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Die Xanthoria-Archive I: Heilung (neue Version)
Im Jahre 897 nach der Großen Reise
Frendts Beine waren mit schweren Ketten gefesselt. Seine Arme wurden von je einer Wache mit starkem Griff und ziemlich schmerzhaft festgehalten, während eine dritte vorausging. Die Griffe waren so brutal, dass der alte Mann die Zähne zusammenbeißen musste, um nicht laut aufzustöhnen. Er wusste nicht wie alt er war, noch in welchem Jahr er sich befand. Aber er musste schon viele Jahrzehnte hinter sich gelassen haben, denn sein Gesicht war voller Furchen und braungebrannt. Er hatte lange, verfilzte, graue Haare, einen ebenso ungepflegten Bart. Seine Augen schienen leer und nichts von dem wahrzunehmen, was um ihn herum geschah. Er stank erbärmlich nach Kot und Urin, die Kleidung war zerrissen und starrte vor Dreck. An seiner Hüfte hing die Scheide für sein Soldatenschwert, mit dem er so viele Menschen getötet hatte. Doch war diese nun leer und nutzlos.
Die Wachen zerrten ihn durch die Menschenmenge. Jeder hier wusste, wer er war. Die Kunde, dass der Wilde, der seit Jahren sein Unwesen hier in der Gegend trieb, sich selbst gestellt hatte und festnehmen ließ, hatte sich wie eine üble Krankheit von Mann zu Mann und von Frau zu Frau ausgebreitet; alle starrten ihn mit Hass in ihren Augen an. Ihr gerechter Zorn entlud sich über ihn.
„Bestie!“
„Du Mörder!“
„Monster! Verflucht seist Du!“
„Brennen sollst Du auf dem Scheiterhaufen!“
Frendt war es gleich, was sie zu ihm sagten. Er fühlte sich leer. Nur der Schmerz in seinen Armen ließ ihn in der Wirklichkeit verweilen.
Sie sperrten ihn in ein dunkles Verlies. Es gab keine Fenster, nur eine Fackel erhellte den Gang.
„So“, schnauzte ihn eine der Wachen an. Der Mann hatte nichts als Verachtung für Frendt übrig. Der Zorn brodelte in ihm. Wenn er nur daran dachte, wie viele Menschen diese Bestie vor ihm schon ermordet, nein, abgeschlachtet hatte! Auch ein Bauer und seine Frau, die die Wache mal gekannt hatte, gehörten zu den Opfern. Voller Wut spuckte sie ihm genau ins Gesicht. Frendt wandte den Kopf ab, leichter Ekel überkam ihn. „Hier wirst Du solange bleiben, bis Du hingerichtet wirst!“
Frendt erwiderte nichts, sondern blieb einfach auf dem kalten und nassen Steinboden sitzen, an die Wand gelehnt. In dem Moment konnte der Wächter sich nicht länger zusammenreißen. Mit brutaler Kraft trat er ihm in die Seite. Der alte Soldat schrie auf, kippte um, krümmte sich auf dem Boden. Der Schmerz wollte nicht nachlassen. Leise wimmerte er. Der Mann, der ihn getreten hatte, schloss die schwere Eisentür und Frendt wurde von endgültiger Dunkelheit umhüllt. Er hörte, wie von außen der Riegel vorgeschoben wurde und Schritte, die sich anschließend von der Tür entfernten. Dann war da nur noch Stille.
Mühsam rappelte sich Frendt wieder hoch, um sich erneut an die Wand zu lehnen. Diese war aber weiter von ihm entfernt, als er in der Dunkelheit angenommen hatte und so schlug er schmerzhaft mit dem Hinterkopf dagegen, da er das Gleichgewicht verlor. Nur einen Moment später lief ein warmes Rinnsal seinen Nacken hinab.
