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Thema des Monats Ein Freund ist jemand, für den man sorgt

Seniors
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01.06.2005
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Ein Freund ist jemand, für den man sorgt

Als Marion noch ein Kind war, hatte sie einen Hund. Einen echten, keinen von Wilcon. Sie nannte ihn Mickey.
Ihr Vater kam oft tagelang nicht nach Hause, deshalb legte sich ihre Mutter irgendwann in die Badewanne und kam nicht mehr heraus.
Marion hatte genug zu essen in der Wohnung, getaute Pizza schmeckte zwar beschissen, aber alles war besser, als vor die Tür zu gehen. Nur für Mickey war nicht genug da, deshalb biss er nach einer Woche ein Stück aus Mutters Arm, der aus der Wanne hing.
Als ihr Vater am Wochenende wiederkam erschlug er Mickey mit einem Klavierhocker.

Fisch schwimmt. Adler fliegt. Wilcon denkt.
(Werbeslogan der Wilcon International Think Friends)

Sie entschloss sich schließlich, sich für einen der Jobs bei Wilcon zu bewerben. Zwar hatte sie genug, um sich Essen zu kaufen, aber gerade in letzter Zeit konnte sie etwas mehr Geld immer brauchen.
»Sie haben eine halbe Stunde Zeit, den Test auszufüllen. Dort oben an der Wand sehen Sie eine Uhr, für diejenigen, die die Zeit lesen können. Für die anderen werde ich alle zehn Minuten eine Durchsage machen, und dann noch mal fünf Minuten vor Schluss.
Bitte betrachten Sie die Bilder genau und kreuzen Sie jeweils an, welches nicht in die Reihe passt.
Und nun« - die Personalangestellte schlug die Hände zusammen, als gelte es, die Bewerber aufzuwecken - »viel Glück!«
Marion nahm den Filzstift zur Hand und versuchte, die Kappe zu entfernen. Sie brauchte einen Moment, bis sie begriff, dass es sich um einen Drehverschluss handelte.
Schaß!, dachte sie. Zeit vaschwendet.
Sie stierte auf die erste Bildreihe: Ein Bus, ein Auto, ein Kind, ein Lastwagen.
Was passte nicht?
Da Kind fahrt mit da Bus. Nich mit da Auto: Zu klein. Nich mit da Lastwagen, is ja kein Schwein. Bus passt nich. Aba fährt da Auto mit da Lastwagen?
Ihre Gedanken schweiften ab, und die Bildreihe verschwamm vor ihren Augen. Sie begann, einen Rahmen um das Bild des Kindes zu zeichnen, dann malte sie eine Blume auf den Lastwagen.
Bessa so!
Warum wollte sie eigentlich die Arbeit hier? Sie bekam doch Geld, um sich Essen zu kaufen. Und ihre Dachwohnung war schön, auch wenn es neuerdings etwas hereinregnete.
Ein erneutes Klatschen ließ sie zusammenzucken. Sie hatte sich mit dem Filzstift einen schwarzen Kasten auf den Handrücken gemalt.
»Wenn Sie jetzt bitte nicht mehr schreiben würden?« Die Personalangestellte lief in ihrem grauen Kostüm durch die Reihen und sammelte Bögen ein.
Die andern ham bessa gemacht. Sicha.
Marion sah sich die Gesichter an. Alte Gesichter, auch die ganz jungen. Papierkleidung, wie ihre. Sehr schön und bunt, und nicht so teuer.
Als die Angestellte Marions Bogen aufnahm, zögerte sie kurz und schüttelte den Kopf. Dann trat sie noch einmal vor die Arbeitssuchenden.
»Wir werten die Tests aus und melden uns dann bei Ihnen. Vorerst, vielen Dank für Ihr Kommen!«
Marion war schon aus dem Zimmer gelaufen. Sie musste nach Hause, sich um Mickey kümmern.

