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Thema des Monats Ein normaler Fall

Seniors
Beitritt
08.07.2012
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Ein normaler Fall

Georg Stammer betrachtete das Foto. Es war verrückt, sich das Mädchen in einem Bordell vorzustellen, aber er hatte diese Geschichte überall in Europa so oft erlebt, dass ihm keine andere Wahl blieb, als den Wahnsinn für Normalität zu halten.
»Warum wenden sich die Eltern nicht an die Behörden?«
»Die Umstände sind heikel.« Willesch räusperte sich, nestelte an seiner Brille und atmete geräuschvoll aus. »Nehmen Sie noch einen Drink, Georg«, sagte er schließlich. »Sie sehen aus, als könnten Sie einen gebrauchen.«
Stammer winkte ab, den Blick noch immer auf das Foto gerichtet.
Willesch erhob sich, machte ein paar Schritte durch das Büro und blieb am Fenster stehen.
»Emelies Vater ist ein hohes Tier im Senat. Die Sache soll diskret geregelt werden.«
»Aufenthaltsort?«
»Prag, Nähe Kohlenmarkt. Bekannte Rotlichtgegend.«
Stammer schob das Foto in die Innentasche seines Jacketts.
»Wie gesagt, vermutlich irgendein Teenie-Puff«, fuhr Willesch fort. Vor dem Hintergrund der regenverschleierten Skyline wirkte sein schmales Gesicht wie eine Maske. »Wir haben eine ziemlich gute GPS-Peilung von Emelies Handy. Sie bekommen die genaue Adresse.«
»Dann wurde sie also nicht entführt.«
Willesch zögerte. »Wahrscheinlich nicht.«
Stammer hatte gelernt, Willesch Zeit zu lassen. Seit Jahren beobachtete er ihn bei seinen Seiltänzen. Willesch war ein Mann, der nie vergaß, dass ein einziges Wort der Indiskretion seinen beruflichen Aufstieg im Handumdrehen beenden konnte. Und es schien kaum etwas zu geben, das er mehr fürchtete.
»Emelie hat ihrem Vater damit gedroht.«
»Mit einer Karriere als Nutte?«
»Das war nur so dahingesagt. Sie wissen, wie diese Teenager sind. Rebellieren, provozieren ...«
Willesch kehrte zurück und setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch.
»Aber jetzt sieht es wirklich danach aus.«
»Ich brauche das Team«, sagte Stammer.
»Nein, Georg. Lassen Sie uns den Ball flach halten. Je weniger Leute davon wissen, desto besser.«
Stammer schüttelte den Kopf. »Dann bin ich raus. Keine Lust, mich mit der Prager Mafia anzulegen.«
Willesch hob beschwichtigend die Hände. »Ist klar, verstehe ich. Fahren Sie runter, sondieren Sie die Lage. Mehr verlange ich nicht. Reden Sie mit ihr, und dann entscheiden Sie.«


Es war bereits früher Abend, als Stammer seinen Wagen auf dem Parkplatz einer Raststätte vor der Grenze ausrollen ließ. Der Horizont im Süden verlor sich in schmutzigem Dunst. In dieser Richtung lag Prag, die Goldene Stadt. Stadt der Bordelle und Lolitahuren.
Stammer warf die Fahrertür zu und strich seinen Mantel glatt. Die Pistole rechts an seiner Hüfte hinterließ eine Beule, die jedem auffallen musste, der genau hinschaute. Aber nur wenige Leute schauten genau hin.
Im Schnellrestaurant der Raststätte trat er an die Verkaufstheke und bestellte einen Espresso. Während er wartete, glitt sein Blick über die Gäste. Einige von ihnen mochten Pendler sein, die nach einem Arbeitstag zurück nach Hause fuhren. Andere waren zweifellos auf dem Weg zum Straßenstrich gleich hinter der Grenze.
Als Stammer in seiner Tasse rührte und durch die Panoramascheiben des Restaurants auf die vorbeigleitenden Autoscheinwerfer starrte, fragte er sich, wie ein sechzehnjähriges Mädchen auf die Idee kommen konnte, nach Prag durchzubrennen, um dort anschaffen zu gehen. Willesch hatte gesagt, dass Emelie auf die Versuche ihrer Eltern, sie über ihr Handy zu erreichen, nicht reagierte.
Einer Eingebung folgend, klappte Stammer sein Telefon auf und wählte Emelies Nummer. Und da war nach dreimaligem Freiton ihre Stimme auf der Mailboxansage: Hier ist der Anschluss von Emelie Mühlheim. Ich bin unterwegs. Hinterlasst mir eine Nachricht.
Ziemlich förmlich, dachte Stammer. Hinterlasst mir eine Nachricht. Die Mailbox war aktiv, was bedeuten konnte, dass Emelie einen Kanal zu ihren Eltern offen halten wollte. Doch weshalb? Und warum Prag? Eine Weile grübelte Stammer vor sich hin, dann gab er es auf.
In diesem Moment schoben sich drei Teenager lärmend durch die Eingangstüren. Einer von ihnen, ein robuster Sachse mit Bürstenschnitt, schlug knallend die Hacken zusammen, riss einen Arm in die Höhe und skandierte Sieg heil, ihr Wichser!
Stammer beobachtete die Drei, während sie sich am Büffet Kartoffelsalat auf die Teller schaufelten und am Automaten Pappbecher mit Cola füllten. Keiner der Gäste hatte reagiert.
Wahrscheinlich nicht entführt. Stammer rieb sich die Stirn. Emelies Telefon war in Betrieb, in Ordnung. Entführer hätten das Gerät sicher zerstört, denn heutzutage wusste eigentlich jeder, dass man Smartphones orten konnte. Und es gab keine Lösegeldforderung.
Stammer registrierte, dass der junge Sachse auf ihn aufmerksam geworden war, sein Tablett abgestellt hatte und nun mit einem fiesen Feixen im Gesicht auf ihn zukam.
»Alter, wer glotzt, kriegt eins auf die Fresse«, kündigte er an. »Das geht zack-zack.«
Stammer lehnte sich zurück und betrachtete den Jungen, der sich jetzt vor ihm aufbaute, mit einem Ausdruck von Resignation.
Der ist vielleicht in Emelies Alter, dachte er.
»Schaut euch diesen Penner an«, rief der Junge seinen Freunden zu. »Macht auf coole Sau.«
Hinter der Theke verschanzt, hatte ein Angestellter des Restaurants Stellung bezogen und rief: »Jungs, wenn da nicht gleich Ruhe ist, ruf ich die Bullen. Lasst die Gäste in Frieden.«
Der Junge zuckte mit den Achseln und gab ein Zischen von sich.
»Glück gehabt, Arschloch«, sagte er im Umdrehen und gesellte sich zu seinen Freunden.
Stammer folgte ihm mit leerem Blick und wandte sich dann wieder seinem Espresso zu. Rebellieren, provozieren. Plötzlich begann er zu ahnen, wo bei diesem Fall der Schwerpunkt lag.
Als er das Restaurant verließ, stieß der Sachse einen gellenden Pfiff aus und seine Freunde applaudierten.


Die Pendelleuchte über dem Torbogen der Nirvana-Bar warf ein rötliches Schimmern auf das regenfeuchte Pflaster. Während am Wenzelsplatz protzige Gentlemen-Clubs wie das Hot-Peppers oder das Goldfingers die erotischen Dienstleistungen hunderter Mädchen ganz ungeniert feilboten, ging es hier in den Nebenstraßen der Prager Altstadt etwas diskreter und bei Weitem exklusiver zu. Die meisten Etablissements hatten sich auf ausländische Kundschaft spezialisiert, und einige von ihnen boten den besonderen Service sehr junger Mädchen an.
Stammer betrat das Nirvana. Ein Mann, dessen Sakko über der Brust Falten warf, tastete ihn ab und nickte. Die Dekoration des Empfangsraums - orientalische Holz- und Steinfiguren, Elefanten, Buddhas und Ganeshas - variierte das Thema des Clubs. Der Duft von Sandelholz lag in der Luft.
Während eine anmutige Garderobiere, die den unvermeidlichen Sari trug, Stammer aus dem Mantel half, fiel sein Blick auf die Mädchen, die im Salon auf Freier warteten.
Der reinste Babystrich, dachte er und wandte sich dem Empfangspult zu. Der junge Mann dahinter klärte ihn mit professionellem Lächeln über die Konditionen auf.
»Die Clubkosten betragen einmalig fünfhundert Euro«, sagte er in nahezu akzentfreiem Englisch. Getränke gebe es ab zwanzig Euro, alle anderen Vergnügungen seien frei.
Stammer zog ein paar Geldscheine aus seiner Brieftasche und legte sie auf den Zahlteller aus Kristall.
Im Salon nahm er an einem Loungetisch Platz, ließ den Blick über die Mädchen schweifen, betrachtete die antiken Säulen und die Tempelfiguren. Auch hier stellte der Club ein Sammelsurium folkloristischer Accessoires zur Schau - hinduistische Masken, Seidenkissen, Wandteppiche. Und all der Plunder, um die Kunden in Stimmung zu bringen, dachte Stammer.
Ihn erfasste ein Gefühl der Niedergeschlagenheit, das er nur zu gut kannte. Er hatte im Laufe seiner Berufsjahre begriffen, dass der Glaube an die Welt ein Luxus war, den sich nur diejenigen leisten konnten, die sie nicht kannten. Wer die Welt kannte, trauerte um sie.
Eine Hostess, deren High Heels durch den Salon klackerten, trat an den Tisch.
»Guten Abend, ich bin Sarah. Kann ich Ihnen helfen? Suchen Sie etwas Bestimmtes?«
Stammer spürte die Versuchung, Emelies Foto aus der Tasche zu ziehen. Arbeitet diese junge Frau hier? Ja? Ich würde sie gern sprechen. Ich habe ein paar dringende Fragen. Bitte schicken Sie sie zu mir. Doch der direkte Weg war hier sicher nicht die beste Strategie.
»Also, es klingt vielleicht etwas merkwürdig«, begann er und wartete, bis Sarah ihm mit einem Blick signalisierte, er solle nur fortfahren.
»Ich suche ein Mädchen aus der Schweiz. Bin schon durch die halbe Stadt gelaufen, aber bisher Fehlanzeige.«
»Switzerland?«, wiederholte die Hostess verblüfft. Dass Gäste nach russischen Mädchen verlangten, kam sicher häufig vor. Auch Chinesinnen oder Mädchen aus Nordafrika wurden in tschechischen Bordellen oft nachgefragt, denn die Kunden liebten alles, was exotisch war, das wusste Stammer. Aber ein Mädchen aus der Schweiz?
»Nur eine sentimentale Erinnerung«, erläuterte Stammer in vertraulichem Ton.
»Einen Moment bitte, ich frage mal nach.«
Stammer beobachtete, wie sich die Hostess entfernte und den Salon durch einen Seitengang verließ.
Einige Minuten später kehrte sie zurück, ein Lächeln auf den Lippen.
»Ein Mädchen aus der Schweiz haben wir nicht«, sagte sie bedauernd. »Aber wir können Ihnen ein deutsches Model bieten.«
Stammer runzelte die Stirn.
»Sehr jung, etwas unerfahren«, fügte die Hostess zu.
Stammer zuckte die Schultern und lachte. »Naja, Deutschland ist ja nah dran.«


Das Warten im Séparée entwickelte sich zu einer Geduldsprobe. Stammer orderte einen Gin Tonic und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. Hoffentlich ist es Emelie. In diesem Moment begriff er, dass ihm der Job an die Nieren ging. Und das hieß, es wurde Zeit, aufzuhören.
In all den Jahren hatte er zig vermisste Personen aufgespürt, hatte Dutzende minderjähriger Mädchen zurück nach Hause gebracht, einige von ihnen krank vor Erschöpfung, andere mit Heroin vergiftet oder von ihren angeblichen Freunden und Geliebten halbtot geschlagen. Nicht wenige waren auf dem Strich gelandet. Ich habe meinen Teil geleistet, dachte Stammer. Häng den Job an den Nagel, bevor er dich umbringt.
Kurz nachdem man ihm seinen Drink serviert hatte, betrat Emelie das Séparée. Stammer erkannte sie sofort. Da gab es etwas, das ihm bereits beim Betrachten ihres Fotos aufgefallen war - die Andeutung eines tief verborgenen Schmerzes, ein Schatten, der sich von innen durch die Fassade jugendlicher Frische und Schönheit fraß. Und eben jenes Gesicht, das die Narben eines unsichtbaren Leidens trug, schaute ihn jetzt mit einer Mischung aus Neugier und Herablassung an.
»Wenn du mich willst, kostet es hundert Euro extra.«
Stammer musterte sie. Haar und Makeup waren gekonnt gemacht, und in ihrer Seidencorsage wirkte Emelie wie das Katalogmodell einer blutjungen Edelhure.
»Wie heißt du?«, fragte er, ebenfalls auf Englisch. Die Frage schien Emelie in Erinnerung zu rufen, dass sie alles andere als ein Profi war.
Sie räusperte sich. »Sorry, ich bin Lisa.«
»Und woher kommst du, Lisa?«
Stammer beobachtete, wie Emelie auf ihre Unterlippe biss. Vielleicht versuchte sie zu erraten, ob sie es mit einem Deutschen zu hatte.
»Berlin«, antwortete sie schließlich.
»Ich habe dich noch nie gesehen, Lisa. Du bist noch nicht lange hier, oder?«
»Nein, noch nicht lange. Also willst du quatschen oder ficken?«
»Hast du ein eigenes Zimmer hier?«
»Sicher«, erwiderte sie. »Komm, deinen Drink kannst du mitnehmen.«


Nachdem Emelie die Tür hinter sich geschlossen hatte, stützte sie die Hände in die Seiten und schlug einen geschäftsmäßigen Ton an.
»Wie gesagt, einhundert extra, und für Küssen oder Blasen gibt es noch mal einen Aufschlag.«
Stammer spürte eine lähmende Verunsicherung. Er schaute Emelie an, und in diesem Moment traf ihn die Ambivalenz seiner Gefühle mit voller Wucht – dieses Mädchen mochte noch keine Frau sein, aber ein Kind war es gewiss auch nicht mehr. Niemand konnte leugnen, dass es etwas ungeheuer Verführerisches von Emelie ausging, auch wenn einem sofort bewusst wurde, wie fatal dieser Eindruck war.
»Emelie, ich bin hier, weil mich deine Eltern schicken«, sagte Stammer auf Deutsch und schluckte. »Du wirst jetzt deine Sachen zusammenpacken, und dann bringe ich dich nach Hause.«
Als Stammer später an diesen Augenblick zurückdachte, vermischten sich Emelies Wutschrei, ihr hasserfüllter Blick, ein Poltern vor der Tür und die Klinge, die plötzlich im Dämmerlicht des kleinen Zimmers aufblinkte. Mit einem Krachen stürzte ein Mann herein - offensichtlich einer der Sicherheitsleute des Clubs - und packte Stammer von hinten bei den Schultern. Emelie fuchtelte mit einem Messer und schrie hysterisch. Jetzt brach ein Tumult los, der Stammer ebenfalls nur lückenhaft in Erinnerung bleiben sollte. Da waren zwei weitere Security-Männer im Zimmer sowie mehrere halbnackte Mädchen, die sich auf dem Gang davor versammelten und lautstark forderten, man solle dem Wichser die Eier abschneiden. Stammer versetzte einem der Männer einen Schlag mit dem Ellbogen und sah, wie er seinen Kollegen in die Arme kippte. In diesem Augenblick sprang Emelie herbei und hieb mit der Klinge zu.