Er erinnerte sich an damals, als alles begonnen hatte. Vor vielen Jahren war Frendt ein einfacher Soldat gewesen. Er gehörte zu der Armee der Rhynburg. Es war eine Zeit voll von Tod und Krieg. Die schwarzen Horden waren vom Westen über das Meer nach Xanthoria gekommen. Jenes dämonenhafte Heer, welches die Menschen den Legenden nach aus den Westenlanden vertrieben hatte. Und nun war es wieder da und brachte den Menschen den Tod. Das erste Reich, welches den Horden zum Opfer gefallen war, war Xan. Niemand war auf einen solchen Krieg vorbereitet, es hatte nicht lange gedauert, bis alles in Schutt und Asche lag. Dann war das Heer nach Rhynn marschiert und schließlich kam es zur Schlacht vor den Toren von Leece, einer Stadt, die einige Meilen westlich der Rhynburg lag. Hier war Frendt stationiert und jeder wusste natürlich inzwischen, was in Xan vorgefallen war. Jetzt waren die Menschen bereit, sich zu verteidigen.
Sowie Frendt an jenen unheilvollen Tag dachte, glaubte er, wieder klirrende Schwerter und Schreie zu hören. Vor seinem inneren Auge entstanden Bilder von Menschen und Ungeheuern, die miteinander kämpften. Er glaubte, den Pfeilregen der Verteidiger zu sehen, ehe - wie aus dem Nichts - ein Monster vor ihm erschien. Es war viermal so groß wie ein Mann, die Haut mit langem, zotteligem Fell bedeckt. Trotz seiner Größe war der Körperbau schlank und staksig, was dem Ding ein nahezu groteskes Aussehen verlieh, wie die Albtraumfigur eines Affen. Und dennoch hatte es sich wie ein Berserker durch die kämpfenden Massen direkt auf Frendt durchgepflügt. Er erinnerte sich, wie er, einen gellenden Schrei auf den Lippen, mit hoch erhobenem Schwert auf das Affending losgestürmt und wie er von einer der riesigen Klauen hochgehoben worden war. Dann hatte er in die schwarzen Augen seines Feindes geblickt. Im selben Moment hatte er gewusst, dass das ein Fehler gewesen war. Der Wahnsinn hatte sich mit langen, spitzen Fingern in seiner Seele ausgebreitet, ehe er das Bewusstsein verloren hatte.
Seit jenem Tag konnte er sich an fast nichts mehr erinnern. Die Dunkelheit hatte sich wie eine Decke über sein Bewusstsein gelegt. Nur hin und wieder lüftete sich der Schleier, in jenen Momenten sah er tote Menschen um sich herum. Und jedesmal war er der Mörder gewesen. Jedesmal hatte er sein Schwert in der Hand gehalten, an dessen Klinge rotes Blut heruntergelaufen war.
Nun, in der Gegenwart, hatte Frendt endlich wieder die volle Kontrolle über sich erlangt und sich gestellt. Was er getan hatte, hatte er nie gewollt und es tat ihm unendlich Leid. Aber er wusste auch, dass er bestraft werden musste und das war gut so. Er hatte es nicht anders verdient. Plötzlich breitete sich der Zorn in ihm gegen dieses Monster aus, das sein Leben zerstört hatte. Er war sich sicher, dass es ein Dämon war, der sich in ihm eingenistet hatte und ihn zu all diesen Schreckenstaten gezwungen hatte. Wie hätte er es auch besser wissen können? Wie hätte er wissen können, dass der unstillbare, tiefe Hass auf alles Lebende, das er damals in den Augen erblickt hatte, ihn wahnsinnig gemacht hatte? Kein Mensch hätte diesen Blick ertragen und bei Verstand bleiben können.
„Ich verfluche Dich, Dämon!“, brüllte Frendt in die stille Dunkelheit hinein. „Ich verfluche Dich in die achtzehnte Ebene von Xhorols Reich!“
Nun war es endlich soweit. Die zwei Platten der Guillotine umschlossen den Kopf des alten Mannes. Er konnte nur auf den Boden schauen, doch hörte er die johlende und pfeifende Menge, die beim Richtfest dabei sein wollte. Sie alle schmissen mit faulem Gemüse nach ihm.
Frendt schloss seine Augen.
Er hörte ein quietschendes Geräusch, das von oben auf ihn herab sauste.
Dann endlich war er erlöst.