Was ist neu

Die wahre Geschichte vom Rotkäppchen und dem bösen Wolf

Mitglied
Beitritt
15.04.2002
Beiträge
94

Die wahre Geschichte vom Rotkäppchen und dem bösen Wolf

Die wahre Geschichte vom Rotkäppchen und dem bösen Wolf:

„Und dann stürzte der böse Wolf mit den vielen Steinen im Bauch in den tiefen Brunnen und ertrank. Rotkäppchen und seine Großmutter waren wohlauf. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“ beendete Mutter die Geschichte und klappte das dicke Märchenbuch zu. „So, jetzt ist aber Schluß. Es ist Zeit zum Schlafen, meine Liebe.“ sagte Mutter zu Corina und legte das Buch das Nachtkästchen, welches neben Corina’s Bett stand. "Freust du dich schon auf deinen Wandertag morgen?" fragte Mutter und fuhr mit der Hand durch Corina´s blondes Haar, daß diese nur so kicherte. "Ja, schon. Der wird sicher ganz lustig." antwortete sie und beutelte ihren Kopf und somit ihre Haare wieder durcheinander. "Na, dann schlaf dich schön aus, damit du morgen richtig munter bist." lächelte Mutter. Corina kuschelte sich ein wenig tiefer unter die Decke und blickte ihre Mutter mit ihren müden sechs Jahre alten Augen an. „Ja. Gute Nacht, Mama.“ sagte sie und zog sich die Decke bis zum Hals hinauf. „Gute Nacht, Corina.“ erwiderte Mutter und gab ihr einen Gutenachtkuß auf die Wange. Dann drehte sie die Snoopy-Lampe ab, die neben Corina auf dem Nachtkästchen stand. Im Finstern bahnte sie sich den Weg durch Corina’s mit Spielsachen übersätes Zimmer, immer darauf gefaßt, daß sie auf irgend einen spitzen Gegenstand treten und dieser sich in ihren Fuß bohren würde. Doch diesmal trat sie nicht auf GI-Joe oder auf einen seiner Kameraden. Sie schloß die Tür hinter sich und freute sich auf ihr Bett.

Durch den Türspalt fiel ein dünner Lichtstrahl in das Kinderzimmer, der von zwei hellwachen und abwartenden Kinderaugen wachsam beobachtet wurde. Klick. Der Lichtstrahl verschwand. Mutter war zu Bett gegangen. Corina schob die Decke weg und drehte die Nachtlampe auf. Snoopies Nase begann hell zu leuchten. Corina beugte sich über die Lampe, um das Märchenbuch zu erreichen, das ihre Mutter dort hingelegt hatte. Vorsichtig hob sie es über die Lampe, immer darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen, welches ihre Mutter wieder wecken und ihren Zorn auf sie lenken könnte. Sie blätterte das Buch durch bis sie das Märchen vom Rotkäppchen und dem bösen Wolf fand. Es war eindeutig ihr Lieblingsmärchen. Natürlich gab es da Schneewittchen und all die anderen Geschichten, die sie gern hatte, aber Rotkäppchen und der böse Wolf nahmen einen besonderen Platz in Corina’s Märchensammlung ein. Sie blätterte weiter bis sie zu einer Seite kam, auf der der böse Wolf abgebildet war. Corina hatte ein wenig Angst vor dem Wolf, wenn sie das Bild ganz alleine im finsteren Zimmer ansah. Doch sie konnte den Blick nicht abwenden, wie es auch manche entsetzte Kinder nicht können, wenn sie einen schrecklichen Horrorfilm sehen. Der Wolf schien Corina genau ins Gesicht zu starren. Er war bereit sie anzuspringen. Gleich würden seine Muskeln sich kurz, aber gewaltig anspannen, und er würde mit einem einzigen Satz aus der Seite springen und Corina zerfleischen. Aber der Wolf sprang nicht, er starrte nur weiterhin aus dem Buch. Corina wußte, oder wünschte sich zu wissen, daß der Wolf nicht aus dem Buch springen konnte. Es war schließlich nur ein Bild rief sie sich in Gedächtnis. Aber die gelben Augen des Wolfes fixierten sie und Corina kam es so vor, als funkelten sie sie an. Der Wolf schien zu wissen, daß da draußen, außerhalb des Buches, ein kleines Mädchen saß und sich fürchtete. Doch wußte der Wolf auch, daß er nicht aus dem Buch springen konnte. Doch warte nur mein kleines Mädchen, schienen die Augen des Wolfes zu sagen, in deinen Träumen werde ich springen. Ja, da werde ich springen! Ängstlich klappte Corina das Buch zu. Das Geräusch vertrieb ein wenig die Angst, die ihr das Bild gemacht hatte. Vorsichtig legte sie das Buch wieder auf das Nachtkästchen und drehte die Lampe wieder aus. Sie schloß ihre Augen, doch kaum waren sie geschlossen, blitzten sie zwei gelbe Wolfsaugen drohend an. Sie öffnete ihre Augen wieder und weigerte sich sie wieder zu schließen. Nur nicht einschlafen, sonst kriegt er mich, dachte Corina und begann gegen ihre wachsende Müdigkeit anzukämpfen. Aber mit der Zeit wurden ihre Lider immer schwerer und ihre Augen begannen sich immer öfter zu schließen. Und nach einiger Zeit war Corina’s Widerstand gebrochen und sie schloß ihre Augen ein letztes Mal. Doch der Wolf kam nicht wieder. Diesmal verschonte er Corina und verfolgte statt dessen ein anderes ängstliches Kind durch seine Alpträume. Corina hingegen verbrachte eine friedliche, traumlose Nacht.

