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Ein kleiner Lichtstrahl

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12.06.2011
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Ein kleiner Lichtstrahl

Dunkelheit.

Schwärze.

Nichts.

Sie konnte nichts sehen. Sie wusste, dass sie an einer Straßenkreuzung stand, konnte die Autos hören, den Smog riechen, den Kaugummi in ihrem Mund schmecken und Lorenzo an seinem Geschirr ziehen spüren. An der Art, aus welcher Richtung der Autolärm kam, konnte sie erkennen, dass ihre Ampel auf grün geschalten hatte – Lorenzo zog sie sicher über die Straße.
All ihre Sinne waren vollständig ausgeprägt, um einiges stärker als früher. Alle bis auf einen. Seit ein paar Jahren, seit ihrem Unfall, konnte Nanette nichts sehen. Sie war blind.
Lorenzo war ihr treuer Begleiter. Gleich nach ihrem Unfall hatte Nanette sich auf die Suche nach einem Blindenhund gemacht. Sie hatte nicht auf die Ärzte gehört, die ihr gesagt hatten, dass ihr Augenlicht durchaus wiederkehren könnte, dass sie hoffen musste. Sie hoffte nicht. Sie wusste dass sie nie wieder sehen können würde. Nanette hatte resigniert, so wie alle in ihrer Familie. Jeder hatte anders reagiert.
„Das ist doch nicht weiter schlimm. Hauptsache du lebst!“ Ihre Mutter.
„Wird also Zeit, dass du dir einen Mann suchst, der auf dich aufpasst!“ Ihre Großmutter.
„Ich mag dich trotzdem.“ Ihr Bruder.
„Du magst doch Fernsehen sowieso nicht.“ Ihr damals achtjähriger Neffe.
Doch egal, wie sehr betont wurde, dass es nicht weiter schlimm war, dass sie ein fast normales Leben führen konnte – Nanette wusste, dass sie seitdem mit anderen Augen betrachtet wurde. Sie konnte hören, wie über sie besorgt getuschelt wurde, wenn niemand wusste, dass sie zuhörte. Und sie wusste ganz genau, dass ihre Eltern die Möbel in ihrer Wohnung immer an die Wände rückten, wenn Nanette zu Besuch kam, aus Angst, sie könnte darüber stolpern.
Nanette war es gleich. Sie hatte sich gewissermaßen aufgegeben. Sie ging mit Lorenzo durch die Straßen und wusste, dass jeder sofort auswich, wenn er die gelbe Armbinde mit den drei schwarzen Punkten sah. Es war ihr nur recht.
Bis zu dem Tag, als jemand nicht sofort ihre Armbinde bemerkte und sie schnurstracks anrempelte.

