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Ein kleiner Holzwurm

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15.07.2001
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Ein kleiner Holzwurm

Es war einmal ein kleiner Holzwurm. Er war ganz schrumpelig , weil er immer soviel nachdachte. Sein Gesicht sah fast aus, wie eine Rosine. Mitten im Sommer, während die anderen Insekten in der Sonne spielten, hockte er im Schatten eines aufgestellten Eichenblattes und grübelte: „Wann wohl der Winter anfängt? Ob er dieses Jahr früher einbricht?“ Bei diesem Gedanken wuchs eine dicke Sorgenfalte quer über seine Stirn. „Was mach' ich dann, wenn es ganz plötzlich zu schneien beginnt, und ich noch keinen Bau gegraben habe? Das wäre ja ganz fürchterlich. Ich würde vor Kälte blau werden und bitterlich erfrieren.“ Vor seinem inneren Auge sah er sich starr wie ein Birnenstiel im Schnee liegen.
Trotz der Hitze fröstelte ihm auf einmal. Winzige Angstpusteln sprenkelten seinen Holzwurmkörper. „Ich muß unbedingt vorsorgen. Am besten fange ich sofort an, mir eine Höhle zu graben und Vorräte anzulegen.“ So schnell es ihm sein faltiger, mit Pusteln besessener Leib erlaubte, richtete er sich auf, und machte sich an die Arbeit. Zuerst mußte sich der kleine Holzwurm einen Baum suchen. Dick und kräftig mußte er sein, damit er jedem Schneesturm standhielt. Viel Bäume gab es nicht, die den Anforderungen des kleinen Holzwurms entsprachen. Endlich, nach Stunden voll panikhafter Suche, stieß er auf eine geeignete Behausung. Die lästigen Borckenkäfer waren schnell vertrieben, dann konnte er mir dem Bohren beginnen. Fieberhaft fraßen sich seine spitzen Zähne durch die Rinde. Ohne Unterlaß trieben sie immer tiefer in das Holz hinein.
„Kommst du mit zum Schneckenrennen? Heute tritt roter Schleimbolzen gegen Weichtierblitz an. Das wird sicher spannend“, fragte der Nachbarchslurch. „Ich kann nicht, du siehst doch, daß ich arbeite“, nuschelte der
kleine Holzwurm. Er hatte lauter Sägespäne im Mund, weswegen er nicht richtig sprechen konnte. „Was arbeitest du denn?“, wollte der Nachbarslurch wissen. Er war ein wenig neugierig. „Ich bohre mein Winterloch“, antwortete der kleine Holzwurm. Sein Stimme wurde mürrisch, weil er lieber in Ruhe weitergegraben hätte. Doch der Nachbarslurch wurde noch neugieriger: „Warum beginnst du mitten im Frühling mit dem Winterbau?“ „Man kann nie vorsichtig genug sein. Wenn dieses Jahr der Winter früher kommt, dann bin ich auf alle Fälle gewappnet“, sprach der kleine Holzwurm und wandte sich seinem Loch zu. Jetzt war er wirklich ungeduldig. Der Nachbarslurch ging ihm auf die Nerven. Jener zuckte mit den Achseln und krabbelte von dannen. Der kleine Holzwurm schaufelte weiter. Angestrengter als zuvor. Plötzlich kam die stinkende Schmeißfliege vorbeigesummt: „Hallo kleiner Holzwurm“, sagte sie, „ich habe gerade einen neuen Schweinestall entdeckt. Hast du Lust mich zu begleiten und ein bißchen Sauerei zu machen?“ Der kleine Holzwurm, der sonst gerne Sauerei machte, schüttelte den Kopf: „Nein, ich muß arbeiten.“ Die Schmeißfliege wunderte sich, weil sie auch wußte, wie gerne der kleine Holzwurm Sauerei machte. Nomalerweise war er der Obersauereimacher. Sie kratzte sich unter der Achsel. Dort juckte noch der Dreck von der letzten Sauerei. Als sie merkte, daß der kleine Holzwurm sich nicht überreden lassen würde, zuckelte sie davon. Der kleine Holzwurm scharrte eifrig weiter. Rasanter als er es je getan hatte. Er mußte die Zeit reinholen, die er durch das Gespräch mit der stinkenden Schmeißfliege verloren hatte.
Nach einer Weile kam die lustige Heuschrecke angehopst. Sie war grüner als sonst, weil sie unreife Himbeeren gegessen hatte und ihr davon übel geworden war. „Na kleiner Holzwurm, wie wär‘s mit einer Runde planschen“, zirpte die lustige Heuschrecke, „Dort drüben wurde eine Dose Limonade verschüttet.“ Der kleine Holzwurm atmete ungeduldig ein und aus. „Nein, nein und nochmals nein! Laßt mich alle in Ruhe. Habt ihr gehört: in Ruhe! Ich muß arbeiten!“, schimpfte er. Weil er so laut schimpfte, machte die lustige Heuschrecke einen Hüpfer. Sie hatte davor schon andauernd Hüpfer getan. Sie hatte Schluckauf, wegen den unreifen Himbeeren, die in ihrem Magen durcheinanderpurzelten. Verdattert hoppelte sie um die nächste Ecke. Jetzt war die lustige Heuschrecke nicht mehr so lustig. Eher beleidigt. Warum war der kleine Holzwurm derart unfreundlich gewesen? Sie verstand die Welt nicht mehr.
Als die schusselige Blindschleiche vorbeikroch, und ihn fragte, ob er mit ihr „Ich sehe was, was du nicht siehst“ spielen wollte, grunzte dieser nur noch: „Geh weg. Laß mich allein.“
Hektisch scharrte der kleine Holzwurm weiter. Wie ein Berserker schuftete er Tag und Nacht. In der Umgebung sprach sich herum, daß er von keinem gestört werden wolle. Bald wußte es jede Ameise, Kellerassel, Milbe, jeder Pillendreher, Kartoffelkäfer und was da noch vor sich hinkreuchte. Niemand wagte es, ihn anzusprechen. Irgendwann vergaßen sie den kleinen Holzwurm. Sie vergnügten sich ohne ihn. Das war ihm nur recht. Endlich konnte er sich vollkommen auf seinen Winterbau konzentrieren. Schon lange hatte er kein Tageslicht mehr gesehen. So weit hatte er sich in den dunklen Stamm gebissen. Die Sonne ging auf und wieder unter, ohne daß er davon Notiz nahm. Bohrstaub und Sägemehl waren das einzige, was in seinem Kopf schwirrten. Die Raupen feierten den ersten heruntergefallenen Apfel - der kleine Holzwurm bohrte, die Erdkröten maßen sich im Kastanienbocca - der kleine Holzwurm bohrte, die Bienen betranken sich an Erntedank mit Met - der kleine Holzwurm bohrte, bohrte und bohrte.
Eines Tages, unterbrach ihn etwas in seinem eintönigem Werken. Etwas war anders als sonst. Fahles Licht erhellte auf einmal den finsteren Gang. Doch der kleine Holzwurm bemerkte es nicht. Verbohrt wie er war, schaufelte er weiter. Das Licht um ihn herum wurde klarer, verdrängte allmählich die Dunkelheit und plötzlich stach gleißender Sonnenschein in seine verkniffenen Äuglein. Bevor der kleine Holzwurm Gelegenheit hatte, sich zu wundern, fiel er auch schon den Baum hinab. Verdutzt kratzte er sich am Kopf. Der kleine Holzwurm war auf einem Schneeglöckchen gelandet.

