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- 31.08.2008
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Die Tulipa-Hausse
Wenn der Frühling kommt, dann pflück ich Dir Tulpen aus Amsterdam...
I.
"Vater! Ich habe Ihnen ein kleines Geschenk mitgebracht!" Der Sohn wickelte sorgsam eine Topfblume mit roten Blüten aus und bot sie dem alten Mann dar, der nur kurz aufsah.
"Schon, gut, stell' sie dahin", der Alte machte eine unwirsche Handbewegung. Der Sohn stellte die stolze Farbenpracht auf die Ecke des gewaltigen dunklen Schreibtisches. Der Alte las weiter in seinen Schriftstücken; sein graues Haar fiel ihm in das Gesicht; er streifte es zurück und nahm seine Leselupe wieder zur Hand. Er war ein hagerer, alter Mann, rüstig, aber vom Leben gezeichnet.
"Vater, ich möchte etwas mit Ihnen besprechen", drängte der Sohn.
"Setze dich erst einmal!", forderte der Vater auf. Der Sohn nahm sich den Stuhl, der seitlich zum Schreibtisch stand und wartete. Schließlich sah der Alte zu ihm hinüber:
"Und? Was möchtest du besprechen?"
"Verehrter Vater! Ich möchte über meine zukünftigen Aufgaben mit Ihnen sprechen. Ich arbeite nun schon zehn Jahre in Ihrer Bank, nachdem ich in anderen großen Bankhäusern gelernt habe, und erledige meine Aufgaben pflichtbewußt und gewissenhaft. Ich meine, es wäre an der Zeit, mir mehr Verantwortung zu übertragen."
Der Sohn war ein großgewachsener, kräftiger Mann mit lockigem Haar und einem etwas kindlichen Gesicht; er schaute seinen Vater erwartungsvoll an.
Der Alte schwieg und blätterte weiter in seinen Unterlagen. Schließlich räusperte er sich:
"So, Verantwortung möchte der Sohn haben. Weißt du denn schon, was das ist? Kannst du mir eine Entscheidung nennen, die du sorgfältig und zum Wohle aller getroffen hast? Kann ich dich selbständig arbeiten lassen? Ich denke, wenn du ein Handwerker wärst, müßtest du den Gesellenbrief erst noch erwerben. Zeige mir, was du kannst, dann sehen wir weiter."
"Vater! Dann bitte ich Sie, mir eine Aufgabe zu geben, mit der ich meine Fähigkeiten unter Beweis stellen kann. Wenn ich versage, werde ich mich darein fügen."
Der Alte senkte den Blick und schwieg wieder, aber diesmal las er nicht weiter in den Akten. Schließlich fiel sein Blick auf den Blumentopf:
"Da hast du ja eine Aufgabe. Nimm den Topf wieder mit und mach' etwas Gescheites daraus. Ich glaube, das ist das richtige für dich." Er warf ihm einen abschätzigen Blick zu.
"Ich verstehe nicht, Herr Vater .... soll ich Blumen züchten? Soll ich das wirklich?"
Lange hatte der Sohn sich damit beschäftigt, dieses Gespräch gedanklich vorzubereiten, sich zu überwinden, den Vater in dieser Sache anzusprechen, und nun diese Antwort.
"Ja, das sollst du. Du hast mich richtig verstanden." Der Alte wirkte ernst, während der Sohn ihn ratlos ansah. "Du möchtest deine Fähigkeiten erproben - also tue es. Es ist überhaupt nicht wichtig, womit du beginnst; es spielt keine Rolle. Nimm den Topf wieder mit und fang' an."
Der Sohn verharrte weiter wie gelähmt. Schließlich setzte der Alte eine etwas verständnisvollere Miene auf und drehte sich im Stuhl zu seinem Sohn hin.
