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Ein Scheißjob
„Bitte. Das ist mein vierter Job in zwei Wochen. Wenn ich schon wieder gefeuert werde, spendiert mir Olli morgens keinen Kaffee mehr.“
Sie strahlt Energie, unglaubliche Kreativität und Wärme aus, während sie mich kalt und abwertend mustert. Schließlich rattert sie ein paar situationstypische Sätze herunter, die ich schon so oft gehört habe, dass ich sie auswendig mitsprechen könnte – was ich wohl auch täte, wäre es mir nicht so zuwider, auf einmal mehr als dreißig Wörter auszusprechen.
„Tja. Nach der letzten Pleite hat die UTBWS-Z eben entschieden, dass das so nicht weitergehen kann. Wir wollen uns hier schließlich entwickeln, Fortschritte machen. Es werden neue Ideen gebraucht. Ich werde gebraucht. Also bin ich jetzt hier. Und du kannst verschwinden!“
Ich hasse Ideen. Die sind immer so überheblich. Trotzdem würde ich von jemandem wie ihr eigentlich einen originelleren Text erwarten.
Lustlos starte ich noch einen Versuch: „Aber ...“
„Raus!“
Ich stapfe grummelnd Richtung Ausgang. Ein Schritt. Verschnaufen. Noch ein Schritt. Verschnaufen. Noch einer. Uff. Etwas länger verschnaufen. Noch einmal umdrehen und zurückschauen. Nächster Schritt ...
Sie stöhnt übertrieben. „Gehts noch lahmer?“
Demonstrativ bleibe ich stehen. Gerade als ich zu einer trägen und eintönigen Antwort ansetzen will, rammt etwas in meinen Rücken. Der unerträglichen Hitze, dem gleißend hellen Licht und dem wütenden und überaus nervtötenden Geschnatter nach zu urteilen, handelt es sich hier anscheinend um weitere neue Angestellte. Oh Mann, so viele Ideen, was wollen die denn damit alles anfangen? Eine dreißigteilige Buchreihe schreiben? Die spinnen doch!
Ich schüttle leicht den Kopf über die dämlichen Einfälle der Zentrale und setzte meinen beschwerlichen Weg zu Tür fort. Ein Schritt. Verschnaufen. Schritt. Verschnaufen ... Ich hasse es, wenn ich mich bewegen muss. Dafür ist mein stämmiger Körper nicht geeignet. Manchmal wünschte ich wirklich, er hätte nicht die Form einer zwei Meter breiten Backsteinmauer.
Ich zwänge mich durch die viel zu enge Drehtür und lande mit einem lauten „Rums“ auf der Straße. Da liege ich jetzt. Was für ein scheiß Tag – ein paar alberne, giggelnde Glühbirnen haben mich aus meinem Job verdrängt! Schon wieder. Ich habe auf ganzer Ebene versagt. Und jetzt muss ich das auch noch Olli beichten.
Eine sonore und ziemlich hoffnungslos klingende Stimme neben mir reißt mich aus meinen düsteren Gedanken.
„Dich haben sie also auch rausgeworfen?“
Ich zucke zusammen, wälze mich ächzend von einer Seite auf die andere und blicke in das eingefallene Gesicht einer kleinen, traurigen Regenwolke, die genau den gleichen Grauton trägt wie ich.
Depri scheint schon auf mich gewartet zu haben.
Wir haben ähnlich unbeliebte Aufgabenbereiche, die recht gut miteinander harmonieren, deshalb ist es keine Seltenheit, dass wir zusammenarbeiten. Und leider ist es auch keine Seltenheit, dass wir nach wenigen Tagen zeitgleich wieder gefeuert werden. Unsere Berufe sind einfach saublöd. Mit den Jahren hat sich dadurch eine enge Freundschaft entwickelt.
„Wie sollte es auch anders sein?“, seufze ich theatralisch.
Wir schweigen uns eine Weile an und blicken uns gegenseitig in die leeren, ausdruckslosen Augen. Dann, ohne dass ich ein Wort sagen muss, packt Depri meine Hand und zieht mich auf die Füße.
Wie immer wundere ich mich, dass er so kräftig ist, wo er doch wie so ein jämmerliches Dunsthäuflein aussieht, aber dann rufe ich mir in Erinnerung, dass seine Arbeit das ja von ihm verlangt. Es ist schließlich seine Aufgabe, die Menschen emotional so richtig runterzuziehen. Da braucht man Muskelkraft.
