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Die zierliche Nachbarin

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29.01.2010
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Die zierliche Nachbarin

Serge Chopard stand vor den Regalen mit Eau de Toilette, überlegend, ob er mal eine andere Marke ausprobieren soll. Links neben ihm war eine Spiegelwand. Als sein Blick diese flüchtig streifte, blieb er an der Spiegelung haften. Er kannte die Frau, welche schräg gegenüber vor den Parfüms stand, ihm seitlich zugewandt. Es war eine Nachbarin. In dem einen Jahr, seit er in Cimiez wohnte, war er ihr nicht oft begegnet. Durch ihre zierliche Erscheinung und die stets modisch-elegante Kleidung, war sie ihm sehr angenehm aufgefallen. Er wagte jedoch nie mehr als einen Gruss auszusprechen. Wie er wusste, lebte sie allein, und Besucher die bei ihr verkehrten, waren ihm keine aufgefallen. Sie wandte sich ab und verschwand aus seinem Blickwinkel. Galeries Lafayette präsentiert auf sechs grossflächigen Etagen ein reichhaltiges Warenhausangebot.

An der Kasse hatte er eben bezahlt, als er wieder auf seine Nachbarin aufmerksam wurde. Ibrahim, einer der Warenhausdetektive, schritt, seine Nachbarin gewaltsam am Arm festhaltend, auf den Personaldurchgang zu. Er wusste, was dies bedeutete, sie musste bei einem Diebstahl ertappt worden sein. Diese Vorstellung erschreckte ihn. Instinktiv, ohne Überlegung, eilte er ihnen nach. Er erreichte die Türe erst, nachdem sie bereits zugeschlagen war, sodass er erst seine Personalkarte an den elektronischen Türöffner halten musste.

«Hallo Liebling, was ist passiert?», rief er ihnen hinterher, knapp, bevor sie den Lift in die Verwaltungsdirektion bestiegen. Ibrahim, der ihn kannte, schaute ihn konsterniert an. «Gehört sie zu Ihnen?», fragte er. «Ja, es ist meine Frau», bemerkte Chopard. Seine Nachbarin sagte kein Wort, verfolgte das kurze Gespräch jedoch aufmerksam.

Im Büro gab er ihren Vornamen mit Geneviève an. Sie schwieg beharrlich. Dabei wusste er, dass sie Claire hiess, Claire Lalive. In den Akten wurde sie unter dem Namen Geneviève Chopard festgehalten. Es war der Name seiner geschiedenen Frau. Wieso er dies tat, war ihm selbst nicht klar, doch ein Zurück gab es nun nicht mehr.

Den Strafbetrag bezahlte er und gab an, seine Frau sei in Behandlung. Damit verhinderte er, dass die Polizei zugezogen wurde, wie es üblich war. Ein Hausverbot wurde trotzdem über sie verhängt. Er entschuldigte sich für seine vorgebliche Frau vielmals. Der Warenhausdetektiv und der Verwaltungsdirektor sahen ihn nur ernst an, es würde einen Vermerk in seiner Personalakte zur Folge haben.

Über den Personalausgang führte er sie hinaus in eine kleine Seitenstrasse. Draussen entfernte sie sich wortlos mit schnellen Schritten in Richtung Place Masséna, ihn einfach stehen lassend.

Nach dem Nachtessen wollte er es sich im Wohnzimmer bequem machen, als es klingelte. Frau Lalive stand vor der Türe. «Haben Sie Zeit für mich?» Ihr Auftreten wirkte, als ob sie gute Bekannte wären. Er führte sie ins Wohnzimmer und bot ihr einen Platz auf der Couch an. «Da Sie mir vor einigen Tagen so freundlich beistanden», meinte sie charmant lächelnd und überreichte ihm, einer grossen Tasche entnehmend, eine Flasche Wein.

Ihr Lächeln vermittelte ihm ein warmes Gefühl, etwas Engelhaftes schien ihm von ihr auszugehen. Er bedankte sich höflich.

An der Etikette sah er, dass es sich um einen erlesenen Tropfen handelte. Zwei Gläser einschenkend, brachte er zugleich das Gespräch behutsam auf das Geschehen im Warenhaus. «Ich kann mir nicht erklären, wie Sie in eine solche Situation kommen konnten. Es handelte sich doch sicher nur um eine Unachtsamkeit?»

