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Thema des Monats Ein Irrlicht für Eleanor

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29.01.2010
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Ein Irrlicht für Eleanor

Es klopfte heftig an der Schlafzimmertür von Pfarrer Helm, bis dieser schlaftrunken öffnete. Draussen stand der Küster im Lichtschein einer Kerze, die er in der Hand hielt. Als der Geistliche das Gesicht seines Gegenübers erblickte, wurde er schlagartig hellwach. Der Teufel persönlich musste dem Küster begegnet sein, derart verstört wirkte der brave Mann. Seine Augen spiegelten flackerndes Entsetzen.
«Das ewige Licht …» Mehr brachte der Küster nicht heraus, vergeblich rang er nach Worten. Einzig stammelnde Laute kamen noch über seine Lippen.
«Was ist mit dem ewigen Licht?» Die tiefe Stimme des Pfarrers hatte einen bedrohlichen Klang. Es war eine der wenigen Situationen, in der er jemals die Haltung verlor: Wenn er Gefahr für die Werte und Güter der Kirche sah. Allgemein sprach er mit gedämpfter Stimme und Milde, sich seines Bassvolumens bewusst, zuweilen auch salbungsvoll, wenn es für einen zeremoniellen Akt angezeigt war.
«Es ist weg!» Die überschlagende Stimme des Küsters bebte im Einklang mit seinem Körper. «Einfach verschwunden.»

Wahrhaftig, in der Nische hinter dem Altar brannte das ewige Licht der antiquierten Öllampe nicht mehr, statt der matt leuchtenden Flamme war es dunkel. Mit zitternden Händen griff der alte Pfarrer nach dem sakralen Gefäss, hielt dieses prüfend hoch, es war reichlich gefüllt. «Unmöglich», hauchte er mit tonloser Stimme, um im nächsten Moment zu grollen: «Wer hat dieses geweihte Objekt geschändet?» Sein Blick irrte umher, als meinte er, gottlose Gestalten ausfindig zu machen. Oder war es Luzifers Werk?, durchfuhr ihn ein panischer Gedanke.

«Die Tür war fest verschlossen, als ich kam», versicherte der Küster.
Sie prüften die Fenster, auch die Hintertüre gab ihrem Rütteln nicht nach. Von innen waren keine Spuren gewaltsamen Eindringens erkennbar und doch musste jemand hier gewesen sein. Gemeinsam umrundeten sie das Gebäude, nach Auffälligem Ausschau haltend. Der Küster mit einem Stock bewaffnet, den er drohend ins Dunkle richtete.
Abrupt blieb der Pfarrer stehen. Der Küster, durch den unerwarteten Halt des Pfarrers an diesen stossend, hätte sie beinah zu Fall gebracht. In der hintersten Ecke des Friedhofs, welcher auf der Rückseite der Kirche angelegt war, schwebte ein kleines Licht. Die Flamme tänzelnd, als ob sie sich zu einer Melodie wiegte. Erst spähten beide furchtsam, es kam ihnen okkult vor. War es doch ein Werk des Teufels? Der Pfarrer sog prüfend die kalte Luft durch die Nase ein, Schwefelgeruch mengte sich darin nicht. Und mehr als das kleine Licht war nicht auszumachen. Vorsichtig näherten sie sich auf Zehenspitzen, es musste das ewige Licht sein, welches ihnen abhandengekommen war. Es schwebte mit schwachem Schein über dem Kreuz eines Kindergrabes. Betroffen und ehrfurchtsvoll schaute der Küster, der anhin von Wundern nur gehört hatte. Vom kleinen Licht ging sonderbarerweise eine Wärme aus, die den Schnee im nahen Umkreis des Grabes schmelzen liess. Der Pfarrer sank auf die Knie, die Hände zum Gebet faltend, der Küster tat es ihm gleich.
Eine böse Vorahnung überkam den Pfarrer, ohne diese klar zuordnen zu können. Dass eine kleine Flamme den Schnee schmelzen liess, konnte kein gutes Zeichen sein. Er kannte das Grab.

Als die immer durchdringendere Kälte ihre Andacht beendete, dämmerte zaghaft der Tag. Schlotternd und mit steifen Gliedern erhoben sie sich mühsam. Ihre Blicke über das Kreuz richtend, traf sie erneut ein Schock. Das ewige Licht war wieder verschwunden.