 

Hallöchen!

Also ich fand diese Geschichte von Dir mal wieder richtig schön, wobei ich die Pointe leider nicht so ganz verstanden habe... :( Außerdem glaube ich, das ist eher ein "Märchen" als etwas "Philosphisches" - aber das ist ja ohnehin immer Ansichtsache... *gg* :rolleyes:
Auf jeden Fall; nette Geschichte und gut erzählt!!!

Griasle
stephy

 

:( Nach dem Lesen stellt sich sofort die Frage "armer oder glücklicher Holzwurm?", oder aber das unglücksame streben nach Anerkennung. Aber was würde diesem Wurm diese Bewunderung einbringen, wenn er keine Bewunderer mehr hatte?

<IMG SRC="smilies/cwm15.gif" border="0"> Die Geschichte klingt für mich nicht ganz schlüssig. Es wird beschrieben das er immer so viel nachdachte. Aber, was führt dazu das er sich so sehr in einen "wortwörtlichen" Gedankengang verschanzt? Wenn er so nachdenklich ist, dann stellt sich doch sehr bald die Frage warum er nicht an die belangen und sozialen Kontakte dachte. Nun, vielleicht tat er dies, aber dann sollte es kurz erwähnt werden. Es mag auch sein, das er sich des Nachdenkens entledigte und sich seines letzten Gedankes zu sicher war. Die Geschichte sagt mir auch ein weiteres mal, wie unglücklich Extremen sind.

<IMG SRC="smilies/cwm27.gif" border="0"> Ich denke, in der Philosophie wird ein Gedanke weitergedacht. Das wird er sogar soweit, dass er sich selbst in Frage stellt. Das fehlt dem Wurm zu seinem Unglück.

<IMG SRC="smilies/cwm29.gif" border="0"> Der Schluss scheint mir ziemlich überstürzt (oder abgestürzt ;)), denn ich hatte damit gerechnet das seine Bohrung dazu führt den Weg zur Außenwelt zu verlieren, stattdessen ist er einfach rausgepurzelt. Nun, vielleicht denkt er jetzt wieder nach. Dann wäre es seine Rettung.

<IMG SRC="smilies/znaika.gif" border="0"> Hey stephy, nur weil Tiere die Protagonisten sind gehört das ganze doch noch nicht zu den Märchen. Allerdings scheint am Schluss, wie bei allen Mären, "friede freude eierkuchen zu sein". Ich persönlich meine es ist eine gelungene philosophische Parabel. Nett ist die Geschichte auch nicht, denn wie ich mitbekommen habe hat er seine Freunde nicht gerade damit überschüttet freundlich zu sein. (Nichts für Ungut!)

 

meiomeio, das hätt ich jetzt nicht gedacht... hab ich mich so undeutlich ausgedrückt? am ende fällt er auf ein schneeeeglöckchen. und wachsen die? im früüüüühling. der holzwurm hat sich hingesteigert, sich über ungelegte eier den kopf zerbrochen. dabei vergessen zu leben. die ganze zeit geschufftet, den sommer verpasst, den herbst verpasst, den winter verpasst, das leben verpasst für etwas, das vielleicht passiert, vielleicht auch nicht. carpe diem, irgendwann ist's sowieso zu ende.

 

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