»Direktor Gabeler! Darf ich Ihnen meine Frau vorstellen? Ja, das ist Doktor Gabeler, er ist der Personaldirektor bei Wilcon.«
»Freut mich sehr.«
»Mich auch. Sie entschuldigen mich sicher? Ich muss noch zu einer Pressekonferenz ... das Wohnprojekt.«
»Oh, Sie meinen, mit diesen Arbeitslosen, die Sie auf dem alten Werksgelände wohnen lassen?«
»Ja, genau. Sie sind gut informiert, meine Liebe!«
»Ich war bis letztes Jahr im Rathaus beschäftigt. Amt für Soziales, Sie wissen schon. Die Schmarotzer.«
»Hähä! Wir hatten letzte Woche einen Test, weil wir dachten, wenn die schon bei uns wohnen, können sie ja vielleicht einfache Arbeiten erledigen, Müll wegräumen und so. Sie werden's nicht glauben, was dabei ... oh! Ich muss los!«
»Jaha, die Pflicht ruft. Schönen Tag noch!«

Sie fuhr mit der U-Bahn zurück. Am Bahnsteig herrschte das übliche Gedränge. Meist Leute in Papierkleidung: Teenager, Arbeitslose. Zwei Jugendliche in ballonartigen roten Jacken. Sie starrten sie an.
Marion griff in ihre Jackentasche und umfasste den Taser.
Dann dröhnte die Bahn wie Godzilla aus dem Tunnel.
Die Plexiglasscheiben, die den Bahnsteig vom Gleis trennten gingen erst auf, als der Zug stand. Sofort drängten die Leute zu den Türen als gäbe es dort Arbeit oder Freibier. Gleichzeitig quollen andere Menschen aus der Bahn heraus.
Eine Frau trat einem Mann in einem langen Mantel in den Bauch, weil er nicht schnell genug auswich. Er krümmte sich.
Selba schuld, dachte Marion.
Sie quetschte sich an der Trennwand entlang in den Wagen, dabei rammte sie einen der Teenager mit der Ballonjacke.
»Eyo Schlampe!«, zischte der. »Passo auf!«
Sie achtete nicht auf ihn und drängelte sich vorbei. Ein Schlag traf sie zwischen den Schulterblättern. Marion taumelte vorwärts und schlug sich die Lippe an einer Haltestange auf.
Inzwischen waren die meisten Leute in der Bahn. Die Türen schlossen sich und zerschnitten das Band der nachströmenden Passagiere. Einer sprang hoch und verpasste der Bahn eine Art Ving-Chun-Tritt.
Der Zug fuhr los.
Manche Leute hatten einen Sitzplatz erwischt, zum Beispiel eine junge Mutter, die ein Kleinkind mit der linken Hand auf dem Schoß festhielt. Ihre Rechte umklammerte etwas Schweres in der Manteltasche, während ihr Blick umherzuckte.
Knarre, dachte Marion. Sie schwamm durch die Menge auf die Ballon-Boys zu.
»Hey«, sagte sie. Der erste hatte sich kaum umgedreht, da hatte sie ihm schon eine Ladung aus dem Taser verpasst. Er klappte zusammen wie von Gummibändern gezogen. Der zweite zog ein Messer, ließ es aber sofort fallen, als Marion ihm 20 000 Volt in den Arm jagte.
Außer dem Wimmern des zweiten Boys und dem Schleifen der Bahn war nichts zu hören. Die Leute sahen in andere Richtungen, betrachteten die defekten Werbe-LCDs.
Die Mutter saß mit aufgerissenen Augen da und hielt eine Pistole in der Hand.
Marion ging zu ihrem Platz zurück. Für den Rest der Fahrt dachte sie darüber nach, welches Bild nicht in die Reihe passte: Bus, Kind, Lastwagen oder ... was war das letzte?

Explosion in Wilcon-Labors!
Fünf Schwerverletzte! Was ist passiert? Firmensprecher: »Eine Treibstoffverpuffung.«
Werkschutz durchsuchen Stadtteil am Firmengelände. Was ist der Zusammenhang?
Anwohner: »Sie hatten große Knarren!«
Klick hier für mehr Details!