"Als erstes kaufst du uns in einige Gärtnereien ein, die dieses Unkraut züchten - wie heißt es doch gleich - ach ja, die Tulipa. Buntes Gemüse aus China, du solltest wissen, daß ich keinen Sinn dafür habe. Dann sehen wir weiter - die Preise müssen steigen - die Leute müssen begreifen, daß sie diese Tulpen mehr als alles andere haben müssen, für die Pracht ihrer Gärten. Dieses neureiche Pack, das sich hier ausbreitet, seit die Geschäfte mit den Kolonien angelaufen sind - es ist mir ein Greuel; jeder meint gleich, er sei von edlem Adel, wenn er ein paar hunderttausend Gulden ergaunert hat, und versucht es mit seinen protzigen Gartenanlagen unter Beweis zu stellen.- Soweit ich weiß, ist die Tulpe noch zu wenig bekannt - wir brauchen einen, der das ändert. Einen Maler. Beschaffe einen; beauftrage ihn, Tulpen zu malen, so viel er kann. Ich möchte auf jeder Kunstausstellung Tulpenbilder sehen. Verstanden? So müßte es gehen. Und jetzt - ich muß arbeiten. Du hast die Chance, um die du mich ersucht hast. Fang' an."
Der Sohn stand betreten auf, klemmte sich den Topf unter den Arm, verbeugte sich und verließ das Büro.
II.
Der Diener sprach vor: "Herr, ihr Gast ist soeben eingetroffen. Ihr Sohn begleitet ihn. Dürfen die beiden eintreten?"
Der Alte winkte zustimmend. Der Diener verließ den Raum und kam kurz darauf mit dem Sohn und einem Fremden herein, einem älteren Mann mit grauen Haaren, breitem untersetztem Körper und sehr abgenutzter Kleidung.
"Darf ich Sie einander vorstellen? Herr Rembrandt, mein Vater", stellte der Sohn den Gast seinem Vater vor.
Rembrandt machte eine leichte Verbeugung. Der Alte sah auf und sagte:
"Nun, ich möchte keine langen Umschweife machen und gleich zur Sache kommen. Sie sind der Kunstmaler Rembrandt; man hat gelegentlich von Ihnen gehört; Sie sind sicherlich der geeignete Partner für unser Anliegen."
Rembrandt hatte inzwischen vor dem Schreibtisch Platz genommen, der Sohn daneben. Rembrandt erwiderte den Blick des Alten unschlüssig. Er mochte Bankiers nicht sonderlich und war der Einladung nur gefolgt, weil man ihm gute Verdienste in Aussicht gestellt hatte.
"Ich möchte, daß Sie uns Tulpen malen. So viele, so bunte und so schöne wie möglich. Sie haben freie Wahl der Gestaltung; lassen Sie Ihrer Phantasie freien Raum. Ich möchte, daß überall in den Kunsthandlungen und Ausstellungen Tulpenbilder angeboten werden. Über die Berechnung werden wir uns sicher einig."
"Aber ... das kann ich nicht. Mein Name steht für eine andere Art von Malerei. Ich kann Ihnen damit nicht helfen; es tut mir leid."
"Sie können es nicht?", der Alte tobte fast vor Wut, "was soll das heißen? Sie haben doch einen ganzen Stall voll von Malergesellen, Sie können produzieren und produzieren...von wegen, Sie könnten es nicht!"
"Ich könnte die Bilder malen lassen.", gab Rembrandt zu. "Ich habe einige begabte Schüler, die ich damit betrauen könnte... so ließe es sich machen, wenn Sie einverstanden sind."
Der Alte sah brüskiert zu Rembrandt, sagte aber nichts dagegen.
"Einigen Sie sich mit meinem Sohn, und dann an die Arbeit!"
Er deutete an, daß er das Gespräch mit dem Maler für beendet hielt. Seinen Sohn forderte er auf, noch zu bleiben. Rembrandt verabschiedete sich und verließ den Raum, ohne daß die beiden ihn weiter beachteten.
"Was macht deine Tulpenzucht, mein Sohn?", wollte der Vater wissen.