Immer noch schweigend machen wir uns auf den Weg.
Schritt. Verschnaufen. Schritt. Verschnaufen. Noch ein Schritt. Längere Pause. Noch einer. Und noch einer. Immer weiter.
Depri hat kein Problem mit meinem Tempo, es scheint ihm sogar gerade recht zu sein, denn wie ich hat er keine Lust auf das, was jetzt ansteht.
Nach etwa zwei Stunden haben wir die zweihundert Meter lange Strecke hinter uns gebracht und unser Ziel erreicht. Über der Tür, die wir jetzt unmotiviert anstarren, steht in riesigen roten Leuchtbuchstaben das Kürzel UTBWS-Z. Unterbewusstseins-Zentrale. Eine beschissene Abkürzung für einen beschissenen Namen eines noch beschisseneren Orts. Die meisten Leute, die hier arbeiten, sind nicht mal unterbewusst.
Hinter der Scheibe steht ein klobiger Pfahl, an dem grell bunte Schilder befestigt sind, die alle in verschiedene Richtungen zeigen.
„Viel Glück“, sage ich, versuche mich an einem freundlichen Ton, aber das geht gründlich daneben.
Depri antwortet genauso lustlos, aber sogar mit noch mehr Hoffnungslosigkeit und Melancholie in der Stimme: „Dir auch. Man sieht sich.“
Er schwebt durch die Tür und wendet sich nach links. Er wird nun den hässlichen gelben Neonschildern mit der Aufschrift Gefühlszustandsvermittlung folgen und in fünf Minuten wird er wieder herauskommen und regnend vor Kummer seine neue Arbeitsstelle aufsuchen. So ist das immer. Aber zumindest wird er sicher irgendetwas finden. Bei mir weiß man das nie.
Ich quetsche mich auch durch die Tür und wende mich nach rechts. Dann folge ich den hässlichen grünen Neonschildern mit der Aufschrift Sonderzustandsvermittlung durch die endlosen Gänge des Gebäudes.
Als ich nach weiteren drei Stunden endlich am Schalter ankomme, brummt mir der Schädel von den vielen Beleidigungen, die mir andere Arbeiter ins Gesicht gebrüllt haben, weil ich ihnen im Weg stand. Es ist wohl mein Schicksal, dass keiner jemals meine schwere Arbeit zu schätzen weiß.
Hinter dem Tresen feilt sich Olli gerade gelangweilt die Fingernägel. Olli ist ein komischer Typ. Er ist weder ein Zustand wie ich, noch ein Gefühl, ein Gedanke oder sonst was.
Deshalb arbeitet er ja auch hier, in dieser verfluchten Blechbüchse.
Trotzdem ist er ganz in Ordnung. Obwohl ich ihm ständig Arbeit mache, versucht er meistens, einigermaßen nett zu sein. Gut zu vermitteln. Er spendiert mir sogar jeden Morgen einen Becher Kaffee, warum auch immer.
Als er mich bemerkt, stöhnt er gedehnt – sogar noch übertriebener als diese Glühbirnentussi heute Morgen. Um es hinter mich zu bringen, spreche ich aus, was er sowieso schon weiß:
„Die haben wieder einen Haufen Ideen da hinbeordert. Ich brauch nen neuen Job.“
Er schaut mich sehr enttäuscht an, deshalb will ich mich sofort verteidigen: „War nicht meine Schuld, echt. Ich habe alles richtig gemacht.“
„Während der drei Tage, die du da gearbeitet hast, sind sechsundzwanzig Beschwerdebriefe von der BWS-Z bei mir angekommen. Das nennst du richtig gemacht?“
„Klar, die von der Bewusstseinszentrale wollen natürlich, dass in allen Köpfen immer nur Liebe, Freude, Sonnenschein ist. Diese Deppen müssen einfach mal akzeptieren, dass auch die blöden Jobs wichtig sind und gemacht werden müssen!“
Ich hätte gerne noch weiter geschimpft, aber mir ist plötzlich aufgefallen, dass ich eben schon vier Wörter über meinem Limit war. Das macht sich gar nicht gut, in meinem Berufsfeld.