Sie war gerade auf dem Weg zum Supermarkt, Lorenzo an der Leine. Gemeinsam gingen sie über die Straße, durch einen Park und einen Weg entlang, der direkt zum Supermarkt führte. Nanette erinnerte sich genau an diesen Weg, wie er aussah, die vielen kleinen Gassen, die ihn kreuzten. Und aus einer dieser Gassen kam ein Mann, passte nicht gut auf und lief genau in sie hinein.
„Oh, Entschuldigung!“, sagte er. Er hatte eine angenehme Stimme. „Ich habe Sie nicht gesehen.“
„Kein Problem, ich…“, Nanette überlegte, was sie sagen sollte. Es war ihr noch nie passiert, dass jemand sie anrempelte, denn die meisten machten einen weiten Weg um sie. „Lorenzo hätte besser aufpassen müssen.“
„Das ist wohl wahr“, Er lachte leise. Nanette gefiel sein Lachen. Es erinnerte sie ein wenig an ihren Onkel, der viel zu früh gestorben war.
Lorenzo bellte und versuchte, seine Besitzerin weiterzuziehen. „Ist schon in Ordnung, Lorenzo“, meinte Nanette. „Ich vergesse schon nicht, dass ich zum Supermarkt muss.“
„Kann ich Sie vielleicht begleiten?“, fragte der Mann, und Nanette hörte eine gewisse Hoffnung in seiner Stimme. Sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte – durch ihre Blindheit hatte sie schon lang keinen Kontakt mehr mit Männern gehabt, die nicht mit ihr verwandt waren.
„Ich weiß nicht einmal, wie Sie heißen“, sagte sie verlegen.
„Ach, natürlich“, Er lachte noch einmal. „Wo bleiben nur meine Manieren? Ich heiße Elias.“
„Nanette“, antwortete sie, und streckte ihre Hand unsicher aus. Elias nahm sie und hielt sie kurz, sicher und sanft.
„Ich könnte Sie natürlich auch auf einen Kaffee einladen, wenn Sie möchten“, meinte Elias.
„Ich…“, Nanettes Stimme verlor sich. Eigentlich wollte sie ihm sagen, dass sie nicht konnte, dass sie blind war und Angst hatte. Angst vor Männern, Menschen, Angst vor allem. Sie wollte ihm raten, eine andere Frau einzuladen, eine die ihn sehen konnte und nicht mit einem Blindenhund zum Supermarkt gehen musste. Doch dann fragte sie sich: wieso eigentlich? Elias schien freundlich. Lorenzo war bei ihr. Es war helllichter Tag: Was sollte denn passieren?
„Ja, das würde mich freuen.“
„Ich kenne da ein sehr nettes Café am Ende der Straße“, Elias nahm erneut ihre Hand, und Nanette ließ sich bereitwillig von ihm führen. Lorenzo trottete gehorsam neben ihr.
Nanette wusste, welches Café Elias meinte. Sie war früher sehr gern dorthin gegangen – doch seit sie nicht mehr sehen konnte, war sie immer seltener ausgegangen und hatte sich zuhause eingesperrt. Sie war froh, doch wieder einmal den guten Latte Macchiato mit Karamellgeschmack trinken zu können.
Sie ging in Schweigen, als sie plötzlich etwas bemerkte. Sie blieb verwirrt stehen. War es eine Täuschung gewesen?
„Alles in Ordnung?“, fragte Elias besorgt.
„Ja, ich dachte nur, ich hätte…“, Beinahe hätte Nanette ihren Satz mit „etwas gesehen“ beendet. Doch es war nicht möglich. Sie war blind. Sie hatte seit drei Jahren nichts mehr gesehen.
Da war es wieder. Diesmal war Nanette sich sicher.
Ein winzig kleiner, aber nicht zu übersehender Lichtstrahl in einem Meer aus Schwärze.
Ein kleines Gefühl der Glückseligkeit breitete sich in Nanettes Herz aus. Es wurde immer größer, schwoll an und Nanette spürte sich selbst lächeln. Ungezwungen und frei. Zum ersten Mal seit drei Jahren.
Zur Glückseligkeit gesellte sich ein weiteres Gefühl, eines das sie schon lange nicht mehr gespürt hatte.

Hoffnung.

 

Hallo Lithiriel,

Dunkelheit.

Schwärze.

Nichts.

Sie konnte nichts sehen. Sie wusste, dass sie an einer Straßenkreuzung stand, konnte die Autos hören, den Smog riechen, den Kaugummi in ihrem Mund schmecken und Lorenzo an seinem Geschirr ziehen spüren. An der Art, aus welcher Richtung der Autolärm kam, konnte sie erkennen, dass ihre Ampel auf grün geschalten hatte – Lorenzo zog sie sicher über die Straße.

Ich überlege, ob du nicht einfach mit "Sie wusste ..." anfangen könntest. Das davor wird durch ihr Verhalten mitgetragen und durch die folgende Erläuterung.

„Das ist doch nicht weiter schlimm. Hauptsache du lebst!“ Ihre Mutter.
„Wird also Zeit, dass du dir einen Mann suchst, der auf dich aufpasst!“ Ihre Großmutter.
„Ich mag dich trotzdem.“ Ihr Bruder.
„Du magst doch Fernsehen sowieso nicht.“ Ihr damals achtjähriger Neffe.
Ich habe selbst keine Erfahrung mit Blinden in meiner Bekanntschaft, aber das klingt für mich schon sehr unsensibel. Entweder wird die Verletzung bagatelisiert oder es wird als etwas besonderes herausgestellt, dass man noch zu ihr hält. Nur die Äußerung des Neffen finde ich gut, es ist schließlich ein Kind.
Ich wäre hier fürs streichen. Auch, wenn du die Hilflosigkeit der Familie der Behinderung gegenüber zeigen willst, finde ich die an die Wand gerückten Möbel viel stärker.

Sie konnte hören, wie über sie besorgt getuschelt wurde, wenn niemand wusste, dass sie zuhörte.
Hier wäre mir ein Beispiel lieber als diese allgemeine Aussage - vielleicht wie darüber beraten wird wie ihre Mobilität gesichert werden soll - hinter ihrem Rücken, ohne sie einzubeziehen etc.

Und aus einer dieser Gassen kam ein Mann, passte nicht gut auf und lief genau in sie hinein.
Hier greift der Erzähler vor - sie kann es ja nicht gleich wissen - oder doch, hört man sowas? Ich weiß es wirklich nicht. Falls nicht, solltest du das, meiner Meinung nach, anders lösen. Vielleicht anhand seiner Stimme?