„Guten Morgen. Zeit zum Aufstehen.“ begrüßte eine sichtlich gut aufgelegte Mutter Corina am nächsten Tag. Corina wälzte sich herum, um ihrer Mutter klarzumachen, daß sie nicht die geringste Lust hatte, heute morgen aufzustehen, oder auch nur an irgendeinem Morgen danach. „Komm, steh schon auf. Du kommst sonst noch zu spät in die Schule. Das Frühstück ist schon fertig.“ rüttelte sie ihre Mutter und machte sich wieder auf den Weg in die Küche. Widerwillig kroch Corina aus dem Bett und zog sich noch widerwilliger an. Wenn sie die nötigen Wörter gekannt hätte, hätte sie die Schule wohl aufs Ärgste verflucht. Aber so weit war ihr Schimpfwortevokabular noch nicht fortgeschritten, deshalb beließ sie es bei einem nagenden Wutgefühl in ihrem Bauch. Dieses Gefühl begann immer stärker zu nagen, bis es beim Frühstückstisch schließlich zu beißen begann. „Mama! Ich will keine Milch. Nein, nein, nein.“ meckerte Corina ihre Mutter an. Diese nahm es gleichgültig hin, da sie wußte, daß es zu Corina’s allmorgendlichem Ritual gehörte, unausstehlich zu sein. „Trink deine Milch Corina, es ist schon spät“ antwortete sie nur. Und während Corina widerwillig an ihrer Milch nippte, holte sie Corina’s Rucksack und kontrollierte noch einmal, ob sie auch nichts vergessen hatte: Zwei Thunfischsandwiches, eine Dose Pepsi, der Regenmantel und ein Pullover. Alles da, was eine sechsjährige für die nächsten sieben Stunden am Leben erhält, dachte sie und schloß den Rucksack wieder. Corina würgte mit verdrehten Augen die restliche Milch hinunter, wobei ihre Wut von einem Beißen in kreischendes Fräsen mutierte. Dann sprang sie auf und rannte ins Vorzimmer. Ihre Mutter folgte ihr rasch um ihr ihren Rucksack zu bringen. Corina schlüpfte hektisch in ihre Wanderschuhe, schnappte sich den Rucksack aus Mutters Händen und war schon halb zur Tür hinaus, als sie ihre Mutter am Arm packte. „Tschüß, und viel Spaß.“ sagte sie und gab ihr einen Kuß. Das Fräsen verwandelte sich in einen Preßlufthammer. „Tschüß.“ knurrte Corina zurück und rannte aus dem Haus auf den Gehweg hinaus.

Kaum war sie auf dem Gehsteig verflüchtigte sich ihre Wut und der Preßlufthammer hörte auf zu hämmern. Sie hörte nicht auf zu rennen, da sie heute wirklich spät dran war, und keine Lust hatte, sich von der Lehrerin eine Moralpredigt anzuhören, wenn sie zu spät kam. Jetzt spürte sie wieder ein leises Nagen in ihrem Bauch. So rannte sie durch einen wunderschönen Morgen, dessen Himmel von klarem Blau und einigen Sommerwolken durchzogen war. Corina fiel beim Laufen auf, daß die Umgebung heute irgendwie anders zu sein schien. Aber sie konnte sich nicht erklären auf welche Art sie anders erschien. Vielleicht war es das Licht der Sonne, die alles veränderte. Alles wirkte irgendwie besser und schöner. Die Häuser in den Gärten und die Autos, die am Straßenrand geparkt waren, wirkten auf sonderbare Art und Weise bunter und neuer als sonst. Alles schien zu strahlen und zu blitzen als es in das Licht der Sonne getaucht wurde und auch die Dinge die im Schatten lagen waren auf eine unerklärliche Weise erleuchtet und hell. Doch das größte Wunder tat sich einige Meter vor Corina mitten auf dem Gehsteig auf.

Corina glaubte ihren Augen nicht trauen zu können. Mitten auf dem Weg, genau vor Corina’s Nase stand die runde Mauer eines Wasserbrunnens. Corina ging auf diesem Weg seit Ewigkeiten in die Schule, aber das war eindeutig neu. Sie ging neugierig auf den Brunnen zu, um sicher zu gehen, daß sie nicht träumte. Sie faßte den Rand der Mauer an. Der Stein fühlte sich kalt und fest an. Corina’s Verstand konnte bei bestem Willen nicht erklären wie der Brunnen scheinbar über Nacht hierher gekommen sein sollte. Sie beugte sich über den Rand um den Grund des Brunnens zu erkennen. Aber sie sah nichts. Sie spürte nur einen leichten Luftsog der in den Brunnen hinabging. Plötzlich gab es einen markerschütternden Knall und die Kraft des Sogs verzehn- nein, verhundertfachte sich, und riß Corina kopfüber in den Brunnenschacht hinab. Sie schrie auf, aber sie konnte ihren Schrei nicht hören, da der Knall ihre Ohren betäubt hatte. Corina fiel und fiel, die Brunnenwand schoß an ihren Augen vorbei. Sie schaute nach unten und sah nur den endlosen Schacht. Dann nach einer scheinbaren Ewigkeit konnte Corina tief unter sich die Wasseroberfläche erkennen. Sie sah ihr Spiegelbild auf dem stillen Wasser rasend näher kommen. Corina hob schützend ihre Hände vor ihren Kopf um den Aufprall zu mildern. Aber als sie auf das Wasser traf, war der Aufprall alles andere als hart und schmerzvoll. Es fühlte sich an, als ob man durch die Wand einer Seifenblase fiel. Und so war es auch. Corina fiel durch die hauchdünne Wasserwand hindurch, und was darunter zum Vorschein kam war schier unfaßbar. Corina befand sich plötzlich mitten in freiem Himmel, tief unter ihr die Erdoberfläche, die wie ein Eilzug auf sie zuraste. Doch es war nicht ihre gewohnte Welt der Vorstadt, die unter ihren Augen zum Vorschein kam. Sie schien irgendwo auf dem Land zu sein, das heißt hoch über dem Land. Unter ihr breitete sich eine schier endlose Landschaft aus Feldern und Hügeln aus. All das konnte Corina’s Bewußtsein noch erfassen, bevor sie auf einem riesigen Strohhaufen wie ein Meteor aus dem Weltraum einschlug.

Und da lag sie nun. Zwei Meter tief in einem Strohhaufen versunken und ziemlich benommen. Sie versuchte sich aufzurichten, hielt dann aber inne, weil ihr Körper anscheinend noch nicht wollte und ihr das auch über eine Schmerzlawine zu verstehen gab. Corina stöhnte deshalb nur und beschloß noch ein Weilchen liegen zu bleiben. Ein paar Minuten später versuchte sie es noch einmal. Diesmal schaffte sie es sich aufzusetzen, obwohl ihr Körper immer noch widerwillig war und weiterhin Schmerzen aussandte. Corina kroch aus dem Heuhaufen heraus und wischte sich das Stroh aus dem Gesicht und aus dem Gewand. Ratlos blickte sie über die Landschaft. Sie stand inmitten eines erst kürzlich gemähten Getreidefeldes und rings um sie waren nur Wiesen und ein paar vereinzelte Bäume. Sie suchte den Horizont ab, um irgend jemanden zu sehen, aber da war niemand. Sie schien allein zu sein. Doch dann blendete sie irgend etwas, das ungefähr eine halbe Meile von ihr entfernt unter einem Baum
lag. Corina sah genauer hin und erkannte eine Gestalt, die im Schatten des Baumes lag. Und es mußte die Brille der Gestalt gewesen sein, die einen Sonnenstrahl direkt in Corina’s Auge schickte und damit ihre Aufmerksamkeit auf den Unbekannten unter dem Baum lenkte.