"Wir haben alle großen Gärtnereien aufgekauft oder Anteile erworben. Aber die Tulpenzucht ist schwierig, viele Zwiebeln gehen ein, es dauert lange, bis sich Zwiebeln bilden - es ist nicht so einfach." Der Sohn klang, als wolle er sich dafür entschuldigen.
"Sehr gut, sehr gut...", sagte der Alte." Es geht nicht darum, viele Zwiebeln zu produzieren. Ganz im Gegenteil...hast du schon an die Preise gedacht? Wie entwickeln sie sich?"
"Sie sind stabil", antwortete der Sohn.
"Sie sind stabil? Darum wirst du dich kümmern müssen...sobald der Maler die Tulpenbilder fertig hat, nimmst du dir die Preise vor. Du entsendest jeweils mehrere Agenten auf alle Auktionen und läßt Tulpen ersteigern, wobei ihr die Preise langsam, aber stetig anzieht. Kauf dir deine Tulpen zurück und wirf sie wieder auf den Markt, bis der Markt begreift...du wirst schon sehen, daß es wirkt; es kann nicht lange dauern."
III.
"Vater, ich habe alles ausgeführt, was Sie mir auftrugen. Die Preise steigen ständig, jeder glaubt, sein Geld in Tulpen anlegen zu müssen, um es schnell zu mehren. Wir haben den Handel an die Börse gebracht; die handelt jetzt neben den Aktien auch mit Tulpenzwiebeln, nur daß die Zwiebeln den größten Teil des Umsatzes ausmachen; wer kauft noch Aktien, wenn er mit den Zwiebeln viel schneller Geld verdienen kann? Wir haben den Handel von einzelnen Zwiebeln auf Bündel ausgeweitet; so werden wir auch die minderwertigen Zwiebeln los, immer fünf verschiedene Zwiebeln werden zusammen angeboten. Die Frage ist nur: wie lange geht das so weiter? Sollten wir nicht lieber bald aussteigen? Wir haben jetzt schon mit den Tulpen mehr verdient als in den zehn Jahren mit dem gesamten Bankgeschäft…ich denke, wir sollten uns rausziehen.“
Der Alten schwieg einen Augenblick, dann sagte er: „Es ist gut, daß du dir diese Sorgen machst. Aber wir sind noch nicht am Ziel. Wir werden jetzt noch nicht aussteigen, sondern erst, wenn das Spiel zu Ende ist. Und wann das sein wird, das bestimmen wir.“
„Aber die Hausse ist bald zu Ende…es entwickelt sich ein Geldmangel; nur wenige können noch mehr ausgeben, als sie es bisher getan haben.“
„Ja, du hast recht. Darum werden wir uns bald kümmern müssen.“
„Aber wie?“
„Ich überlege noch. Wir werden es bald lösen, den Leuten das nötige Geld geben, damit sie das Spiel noch ein bißchen weiter spielen können…du wirst sehen.“
„Es gibt noch ein Problem, von dem ich berichten muß.“
"Problem? Was für ein Problem?"
"Die jüdischen Bankiers machen uns den Vorwurf, den Handel zu manipulieren. Sie sagen, es könne nicht gut enden, was sich da anbahnt. Sie wollen bei der Regierung vorstellig werden..."
"Laß' die reden...wer hört schon auf Juden? Die sind doch nur neidisch auf unser Geschäft...aber…suche einen Juden, der mit dir kooperiert. Beteilige ihn am Geschäft, wenn nötig, großzügig."
"Aber wozu?"
"Du wirst sehen..."
Der Alte bedeutete ihm, daß er jetzt keine Zeit mehr habe.
IV.
"Vater, ich möchte Ihnen über den Stand der Entwicklung berichten... einige Tulpen haben eine Krankheit, die die Blüten verändert, sie sehen sehr fremdartig aus, mit merkwürdigen mosaikartigen Mustern...dadurch erzielen diese besonders hohe Preise. Es wurden schon Summen im Wert eines Hauses für eine einzige Zwiebel gezahlt. Aber die kranken Zwiebeln vergehen schnell; es besteht ein hohes Risiko, damit nicht züchten zu können. Auch kann sich die Krankheit ausbreiten, dadurch werden die Zwiebeln auf dem Markt immer knapper. Ich weiß nicht, wie wir das lösen können..."