Den Gestank von Abfall, Urin und Erbrochenem in der Nase, kam Stammer zu sich. Er saß an eine Mauer oder Häuserwand gelehnt, die Beine lang von sich gestreckt, auf einem schäbigen Hinterhof. Mantel und Brieftasche lagen neben ihm im Schmutz, und ein paar Meter weiter glänzte sein Handy im trüben Licht einer Bogenlampe, die wie ein Galgen hoch über ihm aufragte.
Stammer tastete sich ab. Zunächst schien es, als würde ihm, von ein paar Prellungen abgesehen, nichts fehlen. Doch dann bemerkte er das Blut, das aus seinem Ärmel tropfte, und schließlich fand er den Schnitt am Oberarm, den er wahrscheinlich Emelie verdankte.
Mühsam richtete er sich auf und sammelte seine Sachen ein. Offenbar hatte man ihn zur Hintertür hinaus auf den Hof befördert und zusammengeschlagen. Oder umgekehrt. Das spielte kaum eine Rolle.
Steif vor Schmerz und Erschöpfung machte er sich auf den Weg zu seinem Wagen.
Ihm blieb jetzt nicht mehr viel zu tun. Die Wunde verbinden, Willesch anrufen, den Job canceln und dann irgendwo ein Zimmer nehmen. Emelie war nicht zur Rückkehr zu bewegen und wurde von Gangstern beschützt. Sollte sich ein anderer darum kümmern.
Im Parkhaus bei seinem Wagen angekommen, spürte Stammer, wie erledigt er war. Sein Kopf dröhnte, die Schultern brannten, und er fühlte sich so übel, dass er befürchtete, sich jeden Moment ein weiteres Mal übergeben zu müssen. Er ließ die Heckklappe nach oben schnellen, nahm eine Wasserflasche aus dem Kofferraum, öffnete sie und trank. Dann zog er Mantel, Jackett und Hemd aus und versorgte die Schnittwunde.
Als er ein wenig später hinter dem Steuer saß und den ganzen vertrackten Fall überdachte, bemerkte er, dass er die Fäuste ballte. Mit einem trotzigen Grunzen öffnete er das Handschuhfach und entnahm ihm die Pistole. Er wog die Waffe in der Hand. Sollte sich ein anderer darum kümmern. Aber wer?


»Ja?«
»Stammer hier. Ich habe sie gefunden.«
»Gut. Wie geht es ihr?«
»Sie ist okay. Aber sie will nicht zurück.«
»Ja, das war zu befürchten. Wie sind die näheren Umstände, ich meine ...«
»Sie macht auf Nutte, hat sich mit Gangstertypen eingelassen. Ich kann sie nicht einfach an der Hand da raus führen.«
»Okay, Georg. Was schlagen Sie vor?«
»Schalten Sie die Polizei ein.«
»Ausgeschlossen. Ganz ausgeschlossen. Der Skandal wäre ... Das geht nicht, Georg. Fällt Ihnen nichts anderes ein?«
»Doch. Aber das wird teuer.«
»Das ist unwichtig. Sie haben finanziell freie Hand.«
»Gut. Und ich brauche das Team.«
»Verdammt noch mal. Ist das wirklich nötig, Georg?«
»Ja.«
»In diesem Fall hat Verschwiegenheit oberste Priorität. Sagen Sie das den Männern.«
»Verstehe.«


Trat ein Mann wie Rakast durch die Tür, ging man in Deckung. Und wurde Rakast von zwei Männern wie Redlich und Stammer begleitet, dann war die Sache gelaufen. Rakast, Redlich und Stammer hatten zwanzig Jahre zuvor als Fallschirmjäger in derselben Einheit gedient. Jetzt als Freelancer-Team unterwegs, statteten sie Gangstern Besuche ab, trieben Schulden ein oder brachten Leute nach Hause, die vom Moloch der Drogenszene verschluckt worden waren.
Rakast, der Zwei-Meter-Mann, stürmte durch den Eingang der Nirvana-Bar, brüllte Aus dem Weg, ihr Penner! und lud geräuschvoll seine Schrotflinte durch – eine Warnung, die nie ihre Wirkung verfehlte. Redlich und Stammer eilten durch den Salon und von dort weiter zu den hinteren Räumen des Clubs.
Stammer warf sich gegen Emelies Zimmertür und überraschte sie, wie er es befürchtet hatte, im Bett mit einem Freier. Er zerrte den Mann von dem Mädchen herunter, fauchte: »Sie ist sechzehn, du Schwein!« und schlug mit dem Griff seiner Pistole zu.
Redlich hatte inzwischen den Kleiderschrank geöffnet, und stopfte nun alle Sachen, die er in der Eile greifen konnte, in den Rucksack, den er mit sich führte. Stammer packte Emelie am Handgelenk. Erst jetzt bemerkte er, dass sie ihn mit einem Ausdruck von Fassungslosigkeit und Entsetzen anstarrte. Er rollte seine Sturmhaube hoch, und weil ihm nichts Besseres einfiel, murmelte er: »Wie gesagt, ich bringe dich nach Hause.«


Emelie hatte zwei Stunden lang getobt. Nun saß sie, die Hände mit einem Kabelbinder gefesselt, erschöpft neben Redlich auf dem Rücksitz und starrte aus dem Fenster. Von Osten her kroch das Licht des anbrechenden Tages über die Felder, die sich abgeerntet, trostlos und septembergrau bis zum Horizont erstreckten.
»Wie viel bezahlt euch mein Vater?«, fragte Emelie plötzlich in das monotone Fahrgeräusch hinein.
Keiner der drei Männer antwortete.
»Also, das könnte auch anders laufen.«
Während Stammer im Rückspiegel Redlichs frustrierten Gesichtsausdruck betrachtete, fragte er sich, was in Emelie vorgehen mochte.
»Kommt schon. Keine Lust, eine Achtzehnjährige zu ficken?«
»Du bist sechzehn, Emelie«, sagte Stammer und schaltete einen Gang rauf. »Was ist los mit dir? Was soll die Show, die du hier abziehst?«
»Ach, fick dich, Mann!«
»Es gibt da eine Sache, die ich nicht verstehe, Emelie«, sagte Stammer und schwieg. Er ließ die Bemerkung einsickern und registrierte befriedigt im Rückspiegel, dass Emelie ihm einen kurzen Blick zuwarf.
»Und die wäre?«, sagte sie, als sie begriffen hatte, dass Stammer nicht gewillt war, einen Monolog zu führen.
»Wenn es dir so wichtig ist, von zu Hause wegzukommen, warum hast du dann nicht deine Handy-Nummer gewechselt?«
Emelie zuckte mit den Schultern. Ihr Gesicht wirkte jetzt sehr bleich und so hart wie Stein. Stammer versuchte, sich das hinter Concealer, Lidschatten und verwischter Mascara verborgene Mädchen vorzustellen, das Emelie in Wirklichkeit war.
»Ich habe eine Vermutung«, sagte er und schwieg abermals.
Stammer beobachtete, wie ihm Emelie im Spiegel das Gesicht zuwandte und die Augenbrauen hob.
»Ich denke, du wolltest Nachrichten von ihnen empfangen. Wolltest hören, dass sie ganz krank vor Angst sind.«
»Ach, fick dich, Alter. Du kapierst gar nichts.«
»Naja, du bist nicht die erste Ausreißerin, die ich einfange«, erwiderte Stammer. »Tja, und die Kids, die nichts mehr von ihren Eltern wissen wollen, lassen sie nicht auf ihre Mailbox sprechen.«
Emelie beugte sich ruckartig vor, worauf Redlich sie hastig wieder zurück in die Polster der Rückenlehne drückte.
»Ich bin fertig mit meinen Alten, egal was du denkst, Wichser.«
»Na, ich denke, dass du mich gerade anlügst.«
Darauf folgten erneut einige Minuten Aufruhr und Geschrei. Emelie trat gegen den Fahrersitz und versuchte, Stammer mit ihren gefesselten Fäusten zu boxen.
Etwas später, es war nicht klar, ob Emelie sich in ihr Schicksal gefügt hatte oder gedanklich an neuen Fluchtplänen arbeitete, sagte sie: »Okay, ja, ich wollte hören, dass sie leiden.«
Stammer nickte und schaute zu Rakast rüber, der während der ganzen Fahrt geschwiegen hatte.
»Hab meinem Alten die Reifen zerstochen, als ich zwölf war«, sagte er jetzt und rieb sich das Kinn.
Redlich lachte rau. »Ja, und mit sechzehn hast du ihm die Fresse poliert.«
Stammer schaute wieder in den Rückspiegel.
»Okay, Emelie«, sagte er. »Du wolltest, dass sie leiden.«
»Ich wollte, dass sie kapieren, dass ihre Tochter jetzt offiziell eine Hure ist.«
Emelie weinte ein lautloses Weinen. Sie wischte die Tränen mit den Unterarmen ab und richtete ihren Blick aus dem Fenster, einer Zukunft entgegen, von der Stammer - wenn er ehrlich war - nichts zu sagen wusste.
»Und warum Prag?«, fragte er.
Emelie antwortete nicht sofort. Sie schien tief in Gedanken versunken. Dann tauchte sie wieder auf.
»Was?«
»Es hätte doch auch jede andere Stadt sein können«, sagte Stammer. »Weshalb Prag?«
»Eine Freundin aus Kroatien lebt da.«
»Und arbeitet als Callgirl?«
Emelie nickte. Stammer presste die Lippen zusammen. So war sie auf die Idee gekommen. Prag zog junge Mädchen aus ganz Osteuropa an, lockte mit gutem, schnell verdientem Geld.


»Was soll das?«, rief Mühlheim entrüstet, als er die gefesselten Hände seiner Tochter sah. »Das ist doch wohl unnötig.«
Stammer schob Emelie durch die Tür und zerschnitt den Kabelbinder mit seinem Messer.
»Es gibt noch ein paar Details zu besprechen«, sagte er und erwartete beinahe, dass Emelie sofort davon laufen würde. Doch die Gegenwart ihres Vaters schien jeden Widerstandswillen in ihr auszulöschen. Mühlheim nahm Emelies Gesicht zwischen seine Hände und sah sie mit einem Ausdruck an, der schwer zu deuten war.
»Hören Sie, ich bin überglücklich, dass Sie mir Emelie zurück gebracht haben«, sagte er und wandte sich Stammer zu. »Für Formalitäten ist sicher auch morgen noch Zeit.«
Da war eine Glätte in Mühlheims Gesicht, die man seinem Beruf als Politiker zuschreiben mochte. Stammer beobachtete ihn finster.
»Wo ist Ihre Frau im Augenblick?«, fragte er, um Zeit zu schinden.
Mühlheim musterte ihn mit dünnem Lächeln.
»Sie ist zurzeit auf einer Dienstreise in Griechenland. Wir erwarten sie morgen zurück«, sagte er.
Einem Impuls folgend, richtete sich Stammer an Emelie: »Wenn du willst, bleibe ich noch ein bisschen. Wir könnten auch ...«
Doch Emelie bedachte ihn nur mit einem ausdruckslosen Blick und schüttelte den Kopf.
»Ich denke«, sagte Mühlheim, »meine Tochter braucht jetzt etwas Ruhe.«


»Und? Wie lief es?«, fragte Rakast, als sich Stammer wieder hinter das Steuer schob.
Stammer setzte zu einer Antwort an, doch dann schwieg er und schüttelte den Kopf. Er startete den Motor und steuerte den Wagen durch die von prächtigen Stadtvillen gesäumten Straßen Frohnaus.
Sie sollen kapieren, dass ihre Tochter jetzt offiziell eine Hure ist.
»Ich könnte ein Bier vertragen«, sagte Redlich.
»Mir gefällt die Kleine«, sagte Rakast zusammenhangslos. »Die ist tough.«
»Ja, und ist auch nicht auf den Kopf gefallen«, gab Redlich zurück. »Die fängt sich wieder.«
Jetzt auch offiziell eine Hure.
»Verdammt noch mal!«, stieß Stammer hervor und wendete mit quietschenden Reifen. Der Geruch von Gummi bereitete sich im Wagen aus, als Stammer beschleunigte.
»Was wird das?« Rakast klammerte sich an den Haltegriff über dem Fenster, während Stammer um eine Kurve jagte.
Hinten im Fond knallte Redlich mit dem Kopf gegen die Scheibe und fluchte.
»Das stinkt gewaltig«, sagte Stammer. »Der Kerl ist nicht sauber.«
Vor dem Haus der Mühlheims kamen sie mit einem Ruck zum Stehen. Redlich fluchte abermals. Stammer sprang heraus, rannte um den Wagen und riss die Heckklappe auf. Er packte ein Stemmeisen und stürzte los.
Die Tür gab mit einem Knirschen nach. Stammer betrat das Haus. Er hörte einen Schrei und erstarrte. Ich hätte sie nicht bei ihm lassen dürfen!
Dann rannte er los, die Treppen zum ersten Stock hinauf. »Du verdammte Nutte!«, hörte er Mühlheim toben.
Stammer stieß eine Tür auf. Emelie lag nackt am Boden, ihr Vater beugte sich über sie.
»Ich bringe dich um!«
Er hatte Emelie mit einer Hand an der Kehle gepackt und hieb mit der anderen auf sie ein. Stammer sah, wie das Messer einen funkelnden Bogen beschrieb. Er riss Mühlheim nieder und schlug mit der Faust zu, zweimal, dreimal ...


Über Berlin stand der Himmel wie ein steingrauer Block. Der erste Schnee des Jahres fiel in dicken Flocken. Vor der steil aufragenden Siegessäule bewegten sich zwei dunkle Gestalten über einen Kiesweg des Tiergartens.
»Offenbar ein Versuch, sich an ihrem Vater zu rächen«, sagte Willesch. »Wie viel ihre Mutter wusste, ist noch nicht geklärt.«
»Ich hätte es kapieren müssen«, erwiderte Stammer. »Sie hat es mir gesagt, im Wagen. Ihr Vater hat sie zu seiner Nutte gemacht. So hat sie es empfunden.«
»Machen Sie sich keine Vorwürfe. Das hätte niemand wissen können.«
Willesch räusperte sich und rückte seine Brille zurecht. »Natürlich verstehe ich, wenn Sie nach der Sache eine Pause machen wollen«, sagte er.
»Ich brauche keine Pause«, gab Stammer zurück. »Ich bin fertig. Fertig mit diesem Job. Fertig mit Ihnen.«
»Sie sollten nicht vergessen, wie vielen Menschen Sie geholfen haben, Georg.«
Stammer schüttelte den Kopf.
»Ich kenne Sie, Georg. Ein Mann wie Sie lässt sich nicht von einem einzelnen Rückschlag aufhalten.«
Stammer blieb stehen und sah Willesch einen Moment lang nachdenklich an.
»Sie haben nichts verstanden«, sagte er schließlich.
Zwischen den beiden Männer rieselte der Schnee herab. Vom Großen Stern her waren gedämpfte Verkehrsgeräusche zu hören, und in den kahlen Bäumen über ihnen versammelten sich die Krähen.

 

Hallo Achillus,

eine wirklich beeindruckende Geschichte. Ich kann nicht wirklich sagen, dass ich sie gerne gelesen habe - dafür ist die Thematik einfach zu bedrückend. Aber sie ist formidabel geschrieben, mit einem hervorragend gezeichneten Protagonisten. Und sie wird mir wohl noch eine Weile im Kopf herumspuken. (Ich habe auch eine bildhübsche sechzehnjährige Tochter, die zum Glück keinen solchen Leidensweg durchmachen muss. Aber man kommt doch ins Grübeln ...) Ausgerechnet kurz vorm Schlafengehen, verflixt - aber gerade deshalb muss ich jetzt auch noch meinen Kommentar raushauen.