Corina macht sich auf den Weg zu dieser Gestalt. Während sie über die Wiese ging, kam ihr irgend etwas an dieser Welt anders vor als sie es von zu Hause gewohnt war, aber sie konnte nicht sagen was es war. Und dann hatte sie es: hier waren nirgendwo Strommasten, sie konnte keine einzige Überlandleitung sehen. Dann sah sie in den Himmel und vermißte dort die Kondensstreifen, die von den Düsenflugzeugen ständig erzeugt wurden. Außer ein paar Wolken war da oben nichts zu sehen. In was für einer Welt war sie da bloß gelandet, dachte sie, es war so anders als zuhause, aber irgendwie schöner und bunter, und vor allem besser, denn sie konnte weit und breit keine Schule und keine bösartige Mutter sehen, die sie mit kalter Milch vergiften wollte. Also marschierte Corina frohen Mutes auf die Gestalt zu, neugierig, was der Tag noch für Überraschungen für sie bereit hatte.

Sie versuchte über die Wiese zu laufen, konnte aber nur humpeln, weil ihr das linke Bein noch von ihrem Sturz aus dem Himmel weh tat. Als sie näher an die Gestalt herankam, erkannte sie, daß dort kein Mensch unter dem Baum saß, sondern ein Wolf. Corina erstarrte und blieb wie gelähmt stehen. Die Worte ihrer Mutter sprangen ihr mit großen neonfarbenen Leuchtbuchstaben vor die Augen und sie hörte ihre Worte, wie durch tausend Lautsprecher verstärkt in ihren Ohren widerhallen: Er würde dich auf einen Satz verschlingen, renn so schnell du kannst! Auf einen Satz wir er dich verschlingen.

Verschlingen. Verschlingen.

Corina glotzte den Wolf an, während die Worte in ihrem Kopf herumflogen und sie am denken hinderten. Und dann blätterte der Wolf sein Buch um, rückte seine Brille zurecht und begann auf der nächsten Seite zu lesen. Corina’s Gehirn hatte mittlere bis äußerste Schwierigkeiten, einen lesenden und brilletragenden Wolf zu verarbeiten. Nachdem Nervenzellen, Synapsen und Gedächtnis sich darauf geeinigt hatten, daß da wirklich ein Wolf saß, der ein Literaturfreund war und offensichtlich an einer Sehschwäche litt, machte Corina vorsichtig ein paar Schritte auf den Wolf zu. Der ist ja nur halb so groß wie ich, dachte sie ein wenig erleichtert, als sie näher heranschlich. Mutter hat immer von einem Wolf geredet, der doppelt so groß ist wie ich, außerdem hat sie nie was davon gesagt, daß Wölfe Bücher lesen, kombinierte Corina, also kann mir der da nichts tun, festigte sie ihre Theorie. Jetzt war sie nur noch ein kleines Stück von dem Wolf entfernt, sicher zu nahe, um lebend zu entkommen, wenn der Wolf nun doch plötzlich beschließen sollte, sein Buch und die Brille auf die Seite zu legen, auf das vierfache seiner Größe anzuwachsen, seine Zähne zu schleifen und Corina zum Frühstück zu verschlingen. Auf einen Satz natürlich. Und sich dann wieder seinem Buch zuzuwenden, oder ein Nickerchen zu halten. Aber an das dachte Corina nicht, sie war ein bißchen simpler.

„Hallo, Herr Wolf.“ sagte sie mit freundlicher Stimme. Der Wolf drehte seinen Kopf blitzschnell in Corina’s Richtung, seine Augen weiteten sich hinter der Brille, seine Zähne kamen plötzlich in seinem fletschenden Maul zum Vorschein, das Buch fiel aus seinen Pfoten auf den Boden. Dann sprang der Wolf auf die Beine, bäumte sich vor Corina auf, sträubte sein Fell, wie eine wütende Katze und schrie: “Komm mir ja nicht zu nahe, du Bestie, oder ich schreie laut um Hilfe!“ Dann begann das Tier am ganzen Leibe zu zittern. „I..ich tue dir nichts, w..wer b..bbist du?“ stotterte Corina gleichermaßen erschrocken den kleinen Wolf an. Der starrte mit weit geöffneten, angsterfüllten Augen, auf die fremde Gestalt, die ihm seine Idylle zerstört hatte. Der Wolf sah die merkwürdige Kleidung, die das Ungeheuer trug und dann sah er in Corina’s Augen, die vor Schreck genauso weit waren wie seine eigenen. Der Wolf faßte sich und richtete seine Brille zurecht. Und sah sich das kleine Mädchen noch einmal genauer an, diesmal mit dem geübten und prüfenden Blick eines vielbelesenen Hochschulprofessors, oder dem Blick eines Wolfes, der genau das vorgaukeln wollte. Corina wartete mit einem von Schreck und Neugier erfüllten Blick einer sechsjährigen auf eine Antwort ihrer Frage.

Der Wolf räusperte sich. „Man nennt mich sehr ungerechterweise den gemeinen Rotkäppchenmörder.“ sagte der Wolf bedeutungsvoll und mit einer gehörigen Portion Unschuld in seiner Stimme. „Du bist der Wolf aus dem Rotkäppchenmärchen?“ fragte Corina neugierig. Und sie erinnerte sich wieder daran, daß der Wolf in dem Märchen ein bösartiges, sehr gefräßiges Monster war, das zwei unschuldige Menschen, ein kleines Kind, und eine wehrlose alte Frau, bei lebendigem Leibe verschlungen hatte. Und schon wurde Corina wieder ängstlich, obwohl der Wolf vor ihr ja eigentlich recht niedlich aussah.