"Da gibt es nichts zu lösen, das ist gut...sogar sehr gut..."
"Aber wie soll ich die steigende Nachfrage bedienen? Schneller produzieren können unsere Gärtnereien nicht."
"Du mußt ja nicht mit den Zwiebeln selbst handeln."
"Womit denn dann?"
"Denke an Verträge... die Gärtner erstellen Beschreibungen der Zwiebeln, die sie gerade züchten, und verpflichten sich zur Lieferung zu einer angegebenen Zeit...diese Verträge nimmst du und bringst sie an die Börse...wie gehabt, am besten gleich im Bündel..."
"Aber die Liebhaber der Tulpen wollen doch etwas sehen..."
"Ja, gib ihnen etwas zu sehen. Nimm Maler unter Vertrag, die dir die Prospekte malen - gib den Hungerleidern Arbeit...apropos Hungerleider: was macht denn dein Jude? Hast du einen gefunden?"
"Ja, habe ich. Ich möchte dir gleich Samuel Silberberg vorstellen. Er wartet draußen."
Der Sohn wandte sich zur Tür und bedeutete dem Diener, den Gast zu holen.
Samuel Silberberg betrat den Raum. Mit einem wallenden grauen Bart, den leuchtenden Augen und einer klitzekleinen Brille in seinem markanten Gesicht erschien eine eindrucksvolle Person, nur sein Anzug war dafür etwas zu traditionell.
Die Herren begrüßten sich.
"Wir benötigen Ihre Unterstützung, und wir sind bereit, Sie dafür großzügig am Gewinn zu beteiligen", hob der Alte an. "Das wichtigste ist jetzt die Gestaltung des Kreditmarktes. Die Leute zahlen ja schon soviel für die Zwiebeln, wie sie können. Sie brauchen dringend günstige Kredite, sonst ist der Höhenflug schnell wieder am Boden. Wenn Sie kooperieren und wir gemeinsam die Zinsen senken, kann das Geschäft mit den Tulpen weiter blühen."
"Aber - wie steht es denn um das Angebot der Tulipazwiebeln? Man hört, es gäbe schon eine Verknappung, Lieferschwierigkeiten…?", fragte Silberberg.
"Für die Preise ist die Verknappung ja gut, aber es fehlt am Umsatz; da haben Sie recht. Wir haben eine Lösung dafür: in Zukunft werden auf dem Markt vornehmlich Terminkontrakte für die Tulpenzwiebeln gehandelt. Damit die richtig anlaufen können, brauchen wir möglichst bald eine Öffnung des Kreditgeschäftes."
Silberberg nickte verständig, auch der Sohn verstand jetzt. Die Zinsen mußten gesenkt werden, damit neues Kapital an die Börse fließen konnte. Zusammen mit dem Sohn verließ er das Büro.
V.
"Vater, die Zinsen haben wir abgesenkt, die anderen Banken mußten folgen und ebenfalls die Zinsen senken. Die Preise der Häuser steigen nun wie verrückt - sie werden darum auch umso höher beliehen; das bringt zusätzliches Geld auf den Markt. Jetzt schießen die Preise für die Tulpenpapiere weiter in die Höhe, obwohl: die wirklich gleich lieferbaren Zwiebeln erreichen immer noch die Spitzenpreise. Rembrandt beliefert uns mit schönen großen Tulpengemälden aus seiner Werkstatt und wird dafür mit Tulpenterminkontrakten entlohnt. Wir haben in Utrecht vierhundert Kunstmaler unter Vertrag, die uns kleine handliche Tulpenbilder in Öl malen. Die Maler bezahlen wir wie Rembrandt ebenfalls mit Tulpenpapieren. Jeder dieser Tulpenterminkontrakte beinhaltet ein oder mehrere solcher Bilder, je nach der Zahl der Sorten, deren Lieferung er festlegt.- Durch die Papiere kann jetzt auch das gemeine Volk mitverdienen. Sogar die einfachen Handwerker beteiligen sich am Geschäft und erwerben Anteile an Zwiebelkontrakten. Es tun sich bis zu zehn Käufer für den Erwerb eines Kontraktes für eine einzige Zwiebel zusammen.- Ich bin der Meinung, wir sollten jetzt aussteigen, denn wir stoßen an unsere Grenzen, was die Kreditvergabe angeht; uns droht das Geld auszugehen."
