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Ein neuer Bewohner

Seniors
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03.07.2004
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Anmerkungen zum Text

Ich lebe seit einigen Jahren in einem kleinen Pflegeheim und habe zwei kleine Geschichten aus dem Heim geschrieben: Abschiedsfeier und Rastlos . Bewohner und Pflegekräfte kennen sich und sprechen sich mit Namen an. Die Atmosphäre ist eher familiär und Fremde fallen sofort auf.

Ein neuer Bewohner

Kurz vor der Mittagsmahlzeit betrat ein älterer Herr den Essraum und Schwester Christiane wies ihn auf einen freien Stuhl. Er hatte sich gerade hingesetzt, da krähte Frau Prosel: "Da können Sie sich nicht hinsetzen, das ist der Platz von Frau Walzer."

"Aber Frau Walzer ist doch tot", erwiderte Frau Richard.

"Ganz richtig", warf Schwester Christiane ein. "Herr Lubert ist ein neuer Bewohner und in das Zimmer von Frau Walzer eingezogen."

Dann wandte sich Schwester Christiane an Herrn Lubert: "Von Montag bis Freitag werden zwei Gerichte angeboten. Heute gibt es Currywurst mit Schmorkartoffeln und gelben Bohnensalat oder gefüllte Paprikaschote mit Reis und Tomatensauce."

"Ich hätte gerne die Schmorkartoffeln ohne Wurst."

"Das schmeckt doch nicht, Currysauce ohne Wurst", warf Herr Weber in der gewohnten Lautstärke ein. Niemand reagierte auf den Einwand, nur Frau Prosel fragte: "Was hat er gesagt?"

Die Mahlzeiten verliefen meistens schweigend, aber heute überwog die Neugier. "Kommen Sie aus dem Ort?", wandte sich Frau Richard an Herrn Lubert. "Nein, ich habe in Dreihöfen gewohnt."

"Ach, sind Sie Bauer?", fiel Frau Lohberg ein.

"Ja, ich bin Landwirt. Aber nach meiner Operation kann ich kaum laufen, deshalb führt mein Sohn jetzt den Hof. Und ich lebe nun hier."

"So ein Umbruch im Leben ist nicht einfach. Ich denke, das wissen wir alle." Nicht nur Herr Weber dachte nach seinen Worten an sein früheres Leben.

"Das ist schon schwer", erwiderte Herr Lubert. "Ich muss auf dem Hof nicht mehr arbeiten und das gefällt mir. Aber ich kann auch nicht mehr arbeiten und damit finde ich mich schwer ab."

"Wie alt sind Sie denn", wollte Frau Richard wissen.

"Ich habe letzten Monat meinen neunundsiebzigsten Geburtstag begangen."

"Als Arbeitnehmer wären Sie längst in Rente und die Umstellung wäre nicht so heftig. Aber schwierig ist es dann auch", erinnerte sich Herr Weber. "Ich bin jetzt fünfundachtzig Jahre alt und ganz zufrieden hier im Haus. Aber min Gärtchen vermisse ich immer noch."

"Der kleckert schon wieder!" Frau Richard wies auf Herrn Gauger. Schwester Christiane ging zu ihm und wandte sich an Frau Richard: "Jeder hat seine Last zu tragen. Sie auch, also versuchen Sie, ihre Mitbewohner so zu nehmen, wie sie sind."

Inzwischen hatte die Köchin das Essen an alle ausgeteilt und Frau Richard stand auf, um zu gehen.

"Es gibt noch Nachtisch", wandte sich die Auszubildende Anja an sie.

Da Frau Richard nicht reagierte, antwortete Schwester Christiane: "Frau Richard isst keinen Nachtisch."