„Märchen?“ fragte der Wolf spitz und schnappte nach Corina. KLAPP! Machten seine Zähne. Corina zuckte ein wenig zusammen und mußte sich ein Lachen verkneifen; der Wolf reichte ihr mit den Ohrenspitzen wirklich gerade bis zu den Schultern. „Märchen!“ fuhr der Wolf fort. „Nix Märchen. Das ist alles wirklich passiert. Aber, kleines Mädchen...“, fragte der Wolf, streckte sich in alle Höhe auf und sah tief und bohrend in Corina’s Augen. „...welche Version der Geschichte kennst du denn? Na welche ist es wohl? Etwa die, wo ich Rotkäppchen zum Blumenpflücken im Wald verleitet haben soll? Und am Ende beide, die Großmutter und Rotkäppchen selbst, aus reiner Freßgier und Freude am Verbrechen, zu nächtlicher Zeit im Schutze der Dunkelheit, zerfleischt und gefressen haben soll? Diese Geschichte ist es, die du zu kennen glaubst? Die?“ fragte der Wolf noch einen Hauch spitzer als vorhin ,denn er war sich sicher, daß Corina mit „Ja.“ antworten würde. Todsicher war er sich, wer, außer ihm selbst, außer ihm, dem weisen, allwissenden Wolf, wußte schon, was sich an jenem Tag wirklich zugetragen hatte und wie die Wahrheit tatsächlich aussah, dachte er sich insgeheim. „Ja.“ antwortete Corina. Der Wolf triumphierte innerlich und machte einen Luftsprung. „Ja, genau die kenne ich. Gibt es denn auch noch eine andere?“ fragte Corina, erstaunt über die Frage. „Nein. Es gibt nur eine einzige, die der Wahrheit entspricht, nämlich meine. Die ist nämlich die Wahrheit. Natürlich gibt es viele Überlieferungen, die im Laufe der Zeit immer mehr von der Wahrheit abwichen. Das passiert vor allem dann, wenn Leute Geschichten weitererzählen, die sie nicht kennen. Und du kannst dir ja vorstellen was passiert, wenn solche Halbwahrheiten durch zu viele Münder wandern. Lügengeschichten, nichts als Lügengeschichten kommen dann heraus. Und mein Stolz und meine Ehre waren schneller beim Teufel als Rotkäppchen und die Großmutter aus meinem Bauch heraus.“ sprach der Wolf.
„Woher kommst du eigentlich?“ fragte der Wolf Corina, überrascht, daß er sie nicht schon viel früher gefragt hatte. Corina schaute ein wenig ratlos und rang nach einer Antwort, aber sie wußte selbst nicht so genau wo ihr zuhause eigentlich war, geschweige denn wußte sie wo sie sich jetzt befand. Sie deutete mit der Hand unsicher hinauf in den Himmel. „Von dort?“ fragte Corina in einem Tonfall, den ein Kind normalerweise bekam, wenn es die Antwort auf die Frage seines Lehrers vor der Tafel nicht beantworten konnte. Der Wolf griff sich an den Kopf und fuhr mit seiner Pfote durch sein Fell. „Das darf ja nicht wahr sein! Sogar in der Oberwelt verbreitet man solche Lügengeschichten über mich. Ein Skandal ist das! Jawohl, eine bodenlose Frechheit ist das.“ knurrte der Wolf gegen den Himmel, und das was sich wohl darüber oder dahinter befand. „Ich will wieder nachhause.“ sagte Corina, der soeben die Schule und der Wandertag wieder eingefallen waren. Der Wolf schaute sie an und überlegte, was er tun konnte. „Na gut, weil ich ja nicht so bin, werde ich dich zu einem Ort führen, von dem aus du wieder in deine Welt zurück kannst. Aber erst mußt du dir meine, wahre Geschichte anhören und mir versprechen, daß du sie „Oben“ weitererzählst, damit alle Welt erfährt, was wirklich passiert ist. Einverstanden?“ fragte der Wolf selbstsicher. „Gut, aber bitte beeile dich, ich habe heute nämlich noch einen Wandertag, weißt du?“ erklärte sich Corina einverstanden.
„Na gut.“ räusperte sich der Wolf und holte aus. „Ich werde versuchen mich kurz zu fassen. Aber bitte verstehe, daß einige meiner Ausführungen etwas detaillierter dargestellt werden müssen, um ein tiefes und vollständiges Erfassen meiner Geschichte zu ermöglichen und somit eventuelle Fehlinterpretationen, die aus einer vagen, nebulösen Berichterstattung hervortreten könnten, zu eliminieren.“ Corina starrte den Wolf mit großen Augen und offenem Mund an. Das waren nicht exakt die Worte, die aus dem Mund ihrer Mutter kamen, wenn sie anfing ihr Märchen zu erzählen. Sie war mehr etwas in der Richtung „Es war einmal vor langer Zeit...“ gewohnt. „Was?“ fragte Corina. „Was, was?“ schnappte der Wolf retour. „Ich bin erst sechs.“ sagte Corina schüchtern. Der Wolf dachte scharf nach, kombinierte und brachte seine Gedanken zu einem Schluß. „Aber du sprechen meine Sprache. Wenn nix verstehen, dann du sagen und ich werde wiederholen Satz für dich langsamer.“ „Ich möchte nur nicht, daß du Sätze sagst, die mehr als sechsunddreißig Worte lang sind, dann werde ich schon alles verstehen, glaube ich“ sagte Corina. „Na gut.“ sagte der Wolf betrübt darüber, nicht all seine rhetorische Sprachgewandtheit ausspielen zu können, die sich, wie eine fein geschliffene Klinge aus Worten und Satzkonstruktionen, ein stilvolles Duell mit dem Auffassungsvermögen des Zuhörers zu liefern pflegte. „Na gut. Na gut.“ sagte der Wolf nocheinmal betrübt und legte dabei all seine Betrübtheit in die Worte die er in sich zusammenkratzen konnte. „Na gut. Fangen wir an.“ sprach der Wolf bedeutungsvoll, hob sein Buch auf, klemmte es unter seinen Vorderlauf, richtete seine Brille zurecht und begann, wie ein Universitätsprofessor, der seinem Studenten seine neuesten Theorien und Ansichten über die Quantenelektrodynamik darlegen wollte, über die Wiese zu spazieren. Dabei legte er Wert auf einen äußerst bedeutungsvollen Blick, der durch seine Brillengläser noch verstärkt wurde. Corina stapfte neben ihm her und blickte wißbegierig zu Professor Wolf auf. „Also, damals kannte ich die Familie von Rotkäppchen sehr gut, unsere Familien waren schon seit einigen Generationen befreundet, da wir nämlich im selben Wald lebten und von jeher gute Beziehungen zu unseren Nachbarn pflegten. Sogar Urlaube haben wir miteinander verbracht. Also merk dir genau: „befreundet“, „einander wohl gesinnt“, kein noch so leiser Hauch von Feindschaft oder falscher Gehässigkeit war je zwischen unsere Familien geraten. Ich wußte auch, daß Rotkäppchen´s Großmutter leider krank war, du weißt ja, wie alte Leute sind. Sie war zwar für ihr Alter noch sehr rüstig, aber sie litt seit langer Zeit an Asthma, und deswegen mußte sie öfter das Bett hüten als ihr lieb war. Das stimmte mich traurig, denn Großmutter liebte die Arbeit im Freien. Besonders wenn sie sich um ihre Blumen kümmern konnte, blühte sie selbst auf, wie einer ihrer bunten, wohlduftenden Sprößlinge, die ihren Garten in ein kleines Paradies verwandelten. Ich besuchte sie oft und gerne, brachte ihr Blumen zur Aufmunterung mit, plauschte mit ihr über vergangene Zeiten und ab und zu spielten wir eine Partie Mensch-ärgere-dich-nicht miteinander. Aber eines Tages bekam ich ein Riesenschluckauf, das nicht und nicht verschwinden wollte. Weißt du, das Schluckauf kam von einem Moment auf den anderen, aber weg ging es nicht mehr. Ich konnte keinen Satz mehr aussprechen, weil da mehr Hick! als normale Wörter drin waren.
Und damit fingen die Probleme an. Alles ist nur wegen diesem verdammten Schluckauf passiert. Hick! Hick! Hick! Hick! ging es den ganzen Tag lang, es war so fürchterlich, denn es hörte nicht einmal in der Nacht auf und ich konnte kaum noch schlafen, weil es pausenlos Hick! Hick! Hick! Hick! ging. Nach ein paar schlaflosen, durchhickten Nächten im Wald, ich bin zeitweise wie ein Irrer zwischen den Bäumen hin und her galoppiert, dachte ich, ich verliere meinen Verstand. Ja, sogar auf Bäume bin ich gesprungen, was eigentlich nur Wölfe tun, die nicht ganz bei Sinnen sind oder die glauben sie seien ein Eichhörnchen, wobei ich mir aber ziemlich sicher bin, daß die mit dem Eichhörnchensyndrom auch nicht alle Tassen im Schrank haben. Na, jedenfalls habe ich beschlossen, daß ich etwas gegen das Schluckauf unternehmen mußte, bevor man mich, in eine weiße Weste gekleidet, in ein rundes ausgepolstertes Zimmer stecken und mir kleine bunte Pillen zum Frühstück verabreichen würde. Und glaub mir, ich habe wirklich alles versucht diese verdammte Plage loszuwerden. Aber nichts, wirklich gar nichts hat geholfen.

