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Ein echt beschissener Vater

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29.11.2005
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Ein echt beschissener Vater

Jasper hätte einen Typen bevorzugt, der selbst im Sommer mit Wollmütze durch die Gegend schlurft, nach jedem Schritt die rutschende Hose justierend, mit implantierten Kopfhörern und großflächigen Tatoos. Mit dem hätte er sein Bier wenigstens auf Augenhöhe trinken können. Aber der Bursche neben seiner Tochter sieht eher so aus, als müsse er anschließend noch zu einer Beerdigung. Er wäre Vermögensberater bei einer Bank, hatte Carolin ihren Vater am Telefon bereits vorgewarnt. Und wie sehr sie ihn liebte. Gleich zwei beängstigende Neuigkeiten.

Nun drückt der smarte Bursche Jaspers Hand, als könne er auf diese Weise Gene entschlüsseln. Dabei streift sein Blick wie ein Suchscheinwerfer über das verlebte Gesicht seines Gegenübers. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen.“
„Schon klar“, murmelt Jasper. „Kommt bloß rein. Muss ja nicht jeder mitkriegen, dass mich ein Vermögensberater besucht.“
„Mein Vater hat den Humor einer Abrissbirne.“ Carolin ist spürbar um Harmonie bemüht, denn sie zwinkert konspirativ. Das macht Jasper misstrauisch. Er zerrt Tim, der sich nach einer Fußmatte zum Schuhe abtreten umzublicken scheint, entschlossen in die Wohnung. „Wollt ihr was trinken?“
„Was gibt's denn außer Dosenbier?“ Diesmal verzichtet Carolin aufs Zwinkern.
Jasper würgt die Dead Kennedys ab, während Tim – mitten im Raum stehend – eifrig seine Designerbrille putzt; vielleicht, weil er erst einmal den Anblick der Wohnung verkraften muss. Jasper hat seine besten Jahre in der Hausbesetzer-Szene verbracht, das hat ihn für den Rest seines Lebens geprägt. Seitdem bewohnt er Räume nicht mehr, sondern hält sich nur noch in ihnen auf. „Wie wär's mit Kaffee?“, schlägt er vor. Solche verstaubten Worte kommen ihm nur mühsam über die Lippen. Carolin weiß das zu schätzen und lächelt dankbar. „Ich koche uns gern welchen. Wo finde ich Kaffee?“
„Drüben, beim Nachbarn.“

„Eine Hochzeit also.“ Jasper macht keinen Hehl daraus, wie wenig ihm das gefällt. Natürlich erinnert er sich gleich daran, wie planlos Carolins Mutter und er nach der Geburt ihrer Tochter vorübergehend in ein eheähnliches Verhältnis gestolpert waren. Besonders er hatte den wilden Zeiten nur widerwillig den Rücken gekehrt, um stattdessen mit Anja die glückliche Familie zu spielen. Nach zwei harten Jahren hatte er den Selbstbetrug nicht mehr länger ausgehalten; taugte einfach nicht für dieses Leben, war kein glaubwürdiger Familienvater, kein Ehemann, kein Hausbewohner. Bekam von regelmäßigem Essen Magenschmerzen, von Gardinen rote Augen und von der warmen Umgebung kalte Füße; und genau deshalb musste er Freundin und Kind damals verlassen. Vor allen Dingen diese lähmende Ordnung, das enge Dasein, die Tage, die einfach nur noch vergingen, vollgestopft mit Pflichten und dem ständigen Lamentieren darüber. Eine geeignetere Partnerin als Anja für das Projekt Familie hätte er sowieso nicht finden können, und nachdem es gescheitert war, wollte er einfach wieder zurück in sein altes Leben; nur war da niemand mehr. Die besetzten Häuser waren abgerissen oder saniert worden, seine Kampfgefährten in der Gesellschaft versickert; manche längst tot und vergessen. Und für die Generation junger Aktivisten reichte seine Puste nicht mehr. Zudem beunruhigte es Jasper, wie schnell die eigenen wilden Gedanken müde werden konnten, selbst wenn man die alten Songs immer noch bis zum Anschlag aufdrehte und hin und wieder mal „Fuck“ murmelte.

Damals war es ein Irrtum gewesen zu glauben, er müsse nur wieder zu der Kreuzung zurückkehren, an der er versehentlich falsch abgebogen war, und die Sache wäre damit erledigt. Aber halsstarrig wie immer hatte er am Ende vor Anja gestanden, mit der gepackten Sporttasche in der einen, und einer Bierdose in der anderen Hand, um sich ohne großes Theater zu verdrücken – darin war er Spezialist. Anja schien vor lauter Wut nicht einmal heulen zu können. Sie sagte kein Wort, starrte ihn nur an und wirkte dabei so seltsam erwachsen, mit der modischen Frisur in ihrer natürlichen Haarfarbe. Problemlos hatte sie sich in eine verantwortungsbewusste Mutter verwandelt, während Jasper aus jedem Entwicklungsprozess immer nur wieder als Jasper hervorkam. Abseits dieser hilflosen Abschiedsszene war die zweijährige Carolin zu hören, wie sie in ihrem winzigen Zimmer unerträglich brav spielte. Für Jasper wurde es höchste Zeit, all diesen zermürbend putzigen Geräuschen endlich den Rücken zu kehren, bevor er darin für immer kleben blieb.