Dreißig Minutenspäter hatten alle Bewohner ihre Mahlzeit beendet. Einige suchten ihre Zimmer auf, andere den Aufenthaltsraum. Bis zum Kaffee war jetzt Mittagspause. Frau Kleen ging mit ihrem Rollator an den in einer Reihe sitzenden Bewohnern vorbei, blieb dann aber vor Herrn Lubert stehen: "An der Tür ist das Wochenprogramm angeheftet. Es gibt jeden Tag Angebote."

Herr Lubert ging zu dem Aushang und sah ihn sorgfältig durch. Nach dem Kaffeetrinken fand er sich zum Gedächtnistraining ein, das heute angeboten wurde.

Zehn Bewohner saßen im Kreis um Schwester Ulrike. Herr Lubert setzte sich auf einen freien Stuhl und schon ging es los: "Wir spielen Wortkette. Ich sage ein zusammengesetztes Wort und Sie bilden mit dem letzten Teil ein neues Wort. Ich werfe dann den Ball und wer den Ball fängt, darf seine Lösung sagen. Los geht es mit Tierarzt."

Frau Lohberg hüpfte auf ihrem Stuhl auf und ab, aber der Ball landete bei Frau Richard: "Arztpraxis."

"Das ist ein schweres Wort. Wer weiß etwas?" Schwester Ulrike wiegte den Ball in ihrer Hand und als sich Herr Weber meldete, warf sie ihm gezielt den Ball zu: "Praxisklinik", warf Herr Weber in den Raum. "Das gibt's doch gar nicht", erwiderte Frau Richard. "Doch", sagte Herr Weber", ich war im letzten Jahr in der Praxisklinik Baden-Baden."

Schwester Ulrike warf den Ball, der bei Herrn Gauger landete: "Klinikbett", war sein Wort. Das Spiel nahm Fahrt auf: "Bettwanze", "Wanzenjäger", "Jägermeister". Alle schmunzelten, war doch allgemein bekannt, dass Frau Prosel gerne Jägermeister trank.

Nach einer Viertelstunde ließ die Aufmerksamkeit der Mitspieler nach und Schwester Ulrike schlug vor, vor der nächsten Spielrunde ein Lied zu singen. Alle machten mit, in ihren Tonlagen und mit den Noten, die sie im Kopf hatten.

"Und jetzt spielen wir Sprichwörterquiz, wir fangen an mit "Auge um Auge."

Schwester Ulrike warf den Ball und Her Lubert fing ihn: "Zahn um Zahn."

"Sehr gut. Und nun der frühe Vogel."

Frau Prosel fing den Ball: "ist immer müde." Alle lachten, war doch bekannt, dass Frau Prosel morgens schwer aus dem Bett kam.

Diesmal fing Frau Lohberg, die es kaum auf ihrem Stuhl hielt, den Ball: "fängt den Wurm."

"Richtig. Und was sagt man anstatt "Alles in Ordnung"?

Schweigen. Dann hob Herr Weber zögernd seine Hand. "Weiß es noch jemand?"

Frau Leisenstein meldete sich und bekam den Ball zugeworfen: "Alles in Butter."

"Sehr gut. Und als letztes Sprichwort "Alte Liebe".

Der Ball landete bei Herrn Gauger: "rostet nicht."

"Danke fürs Mitmachen. Morgen Nachmittag gibt es Brettspiele im Aufenthaltsraum."

Einige blieben sitzen, andere standen auf und gingen fort. Herr Lubert schaute auf seine Uhr: "Noch zwei Stunden bis zum Abendbrot. Was kann man hier denn gegen die Langeweile unternehmen?" Es kam keine Antwort, da niemand ihm zugehört hatte. Also muss ich alleine etwas gegen das Herumsitzen unternehmen, dachte er. Er ging an den hier sitzenden Bewohnern vorbei und stellte leicht erschrocken fest, dass sie alle nur da saßen und in die Luft schauten. Ihm graute vor dem Nichtstun. Dann fiel sein Blick auf das Bücherregal im Aufenthaltsraum. Früher hatte er das Bauernblatt gelesen, das wöchentlich kam. Aber er hatte zuviel zu tun, um Zeit zum Lesen zu haben. Das war jetzt anders. und so griff er wahllos nach einem Buch, setzte sich in einen Sessel und begann zu lesen. Als es Zeit für das Abendessen war, merkte er, dass ihn das Buch in eine andere Welt entführt hatte. Und es hatte ihm gefallen. Die Zukunft sah nicht mehr so düster aus und mit einem Lächeln setzte er sich an den Esstisch.