Hick! Hick! Hick! Hick! ohne Ende. Alles habe ich versucht. Ich habe die Luft angehalten, bis mir fast der Kopf zerplatzt wäre und mir die Augen herausquollen, daß ich Angst hatte sie würden herausfallen und ich würde vor Blindheit draufsteigen. Aber geholfen hat es nichts. Ich habe wie ein Wilder literweise Wasser gesoffen, um das Schluckauf zu ertränken, hat auch nichts gebracht, im Gegenteil es wurde noch stärker als vorher. Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! ging es fast im Sekundentakt. Ich konnte nicht mehr mit Besteck essen, weil ich Angst hatte mir mit der Gabel die Augen auszustechen oder mit dem Messer die Kehle zu durchschneiden, weil es mich pausenlos so riß. Die Schüttelkrankheit kann nicht schlimmer sein. Meine Versuche, das Schluckauf loszuwerden wurden immer verzweifelter. Ich war sogar schon soweit, zu den Schießständen der Jäger zu gehen. Die Jäger trafen sich dort jedes Wochenende um sich ihre Schießkünste vorzuführen. Ich verband mir die Augen und lief zwischen den Zielscheiben hin und her. Und glaub mir, bei jedem einzelnen Schuß starb ich vor Schreck tausend Tode und schwitzte Blut und Wasser. Ich hatte dann einen Nervenzusammenbruch und schlief dann vor Erschöpfung ein. Und am nächsten Tag war ich so glücklich, weil ich eine ganze Nacht, die erste nach Wochen, ohne Schluckauf durchschlafen konnte. Ich streckte mich gerade und wälzte mich vor Freude im Gras, als Hick! Hick !Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick! Hick!... ich dachte ich würde überschnappen. Tagein, tagaus, ein Hick! nach dem anderen. Ich beschloß in meiner Resignation tief in den Wald zu gehen und dort zu bleiben, bis das Schluckauf irgendwann von alleine verschwinden würde. Ich mußte mich einfach im Wald verstecken, das ganze war schließlich eine Riesenschande für mich. So konnte ich keiner Menschenseele unter die Augen treten. Na ja, so fiel ich, nachdem ich mich selbst aus der Gesellschaft ausgeschlossen hatte, in eine tiefe Depression, die durch ein regelmäßiges Hick! Hick! bei Laune gehalten wurde. Und so verbrachte ich viel Zeit im Wald damit, die Bäume und das Moos anzuhicken. Na ja, und dann nahm das Verhängnis seinen Lauf. Ich sah, wie Rotkäppchen mit einem Korb unter dem Arm den Waldweg entlangspazierte. Ich wollte vor Scham nicht auf den Pfad gehen, also rief ich Rotkäppchen zu mir hinter einen Baum etwas abseits vom Weg. Sie kam rüber und als sie sah, daß ich es war, grüßte sie höflich. Sie ist ein gutes, wohlerzogenes Kind, weißt du, und dann sagte sie, daß sie meine Stimme fast nicht erkannt hatte. Und was mir denn fehlen würde. Denn im Dorf rätselten schon alle, wo ich denn geblieben sein mochte. Ich erzählte ihr schnell die Geschichte von meinem schrecklichen Schluckauf, und dann fragte ich sie, was sie denn mitten im Wald machte. Und Rotkäppchen erzählte mir, daß sie auf dem Weg zu Großmutter sei, um ihr einen Korb mit Speisen zu bringen. Großmutter’s Asthma hatte sich nämlich verschlimmert und sie mußte wieder das Bett hüten. Ich als alter Botaniker und Blumenfreund konnte es natürlich nicht lassen, Rotkäppchen den Rat zu geben, doch ein paar Blumen für Großmutter zu pflücken. Den Rat gab ich ihr aus zwei Gründen: Erstens weiß jedes Kind, daß ein bunter Blumenstrauß eine aufmunternde Wirkung auf kranke Menschen hat und zweitens wuchs hier, nahe in einer Lichtung, eine Sorte, deren Duft sich belebend auf Asthmatiker auswirkte. Ich selbst hatte Großmutter diese Blumen schon öfter gebracht. Sie hatte auch schon versucht sie in ihrem eigenen Garten anzupflanzen, aber dort wollten die Blumen nicht und nicht aufblühen. Diese Blumen wuchsen einfach nur in diesem Teil des Waldes. Sture Blumen. Ich führte Rotkäppchen also zu dieser Lichtung, die mitten im Wald ein vom Sonnenlicht durchflutetes, wunderschönes Blumenfeld war, mit einem Meer voller lieblicher Düfte. Und Rotkäppchen machte sich, wie ein Rasenmäher über die Blumen her, daß ich vor lauter Freude beinahe auf mein Schluckauf vergaß. Bevor Rotkäppchen mich wieder verließ, plauderten wir noch ein wenig, ich war nämlich schon lange nicht mehr auf dem aktuellen Stand, was die Dinge anging, die im Dorf passierten.
Stell dir vor, die Hexe hatte Hänsel und Gretel in ihrem Knusperhäuschen Unterkunft gewährt, nachdem sie sich beide im dunklen Wald verlaufen hatten. Dabei galt die Hexe bei uns immer als ein sonderbarer, eigenbrötlerischer Charakter, der keine Menschen mochte. Ich hätte ihr diese Freundlichkeit nicht zugetraut, ehrlich! Und der sogenannte „Böse“ Wolf hatte es endlich geschafft seine Version der Geschichte vom Fall der sieben Geißlein an den Mann zu bringen. Wie es im Moment aussieht, müssen alle falschen Aufzeichnungen vernichtet und die Geschichtsbücher korrigiert werden. Ich hoffe bald wird mir dasselbe Glück zuteil werden. Na, jedenfalls wurde Rotkäppchen mit der Zeit des Redens müde, darum beschloß ich mich von ihr zu verabschieden und das Mädchen nicht länger aufzuhalten. Ich wünschte ihr noch alles Gute auf den Weg und außerdem gute Besserung für die Großmutter. Ich verbrachte dann noch eine Weile in dem Blumenfeld und genoß die flockigen, weißen Wolken, die langsam über den Himmel zogen. Dabei kam mir der Gedanke, daß es gar keine so schlechte Idee