Tränen liefen dem Küster über die Wangen, als sie den Kirchenraum betraten. Hinter dem Altar brannte geruhsam das ewige Licht. Beide bekreuzigten sich. Was da geschehen war, konnte wahrlich nur ein Wunder sein, davon war der Küster überzeugt.
Noch zitternd vor Kälte trat Pfarrer Helm näher und beäugte misstrauisch das ewige Licht. Es sah unverändert aus, als ob es seinen Platz nie verlassen hätte, nachdem ein geistlicher Vorgänger es vor über einem Jahrhundert aus Rom mitgebracht hatte. Kein Tänzeln der Flamme, wie sie es auf dem Friedhof wahrnahmen, keine Wärme ausstrahlend, wenn man nicht direkt die Hand daran hielt.

*​

Das Fieber hatte den Pfarrer hart im Griff. Der Ausflug nur im Nachthemd hatte seinen Tribut gefordert. Der herbeigeeilte Arzt sorgte sich, da trotz heilender Anwendungen die Temperatur gefährlich stieg. Mit Essigwickeln und heissem Tee bemühte sich der Arzt, unter tatkräftiger Mithilfe der Haushälterin, die Gefahr abzuwenden. Der Pfarrer stand an der Schwelle zum Tod. Dem Arzt war dieser Zustand unerklärlich, war der Patient doch stets von robuster Gesundheit gewesen. Höchstens mal einen Schnupfen vermochte nasskaltes Wetter ihm abzuringen.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde vom Wunder. Der Küster hatte nicht an sich halten können, es umgehend überall zu erzählen. Zu den Leuten vom Dorf gesellten sich alsbald solche aus weiterer Umgebung. Alle wollten es sehen, das ewige Licht in der Kirche. Sie kannten es als Bestandteil des kirchlichen Inventars. Nun erschien es ihnen jedoch in einer andern Perspektive, klar als übersinnliche Erscheinung. Ehrfurchtsvoll drängten sich die Leute im Kirchenraum, staunend, betend und hoffend, es möge ihnen Gutes verheissen.

Das Kindergrab, über dem das ewige Licht als Wunder erschienen war, wurde ebenso umlagert. Einer Prozession gleich bewegten sich die Leute zwischen Kirche und Friedhof.
Das Holzkreuz war von der Witterung morsch, der eingekerbte Name und das Datum kaum mehr erkennbar. Seit Langem hatte sich kein Mensch mehr um dieses Grab gekümmert. Die braune Erde mit verdorrtem Unkraut wirkte fremd in der sonst schneeweissen Umgebung, von der einzig die Kreuze sich dunkel abhoben.

«Es hiess Eleanor», erste Informationen hatte der Küster aus dem Kirchenregister herausgesucht. «Im zarten Alter von acht Jahren wurde es jäh dem Leben entrissen. Es war der 10. Februar 1873, heute genau vor dreissig Jahren. Seine Mutter, eine Witwe, starb bald darauf vor Gram und liegt gleich daneben.» Er deutete auf das nächste Kreuz, dort war der Boden schneebedeckt.

Noch am gleichen Tag begannen die Leute unter Anleitung des Küsters, die Gräber von Eleanor und ihrer Mutter schön herzurichten. Die schlichten Kreuze beabsichtigte man, durch schmiedeeiserne, mit schönen Ornamenten verziert, zu ersetzen.

Aus dem Bischofssitz verlautete, ein Abgesandter werde vorbeikommen und die alten Kirchenannalen einsehen, um die Wahrheitsfindung vorzubereiten. Die Leute begannen bereits zu spekulieren, was es für ihr Dorf bedeutet, wenn es ein Wallfahrtsort würde. Wohlstand brächte es gewiss.

*​

Im Fieberwahn durchlebte der Pfarrer nochmals jenen Abend vor genau dreissig Jahren. Ein Bauer hatte neuen Messwein vorbeigebracht. Verärgert über den geringen Preis, weniger als ursprünglich vereinbart, hatte er die Korbflaschen einfach vor der Tür abgestellt, statt wie üblich, sie im Keller aufzustapeln. Der Küster war an diesem Tag nicht da, einzig die Haushälterin konnte ihm dabei helfen, die Gebinde in den Keller zu schleppen. Eine Heidenarbeit, die nur mit mehreren Unterbrechungen zu bewältigen war. Das Misstrauen gegenüber dem ungehobelten Bauern, dass dieser minderwertige Qualität geliefert haben könnte, liess den Pfarrer von jeder Füllung kosten. Der Alkoholgehalt zeigte ihm eine in den Kopf steigende Wirkung.