Sie schaute ihn völlig unbefangen an. «Es war tatsächlich ein Missverständnis. Ich hatte die Packung in die Manteltasche geschoben, damit ich die Hände frei habe, um mir noch weitere Parfüms anzusehen. Dies war ein Fehler, ich hätte es erst am Schluss nehmen sollen. Dieser ungehobelte Angestellte wurde jedoch ziemlich ausfallend und akzeptierte meine Erklärung nicht, obwohl ja nichts geschehen war. Hätte ich Widerstand geleistet, wäre er wohl nur noch aggressiver und die Situation noch unwürdiger geworden. So zog ich es vor, die falsche Anschuldigung zu erdulden um es dann mit seinem Vorgesetzten zu klären.»

Wie sie ihn so treuherzig ansah, verschwand der Anflug des Zweifels, welcher ihn nach dem Vorfall beschlich. Er war verunsichert gewesen, ob Ibrahims Ehrgeiz übergeschwappt war oder sie das Haus wirklich diskret ohne Bezahlung verlassen wollte. Doch er konnte es sich nicht vorstellen. Sie ist eine kultivierte Dame, die sich wahrscheinlich noch nicht mal einen Strafzettel wegen unerlaubten Parkierens zuschulden kommen liess. Und dies will in Nizza etwas heissen. «Ich glaube Ihnen», meinte er entschieden. «Nein», verbesserte er sich, «ich bin von Ihrer Unschuld überzeugt».

Sie blickte ihn nur mit grossen Augen an.

«Gleich morgen werde ich mit den zuständigen Leuten nochmals sprechen, dass es sich nicht um einen Diebstahl, sondern um ein Versehen handelte. Es kann nicht sein, dass dieser beleidigende Vorwurf Ihnen gegenüber unwidersprochen und aufrechterhalten bleibt. Es wäre allerdings besser gewesen, wir hätten dies gleich vor Ort geklärt.»

«Aber ich konnte doch nicht. Nachdem Sie mich als Ihre Frau vorstellten, war ich in einer unmöglichen Situation. Wäre diese Lüge aufgedeckt worden, hätten wir beide ernsthafte Schwierigkeiten gehabt. So hatte ich nur noch den Wunsch möglichst rasch wegzukommen.»

Chopard war über ihre Worte erschrocken, die Tragweite seines spontanen Handelns wurde ihm erst jetzt bewusst. Sie hatte Recht, es war sein Verhalten, das sie erst in eine ausweglose Situation brachte. «Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen solche Schwierigkeiten bereitete. Auch, dass ich Sie als meine Frau ausgab.» Er war sichtlich betroffen.

«Ich rechne es Ihrer Gutmütigkeit zu, dass Sie sich zu so etwas hinreissen liessen, als Sie mich in dieser unseligen Situation erblickten. Aber überlegt war es nicht. Ich war schockiert, als Sie erwähnten, ich wäre Ihre Frau. Aber zugleich spürte ich, dass Sie mich beschützen wollten.» Ein kurz tadelnder Ausdruck ihrer Mimik wich wieder einem Lächeln. «Da es glimpflich ausging, verzeihe ich Ihnen. Dennoch ist es unhaltbar, eine Dame in eine solche Lage zu bringen.»

Chopards Schuldgefühl verstärkte sich noch, als sie erwähnte, dass er sie schockiert hatte. Gerade ihr gegenüber, hätte er sich alles andere gewünscht. «Es tut mir wirklich sehr leid, ich wollte Sie in keiner Form beleidigen. Ich würde alles tun, um dies ungeschehen zu machen.»

«Beleidigt, nein das bin ich nicht. Aber eine Frau schätzt es überhaupt nicht, wenn Männer meinen, man könne einfach über sie entscheiden. Aber ich denke, wir vergessen dies einfach.» Auf die Uhr schauend, erhob sie sich. «Ich muss jetzt auch wieder gehen.»

