht nass verschmiert.
Sven erschlaffte, als hätte man einen Stecker gezogen, Marah wollte aufspringen, zu Kevin hin, doch irgendetwas hielt sie davon ab. Gelähmt und taubstumm geworden konnte sie nur zusehen, wie Sven den Job übernahm, wie er zu seinem Sohn hinlief – die Gute-Papa-Maske aufgesetzt – und Kevin ins Zimmer begleitete.
Die Mundwinkel nach unten verzerrt, bebte sie geräuschlos, heiße Perlen tropften ihr vom Kinn und benetzten den Küchentisch.
Sven las keine Gute-Nacht-Geschichte vor. Sie hörte nur undeutliche Gesprächsfetzen. Dann das Heulen Kevins. Es schnitt ihr durchs Fleisch bis hin zur Seele und zerfetzte alles, was ihm vor die Schneide kam.
Sie schloss die Augen – weg, nur weg, nichts mehr hören, nichts mehr sehen.
II
Marah stromert ziellos über die grauen Gehwegplatten der Großstadt. Berlin hat sie ein weiteres Mal eingeatmet. Alte Freunde wurden neue Freunde. Sie hat sich zwischen den urbanen Bronchien eingekapselt wie eine Kaverne, unbemerkt vom Rest der Welt.
Marah denkt an die Verabredung mit Claudia heute Abend, sie denkt an dies und das, an Sven ... an die Kinder. Für sie fehlt ihr die Kraft.
Ihre Brauen ziehen sich zusammen und vertiefen die Furchen auf ihrer Stirn, als sie bemerkt, vor welchem Haus sie steht.
Die Namensschilder glänzen messingfarben. Sie fährt mit dem Finger darüber, betrachtet für einen Augenblick die beinah unsichtbare Narbe, zögert, und drückt doch energisch auf einen der Klingelknöpfe. Eine Gegensprechanlage gibt es nicht, der Summer ertönt, und Marah stemmt die schwere Holztür auf. Es riecht muffig im dunklen Hausflur, Fahrräder und Kinderwagen verstellten die Briefkästen zu ihrer Linken, die teils verbeult an der gefliesten Wand hängen, daneben der Lichtschalter. Eine einfache Lampe an der Stuckdecke flammt auf, erhellt den Raum nur spärlich. Marah hört, wie irgendwo eine Tür geöffnet wird, und steigt die Holztreppe hoch. Das Herz pocht ihr in den Schläfen, jede zweite, dritte Stufe protestiert mit einem knarrenden Geräusch. Als sie den vierten Stock erreicht, flitzen zwei Jungen im Kindergartenalter kreischend durch die offene Wohnungstür zurück ins Innere. Eine Frau mit roten Haaren und Sommersprossen taucht auf und ruft den Kindern etwas nach, das Marah nicht versteht.
»Ja?«
»Tag«, Marah schnauft, »ich ..., puh, ganz schön anstrengend«, sagt sie.
Die Frau steht nur da.
»Bin ich hier richtig? Bei ... ähm ... Krüger?«
»Ja.«
»Ich wollte zu Finn Krüger.«
»Mein Mann ist nicht da.«
»Ach so, hm ...«
»Um was geht’s denn?«
»Wegen ... äh ... Meine Firma ...«
Einer der Jungen brüllt, ein Knallen ist zu hören, dann ein Aufheulen.
»Herrgott noch mal!«, schreit die Frau über ihre Schulter hinweg. »Sie sollten ihn im Büro aufsuchen«, sagt sie, »Sie sehen ja ...«
»Mama«, klagt einer, kommt schniefend angefegt und klammert sich ans Bein seiner Mutter, einen Plüschbären in der Kinderhand, dessen glanzlose Augen Marah mustern.
»Ja, natürlich, verzeihen Sie bitte.«
»Schon gut«, sagt die Frau und schließt die Tür hinter sich.
Einen Fuß vor den anderen setzend, tastet Marah sich einen Weg nach draußen. Die Knopfaugen haben etwas gesehen, tief in ihr drin, etwas, das sie gut versteckt geglaubt hat.
***
Die Einkaufstasche stellt sie auf den Tisch, den Weißwein in den Kühlschrank, um ihn Claudia später kalt servieren zu können. Marah tritt auf den kleinen Balkon und steckt sich eine an. Ihre Hand zittert, als sie die Zigarette zum Mund führt. Sie bläst den Rauch stoßweise aus und muss husten. Die Passanten unter ihr bemerken nichts davon. Halten den Blick stier geradeaus oder auf Handys gerichtet. Marah drückt die Kippe aus, geht ins Bad und lässt Wasser ein. Das Badeöl gesellt sich hinzu. Fett wie Rohöl plumpst es hinein, bevor es sich zu Mustern verästelt. Wie gebannt starrt sie auf die dunkelroten Schlieren, die wie feine Tentakel um sich greifen, bis sie der Wasserstrahl verwirbelt. Im Schlafzimmer nimmt sie die Bluse von der Stuhllehne neben ihrem Bett, riecht das Waschmittel daran und vergräbt das Gesicht in der kühlen Seide. Ihr Kinn beginnt zu zittern und unvermittelt brechen alle Dämme. Ohnmächtig kämpft sie dagegen an. Die feucht werdende Seide wird gläsern, Marah entlässt stummes Wehgeschrei hinein und kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Ihr Körper bebt, sie bekommt schwerlich Luft und taumelt rückwärts, bis ihr die Wand dahinter Rückhalt bietet. Sie gleitet an ihr hinunter, weiter das nasse Stück Stoff in Händen.