«Kostet auch, Mechthilde», sprach er zu seiner Haushälterin angeheitert.
Diese wollte eigentlich baldmöglichst nach Hause, ihr Kind versorgen, wie es sich gehörte. Sie wohnte nicht im Pfarrhaus, sondern in einer kleinen, ärmlichen Wohnung. Dies war bereits ihr Zuhause, bevor sie die Anstellung erhielt. Des Pfarrers Angebot auszuschlagen, vom Wein zu kosten, wäre ihr aber dreist erschienen. Sie war auf die Arbeit und das Einkommen angewiesen. Auch konnte er sehr grantig werden, wenn man ihm widersprach.

Endlich, sie hatten es geschafft, die letzte Korbflasche stand im Kellerraum. Wiederum schenkte der Pfarrer die beiden Becher voll. Er mundete ihm, der Wein. «Der Bauer hatte keine mindere Ware geliefert», bemerkte er fröhlich.
Mechthilde, die sonst nie Alkohol trank, einzig bei feierlichen Anlässen einen obligaten Schluck, spürte eine benebelnde Wirkung aufkommen und schwankte leicht.
Der Pfarrer hielt sie in den Armen, die junge Witwe. Er hatte befürchtet, sie könnte stürzen. Auch wenn er Keuschheit gelobte, ihre Körpernähe erzeugte ihm unerwartet eine Erektion. Er war in besten Mannesjahren, das durch Sublimation Beiseitegeschobene war durchgebrochen. Ihre Brüste hoben und senkten sich ihm spürbar, bei jedem Atemzug, als wollten sie ihn anregen. Ihr Schoss seinem aufgetretenen Drang fühlbar nahe. Zu verlockend das Gefühl, welches ihn beschlich, willkürlich der Gedanke keimend, die junge Witwe habe lange entbehren müssen. Es musste Fügung sein.

Das Schreckliche, was sich in dieser Stunde ereignete, zeigte sich danach. Die Frau, welche mit grosser Verspätung nach Hause kam, fand ihr Kind leblos im Bett vor. Das Abzugsrohr des kärglichen Ofens war undicht geworden, schleichend überraschte Gift das Kind im Schlaf. Der Arzt, welcher durch Nachbarn aufgrund der hysterisch schreienden Mutter gerufen wurde, konnte nur noch den Tod der kleinen Eleanor feststellen.
Fortan war die Mutter tief verstört, ihr Dasein einzig noch traurig und öd, sie selbst nur noch ein Schatten ihrer selbst. In wenigen Monaten wurde sie von ihrem Gram dahingerafft, beständig hatte sie sich selbst Vorwürfe gemacht, nicht rechtzeitig dagewesen zu sein, an jenem Abend.

Der Schock, der den Pfarrer damals ereilte, war überflutend, die Verantwortung für die äusserst massiv eingetretene Gewalt ihm unerträglich. Äusserlich war ihm nichts anzumerken, sein geistliches Amt übte er an jenem Abend in voller Würde aus. Erst in der Nacht, die Schuldgefühle hatten ihn beinah zerbrechen lassen, die innere Zerrissenheit ihm Höllenqualen bereitet. Es war Morgengrauen, bis er die Kirche wieder verlassen konnte. Während Stunden hatte er kniend gebetet, die Seele der kleinen Eleanor begleitend. Der frühe Abend im Weinkeller, und damit auch der Bezug für den Tod von Eleanor, war in seinem Gedächtnis gelöscht. Die Erinnerung, wie er die junge Witwe nötigte, erfolgreich verdrängt.

In seinem Bewusstsein brandete jetzt wieder das Wissen um die Geschehnisse jenes Abends. Minutiös wiederholend spielte es sich ab, als wollte es verhindern, dass es erneut in Vergessenheit geriete. Das Fieber klang ab, doch die schmerzlichen Scham- und Schuldgefühle sassen ihm nun teuflisch im Genick.

Der Arzt hatte ihm zwei Wochen vollkommene Bettruhe verordnet und ihn ermahnt, diese einzuhalten. Er sei nur sehr knapp dem Fegefeuer entronnen, wenn er nicht auf sich achte, sei es schnell wieder entfacht. Was der Pfarrer nicht wissen konnte, der Arzt sprach nur metaphorisch vom Fegefeuer, das hohe Fieber, durch die nächtliche Unvorsichtigkeit ausgelöst, meinend. Auch wenn er im Fieberwahn laut gesprochen hatte, konnten weder der Arzt noch die Haushälterin den Sinn der Wortfetzen verstehen. Es klang zu wirr.