 

Hallo @jobär

Danke für den Einblick in den Alltag im Pflegeheim. Gut gelungen finde ich, wie du einige Schrullen und Angewohnheiten der Bewohner ganz beiläufig darstellst. Das hat durchaus etwas Komisches. Allerdings fällt insgesamt bei deiner Skizze nichts aus dem Rahmen, nichts bis auf die Ankunft des Neuen, der aber ohne größere Ruckeleien rasch in den Ablauf integriert wird. Nur die leise Frage am Ende lässt ahnen, dass es noch ein weiter Weg ist, bis Herr Lubert wirklich ankommt.

Das müsste die Kurzgeschichte meiner Meinung nach besser thematisieren. Warum nicht den Fokus mehr auf Herrn Lubert legen, vielleicht aus seiner Perspektive erzählen? Dann hättest du einen richtigen Protagonisten. Jetzt huscht er leider nur wie ein Schatten durch die Geschichte.

Hier noch Kleinigkeiten:

Das Essen wurde ausgeteilt
Überflüssiges Passiv. Eine Pflegerin (Schwester Anja?) teilte das Essen aus.
"Es gibt noch Nachtisch", wandte sich Anja an sie.
Wer ist Anja? Sicher auch eine Schwester
Nach dreißig Minuten hatten alle Bewohner ihre Mahlzeit beendet.
Wenn der Letzte das Essen erst bekam, als die Erste schon aufstand, kann das doch nicht stimmen, oder der Letzte hat das Essen inhaliert.
Herr Lubert ging zu dem Aushang und sah den Aushang sorgfältig durch.
Und sah ihn …, damit sich das Wort nicht doppelt.
Nach dem Kaffeetrinken kam er dann zum Gedächtnistraining,
„Fand er sich zum Gedächtnistraining ein“, fände ich besser als dieses unelegante „kam er dann“
Ich sage ein zusammengesetztes Wort und sie bilden mit dem letzten Teil ein neues Wort. I
Sie
Frau Lohberg hüpfte auf ihrem Stuhl, aber
Da fehlt doch was: "auf und ab" vielleicht.
"Richtig. und was sagt man anstatt "Alles in Ordnung"?
Und
Was kann man hier denn gegen die Langeweile unternehmen?
„ … ?„, fragte er. Da er ja offenbar laut spricht

Grüße
Sturek

 

Im Gegensatz zur Geschichte davor, ist hier ein Ziel klarer zu erkennen. Ich mag die Figuren, aber ich glaube, da sind zu viele auf einmal ohne feste Bindung. Ich weiß nur, wie sie heißen und zum Teil, wie sie klingen. Das Gesagte könnte aber auch außergewöhnlich sein in der Situation. Nur kann ich das nicht wissen.

Vielleicht schadet es nicht, eine Person wenigstens etwas stärker zu beleuchten. Man braucht ja keine detaillierten Aussagen, aber z.B. die emotionale Beschaffenheit - warum reagiert x gerade so? Oder zum Pflegehintergrund, Aufenthalt im Heim - warum und wie kam x dorthin? Auch das Aussehen und ungefähre Alter könnte etwas erzählen.

Es hängt natürlich von der jeweiligen Geschichte ab, ob es Sinn macht.

 

Hallo @jobär,

Textarbeit bleibt für mich nicht viel, @Sturek hat schon einiges angemerkt.