„Wie geht's deiner Mutter?“, fragt er nun viele Jahre später seine Tochter, während sie Kaffee einschenkt.
„Was ist das für eine merkwürdige Frage?“
„Was ist das für eine merkwürdige Antwort?“
„Es geht ihr gut. Seit über zwanzig Jahren.“
„Und woher kommen diese merkwürdigen Kaffeetassen?“
„Von deinem Nachbarn, der mir eben auch noch ein Päckchen Kaffee geliehen hat. Du hast ja nichts im Haus, außer ...“
„Ja, ja! Was ist jetzt mit dieser fu...dammten Hochzeit? Ihr solltet da nichts überstürzen.“
„Oh, eine Expertenmeinung!“ Carolin lächelt säuerlich. „Wie wär's zur Abwechslung einfach mal mit Freude? Die Tochter will heiraten und der Vater ist happy. Wie im richtigen Leben, verstehst du?“
Er starrt in die Kaffeetasse vor sich und wünscht sich, sie wäre mit Wodka gefüllt. Scheiß auf das richtige Leben! „Wir sollten uns einen Kleinen genehmigen“, schlägt er vor und macht Anstalten, die verlockende Idee gleich in die Tat umzusetzen.
„Nein, danke.“ Über der Nasenwurzel seiner Tochter taucht die altvertraute Zornesfalte auf. „Meinetwegen dröhn dich wieder zu, wenn wir weg sind. Jetzt wird geredet.“ Sie seufzt. „Du hast es mir doch versprochen.“ Begleiter Tim sitzt aufmerksam neben ihr, rückt in kurzen Abständen immer wieder seinen Krawattenknoten zurecht, und es hat den Anschein, als wolle er jeden Moment eine Rede an die Nation halten.

Während Anjas Schwangerschaft hatte selbst Jasper einmal von Heirat gesprochen, mit ungefähr 1,5 Promille im brodelnden Punkerblut, unmittelbar nach dem vielleicht besten Fick ihrer Beziehung. „Lass uns heiraten, Süße“, hatte er willenlos geschnauft, während ihm der Puls noch in den Ohren hämmerte. „Wäre doch cool, oder?“ Es war ihm tatsächlich verlockend vorgekommen, das berauschende Gefühl der Zusammengehörigkeit spontan besiegeln zu wollen. Aber Anja hatte ihm mit kühlen Fingerspitzen den oft so unbedacht plappernden Mund verschlossen, und danach war dieses Thema für immer tabu gewesen. Sie hatte ein perfektes Gespür dafür entwickelt, Jasper im richtigen Moment vor sich selbst zu retten. Verschwenderisch oft hatte er ihr gesagt, wie sehr er sie liebte, seine „Süße“, die aus seiner Bierdose trinken und von seinen Joints mitrauchen durfte, die mit zu Pauli kam, seine Musik hörte, über seine Sprüche lachte und ihm das beruhigende Gefühl gab, ein politisch motivierter Anarchist und kein Verlierer zu sein - und die schließlich, mit seinem Baby im Leib, zur Madonna wurde, verwandlungsfähig, visionär, stark, mutig und endlich mit Brüsten in der von ihm bevorzugten Größe. Allerdings konnte er sich nicht daran erinnern, von Anja jemals so etwas wie „Liebe“ gehört zu haben. Sie besaß lediglich die Fähigkeit, es ohne Worte zu sagen; praktisch jedes Mal, wenn sie ihn ansah. Das war für Jasper am Anfang zu wenig. Und am Ende zu viel.

„Wie stehen denn so die Aktien?“, wendet er sich an seinen zukünftigen Schwiegersohn. „Habt ihr coolen Jungs auf den Finanzmärkten wieder alles im Griff?“
„Hör auf damit!“ Carolin funkelt ihren Vater zornig an. Der alte Stier senkt mal wieder die Hörner. Seine rüde Angriffslust hat sie immer gehasst, denn er geht nie auf das rote Tuch los, sondern immer gleich direkt auf den Torero.
Nun zuckt er scheinheilig mit den Achseln. „Warum seid ihr überhaupt hier?“
„Eigentlich war es Tims Wunsch, dich noch vor unserer Hochzeit kennenzulernen. Ich wollte dich vorerst echt nicht mehr sehen, ehrlich nicht. Denk nur mal an deinen letzten großen Auftritt, als ich dich mal wieder bei der Polizei auslösen durfte. Langsam reichen mir deine Eskapaden, verstehst du? Ich bin deine Tochter, nicht deine Bewährungshelferin. Wie kann man nur ... in deinem Alter!“
„Es war nicht meine Schuld.“
„Es ist nie deine Schuld.“
Jasper wendet sich an Tim, breitet hilflos die Arme aus. „Sorry, aber ich bin ein echt beschissener Vater. Ich hoffe, dein Alter hat da mehr drauf.“
Der Vermögensberater fummelt an seinem Krawattenknoten herum. „Als ich meinen Daddy verlor, war ich gerade mal fünf Jahre alt“, erzählt er mit einem sich entfernenden Blick. „Ich habe mich seit dem immer nach ihm gesehnt. Väter sind so unglaublich wichtig. Ohne sie ist es doch in jungen Jahren so, als wäre das Leben zu laut, zu groß und zu schwer, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ Seine Gedanken scheinen dem wehmütigen Blick zu folgen und nehmen die Stimme gleich mit. Ein sensibler Banker. Auch das noch! Jasper bemerkt fassungslos, wie seine sonst so rationale Tochter ihren zukünftigen Ehemann mit glitzernden Augen anhimmelt, während der seine Gefühle wie Seifenblasen in die graue Atmosphäre aufsteigen lässt. Was für ein Schleimer! Früher hat Jasper solchen Typen ohne Umschweife die Fresse poliert. HSV-Logen-Dauerkarteninhaber! Auch jetzt juckt es ihm wieder in den Fäusten. Dieser pomadige Bankenwichser, der seiner Tochter den Kopf verdreht hat; der sich wirkungsvoll zu inszenieren und einem die Hand zu schütteln versteht, als befände man sich auf einer Ordensverleihung. Seit seinem Auftauchen hat sich viel verändert, und nichts davon zum Guten. „Es wird Zeit, dass du endlich vernünftig wirst“, hatte Carolin ihrem Vater erst letztens wieder gemahnt, und Jasper hatte ratlos vor ihr gestanden, in abgerissenen Jeans und dem fleckigen T-Shirt mit einem ausgebluteten Slogan auf der Brust; ein Vater, der nicht erwachsen werden wollte, und eine Tochter, die niemals wirklich Kind gewesen war auf der verzweifelten Suche nach Augenhöhe.