wäre, Großmutter selbst zu besuchen. Sie würde sich sicher über die Überraschung freuen, wir hatten uns ja schon länger nicht gesehen, wegen meiner Schluckaufprobleme, dachte ich. Ich hetzte dann durch den Wald, so schnell wie möglich, um noch vor Rotkäppchen da zu sein, damit ich sie beide überraschen konnte. Ich kam dann keuchend und hicksend bei Großmutter’s Haus an. Es ist ein wunderschönes Haus, wie du vielleicht weißt, steht es zwischen drei alten Eichen und rund um das Haus wuchern Großmutter’s Blumen, es ist einfach herrlich. Ich klopfte schließlich an die Türe, und Großmutter fragte mit asthmatischer Stimme, wer denn draußen sei. Und jetzt machte ich meinen wahrscheinlich größten Fehler, der mich in Teufels Küche bringen sollte. Ich verstellte nämlich meine Stimme, sprach so hoch ich konnte, und sagte ich sei Rotkäppchen, weil ich Großmutter unbedingt überraschen wollte. Sie antwortete mir, sie sei zu schwach um aufzustehen und ich sollte mir den Türschlüssel unter der Türmatte hervorholen und selbst aufsperren. Das Schloß zu entriegeln gestaltete sich als äußerst schwierig und nervenaufreibend, weil ich wegen des Schluckauf’s so zitterte, daß ich den Schlüssel erst nach vielem schweißtreibenden Herumprobieren ins Schloß traf. Ich öffnete die Türe, und Großmutter war nicht schlecht überrascht als plötzlich ich vor ihrem Bett stand und nicht Rotkäppchen. Sie freute sich herzlich, mich nach so langem Fernbleiben endlich wiederzusehen. Wir kamen ins Plaudern und so erzählte ich auch ihr die Geschichte von meinem schlimmen Schluckauf und meinen vergeblichen Versuchen es wieder loszuwerden. Natürlich erzählte ich sie ihr nicht so ungenau, wie ich sie dir erzähle, sondern in allen grausamen Einzelheiten, für die du noch ein bißchen zu jung bist. Wie dem auch sei, es folgte ein Vorfall, den ich dir jetzt ganz genau beschreiben muß. Aber, wie heißt du eigentlich“ fragte der Wolf, schon wieder überrascht, daß er nicht schon viel früher gefragt hatte.
„Corina!“ antwortete Corina. „Bitte, erzählen Sie die Geschichte weiter. Sie ist viel besser als die andere!“ verlangte Corina. „Das freut mich aber. Das ist ja ein guter Anfang für mich. Wenn mir alle anderen auch so schnell Glauben schenken werden, dann werde ich mich erstaunlich schnell aus dieser leidigen Affäre gezogen haben. Aber paß jetzt auf, Mädchen, nun folgt alles Wesentliche.“ fuhr der Wolf fort. „Nachdem ich die Geschichte mit dem Schluckauf beendet hatte, fing Großmutter so zu lachen an, daß sie ihr Asthma von einer Sekunde auf die andere vergessen hatte. Du mußt sie einmal lachen hören, weißt du, Großmutter ist so ein fröhlicher Mensch, und wenn jemand wie sie so herzhaft und aus tiefer Seele lacht, dann ist das einfach ansteckend. Glaub mir, wenn du sie einmal lachen hörst, wirst du auch einen Lachkrampf bekommen, daß dir der Bauch noch am nächsten Tag wehtut. Und genau das passierte mir: ich fing fürchterlich zu lachen an. Großmutter und ich brüllten uns vor Lachen an und Tränen schossen uns vor Freude in die Augen, so zerkugelten wir uns. Ich lachte und lachte, doch plötzlich machte ich ein Riesen- HICKS!!! Und das Lachen blieb mir im Hals stecken, ich bemerkte, daß auch Großmutter aufgehört hatte zu lachen. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und sah, daß Großmutter’s Bett leer war. Ich blickte herum, sah sogar unters Bett, aber Großmutter war wie vom Erdboden verschluckt. Einfach weg. Dann bemerkte ich, daß mir etwas aus dem Mundwinkel hing. Ich zog und hatte auf einmal Großmutter’s linke Socke in der Hand. Ich starrte die Socke an und wurde kreidebleich vor Schreck. Ich hatte mit meinem Hicks! versehentlich die Großmutter verschluckt. Merk dir: Versehentlich! Das war ein Unfall, ein tragischer Zufall, eine unglückliche Verkettung von Ereignissen! Ich stand natürlich unter Schock und mein Urteilsvermögen war getrübt, was sollte ich tun, wenn Rotkäppchen kam? Wie sollte ich reagieren? Und sie konnte jeden Augenblick an der Türe klopfen. Wie sollte ich dem Kind klarmachen, daß von seiner Großmutter nur noch eine Socke übrig war und der Rest in meinem Bauch steckte. Einfach so. In meiner Panik suchte ich im Schrank ein anderes Nachtkleid, zog es an und setzte mir ein Nachthäubchen auf. Ich legte mich in Großmutter’s Bett, daß es nur so knarrte unter meinem Gewicht, und deckte mich zu. Ich hoffte Rotkäppchen würde auf meine Tarnung hereinfallen und nicht ahnen wo ihre Großmutter wirklich steckte. Na ja, rein technisch gesehen lag sie ja auch im Bett, nur halt nicht nur unter der Decke, sie war sozusagen doppelt verpackt. Und kaum hatte ich mir dir Decke bis zum Hals raufgezogen, klopfte es schon an der Tür und Rotkäppchen’s Stimme fragte, ob sie reinkommen durfte. Ich sprach mit hoher großmutterähnlicher Stimme, daß der Schlüssel unter der Türmatte lag, wie Großmutter es mir gesagt hatte, und bat Rotkäppchen herein. Sie trat ein und stellte den Korb, der jetzt mit Blumen überging, so voll war er, auf den Tisch. Dann kam sie ans Bett und beugte sich über mich. Mein Fell muß naß gewesen sein, so sehr schwitzte ich vor Nervosität. Und dann stellte Rotkäppchen diese vier schrecklichen Fragen, sie war halt ein kluges Kind und neugierig, aber diese Fragen waren ihr Verhängnis.