"Dafür hatten wir doch bei den Zwiebeln auch eine Lösung", antwortete der Alte.
Der Sohn fragte: "Sie meinen, wir bieten zusätzlich zu den Krediten Kreditpapiere an?"
"Ja, du nimmst das Geld bei den einfachen Leuten auf. Wer sich an dem Geschäft mit den Zwiebeln nicht beteiligen will, kann ja mit Kreditpapieren Gewinne machen. Verkaufe die Kredite! Aber...da ist noch etwas anderes...du hast recht; wir nähern uns langsam dem Höhepunkt. Wie hast du die Gewinne angelegt?"
"Wie immer...breit gesplittet, viele festverzinsliche Papiere, einige Aktien..."
"Jetzt mußt du alles umschichten...alles nur noch in Gold und Bargeld anlegen, nicht in unserer Bank, sondern an sicheren Orten im Land verteilt...laß auch einen Teil ins Ausland schaffen...in die Schweiz...mach' das und komme bald wieder...wir müssen jetzt häufiger miteinander reden..."
„Nur einen Punkt noch: unsere Geschäftsführer in den einzelnen Städten beschweren sich; sie sagen, das alles werde ihnen zu gefährlich. Ich sage denen immer, es liefe doch alles gut, die Gewinne waren noch nie so hoch, aber sie drohen, sich an weiteren Geschäften nicht mehr zu beteiligen."
"Gebe ihnen das dreifache Gehalt, das wird ihr Gewissen beruhigen..."
VI.
"Vater! Was ist passiert? Wie geht es Ihnen?" Der Sohn stürmte am Diener vorbei in das Krankenzimmer. Das Licht in dem Schlafgemach war gedämpft, die Vorhänge halb verschlossen. Unter einem Baldachin war ein großes Bett, in dem der Vater lag. Der Arzt, der eben noch neben dem Alten gesessen hatte, stand rasch auf und hielt den Zeigefinger an die Lippen:
"Ganz leise", flüsterte er. "Ihr Herr Vater hat einen schweren Herzanfall gehabt. Er benötigt dringend Ruhe!"
Der Alte räusperte sich. Leise sprach er: "Lassen Sie mich mit meinem Sohn sprechen."
"Aber nur ganz kurz. Und regen Sie ihn nicht auf!", sagte der Arzt zum Sohn und verließ den Raum.
"Und nun, mein Sohn? Wie laufen die Geschäfte?" Der Alte schien plötzlich erstaunlich wach.
"Der Tulpenmarkt steigt ungebrochen, aber wir und die anderen Banken können nicht mehr ausreichend Kredite bereitstellen; die Zinsen steigen darum wieder. Dadurch verfallen die Immobilienpreise und die Kredite werden unsicher, weil die Häuser ja für die gesunkenen Preise zu hoch beliehen sind ... die ersten bekommen schon kalte Füße ... die Angst geht um bei den anderen Bankiers; wir sollten unbedingt sofort aussteigen!"
"Hast du unser Vermögen umgewandelt, mein Sohn?"