Olli starrt mich wütend an, antwortet dann aber sehr sachlich:
„Ich hab dir doch gleich gesagt, dass Schreibblockade kein guter Beruf ist. Für dich nicht und auch für niemanden sonst. Hättest du auf mich gehört, dann wärst du jetzt ein festangestellter Gedankenmanager im BWS, würdest dir nen goldenen Arsch verdienen und hättest jede Menge Freizeit. Selber schuld.“
Gedankenmanager. Freizeit. Es gibt wohl nichts, was weniger zu mir passen würde, als mein ganzes Leben im Büro zu sitzen und die leeren Stunden mit Kreuzworträtseln zu füllen. Das hab ich ihm auch damals schon gesagt. Schreibblockade dagegen, passt gut. Ich bin unkreativ, langsam, und allen immer im Weg. Ich schnaube verächtlich und antworte dann mit trotzigem Unterton: „Ist halt so. Und jetzt brauch ich 'ne neue Stelle. Punkt.“
Kopfschüttelnd murmelt er: „Hab ich nicht alles Erdenkliche getan? Hab ich nicht alles versucht, um dir eine dauerhafte Beschäftigung zu verschaffen? Ich habe dir alle möglichen Stellen besorgt, dir unzählige Umschulungsbroschüren mitgegeben, ja, ich hab sogar gedroht, dir den Kaffee zu entziehen. Und trotzdem tauchst du hier alle paar Tage wieder auf. Das halten meine Nerven nicht mehr lange aus.“
Dann tippt er etwas in seinen Computer ein, druckt eine Liste aus und reicht sie mir.
„Drei mögliche Angebote zur Zeit.“ Er tippt auf den ersten Punkt auf dem Zettel in meiner Hand.
„Erstens. Eine Frau Mitte dreißig; muss demnächst Flyer für ihre Jogastunden entwerfen. Da werden ein paar Wanderarbeiter gesucht. Blockaden gehen bestimmt auch. Was meinst du?“
Ich muss nicht lange überlegen.
„Hm. Nee. Bei einer Jogalehrerin hab ich eh keine Chance, die ist viel zu entspannt, als dass ich die ernsthaft blockieren könnte. Außerdem wäre ich nach der Sache mit dem Flyer doch sofort wieder arbeitslos. Geht zu schnell.“
Achtunddreißig Wörter. So ein Mist.
„Na gut, nächster Vorschlag.“
Stirnrunzelnd lese ich die zweite Stellenanzeige:
Nicolas Martin Ganz
Alter: 49
Geschlecht: männlich
Nähere Informationen: berühmter Horrorautor. Muss noch drei Kapitel für sein nächstes Buch schreiben. Schreibblockaden sind möglich, auch wenn sein BWS bestimmt nicht sehr begeistert davon wäre.
Nein, ganz bestimmt nicht! Niemals! Das Bewusstsein von Autoren neigt dazu, sehr gewalttätig gegen uns arme Schreibblockaden vorzugehen. Als ich das letzte Mal mit denen in Berührung kam, musste Olli meinen Backsteinkörper hinterher neu zusammenmörteln. Ich kriege eine Gänsehaut und versuche, bei der Erinnerung nicht wieder anzufangen zu zittern.
„Ganz bestimmt nicht!“
„Du machst es mir aber wirklich nicht leicht. Was ist mit der dritten Möglichkeit?“
Eugen Darligton-Schmids
Alter: 8
Geschlecht: männlich
Nähere Informationen: Schüler an einer bilingualen Grundschule, muss bis morgen auf Englisch einen vier Seiten langen Aufsatz über seinen Traumberuf schreiben. Die Ideen wüten gefährlich, denn er weiß noch nicht, was er werden will. Da jedoch in seinem BWS fest verankert ist, dass er niemals lügen darf, wäre es nicht gut für den Jungen, wenn die Ideen sich durchsetzen könnten. Deshalb wird hier explizit nach einer Schreibblockade gesucht.
Ich denke eine Weile darüber nach. Hier könnte ich tatsächlich mal etwas Nützliches tun. Aber andererseits ...
Mit wütenden Ideen will ich eigentlich nicht meine Zeit verbringen. Hinzu kommt, dass ich kleine Kinder eigentlich nicht ausstehen kann. Und Englisch kann ich auch nicht.
Schließlich schüttle ich resigniert den Kopf.
Olli starrt mich ratlos und ein bisschen mitleidig an. Er will gerade sprechen, als der merkwürdigste Kerl hereinstürmt, den ich je gesehen habe. Er scheint, wie ich, eine Schreibblockade zu sein. Das erkenne ich daran, dass er ebenfalls die Form einer schweren Steinmauer hat – allerdings ist er über und über mit Glitzer bestäubt, und wie es aussieht, hat er mit Straßenkreide bunte Bildchen auf seinen Bauch gemalt. Er trägt blaue Gummistiefel, die mit einem Bananenmuster bedruckt sind und deren Sohlen farbenfroh geblinkt haben, als er eben hereingerannt kam. Aber das Seltsamste an ihm ist die Art, wie er redet. Schnell und quirlig.