Am nächsten Tag suchte er den Verwaltungsdirektor auf. Es brauchte eine enorme Hartnäckigkeit von ihm, sein Anliegen durchzusetzen, umso mehr er ja erwähnte, seine Frau wäre in Behandlung. Trotzdem beharrte er darauf, es wäre ein Missverständnis gewesen. Er habe sowohl mit seiner Frau als auch mit ihrem Therapeuten gesprochen. Der Verwaltungsdirektor gab schliesslich nach. Die Akte über den Vorfall werde vernichtet und der Eintrag im Personaldossier, welcher noch nicht erfolgt ist, sei damit hinfällig. Ein Hausverbot für Geneviève Chopard wurde ebenso aufgehoben.

Als er am nächsten Abend nach Hause kam, stellte er seine Sachen ab und verliess dann nochmals die Wohnung. Einen Stock höher klingelte er bei Frau Lalive. Sie reagierte erst nach dem zweiten Klingeln, die Tür nur einen Spalt öffnend und herausspähend.

«Ich habe gute Nachrichten», sagte er zur Begrüssung. Erst zögerte sie, doch dann öffnete sie die Türe ganz und liess ihn vorbei. Sie führte ihn in ein modern eingerichtetes Wohnzimmer.

Er berichtete ihr ausführlich von seinem Gespräch mit dem Verwaltungsdirektor. Dass sie dies fröhlich stimmte, gab ihm die Hoffnung, dass sie ihm seinen Fehler endgültig verzeihen könnte. Als sie kurz austrat, um eine Flasche Wein zu holen, schweifte sein Blick durch den Raum. Die Ausstattung ist geschmackvoll, vom Preis her eher eine gehobene Klasse. Es passt zu ihr, dachte er mit wohligem Gefühl. Sie ist wirklich eine Dame aus gutem Haus.
Beim Abschied bemerkte er eine kleine farbige Figur auf einer Anrichte, welche vorher nicht in seinem Blickfeld lag. Es war unverkennbar ein Stück von Niki de Saint Phalle. Er besass selbst ein gleiches Stück, welches er aus zweiter Hand einst günstig erwarb. Claire, sie erlaubte ihm sie so zu nennen, wartete bereits an der offenen Wohnungstür.

In Gedanken an die Statue von Niki de Saint Phalle kehrte er beschwingt in seine Wohnung zurück. Es ist doch schon Vorsehung, dass ich Claire begegnet bin und sie an gleicher Kunst wie ich interessiert ist.
Da wo seine Niki de Saint Phalle stehen sollte, war der Platz verwaist. Unmöglich, dachte er, ich habe sie doch nicht weggeräumt. Vergangene Woche wischte ich dort noch Staub. Natürlich nahm er sie schon lange nicht mehr ständig wahr. In den Jahren ihres Eigentums, war sie längst ins vertraute Inventar übergegangen, dass er nicht mehr detailliert beachtete. Er überlegte, ob er die Figur anderswo platzierte, doch sie blieb verschwunden.

Der einzige Besucher in den letzten Wochen war Claire gewesen. Nein das ist unmöglich. Er weigerte sich einen solchen Gedanken überhaupt in Erwägung zu ziehen. Einen derart gravierenden Fehler werde ich ihr gegenüber nicht noch einmal begehen. Jetzt wo wir uns endlich näher gekommen sind.

 

Hallo Anakreon,

Ich kenne die alte Version nicht.
Mir gefällt, dass deine Geschichte zum Inhalt hat, wie sehr doch der 1. Eindruck ein falscher sein kann. Mir gefällt auch, wie du dich sprachlich dem Gentlemen genähert hast.

Ich habe deine Geschichte gerne gelesen.

LG
GD

 

Hallo Goldene Dame

Mir gefällt, dass deine Geschichte zum Inhalt hat, wie sehr doch der 1. Eindruck ein falscher sein kann.

Dieser Aspekt, der in zwischenmenschlichen Beziehungen immer gegenwärtig ist, schien mir bedeutsam, die vorgelegte Handlung durchzuziehen.

Mir gefällt auch, wie du dich sprachlich dem Gentlemen genähert hast

Das freut mich aber sehr, dass es mir durch die Überarbeitung gelungen ist, die beabsichtigte Sprachmelodie zu vertiefen.

Ich habe deine Geschichte gerne gelesen.

Diese Lorbeeren gereichen mir zur Freude, danke dir für deinen Kommentar.

Liebe Grüsse

Anakreon

 
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Hallo Anakreon!