„Ich musste ganz ohne Eltern klar kommen.“ Jasper lehnt sich mit einer Selbstgedrehten in den nikotingelben Fingern und der Routine des geübten Märchenerzählers zurück. „In den Heimen damals, das war kein Zuckerschlecken, das kann ich euch sagen ...“ Carolins Blick bringt ihn zum Schweigen. Sie kennt die abenteuerlichen Geschichten vom kleinen Oliver „Jasper“ Twist, der sich von Anfang an hatte durchboxen müssen und nie eine echte Chance bekam, zur Genüge; die fröhlichen Hausbesetzungen, die folgen sollten, die kunterbunten Straßenschlachten mit den oberfiesen Bullen, erfrischende Wasserwerfer, lustig brennende Autos und fantasievolle Barrikaden. Sie weiß alles über die grenzenlose Liebe zum FC St. Pauli, über Abstiegstränen und Aufstiegseuphorie, Bierdosenromantik und Punkmusik, Drogen, Arbeits- und Hoffnungslosigkeit, über das Gefühl, dass Anderssein geil ist, Bier satt macht und dass sich die echte Freiheit nur in muffigen Räumen finden lässt, auf feuchten Matratzen, bei kompromissloser Musik und Zukunftsplänen, die am nächsten Tag schon wieder scheißegal sind.

„Wir heiraten nächsten Monat“, sagt Carolin entschlossen. „In Weiß und in der Kirche. Mit Hochzeitskutsche, Hochzeitstorte, Hochzeitsbankett und allem was dazu gehört. Mit Mama und unseren Freunden. Und ... ohne dich.“
„Das klingt nach idealen Hochzeitsplänen“, erwidert Jasper. „Und wo genau ist jetzt das Problem?“
Du bist das Problem. Du bist immer das Problem. Und deshalb können wir dich nicht zu unserer Hochzeit einladen. Das kann ich dir heute wenigstens persönlich sagen.“ Carolin lässt ihren Vater nicht aus den Augen. „Du zusammen mit Mama auf unserer Feier, das geht sowieso nicht. Du weißt, dass es nicht geht.“
„Ich habe deine Mutter scheiß lange nicht mehr gesehen. Wie soll ich da wissen, was geht, und was nicht. Wir hatten damals 'ne echt geile Zeit. Wenigstens das weiß ich noch.“
„Trotzdem hast du sie sitzen lassen. Und mich.“
„Ging nicht anders.“
„Mama wäre daran fast zerbrochen.“
„Wäre ich geblieben, wären wir heute alle im Arsch.“ Jasper stößt trotzig den Rauch der Zigarette aus und sehnt sich nach Wodka. Aber Carolin lässt nicht locker. Ihre Wangen haben sich leicht gerötet, während sie weiterredet. „Und wenn ich mich zwischen euch beiden entscheiden muss, dann ...“
„Keiner verlangt das von dir, oder? Hab ich etwa gesagt, dass ich überhaupt auf deine Traumhochzeit will? Einen Anzug tragen? Torte essen? Eine Rede halten? Fu..such dir das mal vorzustellen!“
„Zweifellos wirst du dich wieder betrinken, dann diese peinlichen Sprüche klopfen und den Leuten von deinen geilen Zeiten vorschwärmen, in denen du auf immer und ewig stecken geblieben bist. Später würdest du meine Freunde als Nazis bepöbeln und ihnen Schläge androhen, nur weil sie erfolgreich sind. Und du wirst wieder so fucking stolz auf mich sein wollen, und genau das will ich nicht. Nicht dieses Mal. Nicht auf meiner Hochzeit. Weil dein Stolz oft nach Shit und Bier stinkt! Was hat das eigentlich mit mir zu tun? In Wirklichkeit gefällt dir doch absolut nichts an meinem Leben.“
„In Wirklichkeit“, entgegnet Jasper. „habe ich überhaupt keine Ahnung von deinem Leben.“
„Wir hätten Sie wirklich gern dabei gehabt“, wirft Tim schnell ein. „Das wäre nett gewesen. Die Familie endlich wieder vereint, der Brautvater führt die Braut zum Altar, all diese schönen Bräuche.“
Jasper erhebt sich endgültig. „Scheiß auf all diese schönen Bräuche. Ich bräuchte jetzt mal was Anständiges zu trinken. Wir sollten wenigstens anstoßen. Und dann könnt ihr meinetwegen wieder zurück ins Disneyland. Okay?“
„Nein, das mit dem Trinken lassen wir mal lieber. Wir müssen jetzt sowieso wieder los. Haben noch Einiges auf dem Zettel.“ Carolin erhebt sich entschlossen, und Tim reagiert wie ihr Schatten.