„Olli, ich halte das keine Sekunde länger aus. Diese ganzen Azubis bringen mich noch um den Verstand, die sind total durchgedreht und können einfach gar nichts. Da gehts drunter und drüber, das glaubst du nicht. Und dieses bekloppte Mädchen dreht auch total durch. Ich schätze mal, in ihrem Bewusstsein und ihrem Kontrollzentrum gibt es nur talentlose Anfänger. Und überhaupt, ich finde es furchtbar, ihre unglaubliche Lebendigkeit zu blockieren. Es ist eigentlich grundsätzlich schrecklich, immer nur der blöde, sperrige Griesgram zu sein. Das kann ich nicht. Ich dreh durch. Hast du noch diese Umschulungsflyer?“
Einhundertacht Wörter. Damit verstößt der Typ eindeutig gegen die wichtigste unausgesprochene Regel der Schreibblockaden.
Mit ausdruckslosem Gesicht schiebt Olli einen riesigen Stapel Broschüren über den Tisch.
„Ich hab dir doch gleich gesagt, dass Schreibblockade kein guter Beruf ist. Für dich erst recht nicht. Hättest du auf mich gehört, hättest du die letzten zwanzig Jahre als Tatendrang Kinder glücklich gemacht. Aber bei euch redet man ja immer gegen die Wand. Ach ja, wenn du mit der Umschulung fertig bist, musst du nochmal zu mir kommen und genau neunundachtzig Formulare ausfüllen. Hättest du gleich auf mich gehört, hättest du dir siebzehn davon ersparen können.“
Als er es geschafft hat, sich mir dem riesigen Papierstapel in den nächsten Gang zu quetschen, schaut mir Olli wieder in die Augen und sagt in einer Tonlage, die keinen Widerstand zulässt: „Tja, sieht so aus, als wäre gerade eine neue Stelle für dich freigeworden.“
Also stehe ich nach vier weiteren Stunden beschwerlichem Fußmarsch vor der Glastür von Mara Hellers Unterbewusstsein und warte darauf, dass jemand auf die lächerlich schrille Türklingel reagiert. Nochmal will ich sie nicht drücken. Das wäre eine viel zu aktive Handlung.
Gerade habe ich beschlossen, dass ich ruhig wieder nach Hause gehen kann, als zitternd ein rotes Warnschild von der anderen Seite der Tür auf mich zugewankt kommt. Eine Angst.
Sie öffnet die Tür einen winzigen Spalt und wispert: „W-w-wer bist du?“
Ich stelle mich als die neue Schreibblockade vor und frage, ob ich rein kann. Acht Wörter. Perfekt.
Die Angst tritt zurück und sieht mit gequältem Blick zu, wie ich versuche, mich seitlich durch die entstandene Öffnung zu drücken. Vergeblich. Sie ist zu eng und jetzt stecke ich mit einer Ecke fest.
„Ach Scheiße!“ – als ich vor Ärger brülle, zuckt die Angst erschrocken zusammen.
Also, um sie zu beruhigen, frage ich auch nach ihrem genauen Job.
Nach einer Weile stellt sie sich als eine Zukunftsangst vor und fragt zaghaft, was wir denn jetzt am besten tun sollten. Aus ihr sprudeln irgendwelche merkwürdigen Vorschläge: „Wir nehmen ein Seil“, „Wir zerstückeln dich in Einzelteile und bauen dich drüben wieder auf“ und „Wir brennen ein Loch in die Tür“. Glücklicherweise samt und sonders Vorschläge, die sie umgehend selbst ängstigen.
Ich zucke mit den Schultern und glotze missmutig geradeaus. Ihr Getänzel, Gerede und Gezitter macht mich wahnsinnig. Ich habe schreckliche Kopfschmerzen. Warum sollte dieser Tag denn auch irgendwann mal besser werden?
Letztendlich entschließt sie sich dazu, einige ihrer Kollegen zu holen.