Ein paar Kleinigkeiten habe ich aber noch gefunden. Ich gehe mal der Reihe nach durch:

Es war verrückt, sich das Mädchen in einem Bordell vorzustellen

»Vielleicht war es nur so dahingesagt. Georg, Sie wissen, wie diese Teenager sind. Rebellieren, provozierenLeerschritt...«

Die Pistole rechts an seiner Hüfte hinterließ eine Beule, die jedem auffallen musste, der genau hinschaute.
Warum hat er die Waffe bei sich? Später in Prag lässt er sie im Handschuhfach.

Und da war nach dreimaligem Freiton ihre Stimme auf der Mailboxansage:
Besser: Rufton.

Wie zur Bestätigung dieses Gedankens[,] schoben sich in diesem Moment drei Teenager lärmend durch die Eingangstüren.
Komma weg.

riss einen Arm in die Höhe und skandierte Sieg heil, ihr Wichser!
Warum ist der fette Teil bei Dir kursiv und nicht in Anführungszeichen? Ist doch normale wörtliche Rede?

Der ist vielleicht in Emelies Alter, dachte er.
Hier hätte ich jetzt Kursivschrift genommen.

eine hübsche Garderobiere, die ein hautenges Chemise aus schwarzem Lycrene trug
Nach meinem Duden ist es die Chemise. Und Lycrene kennt nicht mal :google:. Meinst Du vielleicht Lycra?

Getränke gebe es ab zwanzig Euro, alle andere Vergnügungen seien frei.

Securityguy
Kenne ich als Wort im Deutschen so nicht. Vielleicht mit Bindestrich: Security-Guy? Oder ein Security-Mann, -Typ o.ä.

»Ich habe dich noch nie gesehen, Lisa. Du bist noch nicht lange hierK oder?«

Stammer spürte eine lähmende Verunsicherung. Er schaute Emelie an, und in diesem Moment traf ihn die Ambivalenz seiner Gefühle mit voller Wucht – dieses Mädchen mochte noch keine Frau sein, aber ein Kind war es gewiss auch nicht mehr. Niemand konnte leugnen, dass etwas ungeheuer Verführerisches von Emelie ausging, auch wenn einem sofort bewusst wurde, wie fatal dieser Eindruck war.
Mutig!! Aber eine sehr beeindruckende Schilderung des Charakters. Das ist die Stelle, die mich tatsächlich am meisten getroffen hat. Das wirft so viele Fragen auf: Hat der Stammer irgendwo tief drin vielleicht auch eine leichte Neigung? Oder ist er zu lange in dem Geschäft, das ihn verdirbt? Oder würde man selber in der Situation, mit dem ganzen Puffszenario drumherum, womöglich genauso empfinden? Genial - und bedrückend ...

Da waren zwei weitere Securityguys, die ins Zimmer stürmtenK sowie mehrere halbnackte Mädchen, (...)

Rakast, Redlich und Stammer hatten zwanzig Jahre zuvor als Fallschirmjäger in derselben Einheit gedient.

Rakast, der Zwei-Meter-Mann, stürmte durch den Eingang der Nirvana-Bar, brüllte Aus dem Weg, ihr Penner! und lud geräuschvoll seine Schrotflinte durch
Hier wieder: warum keine Anführungsstriche?

Redlich hatte inzwischen den Kleiderschrank geöffnet[,] und stopfte nun alle Sachen, die er in der Eile greifen konnte, in den Rucksack, den er mit sich führte.

und weil ihm nicht Besseres einfielK murmelte er

»Eine Freundin aus Krotatien, die ihr Abi abgebrochen hat, lebt da.«

»Sie ist zur Zeit auf einer Dienstreise in Griechenland. Wir erwarten sie morgen zurück.«

»Was wird das?«, fragte Rakast und klammerte sich an den Haltegriff über dem Fenster, während Stammer um eine Kurve jagte.
Niedlich - der Zwei-Meter-Fallschirmjäger klammert sich an den Griff, weil der Kollege zu schnell um die Ecke fährt ...

Aber das sind alles Kinkerlitzchen. Eine ganz großartige, tieftraurige Geschichte ...

Grüße vom Holg ...

 

Hallo Achillus,

eine sehr gute Geschichte - aufwühlend, spannend, toll geschrieben. Du bewegst dich unheimlich sicher durch das Genre, alles wirkt weitestgehend glaubhaft und nachvollziehbar. Das hast du schon in anderen Texten zur Schau gestellt. Respekt!
Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann vielleicht, dass mir die Entwicklung gegen Ende etwas zu schnell ging, da mir auch nicht zu 100 % glaubhaft erscheint.

Es war das untrügliche Zeichen für die Tatsache, dass all der Zorn, die Verzweiflung, die Rebellion dieses Mädchens von einer tiefen seelischen Verletzung gespeist wurden.

Diesen Satz würde ich überdenken, gar streichen. Dass etwas mit der Vergangenheit - dem Elternhaus - nicht stimmen kann, ist doch klar. Zu dem Schluss, seelische Verletzung wird der Auslöser für Emelies Verhalten sein, kommt der Leser, meine ich, auch so. Du hast ja zuvor schon Indizien gelegt.
Und eben jenes Gesicht, das die Narben eines unsichtbaren Leidens trug ...
Ich hatte übrigens schon früh in der Geschichte den Verdacht, da sei was zwischen Vater und Tochter, was nicht zwischen Vater und Tochter sein sollte, sein darf. Man fragt sich ja - wie Stammer - nach den Gründen für Emelies Verhalten. Flucht nach Prag, Prostitution, sexuelle Ausstrahlung der Sechzehnjährigen, keine Polizei ... Das (und oben stehender Satz) hat meinen Verdacht genährt.


Die Tür gab mit einem Knirschen nach, und Stammer betrat das Haus. Er lauschte. Stille. Und dann ein Schrei. Emelie! Stammer rannte los, die Treppen zum ersten Stock hinauf. »Du verdammte Nutte!«, hörte er Mühlheim toben.
Stammer stieß eine Tür auf. Emelie lag nackt am Boden, ihr Vater beugte sich über sie. »Ich bringe dich um, du Hure!«

Das ging schon sehr schnell dann alles.
Schade und nicht so glaubwürdig ist zudem, dass du Rakast und Redlich am Ende zu Statisten degradierst. Bleiben die einfach so im Auto sitzen? Ein zwei Flüche, das ist alles, da hätte ich mehr erwartet von dem Ex-Fallschirmspringer-Team.
Stammer bricht brachial die Haustür auf und der Vater bekommt nichts mit? Dann reißt er die Zimmertür auf und beeinflusst dadurch die Ereigniskette nicht? Der Vater sagt daraufhin noch, dass er Emelie umbringen möchte? Hm ... Ich weiß nicht. Da würde ich mir etwas mehr wünschen. Vielleicht beobachtet er das alles ja durchs Fenster ..., keine Ahnung. Kannst ja überlegen, ob du noch mal an den Schluss gehen möchtest. Auf mich wirkte der ein wenig so, als wolltest du die Geschichte endlich abschließen.


Sprachlich gibt es nichts zu meckern. Sehr stilsicher, sehr passend. Allerdings hast du ein paar Wortwiederholungen zu Anfang: Vielleicht und Wahrscheinlich. Das ließe sich vermeiden.

Achillus, insgesamt hat mich dein Text gepackt, wirklich sehr gut geschrieben. Einzig gegen Ende wirkte die Entwicklung, die du zuvor so schön vorbereitet hast, etwas zu schnell abgearbeitet für mich.


Vielen Dank fürs Hochladen

hell

 

Hallo Achillus,

Wie ein sechzehnjähriges Mädchen auf die Idee kommen konnte, nach Prag durchzubrennen, um dort anschaffen zu gehen.

Für mich wäre dieser Plot vielleicht der interessantere gewesen. So ist das eine Genre-Geschichte, in der die Figuren aber größtenteils blass bleiben.

Es war verrückt, sich das Mädchen in einem Bordell vorzustellen, aber er hatte diese Geschichte überall in Europa so oft erlebt, dass ihm keine andere Wahl blieb, als den Wahnsinn für Normalität zu halten.

Wenn er es so oft erlebt hat, dann wird er es nicht mehr ans verrückt empfinden. Das ist eine Übertragung, die der Autor in die Figur impliziert. Du möchtest, dass der Leser das als verrückt empfindet, aber in der Figur sollte sich der Autor nicht einmischen. Ich denke auch, hier ist Potential um etwas zu zeigen: Was wäre eine Handlung, die diese "Normalität" dem Leser zeigt? Wie zeigt man Abstumpfung?

»Vielleicht war es nur so dahingesagt. Sie wissen, wie diese Teenager sind. Rebellieren, provozieren ...«
Eine Polizist, der total abgewichst ist, für den die Niederungen und menschlichen Abgründe sein täglich Brot sind, der redet aber nicht wie ein Pädagoge, so vorsichtig; "Vielleicht." Ich glaube, solche Leute suchen nicht mehr nach Erklärungen oder der Formel, wie man da etwas auflöst oder erklärt. Dessen werden sie müde sein. Als Leser drängt sich mir dann auch sofort diese subtile Botschaft auf, die da immer mitschwingt, der Bildungsauftrag - wie kann so etwas passieren? Man kann sicher die Hintergründe in die Story verpacken, aber ich empfinde das hier als etwas zu direkt, zu offensichtlich.

Außerdem: Eine Karriere als Nutte, weil sie den Vater provozieren will? Das nehme ich dir ohne weitere Erklärungen oder Konfliktbeweis einfach nicht ab.

Ich habe den Text zuende gelesen. Es ist eine Geschichte, irgendwie, aber ich werde das Gefühl nicht los, da keine eigentliche Geschichte gelesen zu haben, sondern eine Art Lehrstück. Da ist eine Ebene zwischem dem Text und dem Leser, und das ist der Autor, der sich dazwischen drängt und etwas vermitteln möchte. Diese Vermittlung ist ehrenhaft, aber sie lähmt die Figuren und die Story. Das wirkt auf mich unentschlossen alles. Letztens ist ein Text von mir zerrissen worden, und da war die Begründung, es sei wie der Unterschied zwischen "Rocky" und "Wie ein wilder Stier" - und das war vollkommen richtig und hat mir die Augen geöffnet. Und genauso geht es mir mit deinem Text auch. Der tut überhaupt nicht weh. Ich habe das Gefühl, die sind alle aus Plastik, und die Emotionen, die diese Figuren haben, sind alle aus einem Automaten, als habe man eine Maschine an die angeschlossen, die die passenden Antworten raushaut.

Der ganze Text ist auch oft sehr umständlich und beschreibend, da kommt selten Leben rein. Ich weiß, dass du das besser kannst, die Geschichte mit dem Taucher zum Beispiel, da hattest du so einen wesentlich besseren Mix, die war ausgewogener. Hier habe ich immer den Autoren im Ohr, der beschreibt, und mir nie etwas zeigt: Du sprichst von "hübsch", belegst das aber nicht ( es ist auch ein unpassendes, verniedlichendes Wort in dem Zusammenhang), und du sagst "niedergeschlagen", aber was bedeutet das in dem Kontext? Wo werden deine Fallschirmjäger und Bullen mal zu echten Menschen, die nicht nur Informationsträger sind? Mir fehlt das Originäre, auch das Detail. Diese ganze Bordellwelt, die wirkt auf mich auch wie ausgedacht, und irgendwie auch viel zu nett. Das geht auch viel zu einfach, der latzt einfach 500 Tacken und hat dann Zutritt in diese total illegale Welt? Und wenn die Polizei so genau Bescheid weiß bezüglich der Clubs, warum gibt es die dann noch? Warum fanden da noch keine Razzien statt?

Ich finde es sehr mutig von dir, dich diesem Thema zu widmen, aber für mich ist diese Geschichte aus den oben genannten Gründen nicht gelungen.

Gruss, Jimmy

 

Hallo Achillus,

müßig zu sagen, dass das wieder gut geschrieben ist. Man bleibt als Leser an der Geschichte, möchte wissen, was passiert ist und wie die Sache ausgeht. Irgendwie hatte ich allerdings gleich einen Verdacht. Wahrscheinlich hat mich diese Formulierung auf den Vater gebracht.

»Emelies Vater ist ein hohes Tier im Senat«, sagte er schließlich. »Die Sache soll diskret geregelt werden.«

Zur Vorgeschichte:
Mädchen aus gutbürgerlichem Hause wird (ich kann nur vermuten) vom Vater missbraucht oder misshandelt, flüchtet vor ihm und begibt sich stattdessen in den Teenie-Puff in Prag, lässt aber ihr Handy eingeschaltet, damit sie hören kann, was ihre Eltern ihr auf die Mailbox sprechen.

Was mir bei der ganzen Geschichte nicht so recht einleuchtet, ist, dass sich Emilie für diesen Weg entscheidet. Wenn ihr Vater ihr gegenüber gewalttätig war, hätte sie ihn doch anzeigen können. Auch Organisationen, die ihr hätten helfen könnten, ließen sich doch in Berlin sicherlich finden, wenn man sie denn suchte. Aber als Ausweg das Bordell? Du versuchst das mit der kroatischen Freundin zu erklären und dem schnell zu verdienenden Geld. Auch, dass sie ihren Vater nur provozieren will, kann ich mir nicht vorstellen, denn da ist ja etwas anderes, wenn du schreibst:

Da gab es etwas, das ihm bereits beim Betrachten ihres Fotos aufgefallen war - die Andeutung eines tief verborgenen Schmerzes, ein Schatten, der sich von innen durch die Fassade jugendlicher Frische und Schönheit fraß. Und eben jenes Gesicht, das die Narben eines unsichtbaren Leidens trug, ...

Diese Emilie kann ich mir insgesamt nicht so recht vorstellen. Warum geht sie das Risiko ein, dass man sie über ihr Handy finden kann? Du sagst, sie möchte sehen, wie ihre Eltern leiden. Von einer Mutter ist allerdings nichts zu lesen und dem Vater bietet sie so die Möglichkeit, dass er sie suchen lässt und man sie finden wird. Überhaupt, was ist mit der Mutter?

Noch etwas:

Plötzlich begann Stammer zu ahnen, wo bei diesem Fall der Schwerpunkt lag.

Das schreibst du sehr früh, führst es aber nicht aus. Er geht ja weiterhin davon aus, dass das Mädchen, warum auch immer, in die Gewalt der Betreiber des Puffs geraten ist.

Erst zum Schluss kapiert er ja:

»Das stinkt gewaltig«, sagte Stammer. »Der Kerl ist nicht sauber.«

Ansonsten läuft alles so ab, dass ich als Leser gut unterhalten werde und neugierig aufs Ende bin.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo Achillus,

ich habe die Geschichte mit Interesse gelesen. Gut geschrieben. Die Schwierigkeit ist ja schon mehrmals angesprochen worden: Was ist der Hintergrund, was ist wirklich geschehen? So wie Stammer beginne ich zu ahnen, aber es gibt zu wenige Hinweise, um die Vermutung zu verdichten. Hier geht es um mehr als einen gewalttätigen Vater und eine abwesende (?) Mutter. Aber da Du dieses offen lässt, bleibt ein gewisses Unbehagen.

Im letzten Absatz

Vor der steil aufragenden Siegessäule bewegten sich zwei dunkle Gestalten
, da hatte ich mir gewünscht, es seien die beiden Prots, die zueinander gefunden haben und gemeinsam aussteigen, aber heile Welt ist halt nicht immer. :D

Liebe Grüße

Jobär

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Holg,

vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich habe mich darüber gefreut, dass Dir die Geschichte gefallen hat, obwohl das Thema, wie Du ja schreibst, bedrückend ist. Ich muss mich außerdem für Deine Hinweise zur Rechtschreibung bedanken, habe gestaunt, wie viele Fehler da drin waren und vieles gleich korrigiert, nachdem ich Deinen Post gelesen habe.