Im Flur umarmt sie ihren Vater und küsst die Luft westlich und östlich seiner unrasierten Wangen. „Das alles tut mir so leid!“
Von Tim gibt es zum Abschied wieder einen staatsmännischen Händedruck und einen aufmunternden Klaps gegen den Oberarm. Der Junge ist groß, sieht gut aus und hat ausgezeichneten Manieren, scheint von Kopf bis Fuß aus Größe zu bestehen. „Es hat mich sehr gefreut“, sagt er.
„Aber klar!“ Jasper schiebt ihn endgültig aus der Wohnung, der Tochter hinterher, der es jetzt offensichtlich nicht mehr schnell genug gehen kann.

Nachdem die beiden weg sind, schraubt Jasper die Wodkaflasche auf, als befände sich darin dringend benötigter Sauerstoff. Er „atmet“ das Zeug gleich aus der Flasche ein und lässt mit der anderen Hand die Dead Kennedys wieder loslegen. Vom Fenster aus beobachtet er fasziniert, wie der Vermögensberater Carolin ein weißes Taschentuch reicht, während er ihr gleichzeitig galant die Autotür aufhält. Dieser Bursche weiß offensichtlich immer, was zu tun ist. Seine Tochter gleitet in das Cabriolet, als hätte sie in ihrem Leben nie etwas anders getan. Die Sonne lässt das junge Glück strahlen, obwohl für heute eigentlich Regen angesagt war. Alles wirkt so perfekt und selbstverständlich. Man könnte meinen, die Stadt da draußen habe sich in ein überdimensionales Wahlkampfplakat verwandelt. Selbst der blaue Himmel sieht wie eine verlogene Parole aus. Mit dem richtigem Leben hat das da draußen nichts mehr zu tun.

Immerhin haben in Jaspers Kühlschrank ein paar Dosen Bier die zurückliegende Nacht überlebt. Reichlich Tabak und genügend Blättchen liegen auf den Tisch. Allein aus herumliegenden Tabakkrümeln ließen sich noch ein paar brauchbare Kippen basteln. In einer der Küchenschubladen müsste sogar noch ein fetter Joint schlummern. Die Jungs von Pauli sind zur Zeit mächtig gut drauf, spielen seit Wochen richtig ansehnlichen Fußball. Vielleicht steigen sie diese Saison auf. Das wäre endlich mal wieder ein guter Grund, die Sau rauszulassen. Und wenn Jasper heute im Lauf des Abends doch noch Frust bekommen sollte, könnte er die merkwürdigen Tassen seines Nachbarn gegen die Wand schmeißen. Später wird er dann Nils anrufen, sie werden sich treffen, irgendwo einen saufen gehen. „Nie mehr zweite Liga!“, wird Nils grölen. Die Hoffnung wird ihnen am Tresen zur betörenden Begleiterin werden, wird ihre zarten Arme schützend um sie legen und mit ihnen die Nacht durchzechen, bis kein Cent mehr in den verräucherten Klamotten zu finden ist. Zu dritt werden sie labern, lachen und träumen und auf den Rest der Welt scheißen. Die Hoffnung. Ein Junkie. Und ein echt beschissener Vater.

 
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Hallo Rick,

früher habe ich immer zunächst einmal die Kommentare gelesen, die unter einer Geschichte standen. Inzwischen verzichte ich fast völlig darauf, weil meine Meinung oft abweicht. Letztendlich ist ja irgendwie alles eine Frage des Geschmacks! ;-)
Ich lasse jetzt lieber eine Geschichte auf mich wirken, bilde mir selbst eine Meinung; gebe meinen Kommentar dazu ab und lese danach erst, was andere "Schreiberlinge" dazu meinen. Bei Deinen Geschichten habe ich festgestellt, dass ich sie immer gerne und mit Spannung lese, was ich aber schon einmal unter einen Text von Dir geschrieben habe. (Vorsicht an der Schleimspur ... Rutschgefahr! :D)
Kurz und knapp: Auch diese Geschichte hat mir wieder gefallen.
Respekt! Es liegt an Deinem Schreibstil, dass man sich die Personen ganz klar
und deutlich vorstellen kann, auch wenn Dein Protagonist nicht immer sympathisch ist.


Liebe Grüße,

Darkeyes

 
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Hallo Rick,
wie werde ich zum Spießer? Genau so wie die Tochter eine Spießerin wird. Aber ich habe nicht verstanden, warum sie den Vater überhaupt noch aufsucht und unterrichtet, dass sie einen Vermögensberater heiraten wird.