Ich habe über diese gewählte, vornehme Sprache auch nachgedacht. Es ist ja die Sprache deines Prot, aus dessen Perspektive erzählt wird. Und da in der Belletristik eine Figur oft durch ihre Sprache charakterisiert wird, passt es auch. So kann ein Schriftsteller zum Beispiel einen Ganoven oder Penner durch schnoddrige Sprache charakterisieren - die Sprache deines Prot ist das Gegenteil davon, was ihn in meinen Augen auch charakterisiert. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist dieses Kaufhaus mit dem vornehmen französischen Namen auch der Arbeitsplatz deines Prot, vielleicht ist sogar diese Abteilung mit teuren erlesenen Parfums sein Arbeitsplatz - die Wahl des Berufs, des Arbeitsplatzes sagt ja auch oft etwas über den Charakter eines Menschen aus; wer so gewählt denkt und spricht, wird nicht Schornsteinfeger oder Brummifahrer, sondern sucht sich einen Arbeitsplatz mit edlen Waren.

Aufschlussreich finde ich den ersten Satz:

Serge Chopard stand vor den Regalen mit Eau de Toilette, überlegend, ob er mal eine andere Marke ausprobieren soll.

Der Wunsch, etwas neues auszuprobieren, nach Veränderung, Erlebnis, Abenteuer geht ihm durch den Kopf. Es ist wohl der unbewusste Wunsch des geschiedenen Mannes, mal eine neue Frau auszuprobieren. Da solch ein Wunsch diesem Mann, dessen Ideal es ist, wohlerzogen, ein Ritter ohne Fehl und Tadel zu sein, anstößig sein muss, kann er nur getarnt ins Bewusstsein dringen: Mal eine andere Parfummarke ausprobieren. Aber die Frau hat den richtigen Instinkt, da sie seine angeblich so selbstlos-ritterliche Tat als Übergriff auf sich empfindet.

Noch eine Bemerkung: Ich habe "Niki de Saint Phalle" gegoogelt, und die Artefakte dieser Dame, die ich auf dem wikipedia-Artikel gesehen habe, sind knallig bunt und passen so gar nicht zu der gewählten Sprache und dem vornehmen Arbeitsplatz deines Prot: Sie fallen aus dem Rahmen, symbolisieren wohl Wünsche, die unbewusst sind, weil sie nicht in den rahmen dieses vornehmen Lebensstils passen würden.

Deine Geschichte ist hintergründig, so dass ich sie mit Interesse gelesen habe!

Grüße gerthans

 

Hallo gerthans

Mit Interesse habe ich deine Ausführungen gelesen und musste über deine Interpretationen schmunzeln.

Es ist ja die Sprache deines Prot, aus dessen Perspektive erzählt wird. Und da in der Belletristik eine Figur oft durch ihre Sprache charakterisiert wird, passt es auch.

Das freut mich, dass es für dich so stimmig zu lesen war.

Wenn ich es richtig verstanden habe, ist dieses Kaufhaus mit dem vornehmen französischen Namen auch der Arbeitsplatz deines Prot, vielleicht ist sogar diese Abteilung mit teuren erlesenen Parfums sein Arbeitsplatz - die Wahl des Berufs, des Arbeitsplatzes sagt ja auch oft etwas über den Charakter eines Menschen aus;

In den ersten Entwürfen war seine Tätigkeit noch spezifiziert, es fiel dann beim Kürzen meinem Rotstift zum Opfer. Dies beinhaltete, dass er bei Lafayette eine Stelle als Buchhalter innehat, nach einer Reorganisation und damit verbundenem Karriereknick bei seinem vorgehenden Arbeitgeber. Eine andere, ihm angemessene Anstellung konnte er kurzfristig nicht finden. Doch deine Überlegung finde ich schön.

Der Wunsch, etwas neues auszuprobieren, nach Veränderung, Erlebnis, Abenteuer geht ihm durch den Kopf.

Ich sah ihn eher etwas zaghaft, ob er mal ein anderes Eau de Toilette wählen soll. Dies signalisierte aber schon einen unbewussten Veränderungswunsch in seinem Leben.

Es ist wohl der unbewusste Wunsch des geschiedenen Mannes, mal eine neue Frau auszuprobieren. Da solch ein Wunsch diesem Mann, dessen Ideal es ist, wohlerzogen, ein Ritter ohne Fehl und Tadel zu sein, anstößig sein muss, kann er nur getarnt ins Bewusstsein dringen: Mal eine andere Parfummarke ausprobieren.