Sie öffnete die Tür, indem sie ihren Daumen auf das Schloss drückte. Am Rand hatte sich eine gelbliche Schicht abgesetzt: Fett und Schweiß der Vorbewohner.
Eklich!
Die Wohnung stank feucht, was nicht verwunderlich war, weil ein Loch im Dach klaffte. Das Loch, durch das Mickey gefallen war.
»Hallo! Bin wida da!«, rief sie.
Sie ging in die Küche und nahm einen Beutel Kunstmilch aus dem Kühlschrank. Mickey mochte das Zeug. Mit den Zähnen biss sie die Plastikhülle auf und betrat das Wohnzimmer. Da lag Mickey, wie immer. Er konnte ja nicht weg.
Während sie ihm die Milch in die Öffnung goss, die sie für seinen Mund hielt, wunderte sie sich wieder, wie komisch Mickey aussah. Anders als die Leute. Auch kein Hund.
Was weißich, dachte sie.
Mickey war eine Art Würfel, so groß wie der Couchtisch, aber eindeutig ein Lebewesen, als hätte man versucht, eine quadratische Kartoffel zu züchten. Er atmete und hatte einen Mund an der Oberseite. An einer Seite hatte jemand eine Art Steckdose eingebaut, aber sie war etwas zerschmolzen von seinem Fall durchs Dach. Außerdem passte kein Stecker: Sie hatte am ersten Morgen alle ausprobiert, sogar den von der elektrischen Zahnbürste.
Jetzt grunzte er.
»Das schmecktier, ne? Is gut.« Sie tätschelte seine ledrige Seite. »Mein Freund.«
Den leeren Milchbeutel warf sie in eine Ecke, in der schon ein Haufen Plastikmüll lag. Dann ließ sie sich auf die Knie nieder und tastete unter dem Sofa nach der abgesägten Schrotflinte, die sie gestern hinter der Arbeitsagentur gekauft hatte.
Wenn der Werkschutz kamen, um ihr Mickey wegzunehmen, war sie bereit.

 

Hallo Naut,

tolle Geschichte! Menschen in einer Gesellschaft, der jeder Zusammenhalt fehlt - dieses Thema wird langsam zu einer Spezialität von Dir. Sehr schön fand ich Marions Sprache und Gedanken. Garnicht so einfach, so zu schreiben, nich?

Am Ende beschäftigt mich noch, was um alles in der Welt Mickey sein könnte. :)

"Men in Black" ist in meiner Vorstellung zu sehr mit dem Film verbunden und klingt zu amerikanisch.

Das wars fürs erste :)

Fritz

 

Seas Naut!

Als ich deine Geschichte las sind gleich ein paar Fragen aufgegkommen:
1. Wieso ist Marion so dumm? Die Bildfolge ist doch wirklich leicht.
2. Was ist bei dem Psychotest so besonderes herausgekommen?
3. Welcher Spezies gehört Mikey an?
4. Ist er vielleicht der Grund warum Marion so dumm ist?
5. Wieso agieren die "Men in Black" in der Öffentlichkeit?

Das geistert jetzt so durch meinen Kopf. Die Geschichte selbst ist - wie üblich - gut geschrieben. Ähnlich wie Berg halte ich die "Men in Black" für zu abgedroschen. Das wär aber auch schon der einzige Kritikpunkt.

CU
Thomas

 

Hallo Berg,

schön, dass es Dir gefallen hat. Marions Sprache & Gedanken so zu schreiben ist sehr leicht: Ich musste nur aufschreiben, wie ich im Alltag rede und es dabei ein wenig übertreiben, ne?
Zu Deiner Frage sage ich unten etwas.