Allein gelassen versuchte der Pfarrer sich im Gebet vertiefend, seiner wiedergekehrten Erinnerung zu entfliehen. Hoffnungslos! Das lang verdrängte Wissen, was er damals vor dreissig Jahren alles verschuldet hatte, war nun wie ein Dämon gegenwärtig. Panik beschlich ihn, er könnte im Fieberdelirium, mit sich selbst ringend, die damaligen Geschehnisse ausgesprochen haben. Der Arzt hatte zwar nichts dergleichen gesagt, oder waren seine Worte eine versteckte Drohung dazu gewesen? An Schlaf war nicht zu denken. Aufzustehen getraute er sich nicht, die Angst vor dem Fegefeuer war ihm zu stark eingefahren. Unruhig wälzte er sich hin und her.

Inzwischen war die Nacht wieder hereingebrochen. Die Kerze war heruntergebrannt und er hatte es verpasst, eine neue anzuzünden. So war es stockdunkel, ohne dass er die ersehnte Ruhe finden konnte. Plötzlich, erst meinte er wieder zu fiebern, erschien ein Licht. Eine kleine Flamme über dem Tisch mit dem Kerzenständer. Sie züngelte frei schwebend, etwas anwachsend, und alsbald tänzelnd wie nach einer Melodie. Das ewige Licht!
Angstschweiss brach dem Pfarrer am ganzen Körper aus. Er hatte gehofft, den Vorfall vom Friedhof einem vorzeitig aufgetretenen Fieberwahn zuschreiben zu können, welcher ihn früher als bemerkt erfasst hätte. Oder einem Phänomen, einer Lichterscheinung, wie man sie zuweilen im Norden Europas beobachtet.
Doch nun erinnerte er sich, der Arzt hatte ihm davon berichtet, dass man aufgrund der Schilderung des Küsters überall von einem Wunder sprach, das sich hier in der Kirche ereignete, zum dreissigsten Todestag von Eleanor. Man mutmasse schon von der Seligkeit des kleinen Mädchens. Rätsle nur noch, weshalb dem so sei? Was dazu geführt habe?
Mit aufgerissenen Augen beobachtete der Pfarrer die Flamme, die in ihrem Reigen sich immer wieder mal aufblähte. Er fühlte die zunehmende Wärme, wie damals am Grab. … Seine Gedanken überschlugen sich. In der Erinnerung suchte er nach theologischen Gleichnissen und Erklärungen, die solche Dinge berichteten. Erfolglos. Das ewige Licht repräsentierte stets die Gegenwart des Herrn. Mit Entsetzen nahm er die ihm aufkommende Erkenntnis wahr: Das ewige Licht hat sich zum Irrlicht für Eleanor gewandelt! Was hat das zu bedeuten? Manifestiert sich Gott mir so, um Busse zu fordern, die ich schändlich unterliess? «Mein Gott hilf mir, befreie mich von meinen Sünden.»

Die Wärme war unerträglich geworden, schweissgebadet warf er die Bettdecke von sich, was die Flamme veranlasste, bedrohlich aufzulodern. Sie hatte nun das Mehrfache ihrer ursprünglichen Grösse, die Hitze verstärkend. Er spürte ihre sengende Wirkung, seine Körperhaare begannen, sich zu kräuseln. Mit einem Satz sprang der Pfarrer aus dem Bett, der Tür entgegen. Die Flamme warf lodernde Streifen nach ihm, die er brennend am Körper spürte. In Panik riss er die Tür auf und rannte hinaus, dicht gefolgt von dem angewachsenen Irrlicht.

Dass er die Tür hinter sich zuschlug, als er in den Kirchenraum stürmte, bot kein Hindernis für die Flamme, sie blieb ihm dicht auf den Fersen. Im Vorbeirennen bemerkte er, dass an der Öllampe hinter dem Altar das ewige Licht wirklich fehlte. Mühsam zog er an der schweren Falltür, welche neben dem Altar angebracht war und deren Treppe darunter in die Krypta führte. Der zufallende Deckel hatte die Flamme vermeintlich aufgehalten, ihn aber noch leicht am Kopf getroffen. Dennoch atmete er erleichtert auf. Blindlings die restlichen Stufen hinabtappend, setzte er sich neben einem der Särge im Raum.
Die Geschehnisse jenes verhängnisvollen Abends waren ihm intensiv gegenwärtig, er hatte schwer gesündigt. Nicht nur an Mechthilde war sein Vergehen, auch für Eleanors Tod, der durch die Abwesenheit der Mutter nicht verhindert wurde, war er verantwortlich. Tränen standen ihm in den Augen, während er die Hände zum Gebet faltete, Gott um Vergebung anrufend.