Seine Nachbarin gefiel ihm durchaus, doch war er eben noch zu gehemmt, um offensiv zu agieren, bis der Vorfall eintritt. Da handelte er ohne Überlegung. Mal eine Frau auszuprobieren, ja so einen machohaft formulierten Gedanken hätte er in sich nicht erlaubt, er wäre ihm anstössig gewesen.

Aber die Frau hat den richtigen Instinkt, da sie seine angeblich so selbstlos-ritterliche Tat als Übergriff auf sich empfindet.

Im ersten Moment empfindet sie es als Übergriff, da er sie ungefragt manipulierte. Doch spielte sie auch mit ihm und nutzte seine Haltung aus. Ritterlichkeit, Mitleid u. Ä. sind ja immer auch eine Spur Egozentrik des Trägers, da die Reaktion letztlich immer dessen Wohlbefinden, dessen Selbstverständnis auch zugutekommt.

"Niki de Saint Phalle" … die Artefakte dieser Dame … sind knallig bunt und passen so gar nicht zu der gewählten Sprache und dem vornehmen Arbeitsplatz deines Prot: Sie fallen aus dem Rahmen, symbolisieren wohl Wünsche, die unbewusst sind, weil sie nicht in den rahmen dieses vornehmen Lebensstils passen würden.

Die Originale von Niki de Saint Phalle sind sehr teure Kunstwerke. Allerdings gibt es eine lizenzierte Reihe kleiner Figuren, die als Massenware hergestellt werden. Die Figur, von der in der Geschichte die Rede ist, war eben eine solche.
Die Künstlerin macht gewollt grell-bunte voluminöse Frauenskulpturen in überdimensionierter Grösse, so ganz anders, als sie selbst war. Zu dieser Kunstform kam sie erst 1962, als sie begann, sich mit der Frauenrolle auseinanderzusetzen. Als junge Frau Anfang zwanzig hatte sie einen Nervenzusammenbruch. In der Klinik begann sie zu malen, was sie später selbsttherapeutisch nutzte und autodidaktisch zur Kunst führte. 1966 schuf sie die erste Nana, die Urmutter dieser Frauenfiguren. Das Objekt einer liegenden Frau gestaltete sie für das Moderna Museet in Stockholm, 27 m lang, mit Eingang begehbar über die Vagina. Für sie hatte es also sehr wohl mit Unbewusstem und Sexualität zu tun.
Den Widerspruch, den du geortet hast, zwischen der gewählten Sprache und der Vornehmheit im Umfeld des Prot., wählte ich gewollt provokativ. Es sollte eben einen Kontrast bilden.

Vorab hatte meine Linienführung die Absicht zu unterhalten. Wie du die möglichen psychologischen Hintergründe ausgelotet und die Motive und Handlungen auf versteckte Botschaften durchforstest hast, fand ich schön. Ich baue gerne mehr oder weniger versteckte Eigenarten ein, doch rechnete ich hier weniger damit, dass jemand diese über das offensichtliche hinaus hinterfragt.

Insofern war mir dein Kommentar ein besonderes Vergnügen und danke dir dafür. Es freut mich, dass du an der Hintergründigkeit der Geschichte gefallen fandest.

Gruss

Anakreon

 

Hallo Anakreon,
wie "versprochen" habe ich eine deiner Geschichten gelesen.
Vorab: Ich lese wie ich schreibe. Intuitiv und bin auch wenig in Kritik geübt (das ist mein allererster Tag in einem Forum). Deshalb sehr subjektiv und ehrlich: Ich hätte unter normalen Umständen nach kurzer Zeit nicht weitergelesen. Es hat mich nichts gereizt, weder die Sprache (scheint schon genug dazu gesagt worden zu sein), noch das Thema und genauso wenig die Protagonisten. Die Sätze sind zum Teil sehr kurz (zu kurz), was den Fluß meines Lesens sehr behindert hat und es kam kein Gefühl auf. Die Dialoge sind sehr gestelzt und da ich davon ausgehe, dass die Geschichte vor nicht allzu langer Zeit spielen soll, nicht zeitgemäß. So redet niemand in dem Alter das ich vermute, die beiden haben. Passiert ist letztlich nichts (was durchaus so sein kann in einer Geschichte) aber in dieser passte es nicht. Kurz: Ich habe keine Verbindung zur Geschichte bekommen.
Einschränkend muss ich sagen, dass ich extrem kritisch bin und schon etliche Romane in den letzten 30 Jahren nach 100 Seiten (das gebe ich jedem Roman in jedem Fall) zur Seite gelegt habe, aber auch andere dafür über alles liebe.
Wie ich gesehen habe, hast du noch einiges geschrieben - also mache ich mich mal an die nächste Erzählung.