„Großmutter, warum hast du so große Augen?“
Gefinkelt und schlau wie ich war, hatte ich natürlich sofort eine Antwort parat. „Damit ich dich besser sehen kann.“ sagte ich.
„Großmutter, warum hast du so eine große Nase?“
„Na, damit ich besser riechen kann.“ Na gut die Antwort war nicht gerade besonders einfallsreich, aber ich stand unter großem Streß.
„Großmutter, warum hast du so große Hände?“
Ich hob meine Hände und sagte: „Damit ich besser Geschirr abwaschen kann.“

„Was?“ fragte Corina. Der Wolf zuckte mit den Schultern. „Mir ist nichts anderes eingefallen. Aber hör weiter zu. Es kommt nämlich noch eine Frage:
„Großmutter, warum hast du so große Zähne?“
Und ich sagte: „HICKS!“ Und weg war Rotkäppchen. Und in meinem Bauch machte sich allmählich ein Völlegefühl breit. Ich hatte Rotkäppchen verschluckt. Ebenfalls aus Versehen. Jetzt war das Chaos perfekt. Ich sprang aus dem Bett und taumelte benommen und satt aus dem Haus. Tausend Gedanken schossen mir gleichzeitig durch den Kopf, aber ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich die beiden wieder aus meinem Bauch herauskriegen sollte. Daher beschloß ich das Ganze einmal zu überschlafen und fiel in Ohnmacht.
Als ich später aufwachte und mich schwindlig unter einer Eiche wälzte, kam zum Glück einer der Jäger vorbei, den ich vom Schießstand kannte. Ich erklärte ihm zitternd und mit aufgelöster Stimme, was passiert war. Er bot mir eine Zigarette an, die ich nervös in drei Zügen rauchte, und beschloß, mir aus meiner mißlichen Lage zu helfen. Er ging in Großmutter’s Werkzeugschuppen und kam mit einem Vorschlaghammer, einer Sichel und einer rolle Nähgarn zurück. Er narkotisierte mich indem er mir mit dem Vorschlaghammer eine über den Schädel zog. Mit der Sichel schnitt er mir dann den Bauch auf. Rotkäppchen und Großmutter hatten das Verschlucken zum Glück unbeschadet überstanden und kletterten froh und lebendig aus meinem Bauch heraus. Und dann machten sie etwas, für das ich ihnen bis in alle Ewigkeit dankbar sein werde. Gemeinsam mit dem Jäger füllten sie meinen Bauch so voll mit Steinen, daß er fast platzte, nähten mich zu und warfen mich in Großmutters Brunnen. Da unten schluckte ich soviel Wasser, daß mein Schluckauf endlich verschwand und ich geheilt war. Ja, und seit damals hatte ich nie wieder Schluckauf. Dank Rotkäppchen und Großmutter.

Ja, Corina, und da endet sie, die wahre Geschichte vom Rotkäppchen und dem bösen Wolf.“ erzählte der Wolf und blieb stehen. „Glaubst du mir?“ fragte der Wolf Corina. „Was ist denn mit Rotkäppchen und der Großmutter passiert?“ fragte Corina. „Großmutter wohnt noch immer in ihrem Haus bei den drei Eichen und Rotkäppchen besucht sie von Zeit zu Zeit.“ sagte der Wolf. „Schau. Da drüben. Da ist ihr Haus. Siehst du den Rauch im Schornstein? Ich bin sicher Großmutter kocht gerade.“ Der Wolf deutete mit einer Pfote auf ein kleines Häuschen, das idyllisch zwischen drei alten Eichen am Rand des Waldes stand, umgeben
von riesigen, bunten Blumenbeeten. Corina schaute fasziniert hinüber, dann blinzelte sie den Wolf an. „Ich glaube dir. Herr Wolf.“ Der Wolf lächelte. „Kann ich jetzt gehen? Ich muß nachhause.“ fragte Corina. „Ja. Siehst du den Brunnen dort bei Großmutter’s Haus? Lauf hin und spring in den Brunnen hinein. Durch ihn kommst du zurück in deine Welt. Na komm, lauf schon.“ sagte der Wolf und gab Corina einen kleinen Schubs. „Danke. Lebwohl, Herr Wolf.“ sagte Corina. „Lebwohl, kleines Mädchen.“ verabschiedete sich der Wolf.

Und Corina rannte über die Wiese zu Großmutter’s Brunnen. Sie blickte über den steinernen Rand in den Brunnen hinunter, als sie hinter sich ein Lachen hörte das aus dem Haus zu kommen schien. Corina drehte sich um, und stapfte vorsichtig zwischen den Blumen hindurch zu einem Fenster und warf einen Blick durch das Glas. Im Inneren sah sie, wie Großmutter und Rotkäppchen bei Tisch und frisch gebackenem Kuchen saßen und fröhlich lachten. Und als sie Großmutter lachen hörte, mußte Corina selbst ein wenig zu lachen anfangen. Der Wolf hatte die Wahrheit gesprochen, dachte Corina vergnügt. Dann wandte sie sich ab und schlich zurück zum Brunnen. Sie kletterte auf den Rand und schaute in das schwarze Loch hinab, ein leichter Wind wehte tief unten. Corina schluckte. „Und vergiß nicht. Erzähle meine Geschichte weiter!“ rief ihr der Wolf aus der Ferne zu und winkte ihr ein letztes Mal. „Ja, ich verspreche es!“ rief Corina zurück und sprang in den Brunnen.

„Milch!“ schrie Corina und sprang in ihrem Bett hoch, ihr Nachthemd und ihr Bettlaken waren von oben bis unten mit Milch und Cornflakes überschüttet. „Mama! Ich hasse Milch!“ jammerte Corina müde aus dem Schlaf gerissen und glotzte ihre Muttter vorwurfsvoll an. Die starrte ein wenig fassungslos auf den Schlamassel, den sie gerade angerichtet hatte. „Guten Morgen. Entschuldige, der Teller ist mir ausgerutscht.“ sagte Mutter ein bißchen sauer auf sich selbst, weil sie so ungeschickt war. „Komm, steh’ auf. Ich gebe dir was Frisches zum Anziehen.“
„Du, Mama? Erzählst du mir heute abend die wahre Geschichte vom Rotkäppchen und dem bösen Wolf?" fragte Corina. „Bitte. Die ist nämlich viel besser.“
„Aber sicher.“ sagte Mutter und lächelte. Sie hatte keine Ahnung wovon die kleine Corina sprach.