Warum hat er die Waffe bei sich? Später in Prag lässt er sie im Handschuhfach.

Die Idee hier war, dass er mit der Waffe am Gürtel der Security im Bordell auffallen würde. Stammer will erst mal aufklären und die Sache möglichst verbal lösen.

Besser: Rufton.

Hm, also in Deutschland heißt es Freiton, oder meinst Du es eher vom Wortklang her?


Warum ist der fette Teil bei Dir kursiv und nicht in Anführungszeichen? Ist doch normale wörtliche Rede?

Also es gibt keine Pflicht, die direkte Rede durch Anführungszeichen zu markieren. In besonderen Situationen kann sie auch durch Kursivschrift, Einrücken oder andere Mittel angezeigt werden. Viele Autoren lassen häufig auch überhaupt jede Kennzeichnung weg. Gerade, wenn es sich nicht um normales Sprechen handelt, finde ich es passend, wenn man das im Text anders darstellt, als durch Anführungszeichen.

Ein interessanter Link dazu: http://www.teachsam.de/deutsch/d_literatur/d_gat/d_epik/strukt/darb/darb_fig_dir0.htm#Beispiel 5

Niedlich - der Zwei-Meter-Fallschirmjäger klammert sich an den Griff, weil der Kollege zu schnell um die Ecke fährt ...

Naja, auch der Zwei-Meter-Mann will mit der Birne nicht an die Scheibe knallen. Aber ich verstehe den Hinweis.

Holg, vielen Dank für Deinen Kommentar!


Gruß Achillus


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Hallo Hell,

ich warte auf Deine zweite Geschichte. Schreibst Du noch? Vielen Dank für Deinen Kommentar zu meinem Text. Schön, dass Dir die Geschichte gefallen hat.

Diesen Satz würde ich überdenken, gar streichen. Dass etwas mit der Vergangenheit - dem Elternhaus - nicht stimmen kann, ist doch klar. Zu dem Schluss, seelische Verletzung wird der Auslöser für Emelies Verhalten sein, kommt der Leser, meine ich, auch so. Du hast ja zuvor schon Indizien gelegt.

Hm, das ist eine heikle Frage. Beim Schreiben verliert man ja ziemlich schnell den Überblick, was der Leser wohl zwischen den Zeilen mitbekommen wird und was nicht. Ich stimme Dir zu, dass dieser Satz ein ziemlicher Wink mit dem Zaunpfahl ist. Mal sehen, ob es dazu noch weitere Meinungen gibt.

Ich hatte übrigens schon früh in der Geschichte den Verdacht, da sei was zwischen Vater und Tochter, was nicht zwischen Vater und Tochter sein sollte, sein darf. Man fragt sich ja - wie Stammer - nach den Gründen für Emelies Verhalten. Flucht nach Prag, Prostitution, sexuelle Ausstrahlung der Sechzehnjährigen, keine Polizei ... Das (und oben stehender Satz) hat meinen Verdacht genährt.

Ja, meine Idee war, dass bereits die Forderung, die Sache solle diskret geregelt werden, zeigt, wie Emelies Vater tickt bzw. dass mit dem Mann etwas nicht stimmt.

Das ging schon sehr schnell dann alles. Schade und nicht so glaubwürdig ist zudem, dass du Rakast und Redlich am Ende zu Statisten degradierst. Bleiben die einfach so im Auto sitzen? Ein zwei Flüche, das ist alles, da hätte ich mehr erwartet von dem Ex-Fallschirmspringer-Team.

Ja, mit dieser Kritik habe ich gerechnet. Ich hatte den Angriff von Emelies Vater zunächst etwas ausführlicher beschrieben, doch dann wurde es schnell zu einer Horror-Story. Und als nach Stammers Eingreifen Emelie plötzlich sterbend in seinen Armen lag, dachte ich auch, nah, hier stimmt was nicht. Ich habe mich also zu einer krassen Reduktion entschlossen. Vielleicht ist das wirklich ein bisschen dürftig. Mal sehen, ob ich das noch mal ein wenig ergänze.

Tja, und Rakast und Redlich – die Beiden werden nur kurz in der Aktion beschrieben. Die könnten ein paar mehr Details vertragen. Das stimmt.

Stammer bricht brachial die Haustür auf und der Vater bekommt nichts mit? Dann reißt er die Zimmertür auf und beeinflusst dadurch die Ereigniskette nicht? Der Vater sagt daraufhin noch, dass er Emelie umbringen möchte? Hm ... Ich weiß nicht. Da würde ich mir etwas mehr wünschen. Vielleicht beobachtet er das alles ja durchs Fenster ..., keine Ahnung. Kannst ja überlegen, ob du noch mal an den Schluss gehen möchtest. Auf mich wirkte der ein wenig so, als wolltest du die Geschichte endlich abschließen.

Ich hatte mir die Szene als Ausraster von Emelies Vater vorgestellt. Aber ich werde da noch mal drüber nachdenken.

Vielen Dank, Hell! Deine Hinweise haben mir sehr geholfen.


Gruß Achillus


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Hallo Jimmy, vielen Dank für Deine Hinweise. Schön, dass Du reingeschaut hast.

Für mich wäre dieser Plot vielleicht der interessantere gewesen. So ist das eine Genre-Geschichte, in der die Figuren aber größtenteils blass bleiben.

Mein Fokus bei dieser Geschichte war neben dem eigentlichen Plot die Person Stammer. Es ging mir um sein Dilemma, um das, was er trotz bzw. wegen seines Jobs an Enttäuschungen erlebt hat, welche Schlüsse er daraus zieht.

Wenn er es so oft erlebt hat, dann wird er es nicht mehr ans verrückt empfinden.

Ich stelle ihn mir aber so vor (vielleicht ist das naiv), dass er zu diesen parallelen Perspektiven fähig ist. Wenn jemand wie Stammer sagt, hier ist der Wahnsinn Normalität, dann finde ich das nachvollziehbar.

Was wäre eine Handlung, die diese "Normalität" dem Leser zeigt? Wie zeigt man Abstumpfung?

Das sind sehr gute Fragen. Ich denke wie Du, dass man authentische Figuren zeichnet, indem primär ihre Handlungen für ihr Innenleben sprechen. Bei Stammer war mein Thema nicht Abstumpfung. Ich habe ihn mir nicht als abgestumpft vorgestellt, sondern eher als ausgelaugt und resigniert. Das habe ich im ersten Dialog durch Lakonie und Sarkasmus auszudrücken wollen. In der Raststätte wirkt er durch den Teenager nicht eingeschüchtert, sondern resigniert, eher nachdenklich usw.

Ich habe außerdem in diesem Text viel mit Gedankensplittern des Protagonisten gearbeitet, und finde schon, dass man eine ganze Menge von Stammer erfährt.

Eine Polizist, der total abgewichst ist, für den die Niederungen und menschlichen Abgründe sein täglich Brot sind, der redet aber nicht wie ein Pädagoge, so vorsichtig; "Vielleicht."

Willesch ist kein Polizist. Er vermittelt Stammer die Jobs und ist primär ein Opportunist, Wogenglätter und Beschwichtiger.

Ich glaube, solche Leute suchen nicht mehr nach Erklärungen oder der Formel, wie man da etwas auflöst oder erklärt. Dessen werden sie müde sein.

Sehe ich auch so. Stammer fragt sich ja auch nicht so sehr aus theoretischen Gründen, worin Emelies Motive liegen, sondern er will den Fall lösen. Vielleicht kann ich das noch mehr in den Vordergrund rücken.

Als Leser drängt sich mir dann auch sofort diese subtile Botschaft auf, die da immer mitschwingt, der Bildungsauftrag - wie kann so etwas passieren? Man kann sicher die Hintergründe in die Story verpacken, aber ich empfinde das hier als etwas zu direkt, zu offensichtlich.

Na, das war weniger ein Bildungsauftrag, als ein Rätsel, das die Story spannend machen sollte.

Außerdem: Eine Karriere als Nutte, weil sie den Vater provozieren will? Das nehme ich dir ohne weitere Erklärungen oder Konfliktbeweis einfach nicht ab.

Mein Ansatz war, dass Emelie den Missbrauch ihres Vaters so erlebt, dass er sie einerseits zur seiner Nutte macht, zu seinem Objekt. Andererseits spielt er der Öffentlichkeit die heile Welt vor. In dem sich Emelie prostituiert, zeigt sie aller Welt, wozu ihr Vater sie gemacht hat. Ich finde das stringent.

Davon abgesehen existiert ein nachweisbarer Zusammenhang zwischen familiärem Missbrauch und Kinderprostitution.

Ich habe den Text zuende gelesen.

Danke.

Es ist eine Geschichte, irgendwie, aber ich werde das Gefühl nicht los, da keine eigentliche Geschichte gelesen zu haben, sondern eine Art Lehrstück.

Hm, war so nicht geplant. Schade, dass es so rüberkommt.

Da ist eine Ebene zwischem dem Text und dem Leser, und das ist der Autor, der sich dazwischen drängt und etwas vermitteln möchte. Diese Vermittlung ist ehrenhaft, aber sie lähmt die Figuren und die Story.

Meine Weltsicht ist aber eine andere. Ich bin beispielsweise nicht der Ansicht, dass die Welt zu kennen, bedeuten muss, um sie zu trauern. Persönlich vertrete ich nicht Stammers Ansicht, die sich aber durch den Text zieht, auch in den Gedankenreflexionen. Es ging also nicht darum, eine Botschaft zu vermitteln, sondern die von Stammer erlebte Sinnlosigkeit allen Tuns zu zeigen. Er will helfen, aber genau das führt zur Katastrophe. Schade, dass Du das so nicht gefunden bzw. empfunden hast.

Der tut überhaupt nicht weh.

Ich bin in diesem Punkt sicher, dass das so mancher Leser anders beurteilen werden. Dazu gab es ja schon Kommentare.

Jimmy, vielen Dank für Deine Hinweise. Der Text ist so, wie er jetzt da steht, sicher noch nicht die Endfassung. Die Fallschirmjäger könnten da sicher noch einiges an Zeichnung vertragen. Mal sehen, ob ich das in den nächsten Tagen hinbekomme. Habe mich auf jeden Fall gefreut, von Dir zu hören/ lesen.

Gruß Achillus

________________________________________________________


wird fortgesetzt ...

 

Hi Achillus,
Ein gutes Thema und auch recht gekonnt geschrieben. Ich glaube aber, du lässt einiges an Potential liegen, weil viel einfach gesagt wird und einiges einfach "da" ist, ohne dass es plausibel vorbereitet wird:

Er blickte in den Rückspiegel, und da war es wieder. Es war das untrügliche Zeichen für die Tatsache, dass all der Zorn, die Verzweiflung, die Rebellion dieses Mädchens von einer tiefen seelischen Verletzung gespeist wurden. Emelie weinte ein lautloses Weinen.
ich glaube, du verpasst hier die Chance, dass sich die beiden näher kommen und dass sie deutliche Zeichen setzt, wie schlimm es ist, zu ihrem Vater zurück zu kehren. Auch zuvor bleibt sie blass und auch hier:
Du wirst jetzt deine Sachen zusammenpacken, und dann bringe ich dich nach Hause.«
Als Stammer später an diesen Augenblick zurückdachte, vermischten sich Emelies Wutschrei, ihr hasserfüllter Blick, ein Poltern vor der Tür und die Klinge, die plötzlich im Dämmerlicht des kleinen Zimmers aufblinkte.
lässt du die Gelegenheit verstrichen, dass der Leser Emelie persönlich kennen lernt.

auch hier

»Ach, fick dich, Alter. Du kapierst gar nichts.«
»Naja, du bist nicht die erste Ausreißerin, die ich einfange«, erwiderte Stammer. »Tja, und die Kids, die wirklich nichts mehr von ihren Eltern wissen wollen, lassen sie nicht auf ihre Mailbox sprechen.«
Emelie beugte sich ruckartig vor, worauf Redlich sie hastig wieder zurück in die Polster der Rückenlehne drückte.
»Ich bin fertig mit meinen Alten, egal was du denkst, Wichser.«
gibt sie nichts persönliches von sich preis - hier sollte Gorg Stammer neugierig werden, drann bleiben und ihr etwas entlocken, dass ihn auf die richtige Spur bringt, denn hier
Hinten im Fond knallte Redlich mit dem Kopf gegen die Scheibe und fluchte.
»Das stinkt gewaltig«, sagte Stammer. »Der Kerl ist nicht sauber.«
fällt ihm die Erkentnis quasi vom Himmel und da wäre es passender gewesen, wenn er es sich auf Grund einiger Beobachtungen zusammen gereimt hätte oder er es gewusst hätte und beschlossen hätte, es dem Senator nicht durchgehen zu lassen...

lg
Bernhard

 

Hallo Achillus,

um noch mal ein paar Punkte kurz aufzugreifen:

Warum hat er die Waffe bei sich? Später in Prag lässt er sie im Handschuhfach.
Die Idee hier war, dass er mit der Waffe am Gürtel der Security im Bordell auffallen würde. Stammer will erst mal aufklären und die Sache möglichst verbal lösen.

Meine Frage war vielleicht unpräzise formuliert. Ich meinte nicht, warum er sie generell dabei hat oder warum er sie in Prag im Auto lässt, sondern warum er sie in der Raststätte bei sich trägt. Er erwartet doch wohl nicht, sie dort zu brauchen?

Hm, also in Deutschland heißt es Freiton, oder meinst Du es eher vom Wortklang her?

Hier habe ich Freiton mit Freizeichen gleichgesetzt, und letzteres entspricht dem Wählton, den man vor dem Wählen hört (bzw. bei Handys überhaupt nicht). Habe mich aber inzwischen schlaugemacht, dass in der Fachsprache tatsächlich der Freiton derjenige ist, den man während des Klingelns auf der anderen Seite hört. Gleichzeitig habe ich gelernt, dass der Rufton mit dem Klingelton gleichzusetzen sei, den der Angerufene zu hören bekommt.

Kurz gesagt ist Dein Gebrauch also völlig korrekt. Ich frage mich bloß, ob das jeder außer mir so weiß. Nach meinem Gefühl entspricht die Fachsprache hier nicht der Umgangssprache, aber vielleicht bin das tatsächlich nur ich ...

Also es gibt keine Pflicht, die direkte Rede durch Anführungszeichen zu markieren. In besonderen Situationen kann sie auch durch Kursivschrift, Einrücken oder andere Mittel angezeigt werden. Viele Autoren lassen häufig auch überhaupt jede Kennzeichnung weg. Gerade, wenn es sich nicht um normales Sprechen handelt, finde ich es passend, wenn man das im Text anders darstellt, als durch Anführungszeichen.

Das ist mir durchaus alles klar. Was ich nicht verstehe, ist, was an den von Dir kursiv gesetzten Redebeiträgen so Besonderes sein soll, dass Du sie anders behandelst als andere Sprechakte in Deinem Text. Für mich sehen die genauso "normal" aus wie andere Stellen auch.

Grüße vom Holg ...

 

Hallo Achillus,

Eine sehr schöne Geschichte. Hat mir gut gefallen, bis auf einige Kleinigkeiten (siehe unten).