Herzliche Grüße
Heiner Meemken

 

Hallo Heiner

Schön, dass du dich an einem meiner Stücke vergriffen hast. Ich hoffe, du nimmst dir Bernadettes Worte nicht zu sehr zu Herzen und meine Stücke zu lesen zur Pflicht. Lesen und Kommentieren dieser soll die Kür sein.

Dass du subjektiv und ehrlich an die Kritik gehst, freut mich. Ich denke, du wirst dich einer Prise an Objektivität dennoch nicht entziehen können, so sind wir Menschen nun mal.

Ich hätte unter normalen Umständen nach kurzer Zeit nicht weitergelesen.

Was mich hier etwas überrascht ist, dass du einen nicht normalen Zustand interpretierst. Du hast weder Pflicht noch Kür, meine Geschichten zu lesen. Bernadettes Hinweis bezog sich darauf, dass die Autoren in diesem Forum – vor allem auch zu ihrem eigenen Gewinn – in ausgewogenem Ausmass auch andere Geschichten lesen und kommentieren. Aber niemand muss etwas lesen oder kommentieren, was er nicht mag.

Es hat mich nichts gereizt, weder die Sprache …, noch das Thema und genauso wenig die Protagonisten.

Akzeptiert. Ich mag auch nicht alles was sich in der Welt der Literatur oder auch in der KG.de präsentiert. Und jeder Autor – auch solche die Bestseller schreiben – müssen damit leben, dass sie nicht alle Leser erreichen. Ich für meinen Teil kann damit leben. Unangenehm finde ich es nur, wenn Kritik unter die Gürtellinie zielt, doch da kann ich mich wehren.

Die Sätze sind zum Teil sehr kurz (zu kurz), was den Fluß meines Lesens sehr behindert hat und es kam kein Gefühl auf.

Hier merkte ich besonders auf. Entschuldige bitte, du kannst es nicht wissen, aber ein häufiger Kritikpunkt an meinen Texten waren eben auch zu lange Sätze! Gut es ist eine überarbeitete Version, die du da gelesen hast und vielleicht habe ich da zu bös gekürzt. Ich muss den Text bei Gelegenheit wieder einmal lesen.
Stimmt, die Rollen der beiden Prots. lassen keine wirkliche Sentimentalität aufkommen, zumindest einseitig nicht. Für den Leser mag dies kalt wirken, ein Effekt, der nicht unbeabsichtigt war.

Die Dialoge sind sehr gestelzt und da ich davon ausgehe, dass die Geschichte vor nicht allzu langer Zeit spielen soll, nicht zeitgemäß. So redet niemand in dem Alter das ich vermute, die beiden haben.

Das entspricht dem hauptsächlichen Tenor der andern Kritiken.

Einschränkend muss ich sagen, dass ich extrem kritisch bin und schon etliche Romane in den letzten 30 Jahren nach 100 Seiten (das gebe ich jedem Roman in jedem Fall) zur Seite gelegt habe, aber auch andere dafür über alles liebe.

Da bist du aber zäh, einen Roman erst nach 100 Seiten in die Ecke zu werfen, wenn er dir nicht gefällt. Dies hielt ich mein Leben lang immer nur bei der Fachliteratur so.

Wie ich gesehen habe, hast du noch einiges geschrieben - also mache ich mich mal an die nächste Erzählung.

Hier muss ich aber explizit darauf hinweisen, dass für das Lesen meiner Texte kein Schmerzensgeld gezahlt wird. Wenn du aber zu den Lesern gehörst, die dennoch einen Gewinn daraus ziehen, nur zu.

Schöne Grüsse und danke für deine Meinung.