Was ich sehr störend finde, ist, dass du mit dem Jasper das Lebensgefühl der damaligen Hausbesetzer mit dem heutigen Dasein eines beschissenen Vaters gleichsetzt.
Klar hatte man damals am Mönckeberg-Brunnen in der Innenstadt mit den Punks abgehangen, Bier getrunken und geschnorrt, aber die Szene war nicht nur jugendlicher Sozialaufstand. Es ging auch um die Automomie, um systemkritischer Haltung. Es ging in der Hafenstraße damals um die Durchsetzung von bezahlbaren Wohnraum und heute weht der Wind der Hafenstraße immer noch weiter: als Opposition gegen Globalisiserung, Rassismus oder faschistische Tendenzen und als Widerstand gegen die "Gentrifikation", also die Aufwertung und Kommerzialisierung einst einfacher Stadtteile, die zu steigenden Mieten und der Verdrängung der Alteingesessenen führt.

Also es mag sein, dass Jasper sich nicht verändert hat. Aber das damalige Lebensgefühl der Hausbesetzter kann nicht dasselbe sein, das ihn heute prägt.

Sprachlich habe ich deine Geschichte genossen. Eine Hamburger Perle ;)
LG
GD

 

Hi Rick,

Du bist ja schon renommierter Schreiber hier (erstaunt mich wie unterschiedlich die Kommentarzahlen hier sind) und ich weiß gar nicht ob da Kritik meinerseits überhaupt angemessen ist. Here we go:
eigentlich wurde schon alles gesagt aber ich sag es nochmal. Ich finde deine Sprache passend und die kreierte Stimmung gut.
Den Titel find ich wie Dosenbier und die Charaktere ließen sich meiner Meinung nach mit ein paar Sätzen ein wenig individueller gestalten. Vielleicht passt der Alte klinisch auf die Sauberkeit seiner Lederstiefel auf... oder so, whatever. Dein klischeegetreuen Schwiegersohn würde ich ein wenig mehr in der Geschichte sehen wollen. Schließlich nimmt man einen fremden Menschen in seinen 4 Wänden immer war und achtet darauf wie sie sich genauer verhalten. An der Krawatte zupfen reicht da nicht. Und das Gespräch der beiden anderen ist ja auch nicht so abwechslungsreich und packend, dass man nichts anderes mehr wahrnimmt.
Gut eine Begründung für die Tochter zu finden könnte komplex werden. Irgendwelche tiefen Schuldgefühle oder Reue es nicht wieder zu versuchen mit dem Vater (wenn doch ihr Freund keinen mehr hat seit der arme Bub 5 war). Interessant ja, sprengt aber meiner Meinung nach den Rahmen der KG. Würde die Kritik da nicht so ernst nehmen, aber die Situation so ändern, dass der Leser keine so wischi-waschi Hinweise bekommt und dann doch ncihts genaues. Lass es einfach offen, der Leser muss es hinnehmen nicht alles zu wissen.

Klar ist es ein schmaler Grad den du nimmst bei diesen Klischee-Charakteren. Man bekommt aus den Kommentaren ja auch schon mit wie viele sich mit einem Charakter identifizieren können. Das funktioniert (siehe Werbung glaube Allianz, mit dem Rocker Vater, Lackaffen-Schwiegersohn) aber macht die Kiste auf literarischem Level meiner Meinung nach nicht wertvoller. Was neues muss her!

Generationskonflikt = spannend!

--> je besser die Geschichte desto härter die Kritik. Zweitbeste KG die ich hier bisher gelesen habe. Aber du weißt sicher schon relativ gut was du kannst.

grüße,

nikonotiz

 

Hallo bernadette,

danke für deine Kommentierung dieser KG. Ich freue mich, dass sie dir gefiel, auch wenn du - wie einige andere Kritiker zuvor bereits - eine Weiterentwicklung der Hauptfigur ganz interessant gefunden hättest. Ich habe eine die Idee beim Schreiben durchaus in Erwägung gezogen, Jasper eine solche Entwicklung zu gönnen - und wieder verworfen. Nein, er war einfach nicht der Typ, der sich hätte weiter entwickeln wollen. Und deshalb sollte der Reiz der KG mehr in der Tatsache liegen, dass sich der Prot einfach nicht weiterentwickelt, während sich die Welt um ihn herum natürlich verändert. Das ist nämlich auch eine Art Entwicklung, wenn man sich selbst so gar nicht entwickelt, sich deshalb nicht selbst von Menschen und Zeitgeschehen entfernt, es aber zulässt, dass es umgekehrt geschieht.

Über den sperrigen Satz im Anfangsgeschehen denke ich mal nach, vielleicht fällt mir da etwas Geschmeidigeres ein.

Hallo Pardus,

über deinen Kommentar werde ich noch etwas nachdenken müssen, der Text ist bei dir eindeutig nicht so angekommen, wie es vom Absender beabsichtigt war. Wie eigentlich immer in meinen Texten, empfinde ich besonders tiefe Sympathie bei gescheiterten Existenzen - also auch für Jasper. Der letzte Absatz war nicht als drohender Zeigefinger eingebettet in moralinsauren Sätzen gemeint - wie grässlich, wenn das so rüber kommt. Es sollte nur die Aussichtslosigkeit zeigen, die Sackgasse, die Endlosschleife, in der mein Prot steckt, der Selbstbetrug, der ganze Kram eben. Das ist in der Grundstimmung natürlich stark überzeichnet und mit der Hoffnungsmetapher auch überfrachtet, aber irgendwie mochte ich dieses Bild, die Hoffnung mit dem hauch einer hurenhaften Schlampe zu personifizieren, wie sie zwischen zwei Versagern am Tresen hockt und mit ihnen gutgelaunt die letzte Kohle verzecht. Und am nächsten morgen ist sie weg, als hätte es sie nie gegeben.