Kurz darauf bin ich umringt von drei Warnschildern, sieben Glühbirnchen und einem halben Herz. Na super. Ängste, Ideen und Liebeskummer. Doofe Mischung. Die Angst keucht: „Mehr konnte ich auf die Schnelle nicht mitnehmen.“
Die darauffolgenden Stunden sind grauenvoll. Sie drehen, zerren, drücken und klopfen angestrengt an mir herum und ich schlage dabei immer wieder sehr fest an den Türrahmen. Zunächst bemerkt niemand, dass sich meine Ecken und Kanten immer mehr abwetzen und dass inzwischen schon ein großer Haufen Brösel und Schutt neben meinen Füßen liegt.
Irgendwann bin ich so weit geschrumpft, dass ein heftiger Stoß mich in den Raum befördert. Es wäre schön, sagen zu können, dass mir jeder Zentimeter meines Körpers furchtbar weh tut, aber ich habe eher das Gefühl, als würde zusätzlich auch noch die Hälfte davon fehlen.
An der Wand hängt ein Spiegel, der mich zwangsläufig bemerken lässt, dass mein Aussehen mittlerweile eher einer Litfaßsäule gleicht als einer rechteckigen Mauer.
„Fuck! Ihr solltet vielleicht mal überlegen, die blöde Tür etwas größer zu machen.“
Die drei Ängste zucken schon wieder zusammen und stottern dann wie auf Kommando unverständliche Entschuldigungen.
Zumindest geht die Führung durch Mara Hellers Unterbewusstsein recht schnell. Ich brauche nur drei Minuten, bis ich die Mitte des Raums erreicht habe. Da es in jedem Kopf gleich aussieht, braucht mir niemand mehr etwas zu erklären.
An der Wand, die der Eingangsseite gegenübersteht, befindet sich ein Monitor. Ein Glück – er ist schwarz. Das Mädel schläft wohl. Also heben wir alle erst mal ein paar Stündchen Pause.
Neben dem Bildschirm gibt es ein paar Knöpfe, für jeden Vorgang einen. Mich persönlich interessieren natürlich nur solche wie „Vergessen!“, „Plötzlich davon gelangweilt sein!“, „Blöd finden!“, „Verwerfen!“ und „Aufgeben!“
Dann gibt es selbstverständlich zwei Lautsprecher, durch die einmal die Gedanken, einmal das wirklich Gehörte schallen. Im Moment sind beide stumm.
Die linke Wand hängt voller bunter Fotos von schönen Momenten in Maras Leben. Sie ist bis zum letzten Millimeter mit den unterschiedlichsten Momentaufnahmen vollgekleistert, an manchen Stellen hängen sie sogar in mehreren Schichten übereinander. So viele Fotos habe ich im Laufe meiner Karriere noch nie bei einem einzelnen Menschen gesehen, auch nicht bei ganz alten und zutiefst glücklichen Großvätern. Wie hat sie das bloß geschafft? So zufrieden kann man doch gar nicht sein.
Rechts steht ein breites rotes Sofa. Darauf sitzen eine sich durch die Körperform eines roten Weckers klar auszeichnende Wut und ein Stress in Form eines großen Papierstapels. Die Anderen lassen sich dort nieder und ich tue es ihnen gleich.
Eine Weile herrscht betretenes Schweigen, während ich von allen dreizehn Mitarbeitern kritisch gemustert werde. Schließlich unterbricht Stress die Stille, indem er mit der flachen Hand auf den Tisch klopft.
„Gut ... du bist also der Neue. Nur um eins klar zu stellen: Wir können hier kein dämliches Getue gebrauchen, von wegen Hey, ich scheiß auf euch alle und ziehe immer mein eigenes Ding durch, ganz egal, ob ich euch damit schade! Wir sind hier ein Team und so arbeiten wir auch. Sonst kracht der Laden hier zusammen. Wir versuchen immer, einen Kompromiss zu finden, bei dem keiner unbeachtet bleibt. Klar?“
Die Tonlage von Stress verändert sich zu einem unangenehmen Quengeln. Das bereitet mir, zusätzlich zu dem Säulenproblem, auch noch stechende Kopfschmerzen. Außerdem ist das, was er da verlangt, ein Ding der Unmöglichkeit. Wie soll ich denn bitte mit Ideen kooperieren? Immer diese jungen Leute, die auf ihren bescheuerten Pädagogikseminaren eingetrichtert bekommen haben, sie müssten für ein gutes Arbeitsklima sorgen. Womit habe ich das nur verdient?
Aber da ich keine Lust auf lange Reden habe, nicke ich einfach und ärgere mich stumm vor mich hin.