[ 12.05.2002, 18:21: Beitrag editiert von: Peter Koller ]

 

Ganz so extrem hab ichs ja auch nicht gemeint. Mein Eindruck war halt, dass da die interessante und lustige Geschichte vom Wolf ist, der enttäuscht ist und wütend weil alle seine Geschichte verdreht haben. Und da ist das Drumherum mit Corina, das mich, um ehrlich zu sein, ziemlich gelangweilt hat. Dementsprechend kam ich zur Schlussfolgerung, es ist am besten, den "schlechten" Teil ganz rauszukürzen oder zumindest auf das nötigste zu reduzieren, so dass der Leser sich besser auf den "guten" Teil konzentrieren kann.

Aber ich bin ja auch nur ein kleiner Schüler mit einer 3-4 in Deutsch...

Gruß Daniel

 

@Wanderer

Ich hab es eh nicht böse aufgefasst, deine Kritik ist in die richtige Richtung gegangen, die Susi hat´s dann präzisiert und einen Teil hab ich dann rausgekürzt. Grundsätzlich hattest du also recht. Und mach dir nix draus, ich war in Deutsch auch immer zwischen 3 und 4 und hab einmal sogar im Herbst zur Nachprüfung antreten müssen, die das Ergebnis meiner nichtvorhandenen Mitarbeit und einer negativen Schularbeit wegen Themaverfehlung war... bin dann mit Ach und Krach gerade noch durchgekommen... mein Gott, was interessiert mich auch Literatur?

lg, Peter

 

Ich finde das ist der richtige Zeitpunkt endlich eine Selbsthilfegruppe ins Leben zu rufen, die sich um die Belange fehlinterpretierter Märchen kümmert. :shy:
Wie oft werden Wölfe, Hexen, Räuber oder Stiefmütter in Märchen schamlos... entseelt!?
Warum müssen die Armen immer als Antihelden für kleine naive Dummchen (meist junge Mädchen oder Frauen) herhalten?! :ak47: :queen:
Ich bin für die Gleichberechtigung!!
Klagen wir Rotkäppchen fürs illegale Blumenpflücken an, Schneewitchen für Hausfriedensbruch bei den sieben Zwergen!!!
Ich fordere Gerechtigkeit!!! :xxlmad:


solidarischer Gruß für den Autor dieser aufklärerischen Schrift
:messer:
:rotfl:
wollt ich nur mal sagen, weil mir die Geschichte doch so gefallen hat...

 

Hallo Peter Koller,
keine Ahnung, ob du noch auf kg.de aktiv bist oder nicht, jedenfalls mag ich keine ungepunkteten Briefumschläge auf meiner Startseite. Also meine Meinung zum Text:

Es fehlt definitiv an Absätzen. Ich bin bis zu dem Punkt gekommen, wo der Wolf anfängt, seine Geschichte zu erzählen, dann haben meine Augen zu bluten angefangen.
Den Stil fand ich gut, größtenteils flüssig, teilweise etwas bemüht witzig. Was mich noch extrem gestört hat, sind die Genitivapostrophs. Es heißt nicht "Corina's Fahrrad", sondern "Corinas Fahrrad", und das hat mich beim Lesen sehr genervt (ich gebe zu, ich bin da sehr empfindlich, aber...)

Hoffe, meine Meinung konnte dir weiterhelfen.

gruß
vita
:bounce:

 

„Komm, steh schon auf. Du kommst sonst noch zu spät in die Schule. Das Frühstück ist schon fertig.“ rüttelte sie ihre Mutter
Wer rüttelt wen?

Aber so weit war ihr Schimpfwortevokabular noch nicht fortgeschritten, deshalb beließ sie es bei einem nagenden Wutgefühl in ihrem Bauch.
Ah, wer denkt das denn? Corina oder ihre Mutter? Beides wäre unlogisch, zum Ersten würde das ein Kind nie so denken (höchstens: "Sie fand keine Worte" o.ä.) und zum Zweiten ist es unlogisch.

„Mama! Ich will keine Milch. Nein, nein, nein.“
Passt hier nicht, da es so klingt wie ein Widerspruch auf "Du wirst jetzt trinken!".

Corina’s
Zweiter Ausbruch deiner Apostrophitis.

hielt dann aber inne, weil ihr Körper anscheinend noch nicht wollte und ihr das auch über eine Schmerzlawine zu verstehen gab
Warum so poetisch abstrahiert kompliziert? Vielleicht ist es besser, wenn du hier beschreibst, was sie schmerzt. Das Knie? Die Hüfte? Der Rücken?

Sie stand inmitten eines (redundant:) erst kürzlich gemähten Getreidefeldes

und keine bösartige Mutter sehen, die sie mit kalter Milch vergiften wollte.
Kalte Milch auf nüchternem Magen, einem Kind?! Das ist nicht bösartig (sonst hat die Mutter ja ein recht liebenswürdiges Verhältnis zu Corina), sondern unverantwortlich, ein Fall für die Ernährungspolizei oder gar für das Jugendamt. Folglicherweise müsste Corinna schlecht werden und in Wolfs Papierkorb kotzen.

Also marschierte Corina frohen Mutes auf die Gestalt zu
Auf welche Gestalt zu?

weil ihr das linke Bein noch von ihrem Sturz aus dem Himmel weh tat.
Warum tut ihr das eigentlich weh? Widersprüchlich.

Corina glotzte den Wolf an, während die Worte in ihrem Kopf herumflogen und sie am denken hinderten.
Aber sie denkt doch!

Ich habe gerade meine Lust verloren, die vielen Fehler aufzuzählen, sowohl in der Rechtschreibung (Apostrophitis), Grammatik als auch und vor allem im Inhalt sind es zu viele. Die Geschichte strotzt nur so von Widersprüchen.
Die Einleitung ist meines Erachtens zu lang, und überdies voll von Kinderkitsch und Mutteridealisierung.

Hat mir nicht gefallen, werde die Geschichte aber trotzdem zu Ende lesen.


FLoH.

 

Hallo.

ich finde Deine Geschichte ... nett. Absolut harmlos, könnte man jederzeit als Trickfilm machen. Eine wunderbare Kindergeschichte. Du hast keine wirklich neue Idee gehabt, sowas gibts ja schon und die meisten Deiner Dialoge sind einschlägig bekannt, bis hin zu dem viel zu altklugen sechsjährigen Mädchen. Allerdings wars das auch schon, ist mir zu langamtig und der Schluckauf des Wolfs, der sich durch die halbe Geschichte zieht nervt etwas.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom