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Diebe der Leidenschaft (Moderation)
»Du willst mir erklären, wie ich dich zu lieben habe?«, schrie ich.
Den Teller in der Hand stand ich da. Bereit, ihn zu schleudern, bereit, einen Fehler zu machen. Mit Leidenschaft hätte ich es getan.
»Natürlich!«, schrie er zurück. »Es betrifft ja auch mich.«
Ich wollte diesen Schwachsinn gar nicht hören. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten. Aber dann hätte ich den Teller aus der Hand legen müssen und das wollte ich auf keinen Fall. Mit ihm fühlte ich mich stärker.
Wie konnte man nur so selbstbezogen sein wie er?
»Das sind meine Gefühle«, schrie ich zurück. »Da hast du nichts, aber auch gar nichts zu melden. Und wenn sie dir nicht passen würden, wärst du schon längst gegangen. Das wissen wir beide und ich weiß, du magst es nicht, wenn ich das ausspreche, weil du es nicht zugeben kannst. Aber so ist es nun mal.«
»Ich will nicht gehen, aber du kannst so nicht weitermachen.«
Ich ließ einen Schrei los, warf den Teller zu Boden, dass er zerdepperte.
»Du bist wahnsinnig!«, schrie er.
Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt gewesen, in Tränen auszubrechen. Aber wollte ich das? Ich musste mich entscheiden. Die Wut voll aufdrehen und alles noch schlimmer machen, oder mich aus der Rüstung schälen und erdolchen lassen und ihm so die Schuld an allem zuschieben. Nicht, dass ich tatsächlich Einfluss darauf gehabt hätte. Aber ich merkte, wie die Gefühle in mir um die Oberhand rangen.
Wer auch immer gewinnen würde – er würde Recht behalten. Ich war wohl wirklich wahnsinnig.
»Heulst du jetzt gleich wieder?«, fragte er und in seiner Stimme schwang dieses Mitleid mit, das den schwachen Teil in mir im Kampf gegen die Wut unterstützte.
Diese aber wollte nicht aufgeben. Wenn sie sich geschlagen gab, gewann nicht der schwache Teil in mir – er gewann. Und das wollten weder die Wut noch ich, aber der schwache Teil sagte, dass er gewinnen musste, denn er hatte Recht und wir lagen falsch.
Genug! Mir reichte es. Es war an der Zeit, die Kontrolle zu übernehmen. Ich hatte es satt, dass die Wut und der schwache Teil überhaupt mitredeten. Sie waren nicht wichtig, sie drängten sich nur immer in den Vordergrund, weil sie glaubten, mich definieren zu müssen. Weil sie glaubten, dass nur sie meine Liebe verteidigen konnten. Gegen ihn, gegen mich selbst. Doch die Wahrheit war: Sie standen im Weg. Sie stahlen der Liebe ihre Leidenschaft und kanalisierten sie auf die destruktivste Weise, die möglich war.
Ich sah ihm in die Augen und erinnerte mich daran, wie sehr er mich liebte. Ich erinnerte mich daran, wie degeneriert wir beide waren, mit dem Unterschied, dass er sich das nicht eingestehen konnte. Mit dem Unterschied, dass er Angst davor hatte. Und das war auch der einzige Grund, warum er Angst vor meiner Liebe hatte, warum er sie haben und doch ändern wollte.
Wortlos ging ich auf ihn zu. Ich nahm ihn in den Arm. Er war nicht der Feind gegen den ich meine Wut richten musste. Er war nicht der übermächtige Gegner, dem ich nur Schwäche entgegenzusetzen hatte. Er war bloß ein kleiner Junge voller Angst.