Anakreon

 

Lieber Anakreon,
keine Angst, ich bin kein Masochist. Immerhin hast du zwei Erzählungen von mir bearbeitet und warum sollte ich in der Flut der Geschichten nicht deine nehmen?
Ich bin Jahrgang 56 und "erst" seit zwei Jahren am Schreiben (aber schon etwas länger am Lesen). Die hundert Seiten, die ich von Romanen lese, sind reine Schutzfunktion, damit ich den Texten tatsächlich eine Chance gebe. Da ich zumeinst vier oder fünf Romane gleichzeitig lese (blöde Angewohnheit), ist das ohnehin nicht so das Problem.
Ich habe noch zwei weitere Geschichten von dir gelesen (Pater Amsels Bitte und Spaziergänge zwischen Grabsteinen). Ich schreibe mal gleich hier was dazu, da es ohnehin nur allgemein ist. Beide Themen finde ich interessant und von der Idee und Verlauf der Geschichte gut. Die Sätze sind hier auch nicht so abgehackt und stockend. Leider sind die Dialoge teilweise zu lang, häufig zu gestelzt formuliert und manchmal zu inhaltsschwer (Pater Amsel). Zumindest bei der Pater Amsel Geschichte sind die Dialoge das tragende Element und sollten entsprechend gut und natürlich rüberkommen. Natürlich hat der Pater ein fortgeschrittenes Alter und von daher und auch durch seinen Beruf (Berufung) möglicherweise eine andere Ausdruchsweise als wir Normalos, aber wenn jemand über sein eigenes Sterben spricht (zumal wenn es bei einem Katholiken - war selbst mal einer - um den Freitod geht) sollten doch etwas mehr Emotionen mitspielen. Man ist nicht sein Leben lang Gott und vorallem der K-Kirche so zugewandt und geht so rational in den Freitod. Ich kenne (aus einem anderen Leben - lange, lange her) viele Priester und Ordensleute, aber auch die (oder gerade die) beschäftigen sich viel mit Innerlichkeit (mal abgesehen von dem ersten deutschen Papst, der als Ex-hexenjäger da eine besondere Rolle spielt).
Also wenn ich Dialoge schreibe, versuche ich mich so in die Situation hineinzuversetzen und spreche sie (beim Schreiben) und stocke eigentlich immer schnell, wenn es zu hochtrabend, erklärend oder ausufernd werden.

Na, so allmählich macht die Kritisiererei doch doch tatsächlich Spaß ...
Ich hoffe, die (wieder sehr subjektiven) Anmerkungen helfen bei der zukünftigen Arbeit.

Herzliche Grüße aus dem Niemandsland hinter dem großen Fluß

Heiner Meemken

 

Lieber Heiner

Da hast du dir ja noch zwei besondere Geschichten von mir ausgesucht, aber durchaus repräsentativ für meine Schreibe. Es freut mich, dass du beide interessant und von der Idee sowie Verlauf her gut findest.

Ja, Pater Anselms Abgang wird vom Dialog getragen. Es herrscht des breiteren die Meinung vor, dass jemand heute nicht so spricht, wie ich es zuweilen meinen Figuren zugestehe. Da bist du also nicht allein. Ich denke aber, gerade bei dieser Geschichte wäre eine moderne Sprachform deplatziert zur Stimmung. Die Figur des Paters ist natürlich fiktiv und nicht einer authentischen Person zuzurechnen, aber das Denk- und Verhaltensmuster durchaus an verschiedene reale Gestalten angelehnt. Du unterschätzt die lieben Patres. Manche von ihnen sind sogar weit weltoffener und in gewissen Fragen rationaler im Denken als viele Menschen, die sich für modern und aufgeklärt betrachten. Zumindest unter jenen, denen ich in begegnete. Da ich von Geburt an religiös unbelastet bin, waren solche Begegnungen natürlich auf gemeinsame weltliche Interessen fokussiert, erlaubten darüber hinaus aber durchaus vertiefter Einblick.

:lol: Du findest nun doch Gefallen an der Rolle des Kritikers, nachdem ich dir auf dem literarischen Opfertisch dargereicht wurde. Wenn es dir gelingt, dir selbst und andern gegenüber mit gleicher Präzision den Massstab anzusetzen, konstruktiv und aufbauend, was eine harte Arbeit ist, bist du sicher auf dem richtigen Weg. Also viel Glück beim weiteren Schreiben und Kommentieren.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

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