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Ein Regenbogen für Tina und Benjamin
"Mama, da draußen ist ein Regenbogen!", jubelte die kleine Tina, während sie zu ihrer Mutter gelaufen kam. Ihr Bruder Benjamin rannte hinterher.
"Das ist ja toll", antwortete die Mutter. Sie backte gerade Plätzchen. Der Vater kam in die Küche und fragte: "Wollen wir den Regenbogen einfangen?"
"Ach, mein Lieber", sagte die Mutter, "das ist doch eine verrückte Idee. Das geht nicht."
Tina und Benjamin aber klatschten in die Hände. Sie fanden, dass es eine sehr gute Idee war. Der Vater nahm eine Dose Puderzucker. "Damit können wir den Regenbogen fangen", sagte er. "Kinder, holt drei kleine Spiegel. Die brauchen wir auch."
Tina und Benjamin holten drei Handspiegel. Danach gingen sie mit ihrem Vater auf die Wiese vor dem Haus. Weit hinten, über dem Wald, stand der Regenbogen. Er war hell und hatte prächtige Farben. Der Vater sagte: "Der Regenbogen rennt vor uns weg, wenn wir ihn ansehen. Wir müssen rückwärts zu ihm gehen und dürfen ihn nur in unseren Spiegeln sehen."
Sie stellten sich nebeneinander in eine Reihe und gingen langsam rückwärts zum Regenbogen. Sie hielten ihre Spiegel so, dass sie den Regenbogen darin sehen konnten. Der Regenbogen rannte nicht weg. Er blieb über dem Wald stehen. Vorsichtig setzte Tina abwechselnd einen Fuß hinter den anderen. Es war nicht einfach, rückwärts zu gehen, während man in einen Spiegel sah. Auch Benjamin strengte sich an. So liefen sie durch die Wiese, während Bienen und Schmetterlinge über den Blumen kreisten. Schließlich erreichten sie den Wald und gingen hinein.
"Wir müssen nun nicht mehr rückwärts laufen", sagte der Vater. "Der Regenbogen kann uns nicht mehr sehen, er hat seine Augen ganz oben. Er sieht uns nicht mehr, weil wir unter den Bäumen sind."
Der Vater nahm alle drei Spiegel in seine große Hand. Dann gingen sie weiter. Bald schon sahen sie ein Bein des Regenbogens zwischen den Bäumen stehen. Es leuchtete in allen Farben. "Wir müssen ganz leise sein", sagte der Vater. Er gab jedem seiner Kinder etwas Puderzucker in die Hand. "Ihr müsst das auf den Regenbogen streuen", erklärte er. "Dann kann man ihn anfassen."
Tina und Benjamin schlichen sich leise von zwei verschiedenen Seiten an. Sie versteckten sich manchmal kurz hinter Baumstämmen, weil sie Angst hatten, der Regenbogen könnte sie doch noch sehen. Tina wollte den Regenbogen unbedingt fangen. Sie war eine Jägerin. Sie umklammerte den Puderzucker fest, weil sie kein Körnchen verlieren wollte. Dann kam sie hinter einem Baumstamm hervor und warf den Puderzucker auf das Bein des Regenbogens. Er jaulte auf. Der Vater rief ihnen zu: "Ihr müsst ihn festhalten!"
Tina packte zu. Dann kam auch Benjamin hinter einem Baum hervor gesprungen und hielt den Regenbogen fest. Fast wäre der Regenbogen entkommen, doch dann kam der Vater dazu und griff ihn ebenfalls. Nach ein paar Minuten wurde der Regenbogen schwächer. Der Vater kniete sich auf ihn und nahm einen dornigen Ast vom Waldboden. Er wickelte den Regenbogen straff um den Ast. Der Regenbogen schrie. Benjamin hüpfte und klatschte in die Hände. "Wir haben ihn gefangen!", freute er sich. Der Vater lachte und wedelte mit dem Ast. Ein kleines Stück vom Regenbogen war nicht aufgewickelt und flatterte lustig wie eine Fahne. Während sie über die Wiese zurück gingen, heulte der Regenbogen. "Wollen wir ihn töten?", fragte Tina. Sie hatte einen großen Stein in der Hand. Der Vater sagte: "Ja, warum nicht? Schlag fest mit dem Stein drauf."
Während ihr Vater den Ast auf dem Boden festhielt, hieb Tina mit dem Stein auf den Regenbogen. Bei jedem Schlag quiekte er wie ein Ferkel. Doch Tina hatte nicht genug Kraft.
"Lass mich das machen!", rief Benjamin. Er nahm den Stein in beide Hände und schmetterte ihn auf den aufgewickelten Regenbogen. Als der Stein den Regenbogen traf, spritzte etwas Wasser in ihre Gesichter. Alle lachten. Doch der Regenbogen wimmerte noch. Da nahm der Vater den Stein in seine behaarte Hand und schlug damit so fest zu, dass der Ast zerbrach. Wieder spritzte Wasser. Nun machte der Regenbogen kein Geräusch mehr. Sie gingen im Sonnenschein zurück zum Haus, von wo der Geruch frisch gebackener Plätzchen kam. Die Mutter begrüßte sie: "Oh, da seid ihr ja endlich. Und ihr habt wirklich den Regenbogen!"
"Ich habe ihn zuerst gefangen!", rief Tina. "Kriege ich dafür ein Plätzchen?"
"Aber natürlich", sagte die Mutter und gab Tina ein Plätzchen. "Aber die anderen kriegen auch eines."
So aßen sie fröhlich die Plätzchen und erzählten dabei von ihrem Abenteuer.
"Aber was machen wir jetzt mit dem Regenbogen?", fragte Benjamin.
"Ich könnte einen Schal daraus machen", schlug die Mutter vor.
"Ich könnte ein Sprungseil daraus drehen", schlug Tina vor.
"Wir könnten ihn in die Mikrowelle tun", schlug Benjamin vor.
So beratschlagten sie, doch sie kamen zu keiner Entscheidung. Irgendwann wurden sie müde und legten sich schlafen.
Der nächste Tag brachte neue Abenteuer, und so vergaßen sie den Regenbogen.
Einige Tage später fand Tina ihn in einer Schublade. Er war grau geworden. "Papa, Papa, der Regenbogen hat keine Farbe mehr", sagte sie aufgeregt.
"Ach, der Regenbogen. Ich kümmere mich darum", sagte der Vater.
Später, als Tina und Benjamin draußen spielten, nahm der Vater den Regenbogen und warf ihn in die Mülltonne.