Frau Kleen ging mit ihrem Rollator an den aufgereihten Bewohnern vorbei
Da ist mir nicht klar, warum sie "aufgereiht" sind.


Und nun der frühe Vogel."

... wird vom späten Wurm verarscht ... ist es nicht so ?;)

Die Alltagssituation der Heimbewohner hast du gut vermittelt, dieses sich ständig um die kleinen alltäglichen Dinge drehen, die kleinen Kabbeleien. Ein wenig schimmert auch Humor aus deinen Zeilen, ohne sich über die Menschen zu belustigen.
Der in der neuen Situation etwas verlorene Herr Lubert bleibt recht blass, dieses gewissermaßen von außen festgestellte

Da hatte er dann wohl einiges zu tun
wirkt, als ob der Text aufhört, bevor man erfährt, wie der Herr sich fühlt.

Gern gelesen,

Woltochinon

 
Zuletzt bearbeitet:

@Sturek, Woltochinon und XVIII,

ich habe jetzt Herrn Lubert stärker eingeführt und ich hoffe, dass die kleine Geschichte jetzt interessanter ist.

Jobär

 

Hi @jobär,

diese Geschichten laufen auf einer anderen Ebene, als die meisten hier, da komme ich mit der normalen Textkritik nicht so ganz dran, das passt irgendwie nicht so. Und zwar nicht unbedingt, weil ich fürchte, dass ich dir da zu nahe trete, das Gefühl nimmst du mir ja alleine schon dadurch, dass du die Texte hier einstellst. Eher finde ich, dass diese Texte auch etwas verlieren, wenn man das holzschnittartige, dass da, finde ich drinsteckt, glattbügelt. In dieser relativ einfachen, aber ja totzdem bewusst ausgearbeiteten Sprache bilden sich die Texte in gewisser Weise selbst ab, wenn man das so sagen kann, und das finde ich reizvoll.

Ganz ohne Kritik ist aber langweilig, deswegen sag ich doch mal, dass die verschiedenen Redeverben (warf ein, erwiderte, wandte sich an usw.) schon irgendwie nicht verbergen können, dass du hier variieren willst, um nicht immer "sagen" sagen zu müssen. Das ist erst mal nicht kritikwürdig, schliepßlich gehört das ja bei der Texttgestaltung ganz vorne mit dazu, dass man sich verschiedene Wörter überlegt und nicht immer dasselbe benutzt. Nur schimmert hier eben, finde ich, ein bisschen die Not durch: Es gibt einen großen Dialoganteil mit vielen unterschiedlichen Teilnehmern, da kann man die knappe Erklärung, wer gerade spricht, nicht weglassen, und eine eigene Erzählmotivation hat es aber oft auch nicht, dass nun gerade erwidert, eingeworfen usw. wird. (Um am Gegensatz zu zeigen was ich meine: Dass Frau Prosel kräht, das ist wiederum schon sehr deutlich durch die Handlung motiviert, würde ich sagen.)

Nun ja, ich hab keine Lösung für das Problem, wenn es eins ist, deswegen ist es auch kein Vorschlag, sondern nur eine Mitteilung, wenn ich sage, dass ich mir über weite Strecken die dramatische Form gut vortellen könnte, also in etwa so:

Lohberg: Ach, sind Sie Bauer?
Lubert: Ja, ich bin Landwirt. Aber nach meiner Operation kann ich kaum laufen, deshalb führt mein Sohn jetzt den Hof. Und ich lebe nun hier.
Weber: So ein Umbruch im Leben ist nicht einfach. Ich denke, das wissen wir alle.
Lubert: Das ist schon schwer. Ich muss auf dem Hof nicht mehr arbeiten und das gefällt mir. Aber ich kann auch nicht mehr arbeiten und damit finde ich mich schwer ab.

Nur, ganz klar, das würde eben auch nicht durchgehen paasen.

Gut, also, was ich eigentlich sagen wollte: Ich mag diese Texte.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

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