Die Rückblenden sind nach meinem Empfinden äußerst wichtig (sonst hätte ich sie ja nicht geschrieben) weil ich auch den Lesern atmosphärisch das Zeitgeschehen vermitteln wollte, die davon eher wenig Ahnung haben.

Ich habe z. B. aus meinen Dialogen die Frage der Tochter an ihren Vater gestrichen, ob es für ihn nicht besonders schlimm ist, im Alter eine Glatze haben, und ob es eigentlich auch für Punker Perücken gibt, weil ich dachte, da würde ich den Bogen überspannen.

Ich fand's irgendwie ... witzig, setzt aber schon gewisse "historische" Grundkenntnisse voraus.

Danke für deinen Kommentar, ich finde ihn sehr hilfreich, weil er mir zeigt, wie schmal der Grad bei solch speziellen KG-Konzepten ist, weshalb man als Autor dann zwischen "Lob" und "Tadel" ist eine breit gefächert Ernte einfahren kann.

Hallo maeuser,

danke für die lobenden Worte, das freut mich sehr! Das war genau das, was ich nach dem Kommentar zuvor benötigte, eine kleine Vitaminspritze gewissermaßen :-)

Ich finde den Plot auch neu und hoffte, schon aus diesem Ansatz heraus eine reizvolle Grundidee zu haben, die den Leser unterhält. Wie man sieht, geschieht das mal weniger und in diesem Fall mal mehr.

Hallo Apfelstrudel,

dass dich eine meiner KGs aus dem Bett trieb, werde ich als reißerische Aussage für den Klappentext meines Buches vermarkten, wenn ich denn mal eins auf den Markt bringe. "Diese Geschichten bringen Sie um den Schlaf!"

In ähnlicher Form wird das ja immer bei Thrillern gemacht, wo sich die Kollegen gegenseitig in die Bestsellerlisten loben.

Okay, nun bist du ja nicht gerade aus dem Bett gesprungen, um das Füllhorn des Lobgesangs über mein Werk auszuschütten.

Der Titel, ja - ich denke mittlerweile, dass meine Unfähigkeit, nicht immer vernünftige Titel für meinen Geschichten zu finden, etwas überbewertet wird. Es gibt hier haufenweise schlechte Titel, die nicht von mir sind, und über die trotzdem nie ein Wort verloren wird :-) Und deine Faustregeln in allen Ehren: Meine Faustregel beim Schreiben heißt: Es gibt keine Regeln, gegen die sich ein Verstoß nicht lohnt.

Es ist auf jeden Fall ein klarer Titel, man weiß gleich, worum es geht.

Dass die Prots und die Story den einen Leser oder die andere Leserin aufregen könnten, das war mir von Anfang an klar. Mit Geschichten ohne einen Sympathieträger und mit einer Handlung, die sich um das Leben eines Versagers dreht, wird man nicht zwingend punkten, zumindest dann nicht, wenn man in den Augen der Leser keinen besonderen Unterhaltungswert aus diesen Aspekten erzeugt, keine unterschwellige Spannung aufbaut und keine wirklichen Momente schafft, die Interesse für die Figuren wecken und in die Handlung ziehen. Das ist mir bei dir nun wirklich nicht gelungen, schade! Da würde es sich auch nicht lohnen, wenn ich dich bitten würde, noch einmal drüber zu schlafen.

Im Grunde genommen aber zeigt mir dein Kommentar eigentlich, dass die KG schon so bei dir ankam, wie ich es gemeint hatte: z. B. den Konflikt, den man erwartet, der aber nicht ausbricht, weil am Vater alles abprallt - ich wollte mit viel Unterschwelligkeit arbeiten, alles um die zentrale Frage herum: Was will die Tochter eigentlich bei ihrem Vater?

Dass sie ihm zu Abschied sagt, dass ihr alles Leid täte, ist natürlich eine hilflose Floskel von ihr. Warum macht es sie unglaubwürdig, wenn sie es so sagt? Meiner Meinung ist das nur ein weiter Baustein dafür, dass die Kommunikation zwischen Vater und Tochter nachhaltig gestört ist. Sie verabschiedet sich mit einer Floskel. Tja ...

Ich kann viele deiner Kritikpunkte schon nachvollziehen. Die Kritik am zukünftigen Schwiegersohn aber verstehe ich nicht. Auch wenn das ein häufiger Kritikpunkt sein mag, es ist mir unverständlich, wie Verhaltensweise von Figuren in einer Geschichte kritisiert werden, nur weil man der Ansicht ist, so würde sich ein "normaler Mensch" nicht verhalten. Die Schriftstellerei aber bezieht doch häufig ihren Reiz daraus, dass man Figuren schildert, die sich eben nicht nach der Norm verhalten.

Drehen wir das Beispiel mal um.

Wäre der Vater ein Bankdirektor, und die Tochter würde ihm mit einem Punker beglücken, käme niemand auf die Idee, zu kritisieren, dass der Punk auch als Punk bei seinem zukünftigen Schwiegervater auftaucht. Das ist normales Rollenverhalten und längst Klischee. Das ein Punker nicht von seinem Verhaltensmuster abweicht, ist also normal.