Hi Thomas,

auch Dir erstmal vielen Dank für's Lesen & Gutfinden. Zu den Fragen:

1. Marion ist gar nicht so dumm. Sie hat eine Menge drauf, wie man in verschiedenen Situationen sieht, bloß ist sie einerseits in einem ziemlich kaputten Umfeld aufgewachsen, und kann daher andererseits die Anforderungen die entfernte Teile der Gesellschaft an sie Stellen (Eignungstest) nicht erfüllen, weil sie nichts mit ihrem Alltag zu tun haben.

2. "Marion ist dumm." Wie Psychotests so sind, ist das eine grobe Vereinfachung.

3. Lies die Einsprengsel noch mal. Falls es Dir (Euch) nicht klar wird, muss ich wohl noch mehr Hinweise einbauen.

4. Nö.

5. Wg. der "Men in Black" habe ich lange mit mir gerungen. Der Punkt ist, dass "Men in Black" eine urban Legend waren, lange bevor die Filme (oder die Comics) erschienen. Allgemein sind damit dubiose "Agenten" in schwarz gemeint, die auftauchen, um irgendwelche Dinge - meist das Auftauchen Außerirdischer - zu vertuschen. Hier handelt es sich allerdings eher um den Werksschutz von Wilcon - dass die im Zeitungsartikel als "MiB" bezeichnet werden ist mehr dem Niveau des Blattes geschuldet. (Auch ein Punkt, der eigentlich deutlicher werden sollte.)

Ach ja: Das ist zum TdM Juni: "Das Artefakt".

Danke & Grüße,
Naut

 

Hi Naut!

Ich habe gerade geflucht, weil ich in einer meiner Stories auch einen lebenden (allerdings schwarzen ;) ) Kasten benutzen wollte. Hab ich wohl jetzt Pech gehabt. :D

Okay, zur Geschichte:

Eigentlich ja ein ziemlich typisches Cyberpunk-Szenario (der fette Konzern sorgt für eine extreme Klassengesellschaft), meiner Meinung nach aber trotzdem originell umgesetzt. Marions Gedankenwelt hat mir ebenfalls sehr gut gefallen, wobei die Leute ja, wie man an den "News" sieht, von ihm auch künstlich "dummgehalten" werden. (Es ist ja ein Gesellschaftsproblem, ansonsten würde die Dame nicht die Zeit ansagen für Leute, die die Uhr nicht lesen können.)
Bei den Men in Black hatte ich natürlich auch die Assoziation zum Film, aber es wäre andererseits auch schade, wenn man sich von allem, was Hollywood zufälligerweise schonmal angepackt hat, künstlich fernhielte.

Insgesamt eine wirklich nette Geschichte!

Viele Grüße,
Seaman

 

Warum die Personalabteilung einen Intelligenztest mit Leuten macht, die Müll abtransportieren sollen, ist mir schleierhaft.
Das ganze ist mir auch etwas zu abgehackt, es wird zu unvermittelt hierhin und dorthin geblendet.
Der Anfang ist klobig, weil er in Vorvergangenheit daherkommt. Um die ganzen "gehabt hatte" zu vermeiden, hast Du fast überall Imperfekt genommen. Ich mag sowas nicht, obwohl es fast jeder macht. Zu Plusquamperfekt fällt mir immer dasselbe eine Wort ein: Vermeiden :D

Ansonsten mag ich aber das düstere Zukunftsbild, in dem das Artefakt eher eine Nebenrolle spielt.

Fazit: nett gemacht, gut zu lesen, aber etwas konfus zusammengestöpselt.

Uwe
:cool:

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Seaman,

der fette Konzern sorgt für eine extreme Klassengesellschaft
Kann man so sehen, ich dachte aber eher daran:
Es ist ja ein Gesellschaftsproblem
Der Konzern ist ja sehr nett, indem er seine Firmengebäude sogar als Sozialwohnungen zur Verfügung stellt. Das ist aber eine Huhn-Ei-Frage: Ist die Gesellschaft so, weil die Konzerne so sind, oder umgekehrt? (Antwort: Beides. Rückgekoppelter Regelkreis.)