Es erinnerte sie ein wenig an ihren Onkel, der viel zu früh gestorben war.
Das ist so eine zusätzliche Information, die eigentlich keine ist. Hier wäre es, denke ich besser, statt den frühen Tod ein anderes Detail des Onkels zu nennen. Seinen Vollbart vielleicht oder wie er ihr Geschichten vorließt etc.

Eigentlich wollte sie ihm sagen, dass sie nicht konnte, dass sie blind war und Angst hatte. Angst vor Männern, Menschen, Angst vor allem. Sie wollte ihm raten, eine andere Frau einzuladen, eine die ihn sehen konnte und nicht mit einem Blindenhund zum Supermarkt gehen musste. Doch dann fragte sie sich: wieso eigentlich? Elias schien freundlich. Lorenzo war bei ihr. Es war helllichter Tag: Was sollte denn passieren?
Das ist die Kernstelle der Geschichte. Ihre Unsicherheit und Angst, weil sie sich unterlegen und hilflos fühlt. Sie hat noch nicht gelernt mit der Behinderung umzugehen. Der Anfang vor der Begegnung behandelt zwar auch ihre Schwierigkeiten mit der Blindheit, aber es fehlt häufig an Leben. Vielleicht solltest du nur diese Szene mit dem Mann nehmen. Das wäre denke ich stärker, da alle Probleme hier an einer lebendigen Szene zutage treten. Zur Vorbereitung, ihre Unsicherheit sollte ja nicht aus dem Nichts kommen, könntest du einfach den vorangegangenen Fussweg beschreiben. Wie sie die Leute um sich hört, die Autos; Schwierigkeiten hat sich zu orientieren etc.

Noch was zu Anfang:
Du beginnst mit einer Szene, um dann Rückschau zu betreiben, aber du kommst nicht auf den Ausgang zurück - jedenfalls sehe ich die Verbindung nicht (klar könnte ein Teil ihres Weges zum Supermarkt sein, aber das wird nicht klar).

Und dann das Ende: Ne, das ist zu dick. Nicht nur, dass sie ihre Unsicherheit überwindet, sie soll auch noch geheilt sein - oder es ist der Anfang. Bleib doch beim ersteren. Das ist stark genug für ein positives Ende und eigentlich viel berührender, denn mit diesem Zusatz wird ihr ganzer Konflikt aufgelöst.


Insgesamt eine Geschichte ohne echte Schnitzer und mit einem schwierigen und wichtigen Thema, die, meiner Meinung nach, noch gewinnen könnte, würde der Fokus verengt werden.

Gruß,
Kew

 

Hallo Lithiriel!


Sie war gerade auf dem Weg zum Supermarkt, Lorenzo an der Leine. Gemeinsam gingen sie über die Straße, durch einen Park und einen Weg entlang, der direkt zum Supermarkt führte.
Merkst du was?
Lorenzo an seinem Geschirr ziehen
Sag doch einfach Leine, ich wusste nämlich beim Einstieg nicht, dass Lorenzo ein Hund ist, und habe echt erstmal innegehalten, und mich gefragt, ob der an ner Tischdecke zieht und das Geschirr runterziehen will. Ja, das war auch dämlich von mir, aber... na ja.

Man soll Namen ja nicht kritisieren, und wirklich, jeder verbindet was andres damit. Aber Elias, Nannette und Lorenzo ... klingt wirklich billig.

Ein winzig kleiner, aber nicht zu übersehender Lichtstrahl in einem Meer aus Schwärze.
Ich denke kaum, dass es so aussieht, wenn man nach Blindheit sein Augenlicht zurückbekommt. Lichtstrahlen brechen da sicher nicht wie durch nen Vorhang. Ich denke, das Bild wird langsam schärfer und stufenweise heller.
Egal. Wahrscheinlich bin ich einfach nicht die Zielgruppe für so einen Text. Kenn mich da nicht aus, klingt aber ein wenig nach solchen "Romantik-Frauenromanen" irgendwelcher Autorinnen aus den USA die neben Haushalt und Kindern Selbstverwirklichung im Kurs für kreatives Schreiben realisieren wollen.
Hat mir nicht gefallen, dieser Kitsch. Die Sprache wirkt reproduziert. Hat man drauf, wenn man zehn solcher Bücher gelesen hat.
Ich entdecke da auch nichts Inidviduelles drin. Vielleicht sollten sich Autoren nicht zu weit von ihrem Geschriebenen distanzieren. Man macht schnell nach, was einem irgendwie vorgesetzt wird, und das ist eigentlich schade.
Bis dann: Timo

 

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