Dass der Vermögensberater sich exakt so verhält, wie sich der Punk in der üblichen Generationskonfliktgeschichte, wird von einigen Lesern als unglaubwürdig, unlogisch und unnormal empfunden. Warum? Da muss ich mich fragen, auf welchen Erfahrungsschatz wird bei einem solchen Urteil zurückgegriffen? Es gibt immer Menschen, die sich anders verhalten, als man es nach eigenen Maßstäben annimmt.

Mein Ansatz war:

Wenn der Punk sich als Punk gegen den Bank-Schwiegervater abgrenzte, indem er als Punk zum Antrittsbesuch bei ihm erschiene, dann grenzt sich mein Bank-Schwiegersohn als Banker gegen den Punk-Schwiegervater ab, in voller Montur, mit Krawatte und guten Manieren. In der Urgeschichte fragt er den zukünftigen Schwiegervater, ob er ein Glas für das Bier hätte, und Jasper antwortet: "Ich kann dir auch was aufs Maul hauen!"

Nun, ich würde z. B. nie besoffen Auto fahren oder neu geborene Babys in einer Mülltonne entsorgen. Auch das machen Menschen, mit denen du gestern vielleicht noch ganz normal im Treppenhaus über das Wetter geklönt hast. Auch da würde man sagen "Die verhalten sich jetzt aber echt unglaubwürdig". Weil man selbst halt nie auf die Idee käme, sich so zu verhalten. Passieren tut es trotzdem.

Und wie schon an anderer Stelle geschrieben: Dass die Tochter in diesem Punkt keinen Einfluss auf Tim genommen hat (z. B. indem sie ihn vorher dazu rät, doch lieber die Krawatte abzunehmen und den obersten Knopf seins Hemds zu öffnen) ist die eigentliche Geschichte zwischen den Zeilen. Nach meinen bisherigen Erfahrungen nimmt die Frau beim ersten Antrittsbesuch ihres zukünftigen Mannes bei ihrem Vater ganz besonders entscheidenden Einfluss darauf, wie der Mann an ihrer Seite dort auftauchen soll. Das unterstellt, hieße also ... genau!

So holzhammermäßig finde ich das dann nicht, aber wenn ich es erklären muss, habe ich dennoch versagt, da gibt es nichts zu entschuldigen.

Schön, dass dir Stil und einige Wendungen dennoch zugesagt haben, dann war das Lesen und frühe Aufstehen vielleicht nicht gänzlich für die Katz. Ich weiß es auf jeden Fall zu schätzen, wie sehr du dich mit meinem Test beschäftigt hast und danke dir sehr für deinen ausführlichen Kommentar, der mich ja nun auch noch einmal zu einem ausführlichen Gegenkommentar animierte!

FF

Rick

 

Hallo Rick

Wirklich süffig geschrieben, und das hat mir an der Geschichte gefallen.

Was mir dann fehlte war genau die Antwort auf die von dir (unterschwellig? wo?) gestellte Frage, was wollte die Tochter mit ihrem Besuch eigentlich erreichen?
Und damit stosse ich wohl (nicht sehr konstruktiv) ins gleiche Horn wie einige meiner VorrednerInnen.

Warum sucht Carolin ihren Vater auf und berichtet ihm von der Hochzeit?
Mir fehlt hier irgendwie die Motivation, oder die Erkenntnis, dass eben die Motivation fehlt, oder so.
Hach ist das schwierig auszudrücken, was man empfindet, wenn der zündende Funke fehlt.

Einer der Schlüsselsätze zur Erklärung vielleicht hier:

Und deshalb können wir dich nicht zu unserer Hochzeit einladen. Das kann ich dir heute wenigstens persönlich sagen.
Warum nicht "will ich dir", dann hätten wir auch gleich die Motivation, beim Vater vorbeizuschauen.

Egal, die Dialoge sind super geschrieben, Jasper, der typische Antiheld, weidet sich etwas gar heftig in seinem Selbstmitleid, aber sonst ist der Text als solches sehr gut zu lesen.

Gruss.dot

 

Hallo JoBlack,

sorry, dass ich erst jetzt antworte, aber manchmal raubt einem das Leben außerhalb von kg.de 100% Zeit. Nun denn ...

Da im Grunde genommen deine Meinung der Meinung apfelstrudels entspricht, kannst du im Grunde genommen meine Antwort an Apfelstrudel auch als Antwort an dich betrachten ;-)

Dass die KG von dir als langweilig empfunden wird, akzeptiere ich. Mit einer Beurteilung "überflüssig" kann ich nicht so viel anfangen. Ich hätte also besser Kartoffeln schälen oder in die Kneipe gehen sollen, als die Geschichte schreiben, richtig?

Grundsätzlich ist es immer schwer, einen Text zu verteidigen, der beim Empfänger nicht angekommen ist, weil man dafür natürlich nicht den Empfänger sondern den Absender verantwortlich machen muss.

Ich denke, es steht mehr in dem Text, als du herauslesen konntest, aber es ist mir halt offensichtlich nicht gelungen, dieses "Mehr" erkennbar zu gestalten.

Das hast du mir mitgeteilt, und dafür danke ich dir.

Hallo Darkeyes,

ich freu mich, dass dir die KG gefiel und ich dir die handelnden Personen tatsächlich glaubwürdig nahe bringen konnte. Ein Protagonist, der immer nur sympathisch ist, der wäre auch zu langweilig. Danke für deinen Kommentar.