Mach Dir wegen des "lebenden Kastens" mal keine Sorgen, ich hab ihn mir nicht patentieren lassen. ;)

EDIT:
Hi Uwe,

Fazit: nett gemacht, gut zu lesen, aber etwas konfus zusammengestöpselt.
Sagt Dr. Konfusius persönlich :D Mein Vorbild ist da John Brunner, aber es soll ja Leute geben, die den auch nicht mögen.
Zum PQPerfekt: Das ist doch nur der erste Satz, um die Rückblende einzuleiten! Das macht doch jeder so. (Ups, hast Du ja geschrieben. ;) )

Besten Dank,
Naut

 

Hey Naut,

hat mir mal wieder gut gefallen!
ungewohnt düster, so kam es mir vor. der anfang ist schon übel.
die welt die du beschreibst weckt unbehagen, die durch marions sprache gut unterstützt wird, denn in die richtung wird es bildungsmäßig wohl gehen. auch die bewaffnung scheint vor diesem hintergrund nicht unrealistisch.

schönes teil, wobei das artefakt an sich, für mich eher eine untergeordnete rolle spielt.

so long
le Bolderson

 

Hey Krill,

krilliam Bolderson schrieb:
ungewohnt düster, so kam es mir vor. der anfang ist schon übel.
Ja, und das übelste ist, dass so etwas tatsächlich schon heute ab und zu passiert. Das ist ja nicht mal SF.
wobei das artefakt an sich, für mich eher eine untergeordnete rolle spielt.
In der Handlung stimmt das, aber für die Symbolik (so wie sie in meinem verdrehten Hirn existiert) hat es die zentrale Rolle. Ist aber eigentlich egal.
hat mir mal wieder gut gefallen!
Danke schön! (Auch für die Anmerkungen.)

Grüße,
Naut

 

hey Naut,

dass das artefakt eine zentrale rolle spielt, war mir schon auch klar. mit untergeordnet meinte ich, dass nicht diese artefakt symbolik das war, was mich an der geschichte fasziniert hat. eher die beschreibung der verhältnisse und verhaltwensweisen, also eher die rahmenhandlung.

obwohl das artefakt auch alleine von der vorstellung des äußeren her, ein cooles teil ist.

greetz
krill

 

Nau(gh)t(y), Nau(gh)t(y)!!! :D

Was soll ich sagen?
Mir fällt in letzter Zeit auf, dass es mir immer leichter gelingt eine Story in einem Satz durchzuschreiben. Feinarbeit kommt natürlich später.
Ich sag das deswegen, weil du diese Arbeitsschritte irgendwie vermischt hast.

Der Stil ist wie immer astrein.
Vielleicht bis auf: Eines Tages, als ihr Vater wieder einmal tagelang nicht nach Hause kam,...
klingt irgendwie holprig. Eines Tages, tagelang :hmm:
Leider trägt der erste Satz die Geschichte nicht und gibt auch nicht viel Auskunft über das zu Erwartende.

Der Inhalt ist schräg. Mein Gott, egal was dir dein Arzt aufgeschrieben hat, hol dir eine zweite Meinung ;)
Gut, ich bin auch durch einen 5-tägigen Jeden-Abend-X-Files-Trip etwas geschädigt.

Trotzdem, solides Handwerk, etwas wirr, aber les- und nachvollziehbar.
Mein Liebling:

Sofort drängten die Leute zu den Türen als gäbe es dort Arbeit oder Freibier.
:thumbsup:

Kriegst ein "Brav" ins Mitteilungsheft :D

bg, El Lem

 

Lems Erbe will damit wahrscheinlich sagen, dass er den Text supi findet :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Naut,

Ich fang mal mit dem öh ... Negativen an:
Den ersten Satz fand ich auch ganz schrecklich (wegen der Zeitform).
Krass fiel mir auch auf, dass Marion offenbar keinen Bezug zu ihren Eltern hat und sich nicht einmal vom Tod ihrer Mutter schocken lässt. Über die Gründe dafür kann man nur rätseln.
Und der Slogan "Fisch schwimmt. Adler fliegt. Wilcon denkt." ist irgendwie wenig subtil, etwas stumpf.
Stark hat mich außerdem der Absatz mit dem Doktorinterview irritiert, ist praktisch wie ein Fremdkörper eingeschoben, sodass ich eine Weile brauchte, um den Teil einzuordnen.