Die Hitze war unmittelbar da, wie ein Zeichen auf sein Ablassgebet. Er riss die Augen auf, da sah er die tänzelnde Flamme. Wie in einem Ritual schwang sie sich hin und her, in ihrer Grösse wieder anwachsend. «Mein Gott, hilf mir!», schrie er verzweifelt auf. Explosionsartig breitete sich die Flamme in der Krypta aus, ihn erfassend. Während sich sein Körper leidend aufbäumte, sah er mit entsetztem Staunen, dass die Flammen und die Hitze zwar ihn versengten und grausam quälten, dem Inventar in der Krypta jedoch keinen Schaden zufügte. Vor Schmerzen sich jämmerlich windend, wuchs sein Leiden unbeschreiblich an. Nur sein sich wiederholendes Schuldeingeständnis schien zuweilen einen Hauch Milderung zuzulassen, um dann die quälenden Schmerzen nur noch zu verschlimmern. Für ihn war der Zeitpunkt der Gewissheit eingetreten, er war ins Fegefeuer gekommen. Der Arzt hatte ihn ermahnt, aber der konnte ja nicht wissen …

*​

Als der Abgesandte des Bischofs eintraf, suchte man nach dem Pfarrer, der aus seinem Bett verschwunden war. Sie hatten vergeblich auch hinter dem Altar nachgesehen, da, wo das ewige Licht friedlich seinen Schein verbreitete. Mehr der Vollständigkeit halber hob der Küster die Falltür hoch. Ein muffiger Geruch, vielleicht auch leicht schweflig, stieg hoch. Der Küster und der Abgesandte achteten nicht darauf, abgestandene Luft war bei solchen Räumen nicht ungewöhnlich, doch da war aus der Krypta ein Stöhnen zu vernehmen. Als sie mit Kerzen in der Hand hinabstiegen, fanden sie den Pfarrer im Nachthemd auf einem Sarg thronend, verrücktes Zeug vor sich hin wimmernd, sich windend und stöhnend. Er machte einen sehr verwirrten Eindruck. Als sie genau hinhörten, konnten sie seine Worte verstehen: «Das Irrlicht für Eleanor hat mich ins Fegefeuer geschickt.»

Der Abgesandte bekreuzigte sich und sprach ein Gebet. Alsdann bemerkte er: «Pfarrer Helm hat die Prüfung durch Gott, indem er ihm das ewige Licht wandeln liess, nicht verstanden. Es überstieg sein Verständnis, sein Geist verwirrte sich. Anders ist diese Gotteslästerung, das ewige Licht als Irrlicht zu deuten, nicht erklärbar.»

 

Liebe Eva

Ich hatte mir schon Gedanken gemacht – wie öfters, wenn versierte Autorinnen und Autoren über längere Zeit nicht mehr in Erscheinung treten – umso mehr freue ich mich, dass dein Kommentar nun eine Geschichte von mir aufgriff. Ich hoffe, dein Augenleiden hat sich nachhaltig und zufriedenstellend behoben, da eine Einschränkung bei der Wahrnehmung mit den Sinnesorganen sich nicht einfach kompensieren lässt und für Betroffene arg ist.

Zu der kleinen Geschichte um das Irrlicht von Eleanor liess ich mich dadurch verlocken, da die Möglichkeit gegeben war, den "literarischen Geist" eines der klassischen Autoren nochmals aufleben zu lassen. Ob es mir gelingen würde, war ich mir keineswegs sicher, auch spricht solcher Stoff nicht jedermann an. Mit der Resonanz war ich dann aber zufrieden, beinah mehr noch überrascht, da das Genre heute meist eher mit abscheulichen Bildern aufwartet.

und besonders schön, wie der Horror als Teil der Psyche seinen Raum bekommt.

Der Rückgriff auf Formen psychischer Phänomene erlaubte, Rationales kaschiert einzubinden und ein Spiel mit vorgeblich Übernatürlichem zu treiben.