Hallo Goldene Dame,

vielen Dank für deine Kritik. Es war nicht Ziel meiner Geschichte, das (möglicherweise politisch engagierte, systemkritische) Lebensgefühl eines jugendlichen Punkers in konsequenter Fortschreibung in die Rolle des beschissenen Vaters münden lassen und das gleichzusetzen. Kam das tatsächlich so bei dir an? Nach dem Motto, aus einem Punker kann ja nur ein beschissener Vater werden. Nee, aber aus einem Typen wie Jasper kann nur ein beschissener Vater werden, darum geht's. Du wirst ja nicht behaupten wollen, dass bei den Punks durchweg politisch engagierte, freiheitsliebende und systemkritische Charaktere versammelt waren.

Wie in jeder gesellschaftlichen Grundströmung und auch damals bei den ach so revolutionären 68ern nicht selten anzutreffen, gab es immer reichlich Mitläufer, denen es nicht um Ziele ging, sondern die einfach nur dabei waren, weils irgendwie geil war. Bisschen Krawall machen, abhängen, auf die Kacke hauen, geile Mucke hören, labern und auf diesen ganzen Spießerkram scheißen.

Außerdem glaube ich, dass es dieses spezielle Lebensgefühl, das in der zweiten Hälfte der 70er seinen Anfang nahm, bereits in der zweiten Hälfte der 80er Jahre wieder vorbei war. Das wird von den Zeitzeugen mittlerweile ebenso nostalgisch verkitscht und verklärt, wie jede Generation zuvor es mit der eigenen Jungendzeit auch gemacht hat. Da unterscheidet sich der Punk rein gar nicht von anderen, und macht alle irgendwie beruhigend gleich. Früher war alles viel geiler, auch bei den Punks ;-)

Jasper aber ist eh kein wirklicher Punk gewesen, sondern eher ein Looser, das steht auch mehrfach in der Geschichte. Seine Freiheit funktionierte immer nach dem Motto "Abhauen, wenn's ernst wird - bloß keine Verantwortung übernehmen!". Darum geht es. So ist das auch keine Verunglimpfung des allgemeinen Lebensgefühls der Punks, sondern einfach nur eine Betrachtung jener Charaktere, die du in jeder Gesellschaftsschicht zu finden sind. In diesem Fall ist es halt ein Punk, es hätte aber auch ein Banker sein können. Ein verantwortungsloser, selbstsüchtiger Verpisser, der in seinem Leben nichts auf die Reihe kriegt, und allen vorzugaukeln versucht, genau deshalb frei und unabhängig zu sein. Für ihn war das Dasein des Punks halt nur eine Maskierung.

Die 68er fanden ihre Väter (und Mütter!) beschissen, weil sie spießig und bürgerlich waren. In meiner Geschichte sind die Kinder der 68er die neuen beschissenen Väter (und Mütter).

Es freut mich natürlich sehr, dass dir der Hamburgische Aspekt der Story gefiel, und sie dir auch stilistisch zusagte.

Hallo nikonotiz,

ich weiß nicht, ob die Menge der Kommentare unter den KGs immer was mit dem Namen zu tun hat, den man sich hier vielleicht schon gemacht hat. Oft ist as auch einfach nur eine Eigendynamik. Und nicht selten haben besonders schlechte Geschichten sehr viele Kommentare ;-)

Dein Kommentar empfinde ich als nützlich und hilfreich. Ja, etwas mehr Tiefe im Konflikt und etwas mehr Infos zu den Charakteren hätten der Geschichte sicher genutzt. Das ist dieser ewige Kampf beim Schreiben von Kurzgeschichten: Der Text soll zwar kurz und knackig sein, aber doch möglichst viele Infos in und zwischen den Zeilen transportieren. Diese Story war im Ursprung länger, das ist meine Art, Geschichten zu schreiben. Anschließend korrigiere und kürze ich in mehreren Etappen. Und am Ende habe ich immer das ungute Gefühl, auch einige wichtige Sätze und Schlüsselinformationen zu viel gestrichen zu haben. Und manchmal auch die verkehrten Stellen. Vielleicht auch bei diesem Text?

Danke für deine Meinung!

Hallo dotslash,

es freut mich, dass du die KG als gut (süffig) geschrieben bewertest. Schade, dass ich auch dir nicht deutlich machen konnte, was die Tochter bei ihrem Vater wollte. Auf der anderen Seite ist es wirklich so simpel, und den entscheidenden Satz dazu hast du ja auch zitiert.

Was macht eine Tochter, wenn sie heiraten möchte und ihren Vater nicht auf ihrer Hochzeit dabei haben will? Ruft sie ihn an? Schreibt sie ihm einen Brief oder eine sms? Da sie die Tochter eines verantwortungslosen Mannes ist, der nie Charakter bewiesen hat, beweist sie schon aus Trotz Charakter, geht persönlich zu ihm, und sagt es ihm mitten ins verlebte Gesicht. Ich hielt das für eine ziemlich klare und normale Entscheidung einer jungen, selbstbewussten Frau und Tochter. Sie ist nicht so wie ihr Vater, sie stellt sich der Verantwortung direkt.

Schön, dass dir besonders die Dialoge und die KG an sich gut gefielen, danke für deine Gedanken zu meinem Text.

Allgemein bitte ich um Entschuldigung für meine ziemlich verspätete Reaktion auf die Kritiken. Besser spät als nie :-)

Rick

 

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