- Was ist "Schaß!", ist sie Schweizerin?
- "Ein erneutes Klatschen ließ sie auffahren." - Ein Auffahrunfall? ;)
- "Ein Schlag traf sie zwischen die Schulterblätter" - zwischen den Schulterblättern
- Eine Frau trat einem Mann

Und nun zum Guten:
"Ein[e] Frau trat einem Mann in einem langen Mantel in den Bauch, weil er nicht schnell genug auswich. Er krümmte sich." - Hab ich gesehen, erst neulich! Straßenverkehr ist ja jetzt schon gruselig. Die Leute werden immer rücksichtsloser :(
"Ihre Rechte umklammerte etwas Schweres in der Manteltasche, während ihr Blick umherzuckte." - makaber :)

Ich finde die Charakterisierung der Marion sehr gelungen. Durch ihre Sprechweise wirkt sie zwar etwas zurückgeblieben, aber andererseits ist ihre naiv und kindlich wirkende Sicht der Welt irgendwie sympathisch (bezeichnend ist "Marion sah sich die Gesichter an. Alte Gesichter, auch die ganz jungen. Papierkleidung, wie ihre. Sehr schön und bunt, und nicht so teuer").
Die soziale Kompenente erinnert mich komischwerweise ans Jetzt und die Angst vor dem sozialen Abstieg, der bei gleichbleibender Antisozialpolitik der großen Koalition noch für viel mehr Menschen in Aussicht steht :(
Die absurden Elemente (Tod, Gewalt, Verrohung in der dargestellten Form) sind außerdem gut gewählt. Meiner Meinung nach macht es eine Geschichte interessanter, wenn sie nicht in zu geradlinigen Mustern verläuft.
Gerade zu Anfang ist mir zudem aufgefallen, dass du mal wieder im Stil variierst. Finde ich ganz ausgezeichnet, wenn man Autoren nicht immer gleich an der ersten Zeile erkennt.
Also von mir gibt's ne glatte ... Ach, ich hasse Zensuren. Aber: weiter so!

Gruß,
HienTau

 

Hallo Naut!

Zukunft oder Gegenwart? Zu realistisch, um lachen zu können, nur die Robots gibts noch nicht.

Als 'Stimmungsbild' gut und auch ausreichend. Steige ich tiefer ein, stellen sich mir Fragen. Warum geht Marion zu dem Einstellungstest? Warum ist der so weit von der Wohnung entfernt? Warum geht Marion überhaupt vor die Haustür? Woher weiss die Angestellte, welcher Testbogen zu wem gehört?

Schaß!, dachte sie. Zeit vaschwendet
Wieso ist Zeitverschwendung wichtig. Marion scheint doch sonst alle Zeit der Welt zu haben.
Je mehr ich nachdenke, desto mehr wird die Welt, die du zeichnest, unzusammenhängender und beliebiger. Es bleibt die agressive Sinnlosigkeit und mitten rin das Kind auf dem Schoß. Warum überhaupt ein Kind. Warum mit dem Kind unterwegs sein.
Eklich!
und dann den Plastikmüll in die Ecke schmeissen. Hat Marion wirklich noch Ekelgefühle?

Also ein eindringliches Bild einer kaputten Gesellschaft ohne viel Hintergrund.

LG

Jo

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo HienTau,

den Einstieg muss ich wohl überarbeiten, mir gefällt er inzwischen auch nicht mehr. Erste Sätze sind so wichtig!

