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Die unsichtbare Grenze
Mit Stolz zeigte ich Onkel Muhtar meine neuste Errungenschaft, eine semi-automatische Gaspistole. Ich sah das Aufleuchten seiner Augen, sein Gesicht, das zuerst in Verwunderung und dann in kindlicher Freunde strahlte. Er nahm mir die Waffe aus der Hand, ich sah, wie die Schwere des Metalls, der Plastikgriff und das Klatzen des Schlittens ihn in weit entfernte Jugendtage versetzte. Die Freude schulg schnell in Sorge um, wie das Wetter seiner Bergheimat.
- Setz dich - bat er mich mit getrübter Stimme.
Er machte es sich auf dem Sofa bequem, die Pistole lag sicher in seiner Hand und irgendwie spürte ich, dass das, was ich gerade sah, das wahre Bild von ihm war.
- das hier, - er zeigte auf die Pistole, - ist nicht das was du willst. Du bist nicht wie wir, du willst mit den Verbrechern nichts zu tun haben. Einmal auf diesem Weg gibt es keinen Zurück mehr. Glaub es mir, ich habe es versucht.
Ich wollte versuchen mich zu rechtfertigen, Onkel Muhtar unterbrach mich bevor ich anfangen konnte.
- Machst du diesen einen Schritt in die falsche Richtng, bist du nicht mehr der selbe. Du weißt, wenn ich wütend werde, dann bin ich wie ein Tier, dem es vor Wut schon vor dem Mund schäumt. Wie damals im Sprachkurs, - in Aufregung durch eigene Ansprache versetzt, richtete er sich im sitzen auf, - ich war sauer wegen einer Kleinigkeit und an dem Tag hatte eine tschechische Kursteilnemehrin ihren Geburtstag. Auf dem Tisch vor der Tafel haben sie zur Feier des Tages alles schön eingerichtet mit Kuchen und Champagner. Ich warf es im Vorbeigehen um und überspielte nicht mal, dass es Absicht war.
Ich lachte laut.
- Dieser einer Schritt verändert alles, - fuhr er fort - an dem Tag, als ich den ersten Menschen getötet habe, weinte ich, bis in die späten Abendstunden. Danach war ich nicht mehr der selbe, meine Wut bekam ich schwer unter Kontrolle und das Töten... ging einfacher.
Die Verwunderung stand mir sicher ins Gesicht geschrieben. Onkel Muhtar war berühmt berüchtigt, er war ein sehr umgänglicher Mensch, lachte gerne und schien die Menschen um sich wie ein Magnet anzuziehen. Jedoch wagte es keiner ihm zu wiedersprechen und wenn es mal Streit zwischen den vielen Ethnien in unserem Viertel gab, war er immer als Vermittler zuhilfe gerufen worden, aus dem einen einzigen Grund, weil jeder im Viertel Angst vor ihm zu haben schien. Und doch konnte ich es kaum glauben, was ich da hörte. Dieser netter und starker Mensch... obwohl mich die Tatsache, dass er je in seinem Leben geweint hat, mehr überraschte, als die, dass er töten musste.
- Wie lange ist es schon her, 15, vielleicht 16 Jahre, - Onkel Muhtar blickte mich immer noch an, sah mich aber nicht, er war schon in der dunkelsten Ecke seiner Errinerungen, - es war im Winter ‘95, wir waren auf der Patrouille und entdeckten in einer Bodensenkung eine Gruppe von russischen Soldaten. Unser Komandeur gab das Befehl und nach einer kurzem Kampf waren die Russen entweder tot oder sind geflohen. Als ich die Senke erkundete, hörte ich ein Stöhnen oder ein Wimmern, ich wusste nicht, wo es her kam und dachte mir, es sei ein verwundeter Soldat. Nach einer kurzen Suche fand ich in einem Erdloch fünf junge russiche Soldaten. Die waren genauso jung, wie du, mit kaum Flaum im Gesicht, einige von ihnen haben sich schon in die Hose gemacht und wimerten - er sah Zweifel im meinem Gesicht.
- Nein wirklich, das sah ich selbst zum ersten mal, aber wer kann es ihnen verübeln, umzingelt von bärtigen bewaffneten Männern. In so einer Situation könnte es jedem passieren,- ein Lächeln huschte durch sein Gesicht, - einer von ihnen sah mich mit seinen blauen Augen an, er war bleich seine Lippen blau, zitterten heftig und zwar nicht wegen der kälte, sondern aus Angst. unser Komandeur kam zu mir und sah in das Loch hinein. “Wir müssen sie umbringen” sagte er mir. Ich hatte Mitleid mit den jungen und sprach Wacha an. Ja, er hieß auch Wacha - ein schiefes Lächen verzerrte kurz sein Gesicht.
- “Lass sie doch um Allahs Willen, die können uns nichts tun” sagte ich zu Wacha, er zweifelte “wir können sie auch nicht mitnehmen, wir haben kaum Proviant für uns selbst, und was wollen wir später mit ihnen machen?” Ich antwortete: “siehe sie dir mal, an die haben sich in die Hose gemacht, uns können sie nichts mehr antun”. Der blauäugige Soldat sah unsere Unterhaltung und nickte heftig mit dem Kopf, als ich sprach, als ob er verstehen könnte, was ich sagte. Wache willigte ein, wir drehten uns um, dann zog er eine Granate und schmiss sie lässig mit einer Abwärtsbewegung nach hinten rein in das Loch, bevor ich etwas tun konnte. Eine dumpfe Explosion beendete unsere Unterhaltung. Zurück im Lager kam Wacha zu meinem Lagerfeuer und sagte “ich wollte sie auch nicht umbringen, aber wenn die Verstärkung eingetroffen wäre, hätten sie verraten in welche Richtung wir geganengen sind und die Russen hätten uns mit ihren Helikoptern verfolgt und angegriffen”. Ich wusste, dass er recht hatte, aber ich kann immer noch nicht diese blauen Augen vergessen. Ich sehe sie vor mir, wie damals. Sie starren mich immer noch an. Die 16 Jahre meines Lebens würde ich opfern, um sie zu vergessen.
Onkel Muhtar stand auf, sah nochmal kurz die Pistole an, gab sie mit weit gestreckten Armen zurück und ging wieder seinen rätselhaften Geschäften nach.