Du nimmst deinen Leser gerne an die Hand, wenn ein neuer Absatz beginnt.
Du sagst ihnen wer, wo, wann der Text spielt:

Es war bereits früher Abend, als Stammer seinen Wagen auf dem Parkplatz einer Raststätte vor der Grenze ausrollen ließ.
Das Neonlicht über dem Torbogen der Nirvana-Bar spülte einen pinkfarbenen Schimmer durch die Gasse. Hier in der Prager Altstadt
Den Gestank von Abfall, Urin und Erbrochenem in der Nase, kam Stammer zu sich. Er saß an eine Mauer oder Häuserwand gelehnt, die Beine lang von sich gestreckt, auf einem schäbigen Hinterhof.
Über Berlin stand der Himmel wie ein steingrauer Block. Der erste Schnee
Da ist nichts gegen auszusetzen. Ich persönlich mag es aber manchmal lieber, wenn ich ein zwei Sätze, vielleicht einen Dialog lese, und dann erst die Ortsbeschreibung, die Jahreszeit etc. erfahre. Reine Geschmackssache.

Während Stammer kurz darauf in seinem Kaffee rührte
Etwas später saß er an einem Loungetisch im gedämpftem Licht des Salons
Als er ein wenig später hinter dem Steuer saß und den ganzen vertrackten Fall überdachte,
Etwas später, es war nicht klar, ob Emelie sich in ihr Schicksal gefügt hatte oder gedanklich an neuen Fluchtplänen arbeitete, sagte sie:
Das gefällt mir nicht ganz so gut. Es gibt bestimmt andere Wege, um einen kleinen Zeitsprung anzudeuten. Das kannst du bestimmt besser. ;)

Die Mailbox war aktiv, was bedeuten konnte, dass Emelie einen Kanal zu ihren Eltern offen halten wollte. Doch weshalb?
Das habe ich mich auch gefragt, aber leider keine Antwort gefunden …

Einer von ihnen, ein robuster Sachse mit Bürstenschnitt,
Woran hat er erkannt, dass es ein Sachse war? An der Aussprache?

Das Problem der Prostitution von Kindern und Jugendlichen in Deutschland war gravierender, als sich die Öffentlichkeit eingestehen wollte. Mehr als zwanzigtausend Jungen und Mädchen gingen auf den Strich, und meist bildeten existentielle Nöte dazu den Hintergrund.
Das erscheint mir zu sehr als Infodump.

Stammer warf einen Blick auf den Securityguy,
Securityguy habe ich noch nie gehört. Klingt komisch.

»Ein Mädchen aus der Schweiz haben wir nicht«, sagte sie bedauernd. »Aber wir können Ihnen ein deutsches Model bieten.«
Das ist aber ein Zufall, dass ausgerechnet Emilie das deutsche Model ist. Hätte gedacht, dass in der Bar, die so nahe an Deutschland liegt, mehrere deutsche Mädchen sind.

Ich habe meinen Teil geleistet, dachte Stammer. Häng den Job an den Nagel, bevor er dich umbringt.
Wieso unterscheidest du hier die Scheibweise der Gedanken von Stammer? Mal recte/regular, mal kursiv …
Und dann ein Schrei. Emelie!
... und hier ist ein Schrei wie ein Gedanke geschrieben.
Ich persönlich würde es einheitlich machen.

Niemand konnte leugnen, dass etwas ungeheuer Verführerisches von Emelie ausging, auch wenn einem sofort bewusst wurde, wie fatal dieser Eindruck war.
Böse, böse Gedanken. Und das, obwohl er schon Dutzende da heraus geholt hat. Hm … :confused:

Als Stammer später an diesen Augenblick zurückdachte, vermischten sich Emelies Wutschrei, ihr hasserfüllter Blick, ein Poltern vor der Tür und die Klinge, die plötzlich im Dämmerlicht des kleinen Zimmers aufblinkte.
Das ist echt super gemacht!

Doch dann bemerkte er das Blut, das aus seinem Ärmel tropfte, und schließlich fand er den Schnitt am Oberarm, den er wahrscheinlich Emelie verdankte.
“wahrscheinlich”: Wenn das Stammer denken würde, ware das okay. Aber hier sagt es der Erzähler, der es wissen sollte.

Trat ein Mann wie Rakast durch die Tür, ging man in Deckung. Und wurde Rakast von zwei Männern wie Redlich und Stammer begleitet, dann war die Sache gelaufen.
Sehr schön.

statteten - ausgerüstet mit Balaclavas und Gewehren – Gangstern Besuche ab,
Du hast hier zwei verschiedene Striche für den Gedankenstrich.

sie schrie hysterisch. Jetzt brach ein Tumult los
Darauf folgten erneut einige Minuten Tumult und Geschrei.
Tumult und Geschrei haben’s dir wohl angetan? :D

»Das stinkt gewaltig«, sagte Stammer. »Der Kerl ist nicht sauber.«
Hier fehlt mir noch die eine Besonderheit, wie Stammer darauf gekommen ist.

Du bewegst dich sicher in diesem Genre. Die Figuren bleiben etwas blass, aber das finde ich für die Kürze der Geschichte auch nicht weiter schlimm.
Habe ich sehr gerne gelesen. Spannend geschrieben. Musste ich in einen Rutsch durchlesen.

Schönen Abend … äh, gute Nacht.

Liebe Grüße,
GoMusic

 

Hallo Achillus

Eine starke Geschichte, souverän verfasst. Dennoch konnte sie mich nicht ganz überzeugen. Zuweilen war mir zu sehr betont, welch üble Sache du da beschreibst. Zum Beispiel hier:

Stammer folgte ihm mit leerem Blick und wandte sich dann wieder seinem Kaffee zu. Rebellieren, provozieren. Das Problem der Prostitution von Kindern und Jugendlichen in Deutschland war gravierender, als sich die Öffentlichkeit eingestehen wollte. Mehr als zwanzigtausend Jungen und Mädchen gingen auf den Strich, und meist bildeten existentielle Nöte dazu den Hintergrund. Doch Emelie stammte aus bürgerlichen Verhältnissen. Plötzlich begann Stammer zu ahnen, wo bei diesem Fall der Schwerpunkt lag.

Hier hatte ich das Gefühl, dass du mir die Tragweite der Thematik plus den Schwerpunkt deiner Geschichte erklären möchtest.

Zuweilen dachte ich während der Lektüre auch, dass der Autor alle möglichen Unklarheiten möglichst schnell und effizient aus der Welt schaffen möchte. Etwa hier:

Stammers Gedanken führten ihn zurück zu seinem Fall. Natürlich gab es auch noch die andere Variante. Emelies Telefon war in Betrieb, in Ordnung, aber das bedeutete nicht zwangsläufig, dass es Emelie gut ging, nicht einmal, dass sie überhaupt noch lebte, obwohl Entführer das Gerät wahrscheinlich zerstört hätten. Heutzutage wusste eigentlich jeder, dass man Smartphones orten konnte. Gegen Kidnapping sprach auch ein anderer Umstand: Emelie war seit drei Tagen verschwunden, aber es gab keine Lösegeldforderung.

Diese Passage fand ich etwas umständlich. Meinen Lesefluss hat es etwas gestört, weil die fett markierten Stellen sehr technisch-erklärend klingen.

Trat ein Mann wie Rakast durch die Tür, ging man in Deckung. Und wurde Rakast von zwei Männern wie Redlich und Stammer begleitet, dann war die Sache gelaufen. Rakast, Redlich und Stammer hatten zwanzig Jahre zuvor als Fallschirmjäger in derselben Einheit gedient. Jetzt als Freelancer-Team unterwegs, schnappten sie sich gelegentlich einen Waffenschieber, statteten - ausgerüstet mit Balaclavas und Gewehren – Gangstern Besuche ab, trieben Schulden ein oder brachten Leute nach Hause, die vom Moloch der Drogenszene verschluckt worden waren.

Auch diese Passage empfand ich als für den Leser verfasst. Sie hat mich aus der Dynamik der Geschichte rausgeholt, könnte man evtl. etwas kürzen.

Zwei, drei Details:

Brieftasche und legte sie auf auf den Zahlteller aus Kristall.

Ein «auf» streichen.

Wie soll man das sagen, bei diesem Licht und all dem Makeup[?]

und weil ihm nicht Besseres einfiel, murmelte er:

»Eine Freundin aus Kroatien, die ihr Abi abgebrochen hat, lebt da.«

Den Einschub würde ich streichen. Nicht relevant und von Emelie in dieser Siuation wohl auch nicht erwähnt.

Mit hat die Geschichte gut gefallen, vor allem in atmosphärischer Hinsicht. Wäre sie noch mehr erzählend, weniger kommentierend hätte sie mich bestimmt noch stärker gepackt.

Gruss
Peeperkorn

 

Hallo Barnhelm,

vielen Dank für Deine Rückmeldung zum Text.

... müßig zu sagen, dass das wieder gut geschrieben ist.

Ist nicht müßig. Ich höre es immer wieder gern.

Man bleibt als Leser an der Geschichte, möchte wissen, was passiert ist und wie die Sache ausgeht.

Ja, das ist ja eigentlich der Kern des Genres, in dem ich mich austobe. Ich habe versucht, den Spannungsbogen über die Missions-Idee umzusetzen. Der Leser meint zu wissen, dass es um die Frage geht, ob Stammer das Mädchen zurückbringen kann. Außerdem ist da auch noch das Rätsel, weshalb sie überhaupt verschwunden ist.

Irgendwie hatte ich allerdings gleich einen Verdacht.

Ja, ein hohes Tier, das das Verschwinden seiner Tochter geheim halten möchte – da klingeln schon die Alarmglocken.

Was mir bei der ganzen Geschichte nicht so recht einleuchtet, ist, dass sich Emilie für diesen Weg entscheidet. Wenn ihr Vater ihr gegenüber gewalttätig war, hätte sie ihn doch anzeigen können. Auch Organisationen, die ihr hätten helfen könnten, ließen sich doch in Berlin sicherlich finden, wenn man sie denn suchte. Aber als Ausweg das Bordell?

Das Bordell war kein Ausweg im Sinn eines besseren Lebens. Ich sehe es als Emelies Rache an ihrem Vater. Es ist außerdem nicht so, dass alle Kinder (betrifft ja auch Jungen) und Jugendliche, die familiären Missbrauch erleben, irgendwann zu einer Hilfsorganisation gehen und/ oder den Vater bzw. die Mutter anzeigen. Viele fressen es in sich hinein und wählen destruktive Wege der Verarbeitung.

Diese Emilie kann ich mir insgesamt nicht so recht vorstellen.

Da ist ein wichtiger Punkt. Ich habe die rebellische Seite von Emelie betont, als Person erfährt man sonst nicht viel von ihr. Ich würde sie gern genauer beschreiben, aber stoße an das Problem, dass ein Mädchen, dass wegen Missbrauch wegrennt, sich nicht dem Nächstbesten offenbaren wird. Wie also den psychologischen Background beschreiben?

Warum geht sie das Risiko ein, dass man sie über ihr Handy finden kann? Du sagst, sie möchte sehen, wie ihre Eltern leiden. Von einer Mutter ist allerdings nichts zu lesen und dem Vater bietet sie so die Möglichkeit, dass er sie suchen lässt und man sie finden wird. Überhaupt, was ist mit der Mutter?

Das Motiv, zu erfahren, wie die Eltern bzw. der Vater unter ihrer Flucht leiden ist stark, es ist das grundlegende Rachemotiv. Stammer spricht das ja auch an. Emelie geht davon, dass der Vater sie nicht offiziell suchen lassen wird, Polizeiaktionen vermeidet usw. Sie geht nicht davon aus, dass er sie finden wird. Diesen Punkt werde ich noch besser herausarbeiten. Die Mutter ist das Elternteil, das wegschaut. Vielleicht muss ich das auch noch mal thematisieren.

Das schreibst du sehr früh, führst es aber nicht aus. Er geht ja weiterhin davon aus, dass das Mädchen, warum auch immer, in die Gewalt der Betreiber des Puffs geraten ist.

Naja, das Mädchen ist ja auch in die Gewalt des Bordells geraten, zumindest hat sie sich mit den Gangstern dort eingelassen. Aber Du hast schon recht, es müsste noch klarer werden, dass Stammer ahnt, wo die Ursachen liegen. Guter Punkt.

Barnhelm, vielen Dank. Gerade bei komplexen Handlungsketten ist es schwierig, alle psychologischen Motive der Beteiligten im Auge zu behalten. Vielen Dank für Deine Hinweise. Die werden bei der Überarbeitung helfen.

Gruß Achillus

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Hallo Jobär,

schön, dass Du die Geschichte gelesen und kommentiert hat. Vielen Dank dafür.

Die Schwierigkeit ist ja schon mehrmals angesprochen worden: Was ist der Hintergrund, was ist wirklich geschehen?

Ich hatte gehofft, dass die Abschlussszene, in der Emelie von ihrem Vater angegriffen wird, darüber aufklärt, wie die Dinge zu Hause bei ihr stehen. Ich denke, das werden auch die meisten Leser so nachvollziehen. Was nun nicht ganz so klar rübergekommen ist, wie aus dieser Situation Emelies Flucht und Rache resultiert. Ich werde das präzisieren.

So wie Stammer beginne ich zu ahnen, aber es gibt zu wenige Hinweise, um die Vermutung zu verdichten. Hier geht es um mehr als einen gewalttätigen Vater und eine abwesende (?) Mutter. Aber da Du dieses offen lässt, bleibt ein gewisses Unbehagen.

Das stimmt wohl. Ich werde den Zusammenhang von Missbrauch und selbstzerstörerischer Rache stärker zeigen. Hoffe, es gelingt mir.

Im letzten Absatz, da hatte ich mir gewünscht, es seien die beiden Prots, die zueinander gefunden haben und gemeinsam aussteigen, aber heile Welt ist halt nicht immer.

Ja, mich hat das beim Schreiben auch bewegt, weil es eine doppelte Tragödie darstellt. Zum einen sieht man, dass Emelie leidet und gelitten hat, dass ihr Kampf erfolglos bleibt, zum anderen ist Stammers letzter Auftrag eine Katastrophe und stellt darüber hinaus den Sinn seines Berufslebens in Frage. Ich habe ihn mir als vernichteten Mann vorgestellt.

Vielen Dank Jobär
und Gruß aus Berlin
von Achillus
_____________________________________________

wird fortgesetzt ...

 

Hallo Achillus!

Wie dein Protagonist da erstmal reingeht und sich zusammenschlagen lässt - das erinnert mich an Autoren wie Hammet oder Spillane. Und die lese ich gerne.

Bei deinem Text allerdings kommt dein Protagonist am Anfang so rüber, als hätte er keine Ahnung, was er da tut. Das beißt sich mit dem: "Jetzt als Freelancer-Team unterwegs, schnappten sie sich gelegentlich einen Waffenschieber ..." und damit, dass er beinahe darum betteln muss, sein "Team" einschalten zu dürfen. => Da fehlt mir das Fein-Tuning, ein genauerer Blick auf Stammer, wer er ist, warum er tut, was er tut (und auf den Hintergrund: Wer ist Willesch(so heißt er am Anfang)/Millesch(und so am Ende) und warum kann er Stammer vorschreiben, wie er vorgeht?).

Noch eine Frage zu dem ersten Abschnitt: Wozu braucht es den "Sachsen" in der Gaststätte?


Das hier: »Aber warum?« ist die Hauptfrage deiner Geschichte - diese Frage beantwortest du aber leider nicht richtig. Da kommen Andeutungen, ja, aber »Sie haben nichts verstanden«, sagte er schließlich. => So geht's mir auch.
Jimmy sagte es so: "Für mich wäre dieser Plot vielleicht der interessantere gewesen."
=> Für mich arbeitest du diesen Plot, Emelies, der ja mitten in der Geschichte drin steckt, nicht genug aus. Stammer ist ausgebrannt, das ist das, was du ausgearbeitet hast. Das finde ich aber nicht interessant genug, die gesamte Geschichte zu tragen.


Zu deinen Anmerkungen:

"meine Idee war, dass bereits die Forderung, die Sache solle diskret geregelt werden, zeigt, wie Emelies Vater tickt bzw. dass mit dem Mann etwas nicht stimmt."
=> Würde nicht jeder Politiker, jeder Showstar, jede "Berühmtheit" die Sache diskret regeln wollen?

"Mein Fokus bei dieser Geschichte war neben dem eigentlichen Plot die Person Stammer. Es ging mir um sein Dilemma, um das, was er trotz bzw. wegen seines Jobs an Enttäuschungen erlebt hat, welche Schlüsse er daraus zieht."
=> Was hat er denn so an Enttäuschungen erlebt? Davon habe ich im Text auch nicht so viel gefunden. Und, wie oben schon gesagt, sonderlich interessant finde ich das eh nicht. (Wahrscheinlich auch, weil diese Enttäuschungen nur in der Nacherzählung erzählt werden können; der Plot hat ja nur Platz für die Sache mit Emelie.)

"Wie also den psychologischen Background beschreiben?"
=> Verständliche Frage. Aber du hast ja genau diese Protagonisten und genau diesen Plot gewählt. Vielleicht war die Wahl nicht ideal?

"Das Motiv, zu erfahren, wie die Eltern bzw. der Vater unter ihrer Flucht leiden ist stark, es ist das grundlegende Rachemotiv."
=> Interessant. Das habe ich aus dem Text überhaupt nicht rausgelesen. Bloß, weil sie ihr Handy noch hat? Und wie reagiert sie, wenn der Vater sie auf der Mailbox bloß derbe beschimpft? Oder gar nicht reagiert? Auch die Mutter gibt im Text keinen Pieps von sich. Von "Leiden" ist nichts zu spüren. Also ist Emilies Plan fehlgeschlagen? Ich frage mich: Warum hat sie geglaubt, dass dieser Plan funktioniert? Und wenn sie ihren (brutalen, siehe Ende) Vater kennt, warum rechnet sie dann nicht damit, dass er sie mit Gewalt zurückholt? Warum flieht sie nicht wirklich vor ihm, ganz und gar?

"Ich hatte gehofft, dass die Abschlussszene, in der Emelie von ihrem Vater angegriffen wird, darüber aufklärt, wie die Dinge zu Hause bei ihr stehen."
=> Ehrlich, mich verwirrt diese Szene eher. Sie ist zu kurz, und wirft bei mir nur zusätzliche Fragen auf.

So, sorry für den eher negativen Kommentar.

Grüße,
Chris

 

Liebe Kommentatoren,

ich habe gestern nachmittag eine komplett überarbeitete Fassung reingestellt. Vielen Dank für Eure Hinweise. Ich gehe trotzdem nochmal auf alle Wortmeldungen ein (Sorry, Chris, Du hast leider die alte Fassung gelesen. Ist meine Schuld, ich hätte gestern auf die Aktualisierung verweisen sollen. Einige von Deinen Hinweisen sind trotzdem relevant. Ich antworte darauf in Kürze.)

Folgende Überarbeitungen habe ich vorgenommen:

1) Einige Figuren werden genauer gezeichnet (Stammer, Willesch, Emelie, Rakast).
2) Der Nirvana-Club hat mehr Details bekommen, ich glaube man kann sich den jetzt besser vorstellen.
3) Die Motivation von Emelie (Rache) wird deutlicher.
4) Infodropping oder Hinweise die man als moralisierend empfinden konnte wurden entfernt.

Gruß Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Bernhard, vielen Dank für Deinen Kommentar!

Ein gutes Thema und auch recht gekonnt geschrieben.

Danke, schön zu hören.

Ich glaube aber, du lässt einiges an Potential liegen, weil viel einfach gesagt wird und einiges einfach "da" ist, ohne dass es plausibel vorbereitet wird: [Er blickte in den Rückspiegel, und da war es wieder. Es war das untrügliche Zeichen für die Tatsache, dass all der Zorn, die Verzweiflung, die Rebellion dieses Mädchens von einer tiefen seelischen Verletzung gespeist wurden. Emelie weinte ein lautloses Weinen.] Ich glaube, du verpasst hier die Chance, dass sich die beiden näher kommen und dass sie deutliche Zeichen setzt, wie schlimm es ist, zu ihrem Vater zurück zu kehren.

Beim Schreiben ging mir auch die Frage durch den Kopf, wie nahe sich Stammer und Emelie kommen dürfen. Das war einerseits eine Frage der Dramaturgie und Plot-Logik und andererseits eine der Charaktere. Ich kann Deinen Wunsch nach "mehr Emelie" verstehen, aber Du musst bedenken, dass das erstens von ihrem Charakter her nicht plausibel wäre (sie würde sich Stammer nicht einfach so anvertrauen/ öffnen) und zweitens auch das Plot-Problem mit sich brächte, dass Stammer sie nicht mehr zu Hause absetzen würde, wenn er wüsste, was Emelie bei ihrem Vater droht.

Natürlich soll der Leser einen Eindruck von Emelie haben, aber die Geschichte zielt nicht darauf ab, das Tragische der Ereignisse zu betonen, indem gezeigt wird, welch ein Mensch Emelie ist. Es geht in erster Linie um den Plot, um Stammers Dilemma, der eigentlich etwas Gutes tun will und dennoch das Gegenteil erreicht.

ihr etwas entlocken, dass ihn auf die richtige Spur bringt ... und da wäre es passender gewesen, wenn er es sich auf Grund einiger Beobachtungen zusammen gereimt hätte oder er es gewusst hätte und beschlossen hätte, es dem Senator nicht durchgehen zu lassen...

Ja, so ist es jetzt auch. Stammer wird stutzig über eine Bemerkung von Emelie und das führt ihn zum richtigen Gedanken, nachdem er ihren Vater kennengelernt hat.

Bernhard, vielen Dank für Deine Hinweise.
Gruß Achillus

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Hallo Holg, fein, dass Du nochmal schreibst.

Ich meinte nicht, warum er sie generell dabei hat oder warum er sie in Prag im Auto lässt, sondern warum er sie in der Raststätte bei sich trägt. Er erwartet doch wohl nicht, sie dort zu brauchen?

Ist eine gute Frage. Darauf gibt es eine überraschend einfache Antwort: Jemand, der eine Waffe führen darf, muss lernen, sie immer zu führen. Ausbilder bei Polizei, Militär, Security betonen stets, dass dem Waffenträger die Waffe nur nützt, wenn er sie griffbereit am Mann trägt. Gerade Polizeiausbilder schlagen sich z.B. immer mal wieder mit der Nachlässigkeit von Beamten rum, die ihre Dienstwaffe auf dem Weg zur Arbeit in der Aktentasche transportieren.

Was ich nicht verstehe, ist, was an den von Dir kursiv gesetzten Redebeiträgen so Besonderes sein soll, dass Du sie anders behandelst als andere Sprechakte in Deinem Text. Für mich sehen die genauso "normal" aus wie andere Stellen auch.

Daran ist besonders, dass sie nicht Teil eines Dialoges sind, sondern Ausrufe.

Gruß Achillus

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Hallo GoMusic, ich habe mich über Deinen Kommentar gefreut, vielen Dank für die vielen hilfreichen Hinweise.

Du nimmst deinen Leser gerne an die Hand, wenn ein neuer Absatz beginnt ... Da ist nichts gegen auszusetzen. Ich persönlich mag es aber manchmal lieber, wenn ich ein zwei Sätze, vielleicht einen Dialog lese, und dann erst die Ortsbeschreibung, die Jahreszeit etc. erfahre. Reine Geschmackssache.

Ja, kann ich nachvollziehen. Mir geht es beim Schreiben manchmal so, dass ich die einführenden Sätze brauche, um mich in die Situation reinzudenken.

[Die Mailbox war aktiv, was bedeuten konnte, dass Emelie einen Kanal zu ihren Eltern offen halten wollte. Doch weshalb?] Das habe ich mich auch gefragt, aber leider keine Antwort gefunden …

Der Grund war, die Reaktion der Eltern bzw. des Vaters zu erfahren.

Woran hat er erkannt, dass es ein Sachse war? An der Aussprache?

Ja, so hatte ich mir das gedacht. Berliner, Sachsen, Schwaben, Bayern, Friesländer erkennt man ja eigentlich ganz gut, wenn sie Dialekt/ Mundart sprechen.

[ Das Problem der Prostitution von Kindern und Jugendlichen in Deutschland war gravierender, als sich die Öffentlichkeit eingestehen wollte. Mehr als zwanzigtausend Jungen und Mädchen gingen auf den Strich, und meist bildeten existentielle Nöte dazu den Hintergrund.] Das erscheint mir zu sehr als Infodump.

Guter Hinweis. Habe ich rausgenommen.

Securityguy habe ich noch nie gehört. Klingt komisch.

Habe ich geändert.

Das ist aber ein Zufall, dass ausgerechnet Emilie das deutsche Model ist. Hätte gedacht, dass in der Bar, die so nahe an Deutschland liegt, mehrere deutsche Mädchen sind.

Ich denke nicht, dass es so viele deutsche Mädchen/ Frauen dort gibt, aber ich mag mich täuschen.

Wieso unterscheidest du hier die Scheibweise der Gedanken von Stammer? Mal recte/regular, mal kursiv …

Wenn ein Gedanke als solcher erkenntlich ist, weil - ,dachte er – dahinter steht, brauche ich ihn nicht kursiv zu setzen, meine ich.

... und hier ist ein Schrei wie ein Gedanke geschrieben. Ich persönlich würde es einheitlich machen.

Nee, war ein Gedanke von Stammer, kein Schrei. Aber ich habe das jetzt sowieso geändert.

Böse, böse Gedanken. Und das, obwohl er schon Dutzende da heraus geholt hat.

Ich finde den Gedanken, der ja letztlich eine Empfindung artikuliert, nicht böse. Man kann fragen, ob es verwerflich ist, ein minderjähriges Mädchen erotisch anziehend zu finden, aber das ist eine andere Diskussion. Stammer weiß jedenfalls, worauf dieses ganze "Business" hinausläuft, welches individuelle Leid es bedeuten kann bzw. meistens bedeutet.

“wahrscheinlich”: Wenn das Stammer denken würde, ware das okay. Aber hier sagt es der Erzähler, der es wissen sollte.

Ja, habe ich geändert.

Du hast hier zwei verschiedene Striche für den Gedankenstrich.

Keine Ahnung woher das kommt. Vielleicht liegt das an der Formatierung des Originaltextes (Blocksatz), werde ich checken.

Tumult und Geschrei haben’s dir wohl angetan?

Habe ich jetzt verändert, guter Hinweis.

[»Das stinkt gewaltig«, sagte Stammer. »Der Kerl ist nicht sauber.«] Hier fehlt mir noch die eine Besonderheit, wie Stammer darauf gekommen ist.

Ist in der neuen Fassung mit drin.

Du bewegst dich sicher in diesem Genre. Die Figuren bleiben etwas blass, aber das finde ich für die Kürze der Geschichte auch nicht weiter schlimm. Habe ich sehr gerne gelesen. Spannend geschrieben. Musste ich in einen Rutsch durchlesen.

Vielen Dank für das Kompliment. Freut mich sehr.

Gruß Achillus

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Hallo Peeperkorn, vielen Dank für Deinen Kommentar.

Eine starke Geschichte, souverän verfasst.

Danke für das Lob.

Dennoch konnte sie mich nicht ganz überzeugen. Zuweilen war mir zu sehr betont, welch üble Sache du da beschreibst ... Hier hatte ich das Gefühl, dass du mir die Tragweite der Thematik plus den Schwerpunkt deiner Geschichte erklären möchtest.

Ja, verstehe ich. Diesen Satz habe ich rausgenommen.

Zuweilen dachte ich während der Lektüre auch, dass der Autor alle möglichen Unklarheiten möglichst schnell und effizient aus der Welt schaffen möchte. Etwa hier ... Diese Passage fand ich etwas umständlich. Meinen Lesefluss hat es etwas gestört, weil die fett markierten Stellen sehr technisch-erklärend klingen.

Ja, ging mir beim näheren Schauen auch so. Ich habe das jetzt gekürzt.

Auch diese Passage empfand ich als für den Leser verfasst. Sie hat mich aus der Dynamik der Geschichte rausgeholt, könnte man evtl. etwas kürzen.

Habe ich auch gekürzt, guter Hinweis.

Den Einschub würde ich streichen. Nicht relevant und von Emelie in dieser Siuation wohl auch nicht erwähnt.

Habe ich gemacht.

Mit hat die Geschichte gut gefallen, vor allem in atmosphärischer Hinsicht. Wäre sie noch mehr erzählend, weniger kommentierend hätte sie mich bestimmt noch stärker gepackt.

In der überarbeiteten Fassung habe ich einige der kommentierenden Passagen gekürzt oder ganz entfernt. Es gibt zwar immer noch einige Sätze, die einen Erzählerkommentar darstellen, aber die fand ich notwendig, um die unentbehrlichen Hintergrundinformationen zu liefern.

Deine Hinweise haben mir sehr geholfen, Peeperkorn, vielen Dank dafür.

Gruß Achillus

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Hallo Chris, Dein Kommentar bezieht sich auf die alte Fassung, deshalb ist es nicht ganz leicht auseinanderzuhalten, welche Punkte Dir jetzt immer noch wichtig erscheinen. Ich antworte deshalb einfach mal drauflos.

Wie dein Protagonist da erstmal reingeht und sich zusammenschlagen lässt - das erinnert mich an Autoren wie Hammet oder Spillane. Und die lese ich gerne.

Das nehme ich als Lob. Danke.

Bei deinem Text allerdings kommt dein Protagonist am Anfang so rüber, als hätte er keine Ahnung, was er da tut.

Hm, ich weiß nicht genau, welchen Schilderungen Du diesen Eindruck entnimmst. Von mir war das sicher nicht beabsichtigt. Stammer soll erst mal vorfühlen, um die Sache möglichst diskret zu erledigen. Im Idealfall – so ist es Willeschs Wunsch – soll er Emelie überzeugen, wieder mit ihm zurückzukommen oder ein bisschen nachhelfen. Zu diesem Zeitpunkt sollen rabiate Aktionen vermieden werden. Deshalb agiert Stammer zunächst zurückhaltend. Dass er keine Ahnung vom Metier hat, wird nicht behauptet – glaube ich.

Da fehlt mir das Fein-Tuning, ein genauerer Blick auf Stammer, wer er ist, warum er tut, was er tut (und auf den Hintergrund: Wer ist Willesch (so heißt er am Anfang)/Millesch(und so am Ende) und warum kann er Stammer vorschreiben, wie er vorgeht?).

Die Willesch-Millesch Geschichte war ein W-M-Dreher. Habe ich korrigiert. Gut, dass Du es gesehen hast, vielen Dank.

Zum Fein-Tuning. Du wünschst Dir eine genaue Berufsbeschreibung von Stammer und was der so mit seinem Team treibt. Ich wollte dem Leser folgende Ansätze bieten: Stammer ist jemand mit militärischem Hintergrund, der jetzt in der Privatwirtschaft agiert. Er macht Jobs, die gefährlich sein können, bei denen manchmal auch Waffengewalt eingesetzt wird und die sich gelegentlich vielleicht am Rande der Legalität bewegen. Willesch verschafft ihm die Jobs und verhandelt die Konditionen, unter denen sie zu erledigen sind. (Deshalb kann er Stammer vorschreiben, welche Mittel er einsetzen darf.)

Natürlich kann man da mehr zu sagen, sogar viel mehr. Aber es ging mir um eine knappe Kurzgeschichte. Deshalb habe ich alles weggelassen, was mir für den Plot unerheblich schien oder es zumindest versucht. Ich sehe nicht so ganz, wie mehr Details zu Stammer und seinem Team den Plot oder die Wirkung der Geschichte steigern könnten.

Noch eine Frage zu dem ersten Abschnitt: Wozu braucht es den "Sachsen" in der Gaststätte?

Der junge Schreihals in der Gaststätte war mir aus mehreren Gründen wichtig:
- er bringt Stammer zum Nachdenken über jugendliche Rebellion
- es gibt einen Zusammenhang zwischen der Beschimpfung und dem Straßenstrich hinter der Grenze
- es zeigt die Verfasstheit Stammers in seiner (Nicht-) Reaktion auf die Provokation

Das hier: »Aber warum?« ist die Hauptfrage deiner Geschichte - diese Frage beantwortest du aber leider nicht richtig.

In der neuen Fassung wird das deutlich und die Frage beantwortet. Ob man das als Leser so akzeptieren kann, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

Für mich arbeitest du diesen Plot, Emelies, der ja mitten in der Geschichte drin steckt, nicht genug aus.

Das ist eine Frage der Perspektive und des gewählten Genres. Man kann ja die selben Ereigniszusammenhänge für das Schreiben eines Psychodramas, eines Thrillers, einer sozialkritischen Erzählung oder auch einer Groteske verwenden. Ich finde es fair, einen Thriller mit den Maßstäben seines Genres zu messen. Das soll nicht heißen, ein Thriller könne nicht auch Psychogramm oder Sozialkritik sein. Aber kein Mensch geht auf ein Punkkonzert und fragt nach Kontrapunkt und Fuge.

Auf Deine Anmerkung bezogen bedeutet das: Ich wollte eine Thriller-Geschichte schreiben, die Stammer bei einem verzwickten Fall zeigt und sein Scheitern thematisiert. Er hat zwar seinen Job gemacht, war erfolgreich, wenn man so will, aber in einem größeren Bezugsrahmen betrachtet ist dieser Erfolg prekär.

Würde nicht jeder Politiker, jeder Showstar, jede "Berühmtheit" die Sache diskret regeln wollen?

Davon gehe ich auch aus. Aber nicht jeder würde dabei eine ernsthafte Gefährdung des eigenen Kindes in Kauf nehmen. Emelies Vater sollte eigentlich die Behörden einschalten, dazu rät auch Stammer. Dass das nicht geschieht, hat etwas zu bedeuten.

Was hat er denn so an Enttäuschungen erlebt? Davon habe ich im Text auch nicht so viel gefunden.

Darüber geben die ersten Sätze Auskunft. Die grundlegendste Enttäuschung besteht darin, dass das, was wir normalerweise als extreme Abweichung von der Normalität betrachten, dem Profi als Standard erscheint. Ich habe diesen Eindruck auch aus Gesprächen mit Polizisten, Feuerwehrleuten, Ärzten und Psychotherapeuten gewonnen – wenn Dich das Tag für Tag umgibt, wirkt es wie eine Gehirnwäsche. Du beginnst zu glauben, die ganze Welt sähe so aus.

Aber du hast ja genau diese Protagonisten und genau diesen Plot gewählt. Vielleicht war die Wahl nicht ideal?

Es kommt darauf an, was man sich von der Geschichte wünscht. Wenn Du Dir als Leser einen passabel geschriebenen, actionhaltigen Thriller wünschst (was meine Intention war), dann kommst Du auf Deine Kosten, hoffe ich. Wenn Dein Schwerpunkt ein Psychodrama ist oder Gesellschaftskritik, dann wirst Du enttäuscht sein.

[Das Motiv, zu erfahren, wie die Eltern bzw. der Vater unter ihrer Flucht leiden ist stark, es ist das grundlegende Rachemotiv.] Interessant. Das habe ich aus dem Text überhaupt nicht rausgelesen. Bloß, weil sie ihr Handy noch hat?

Das Rachemotiv entspringt der Misshandlung bzw. dem Missbrauch. Zwar könnte es Emelie genügen, dass die Eltern (vor allem der Vater) jetzt wissen, wo sie gelandet ist, aber sie hofft, ihre Reaktion zu erfahren.

Und wie reagiert sie, wenn der Vater sie auf der Mailbox bloß derbe beschimpft?

Sie würde entsprechend ihres Charakters und der Umstände reagieren, es als Bestätigung ihrer Bildes betrachten, das sie von ihrem Vater hat.

Oder gar nicht reagiert?

Das wäre sicher quälend für sie, aber davon geht sie nicht aus.

Auch die Mutter gibt im Text keinen Pieps von sich.

Das stimmt. Ich habe das in der neuen Fassung so gelöst, dass der Leser es entweder als Unwissen der Mutter deutet oder als ein bewusstes Wegsehen. Es spielt aber für den Plot keine Rolle, wie stark die Mutter an den Misshandlungen/ am Missbrauch beteiligt ist, denn klar wird auf jeden Fall, dass Emelie nicht wieder nach Hause gebracht werden sollte, und das ist hier der springende Punkt.

Von "Leiden" ist nichts zu spüren. Also ist Emilies Plan fehlgeschlagen?

Die Eltern haben – das wird erwähnt – bei Emelie angerufen. Ob sie auf die Mailbox gesprochen haben wird zwar nicht gesagt, aber dass sich der Vater von der Sache beeindruckt gezeigt haben muss, wird durch die letzte Szene klar. Sein Ausraster zeigt, wie sehr ihn Emelies Verhalten provoziert haben muss.

Stammer vermutet zunächst, Emelie wollte erreichen, dass die Eltern "krank vor Sorge" sind. Aber dann wird klar, dass es Emelie nicht um Angst oder Sorge ging, sondern darum, den Vater zu treffen.

Ich frage mich: Warum hat sie geglaubt, dass dieser Plan funktioniert?

Weil sie wusste, dass den Vater nichts so sehr treffen würde wie die Tatsache, dass sie ihm nun nicht mehr gehört.

Und wenn sie ihren (brutalen, siehe Ende) Vater kennt, warum rechnet sie dann nicht damit, dass er sie mit Gewalt zurückholt?

Weil sie davon ausgeht, dass er den damit verbundenen öffentlichen Skandal fürchtet.

Warum flieht sie nicht wirklich vor ihm, ganz und gar?

Weil es ihr nicht um ein besseres Leben geht, sondern darum, Rache zu üben.

In der Abschlussszene wird von Willesch und Stammer diskutiert, wie sie den Ausgang des Falls deuten. Das sollte dem Leser helfen, seine eigenen Überlegungen anzustellen. In der neuen Fassung ist das jetzt etwas klarer und deutlicher.

Chris, ich habe mich über Deine Hinweise gefreut. Vielen Dank dafür. Klar freut man sich als Autor mehr, wenn jemand sagt, dass der Text super ist. Aber man lernt auch gerade aus kritischen Hinweisen. Einige Deiner Bemerkungen haben sich durch die neue Fassung vielleicht erledigt, andere sind nach wie vor aktuell, werden von uns beiden aber möglicherweise verschieden bewertet.

Gruß Achillus

 

Hallo Achillus!

Ihr seid alle so schnell mit dem Überarbeiten, dass ich andauernd unaktuelle Versionen kommentiere. Okay, damit müsst ihr leben.
Ich lese jetzt nochmal und versuche dabei, deine Rückfragen zu beantworten.

Dieser Punkt zuerst:
"Wenn Du Dir als Leser einen passabel geschriebenen, actionhaltigen Thriller wünschst (was meine Intention war), dann kommst Du auf Deine Kosten, hoffe ich. Wenn Dein Schwerpunkt ein Psychodrama ist oder Gesellschaftskritik"
=> Ich will alles! Ein spannender Plot reicht mir ebensowenig wie gut gezeichnete Charaktere. Ich bin da irre anspruchsvoll. Aber, wie immer, wie alles: das ist ja nur meine Einzelmeinung.

"Die Motivation von Emelie (Rache) wird deutlicher."
=> Okay, das mag nur mir so gehen, aber wenn sie da so sagt: "Du, Vater, hast mich missbraucht, nun bin ich offiziell eine Hure, bätsch!", das kann ich als Motivation nicht nachvollziehen. Klingt wie die Reaktion einer beleidigten Fünfjährigen, nicht nach einem Plan. Zur Rache gäbe es so viele andere Möglichkeiten. Und wenn schon diese Möglichkeit: Hure in Prag, was ist denn das für eine Rache, wenn keiner weiß, dass sie 'ne Hure ist? Da müsste sie zumindest die BILD-Zeitung anrufen, damit der Vater wirklich leidet.
=> Du hast dir 'ne Menge Gedanken gemacht, das sehe ich an deinen Antworten auf die Komentare, aber was du da im Text stehen hast, ist mir viel, viel zu verknappt, als dass ich es nachvollziehen könnte.
=> Mein Vorschlag, um auch Emelies Sicht im Text (für meine Ansprüche) befriedigend darzustellen, wäre, die Geschichte nicht vollkommen aus Stammers Perspektive zu erzählen, sondern die Perspektive später zu wechseln. (Es mag einige Leute hier im Forum überraschen, aber die Welt geht nicht unter, wenn man die Perspektive wechselt.)

"Bei deinem Text allerdings kommt dein Protagonist am Anfang so rüber, als hätte er keine Ahnung, was er da tut."
"Hm, ich weiß nicht genau, welchen Schilderungen Du diesen Eindruck entnimmst."
=> Das waren nur Details. Wie er sich was von Willesch sagen lässt, z.B., aber das hatten wir ja schon. Dass er losfährt und in einer Gaststätte einsam über die Details nachgrübelt.
Das hier: "Die Pistole rechts an seiner Hüfte hinterließ eine Beule, die jedem auffallen musste, der genau hinschaute." => Aufgrund meiner ausufernden Krimi-/Thriller-Erfahrung erwarte ich von Profis, dass sie Kleidung tragen, die eben nicht auffällig ausbeult.
Und dass er bei Emelie nicht vorsichtig vortastet, sondern ihr ohne Umschweife sagt, dass sie ihre Sachen packen soll, weil er sie nach Hause bringen will. Und dass er sie einfach aus diesem Bordell rausschleppen will, ohne Lage-sondieren, ohne Planung, ohne einen Gedanken daran, dass die Zuhälter ihn sicher nicht einfach mit Emelie da raus spazieren lassen.

Zu diesem Punkt:
Fällt Ihnen nichts anderes ein?«
»Doch. Aber das wird teuer.«
=> Ich hätte da 'ne Lösung, auch teuer, aber sehr diskret. Emelie den Zuhältern abkaufen. Ganz simpel.

So, wie gesagt: meine Meinung. Was du daraus machst, oder auch nicht, bleibt dir überlassen.

Grüße,
Chris

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Chris,

vielen Dank für die Mühe, die Du Dir gemacht hast, den Text nochmal zu lesen. Ich weiß das sehr zu schätzen.

=> Ich will alles! Ein spannender Plot reicht mir ebensowenig wie gut gezeichnete Charaktere. Ich bin da irre anspruchsvoll. Aber, wie immer, wie alles: das ist ja nur meine Einzelmeinung.

Anspruchsvoll ist schön und gut. Ich würde ja auch nicht gern hören wollen, dass mir jemand schreibt: Deine Geschichte ist toll, aber ich bin auch ein sehr anspruchsloser Leser.

Du kannst natürlich im Theater eine Tragödie sehen und hinterher sagen: Wo war da die Comedy? Ich will alles! Aber ich frage mich, wie sinnvoll das ist. Um es allgemeiner zu formulieren: Ich versuche einen Text innerhalb des Rahmens zu erfassen, den er sich selbst setzt. Wenn ich in einem Märchen nach Science Fiction suche und in einem Western nach Zivilisationskritik, dann werde ich damit nur selten Glück haben.

Ich stimme Dir zu, dass man die gesamte Ereigniskette aus Emelies Sicht darstellen könnte und sicher auch eine spannende Story (beispielsweise ein Sozialdrama) damit bauen könnte. Und auf diese Weise ließen sich bestimmte Fragen (Emelies Beweggründe, ihre Innensicht betreffend) besser beantworten. Aber das wäre dann eben für den Leser schade, der gern sehen möchte, wie Stammer zu Werke geht und den Fall löst und was ihm dabei passiert. Mit anderen Worten, ich verstehe das Qualitätskriterium nicht, auf das Du Dich beziehst. Weshalb ist Emelies Geschichte "besser" als die von Stammer?

Die Motivation von Emelie (Rache) wird deutlicher. => Okay, das mag nur mir so gehen, aber wenn sie da so sagt: "Du, Vater, hast mich missbraucht, nun bin ich offiziell eine Hure, bätsch!", das kann ich als Motivation nicht nachvollziehen. Klingt wie die Reaktion einer beleidigten Fünfjährigen, nicht nach einem Plan.

Zunächst einmal sagt sie es ja nicht so zu ihrem Vater, sondern diese Bemerkung hast Du dem Dialog mit Stammer entnommen. Würde sie mit ihrem Vater Klartext sprechen oder sich einem Therapeuten öffnen, dann wären auch ihre Formulierungen anders, die Begründungen konkreter, ihre Verletzungen und die Gedanken dazu plausibler.

Der Text überlässt es dem Leser sich auszumalen, ob das in Gänze ein Motiv sein könnte. Du sagst, das siehst Du nicht. Okay. Damit muss ich leben.

Zur Rache gäbe es so viele andere Möglichkeiten. Und wenn schon diese Möglichkeit: Hure in Prag, was ist denn das für eine Rache, wenn keiner weiß, dass sie 'ne Hure ist? Da müsste sie zumindest die BILD-Zeitung anrufen, damit der Vater wirklich leidet.

Na, der Vater weiß zumindest, was sie ihm angekündigt und gedroht hat. Und wenn man bedenkt, was sich zwischen den Beiden abgespielt hat, gibt es durchaus Anlass, diese Drohung für real zu halten. Ich stimme Dir aber zu, dass das eine Gelegenheit wäre, den Konflikt noch besser darzustellen: Emelie könnte ihren Vater auch aus Prag angerufen haben. Darüber werde ich mal nachdenken. Das ist ein interessanter Punkt.

=> Du hast dir 'ne Menge Gedanken gemacht, das sehe ich an deinen Antworten auf die Kommentare, aber was du da im Text stehen hast, ist mir viel, viel zu verknappt, als dass ich es nachvollziehen könnte.

Meine Hoffnung war, die für den Plot entscheidenden Punkte der Ereigniskette zu zeigen. Es ist immer heikel, wenn man Erklärungen weglässt. Die entstehenden Lücken wird ein Teil der Leser im Sinne der Story deuten, ein anderer Teil wird vollständige Aufklärung erwarten. Ich muss da noch das Feintuning für finden, wie viele Infos es braucht, um die Reflexionen beim Leser zu bewirken, die das Ganze hinreichend erklären.

Ich hatte das Problem auch bei meiner Tauchergeschichte. Ich finde es schwer, bei der Darstellung komplexer Ereignisverläufe sicher zu stellen, dass alle möglichen Fragen, die man sich so zum Plot stellen könnte, auch eindeutig beantwortet werden. An diesem Punkt werde ich weiter arbeiten, vielen Dank, dass Du mir das noch einmal ins Bewusstsein gerufen hast.

=> Mein Vorschlag, um auch Emelies Sicht im Text (für meine Ansprüche) befriedigend darzustellen, wäre, die Geschichte nicht vollkommen aus Stammers Perspektive zu erzählen, sondern die Perspektive später zu wechseln. (Es mag einige Leute hier im Forum überraschen, aber die Welt geht nicht unter, wenn man die Perspektive wechselt.)

In der Tat. Das würde Dich (vielleicht) befriedigen, aber sicher bei einer Menge anderer Leser Stirnrunzeln hervorrufen. Davon abgesehen verliere ich dann den Blickwinkel von Stammer, um den es mir ja primär ging. Und es gibt noch einen weiteren Punkt, den ich nicht unterschlagen möchte: Ich traue es mir einfach nicht zu, authentische Reflexionen aus den Augen eines sechzehnjährigen Mädchens im Detail darzustellen, das von ihrem Vater systematisch missbraucht wurde. Es ist eine Sache, Motivationen zu erfassen und das Verhalten eines Menschen zu zeigen. Eine ganz andere ist es aber, eine realistische Innensicht zu schildern. Ich kann mich in Stammer weitaus besser hineinversetzen, weil mir seine Perspektive aus verschiedenen Gründen vertrauter ist.

Beste Grüße
Achillus

 

Hallo Achillus,

das Präfix lies mich auch deine Geschichte lesen, obwohl Spannung nicht zu meinen Leserubriken gehört.

Souverän erzählst du die Story, nimmst den Leser an die Hand. Da ich grade davor einen sehr unstrukturierten Text gelesen habe, genoss ich das um so mehr. Die Geschichte wirkt "wie am Schnürchen" geschrieben, dadurch ist sie für mich auch schon fast wieder zu glatt.

Die Szene, als Stammer Emelie einfach so aus dem Puff mitnehmen will, fand ich auch recht naiv. Das war doch klar, dass die da nicht einfach mittrottet.

Spätestens auf der Rückfahrt mit Emelie hätte ich gerne etwas mehr Menschelndes gespürt. Emelie war nur ein Kotzbrocken, Stammer nahm sie auch schwer von der Seite mit der Frage nach dem Handy.
Da war kein wirklicher Versuch einer Annäherung (also nicht Anmache). Emelie hätte doch damit rausrücken können, dass ihr Vater das Übel ist, zumal diese ganze Aktion eh schon sehr fragwürdig von ihr war, wenn man das neutral betrachtet. Also ich meine, dass sie in den Puff geht und nicht einfach nur zu irgendwelchen Punks auf die Straße. Da muss es doch bei jedem normaldenkenden Menschen klingeln.

»Ich wollte, dass sie kapieren, dass ihre Tochter jetzt offiziell eine Hure ist.
Der Satz ist so eindeutig, da muss doch jeder gleich wissen, was Sache ist. :hmm:
An der Stelle hätte ich als Autor Stammer weiterbohren lassen, damit da mehr Tiefe in die Szene kommt.

Vielleicht erwarte ich auch zuviel von einer KG mit dem Stichwort Spannung, ich bin da nicht so firm.

Jedenfalls habe ich das wirklich gerne gelesen und mir war kein Satz zuviel. Saubere Arbeit, inhaltlich ist das ja Geschmackssache.

Liebe Grüße
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Bernadette,

vielen Dank für das Lesen und Kommentieren der Geschichte. (Ich finde es toll, dass Du Dich durch die ganzen Challenge-Texte ackerst. Ich wollte das anfangs auch, aber ich komme nicht mehr hinterher.)

Souverän erzählst du die Story, nimmst den Leser an die Hand. Da ich grade davor einen sehr unstrukturierten Text gelesen habe, genoss ich das um so mehr. Die Geschichte wirkt "wie am Schnürchen" geschrieben, dadurch ist sie für mich auch schon fast wieder zu glatt.

Dass dieser Eindruck entstehen kann, verstehe ich. Am Anfang gab es nur die Idee, das Dilemma des Helfens zu beleuchten. Ich habe mich schon vor vielen Jahren mit einer philosophischen Ansicht (des ursprünglichen Buddhismus) auseinandergesetzt, nach der es grundsätzlich unmöglich ist, anderen Menschen zu helfen. Dieses Thema reizt mich immer mal wieder.

In dieser Gangstergeschichte habe ich versucht, einen Plot um diese philosophische Idee zu bauen. Das hat vielleicht zur Folge, dass der Leser die Schiene ahnt, auf der das Ganze von A nach B nach C rollt.

Die Szene, als Stammer Emelie einfach so aus dem Puff mitnehmen will, fand ich auch recht naiv. Das war doch klar, dass die da nicht einfach mittrottet.

Ja, an dem Punkt werde ich vielleicht noch mal ansetzen und da ein bisschen Feinschliff reinbringen. Ich hatte mir ursprünglich vorgestellt, dass Stammer plant, mit Emelie durch die Hintertür zu verschwinden und von ihrem Wutausbruch überrascht wird.

Spätestens auf der Rückfahrt mit Emelie hätte ich gerne etwas mehr Menschelndes gespürt. Emelie war nur ein Kotzbrocken, Stammer nahm sie auch schwer von der Seite mit der Frage nach dem Handy. Da war kein wirklicher Versuch einer Annäherung (also nicht Anmache). Emelie hätte doch damit rausrücken können, dass ihr Vater das Übel ist, zumal diese ganze Aktion eh schon sehr fragwürdig von ihr war, wenn man das neutral betrachtet.

Guter Punkt. Daran habe ich auch gearbeitet. Ich hatte ein bisschen im Sinn, noch eine andere Seite von Emelie zu zeigen, etwas, dass sie noch sympathischer und offener macht. Einige Varianten musste ich verwerfen. Das war dann wieder zu lieb und nett. Außerdem passte es nicht zu Emelies Verbitterung und auch nicht zum Plot, denn wenn Stammer zu diesem Zeitpunkt die volle Wahrheit herausbekommen hätte, dann hätte er Emelie wohl nicht bei ihrem Vater abgesetzt.

Also ich meine, dass sie in den Puff geht und nicht einfach nur zu irgendwelchen Punks auf die Straße. Da muss es doch bei jedem normaldenkenden Menschen klingeln.

Ich hatte mir vorgestellt, dass Stammer Emelies Verhalten als Provokation begreift. Ihm war klar, dass da zu Hause einiges falsch läuft. Aber was genau, das konnte er kaum mit Sicherheit sagen. Man muss auch im Hinterkopf behalten, dass Stammer kein Sozialarbeiter ist.

»Ich wollte, dass sie kapieren, dass ihre Tochter jetzt offiziell eine Hure ist.
Der Satz ist so eindeutig, da muss doch jeder gleich wissen, was Sache ist.

Mittlerweile habe ich den Text so oft gelesen und auch so viel daran gearbeitet, dass ich da jede Objektivität verloren habe und nicht mehr einschätzen kann, wieviel der Leser ahnt. Als ich Emelie in der vorigen Fassung sagen ließ »Ich wollte, dass sie kapieren, dass ihre Tochter jetzt eine Hure ist«, gab es Rückmeldungen, die sagten, dass es unklar wäre, was da läuft. Du sagst jetzt, es sei zu offensichtlich. Intuitiv würde ich Dir zustimmen, aber wie gesagt, als Autor ist es sehr schwer, den Eindruck des Lesers abzuschätzen.

Vielleicht erwarte ich auch zuviel von einer KG mit dem Stichwort Spannung, ich bin da nicht so firm.

Zu dieser Bemerkung habe ich mir Gedanken gemacht, die im Grunde ein bisschen wiederholen, was mir auch beim Lesen der Kommentare von Jimmy und Chris durch den Kopf ging: Jede Kritik ist mir willkommen, das ist keine Frage. Es hilft ungemein, zu erfahren, wo ein Leser Schwächen im Text sieht.

Aber: Ich lese seit drei Jahren recht aufmerksam in der Rubrik Spannung, weil das auch mein persönliches Lesegenre ist. Ich habe im Forum schon wirklich gute (für meine Begriffe) Krimis, Thriller und Gangstergeschichten gelesen. Aber wenn ich dann Kommentare lese, was man alles besser machen kann oder eigentlich besser machen müsste, frage ich mich, wo denn hier die Gangster- und Thrillergeschichten sind, die das alles haben (komplexer Plot, detailliert gezeichnete Charaktere, einwandfreie Plausibilität und Logik der Ereignisse und Motivationen, authentische Dialoge, innovative Sprache, nervenzerreißende Spannung). Ich meine, wird dann in so einem Kommentar, der einen Text als misslungen betrachtet, mit irgendeinem Ideal verglichen oder gibt es die Geschichten (in diesem Genre), die das alles wunderbar umsetzen, wirklich.

Lange Rede, kurzer Sinn, Bernadette: Gib mir doch bitte ein Beispiel, wo ich sehen kann, wie eine Spannungsgeschichte das realisiert, was Du in dieser Rubrik erwartest.

Jedenfalls habe ich das wirklich gerne gelesen und mir war kein Satz zuviel. Saubere Arbeit, inhaltlich ist das ja Geschmackssache.

Vielen Dank für das Lob und Deine Hinweise, habe mich sehr gefreut, von Dir zu lesen.

Gruß Achillus

 

Hallo Achillus

ich weiß jetzt nicht, ob du noch etwas wesentliches geändert hast, aber ich beschreib mal meinen Eindruck. Trotz der Länge habe ich das Ding runtergelesen. Und ich habe es wirklich gerne und mit Vergnügen gelesen. Das liegt an deinem pointierten Stil, an dem wenig zu meckern ist.

Dennoch hat mich die Geschichte nur mäßig begeistert, weil die Szenerie an all die Krimis, Thriller und tralala erinnert, die sich irgendwo lesen und vergessen lassen. Das Prinzip des Guten, das obsiegt, wenn auch mit einigen Verletzungen. Ich glaube das ist der Grund, warum Krimis so gerne gelesen werden. Am Ende wird eine Gerechtigkeit wiederhergestellt, an der der Verbrecher gerüttelt hat. Nur: ist das so? Das Ganze dann gewürzt mit einem einsamen, desillusionierten Rächer oder Kommissar und einem Verbrechen, bei dem alle politisch korrekten Abscheu empfinden.
Gute Unterhaltung gewiss. Mehr aber nicht. Dabei wäre es interessant zu sehen, wenn das Gute einmal nicht gewänne, wenn die Motive des Verbrechers genauer offengelegt würden, wenn mehr Wert auf die Zeichnung der Figuren gelegt würde. Denn deine Figuren bleiben leider durchgehend schablonenhaft. Warum zum Beispiel kann ich die Handlungsweisen dieses Stemmer schon nach den Eingangssätzen für alle Zukunft einschätzen? Nicht weil du es so treffend beschreibst, sondern weil er eine Schachfigur ist, die nur ganz bestimmte Züge ausführen kann.

Ich schau noch mal in den Text (obwohl das heute gleich der zweite längere Text ist, zu dem ich was schreibe :)

Georg Stammer betrachtete das Foto. Es war verrückt, sich das Mädchen in einem Bordell vorzustellen, aber er hatte diese Geschichte überall in Europa so oft erlebt, dass ihm keine andere Wahl blieb, als den Wahnsinn für Normalität zu halten.
klar: passiert ja millionenfach, sodass es spezialisten zur suche von jungen frauen in bordellen gibt :)

Seit Jahren beobachtete er ihn bei seinen Seiltänzen. Willesch war ein Mann, der nie vergaß, dass ein einziges Wort der Indiskretion seinen beruflichen Aufstieg im Handumdrehen beenden konnte.
das ist gut :)

Stammer warf die Fahrertür zu und strich seinen Mantel glatt. Die Pistole rechts an seiner Hüfte hinterließ eine Beule, die jedem auffallen musste, der genau hinschaute.
gibt's das keine grenzer?

wie ein sechzehnjähriges Mädchen auf die Idee kommen konnte, nach Prag durchzubrennen, um dort anschaffen zu gehen.
frag ich mich auch...

Rebellieren, provozieren. Plötzlich begann er zu ahnen, wo bei diesem Fall der Schwerpunkt lag.
ich kapier's nicht, warum kommt ihm jetzt gerade ne erleuchtung?

»Die Clubkosten betragen einmalig fünfhundert Euro«, sagte er in nahezu akzentfreiem Englisch. Getränke gebe es ab zwanzig Euro, alle andere Vergnügungen seien frei.
läuft das so?

Da gab es etwas, das ihm bereits beim Betrachten ihres Fotos aufgefallen war - die Andeutung eines tief verborgenen Schmerzes, ein Schatten, der sich von innen durch die Fassade jugendlicher Frische und Schönheit fraß. Und eben jenes Gesicht, das die Narben eines unsichtbaren Leidens trug, schaute ihn jetzt mit einer Mischung aus Neugier und Herablassung an.
ist schwierig, aber wie sieht das aus auf dem gesicht? du beschreibst es so, dass es nur auf den ersten moment einleuchtet...

»Wie gesagt, einhundert extra, und für Küssen oder Blasen gibt es noch mal einen Aufschlag.«
dachte alles wäre all-inclusive

»Emelie, ich bin hier, weil mich deine Eltern schicken«, sagte Stammer auf Deutsch und schluckte. »Du wirst jetzt deine Sachen zusammenpacken, und dann bringe ich dich nach Hause.«
ziemlicher zufall, dass er sie sofort findet...

Mit einem trotzigen Grunzen öffnete er das Handschuhfach und entnahm ihm die Pistole. Er wog die Waffe in der Hand. Sollte sich ein anderer darum kümmern. Aber wer?
so: jetzt erwacht der gerechtigkeitssinn oder ist es männlicher stolz?

Trat ein Mann wie Rakast durch die Tür, ging man in Deckung. Und wurde Rakast von zwei Männern wie Redlich und Stammer begleitet, dann war die Sache gelaufen. Rakast, Redlich und Stammer hatten zwanzig Jahre zuvor als Fallschirmjäger in derselben Einheit gedient.
stark :)

»Das stinkt gewaltig«, sagte Stammer. »Der Kerl ist nicht sauber.«
Vor dem Haus der Mühlheims kamen sie mit einem Ruck zum Stehen. Redlich fluchte abermals. Stammer sprang heraus, rannte um den Wagen und riss die Heckklappe auf. Er packte ein Stemmeisen und stürzte los.
wird mir nicht völlig klar, warum er umkehrt, leuchtet es nur im ersten moment ein...

»Ich bringe dich um!«
Er hatte Emelie mit einer Hand an der Kehle gepackt und hieb mit der anderen auf sie ein. Stammer sah, wie das Messer einen funkelnden Bogen beschrieb. Er riss Mühlheim nieder und schlug mit der Faust zu, zweimal, dreimal ...
klar: der vater, der senator, will seine tochter umbringen... ist mir viel zu tragisch zugespitzt...

Über Berlin stand der Himmel wie ein steingrauer Block. Der erste Schnee des Jahres fiel in dicken Flocken. Vor der steil aufragenden Siegessäule bewegten sich zwei dunkle Gestalten über einen Kiesweg des Tiergartens.
sehr schön :)

»Ich brauche keine Pause«, gab Stammer zurück. »Ich bin fertig. Fertig mit diesem Job. Fertig mit Ihnen.«
»Sie sollten nicht vergessen, wie vielen Menschen Sie geholfen haben, Georg.«
verstehe ich nicht: außer, dass er zusammengeschlagen wurde lief es doch gut... und was macht son ein typ danach? russische milliardäre bewachen? ded gloob ick nich...

Zwischen den beiden Männer rieselte der Schnee herab. Vom Großen Stern her waren gedämpfte Verkehrsgeräusche zu hören, und in den kahlen Bäumen über ihnen versammelten sich die Krähen.
schönes schluss-tableau :)

viele Grüße
und frohe Weihnachten
Isegrims

 

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