Und der Slogan "Fisch schwimmt. Adler fliegt. Wilcon denkt." ist irgendwie wenig subtil, etwas stumpf.
Na ja, zunächst mal ist es ein Zitat, und die zugehörige Werbekampagne zieht daraus natürlich Nutzen, indem sie jede Menge weise alte Indianer zeigt, die pseudophilosophisches Zeug dreschen. Genauso subtil wie: "Freude am Fahren" oder "drive alive" oder "hello moto".

Hi jobär,

Du hast schon Recht, da sind ein paar Motivationslücken. Muss ich wohl noch mal etwas ausfüllen. Außer:

Hat Marion wirklich noch Ekelgefühle?
Ja, sie ekelt sich vor anderen Leuten. Plastikmüll ist maschinell gefertigt, genau wie die Milch.


EDIT: Jetzt hatte ich doch glatt Lems Erbchen vergessen!
Also, ich nehm das mal als halbes Lob und hoffe, die Überarbeitung des ersten Absatzes (die ich vorhabe), kommt auch Deinem verwöhnten Geschmack entgegen. Und: Nein, ich nehme nichts ein. Wer weiß, was ich sonst so schreiben würde!


EDIT2: Gerade gefunden:

Sozialkunde in der S-Bahn

Fünf Jungs, offenkundig Angehörige sogenannter “bildungsferner Schichten”, sind unterwegs von Dortmund nach Wanne-Eickel. Einer furzt, einer macht Klimmzüge an den Haltestangen, zieht sein T-Shirt aus, haut in einer Mischung aus Übermut und exotischem Balzverhalten gegen die Scheibe. Irgendwann sagt einer der Jungs zu einem der anderen: “Ey, du bis Sonderschule, kriegs kein Ausbildungsplatz, ham wir ja schon schwer, un wir sin Hauptschule.” Diese Diskussion wird nicht vertieft.

Quelle: UPCenter
Seht Ihr? Ich denk mir das nicht aus.

Danke Euch dreien!
:) Naut

 

Hallo nochmal,

Erste Sätze sind so wichtig!
Leser sind sehr scheue Tiere und lassen sich leicht verschrecken ;)
Na ja, zunächst mal ist es ein Zitat, und die zugehörige Werbekampagne zieht daraus natürlich Nutzen, indem sie jede Menge weise alte Indianer zeigt, die pseudophilosophisches Zeug dreschen.
Meistens macht aber erst die Kombination vieler Sinneseindrücke ("Emotion") einen stumpfen Spruch zu einem "Ohr-/Denkwurm". Was ich also eigentlich sagen wollte: Da fehlt der Kontext, eben jene Indianer oder so.

Gruß,
HienTau

 

HienTau schrieb:
Meistens macht aber erst die Kombination vieler Sinneseindrücke ("Emotion") einen stumpfen Spruch zu einem "Ohr-/Denkwurm". Was ich also eigentlich sagen wollte: Da fehlt der Kontext, eben jene Indianer oder so.
Schwierig. Ich hatte gedacht, dass das Zitat hinreichend bekannt ist, um diese Assoziation zu bewirken, aber vielleicht muss ich den ganzen Werbespot beschreiben.

Die Eingangspassage habe ich geändert.

:) Naut

 
Zuletzt bearbeitet:

Die Eingangspassage habe ich geändert.
Der Anfang tut gleich viel weniger weh ;) und fügt sich besser in den Text ein.
aber vielleicht muss ich den ganzen Werbespot beschreiben
Ich habe gestern ein wenig den Werbung in Geschichten gegrübelt. Sehr beliebt ist die regieanweisungsähnliche Form à la:
Der Bildschirm leuchtet auf, Indianer auf Pferden reiten gen Sonnenuntergang. Kamerawechsel zum weisen Anführer, der ohne Blinzeln in die Sonne zu schauen wagt. Schriftzug [Was auch immer]. Der Indianer hebt seine Hand, winkt und lächelt leicht. Das Leben ist schön.
:Pfeif:

Gruß,
HienTau

 

Ja, genau. So ähnlich hatte ich mir das auch gedacht. Vielleicht engagiere ich einen Werbeprofi ... Dante!? :D

 

Hi Naut!

Das ist wieder ein ambivalenter Text: Einerseits ist er stilistisch sehr schön geschrieben, und die Atmosphäre hast du auch sehr schön hingekriegt.
Nur: Die Geschichte weiß mit ihrer eigenen Atmosphäre wenig anzufangen. Es gibt eine psychisch geschädigte Protagonistin ( die deinen Posts zufolge unfreiwillig geistig minderbemittelt wirkt ), es gibt eine sozial gespaltene Welt, und dann kommt noch ein merkwürdiges Artefakt - aber das steht alles überhaupt nicht miteinander in Verbindung. Es ist mir überhaupt nicht klar, wozu du die Handlung gebraucht hast, um am Ende das komische Gerät vorzustellen, dessen Sinn sich mir nicht im Entferntesten erschließt.

Bei der Beschreibung des Settings begehst du einen mittelschlimmen Stilbruch, indem du einen Schlenker zu irgend so einem Upperclass-Meeting machst, obwohl du ansonsten ausschließlich aus Marions Perspektive erzählst - und das innerhalb der Geschichte zudem völlig in der Luft hängt. Deshalb würde ich das ersatzlos streichen.
Das In-der-Luft-hängen trifft auf die Werbeslogans übrigens auch zu.

Was die geistige Behinderung von Marion angeht, so entsteht dieser Eindruck nicht nur aus der Art, wie sie den Test angeht, sondern auch aus der falschen Schreibweise ihrer Gedanken. Wenn man sich fragt, was die falsche Rechtschreibung symbolisieren soll, was liegt da näher als unscharfes Denken? Außerdem sind ihre Gedanken sehr abgehackt und wirken stumpf.
Auch der erste Abschnitt trägt bei zu dem Bild, Marion sei dumm: Sie scheint auf das grausige Ableben ihrer Mutter überhaupt nicht zu reagieren.

Einzelheiten:

Ihr Vater kam oft tagelang nicht nach Hause, deshalb legte sich ihre Mutter irgendwann in die Badewanne und kam nicht mehr heraus.

Du erzählst aus Marions Sicht. Aber bist du sicher, dass Marion auch die Kausalität erkennt?

Als ihr Vater am Wochenende wiederkam, erschlug er Mickey mit einem Klavierhocker.

Dort oben an der Wand sehen Sie eine Uhr, für diejenigen, die die Zeit lesen können. Für die anderen

Jetzt übertreibst du's ein wenig. Die Uhr zu lesen dürfte keinem schwerfallen, der sich einmal gemerkt hat, wo die Zahlen und wieviel zehn Minuten sind.

Sie quetschte sich an der Trennwand entlang in den Wagen, dabei rammte sie einen der Teenager mit der Ballonjacke.

Sie rammt einen mit ihrer Ballonjacke? Ist das Ding so hart geworden, weil sie es nie gewaschen hat? :D
Außerdem denke ich an dieser Stelle, dass einer von denen gemeint ist, die sie angestarrt haben. Dann erscheint es merkwürdig, dass sie extra noch mal zu denen rüber geht.

Einer sprang hoch und verpasste der Bahn eine Art Ving-Chun-Tritt.

Was für ein Ding? Und meinst du, dass Marion davon ne Ahnung hat?

Marion ging zu ihrem Platz zurück.

Hatte sie denn schon einen gefunden?

Bus, Kind, Lastwagen oder ... was war das Letzte?

Dann ließ sie sich auf die Knie nieder und tastete unter dem Sofa nach der abgesägten Schrotflinte, die sie gestern hinter der Arbeitsagentur gekauft hatte.

Vorher hat man den Eindruck, sie hätte gerade genug Geld, um sich was zu Essen zu kaufen. Sind Schrotflinten so billig in der Zukunft?

Ciao, Megabjörnie

 

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