Und dass der Zufall so böse zuschlug

Diese Kumulation war wirklich einer fiesen Fantasie entsprungen. :D

Aber die düstere Moral seiner Zeit und lange Verdrängung tun ihr Werk, das fand ich wunderbar entwickelt.

Das freut mich sehr, dass du unter dieser Prämisse an der Geschichte Gefallen finden konntest.

Ich danke dir herzlich für das Lesen und das kommentieren. Deine Hervorhebungen las ich mit Schmunzeln.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Salü Anakreon,

spät finde ich zu deiner Geschichte, die mir, obwohl sie in Horror platziert ist, sehr gut gefällt. (In Seltsam hätte ich sie wohl eher gefunden. Horror ist nicht so mein Tummelplatz :) ) Der Pfarrer tat mir zu Beginn überhaupt nicht leid. Typisch dachte ich, sündhaft teure Bauten hinstellen, aber dem Bauern den gerechten Lohn für den Wein verweigern. Das allein ist schon eine Sünde. Aber dann tat er mir echt ein bisschen leid: da prüft er nur die Qualität des Messweins und schon regt sich all das, was doch einfach längst vom Glauben eingeebnet sein sollte und schon nimmt das Unglück seinen Lauf. Dabei ist Pfarrer Helm ja nun wirklich bis heute kein Einzelfall … Du hast ihn schwer an die Kandare genommen, den armen Kerl. Im realen Leben kommen all die anderen Missetäter, die sich ein bisschen mit ihren Haushälterinnen und Messdienerchen vergnügen, besser weg. Ein grosses Thema!
Noch etwas Kleinkram:
im Titel und hier schreibst du:

«Es hiess Eleanor»,
im Folgenden nennst du sie:
Das ewige Licht hat sich zum Irrlicht für Eleanore gewandelt!
und:
die Seele der kleinen Eleanore
In wenigen Monaten wurde sie von ihrer Gram dahingerafft,
von ihrem Gram, denn der Gram ist männlich und das soll er bitte auch bleiben :D

Lieben Gruss,
Gisanne

 

Salü Gisanne

Dass das Irrlicht Dich in die Rubrik Horror zu locken vermochte, war mir eine angenehme Überraschung. Ich freute mich umso mehr, da diese Geschichte Dein Wohlgefallen fand. Es ist eines der wenigen Stücke, dessen Inhalt mir nicht einfach in Gedanken zugeflogen war und nach Umsetzung drängte. Meine diesbezügliche Bequemlichkeit überwindend suchte ein Quäntchen Ehrgeiz nach fiktiven Spuren von jenem Geist, der diese Zeit beseelte.
Dass die Rubrik auch abzuschrecken vermag, verstehe ich. Es ist schon so, dass nicht jede Fiktion die hier auftritt nur auf ein wohliges Schaudern aus ist.

Tja, die doppelbödige Moral in eine Soutane gekleidet ändert sich wohl nie, doch würde sie es, wären die kleinen Geschichten welche sich um sie ranken lassen, endgültig Vergangenheit. Natürlich gibt es auch in andern Kreisen so kleine Bosheiten, die sich zur Unterhaltung anbieten. In der Fiktion lässt sich dies dann ja schön auskosten.

«Es hiess Eleanor»,

Ich hätte schwören können, dass ich diesen Namen sorgfältig einsetzte, und wollte mich schon mit nachträglichen Änderungen herausreden. Doch ein Blick in die erste Version des Manuskripts zeigte, dieser dämonische Fehler hatte unter Mithilfe meiner Einfalt frühzeitig Einzug gehalten.

In wenigen Monaten wurde sie von ihrer Gram dahingerafft,

von ihrem Gram, denn der Gram ist männlich und das soll er bitte auch bleiben :D

Dabei wollte ich - zwar unbewusst - der Gleichstellung in der Sprache Vorschub leisten. Diesen Bärendienst nehme ich natürlich grämlich zurück und sperre ihn wieder in den Käfig des Maskulinen. Ich erkenne, mein Weg zur Vervollkommnung ist noch steinig, was weiterhin unangestrengt meine Demut einfordert. :pah:

Ich danke dir herzlich für deinen Kommentar, der sich trefflich in der Aktualität zu spiegeln wusste, die positive Bewertung sowie die sorgfältige Lesung, welche dem Stück nun noch einen Hauch an Vollendung verleiht.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

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