"Ja, alles in Goldbarren und Münzen, alles in Tresoren außerhalb der Bank verteilt. Ich habe einige Transporte in die Schweiz organisiert; die Transaktionen liefen streng geheim und ohne Zwischenfälle. Alles ist in Sicherheit, so, wie Sie es angewiesen haben. Was haben Sie nun vor?“
"Geduld, mein Sohn. Geduld. Das Ziel ist nah; jetzt bereitest du den Ausstieg vor. Verkaufe langsam alle Anteile an den Zwiebeln und so viel wie möglich von den Kreditpapieren. Trenne dich von den Gärtnereien, aber nicht von allen auf einmal - es darf nicht auffallen. Lege weiterhin alles in Gold und Münzen an. Wenn du das alles in Ruhe ausgeführt hast, stimme dich mit Silberberg ab. Finde mit ihm einen geeigneten Tag heraus, geht beide mit den aktivsten Tulpenspekulanten an die Börse, um gemeinsam den Handel zu beobachten, und wenn eure Kunden euch um Einverständnis für neue Kredite nachfragen, um die gebotenen Preise zu überbieten, verweigert ihr weitere Kredite - nichts geht dann mehr. Dann geht ihr nach Hause."
Der Alte hatte die letzten Sätze nur noch geflüstert; er konnte nicht weiter sprechen. Der Sohn stand auf und verließ den Raum.
VII.
Beim nächsten Besuch wirkte der Sohn erregt und völlig aufgelöst. Der Vater sah dagegen noch blasser aus als bei dem Besuch davor und atmete laut. Das Dienstpersonal hatte ihn aufrecht in das Bett gesetzt, damit er besser mit dem Sohn reden könne.
"Vater, Silberberg und ich haben die Kredite gesperrt, wie Sie es angeordnet haben. Der Tulpenmarkt ist daraufhin sofort zusammengebrochen. Die Zwiebeln sind nicht ein hundertstel mehr wert. Wie eine vernichtende Flutwelle ging es innerhalb von wenigen Tagen durch alle Börsenplätze. Jetzt stellt sich heraus, daß die anderen Banken mit den Zwiebelpapieren viel Kapital verloren haben und ihre Kredite nicht bedienen können. Der Immobilienmarkt ist ebenfalls kollabiert. Die Häuser waren ja viel zu hoch beliehen; die Kreditpapiere sind jetzt alle nichts mehr wert. Das wird auch unserer Bank Schwierigkeiten bereiten. Haben Sie damit gerechnet? Was soll ich jetzt als nächstes tun?"
"Nichts, mein Sohn. Es ist alles gut..."
"Aber?"
"Es ist gut ... du mußt jetzt nur warten, nur warten ... es ist gut..."
Der Alte schloß die Augen und sagte nichts mehr.
VIII.
Schon am darauf folgenden Tag hatte der Sohn wieder Neues zu berichten:
"Vater, die ersten Banken haben Insolvenz angemeldet...die Regierung will die Banken übernehmen, um das schlimmste abzuwenden und die Wirtschaft des Landes zu retten, die Kirchen haben Millionen mit dem Zwiebelgeschäft verloren, einige Bischöfe protestieren bei den Banken und bei der Regierung, gleichzeitig bieten andere den Bankiers an, Gebete für die tägliche Fürbitte entgegenzunehmen ... Silberberg ist verfolgt worden; er ist mit seiner Familie in das Ausland geflohen, der Mob hat sein Haus angezündet, seine Bank wurde geplündert, alle sagen jetzt, die Juden seien Schuld..."
"Ja, mein Sohn, das sind sie ... du wolltest doch wissen, wozu wir ihn gebraucht haben? Wir hatten Gärtner, die Zwiebeln gezüchtet haben, wir hatten Neureiche, die den Hals nicht voll bekommen konnten und das von ihren Kolonialgeschäften stammende viele Geld noch weiter mehren wollten, und arme Schlucker, die uns die Kredite abgekauft haben ... wir brauchten nur noch einen ... einen, der die Schuld trägt ... dafür war Silberberg prädestiniert, dafür sind die Juden auserwählt … so heißt es doch: das auserwählte Volk … aber du, du mußt jetzt nur warten, nur noch ein paar Tage warten … bald kannst du alles kaufen, alles..."
IX.
Der Arzt beugte sich gerade über den Alten, als der Sohn eintrat. Er winkte kurz und zog sich mit dem Sohn in eine Zimmerecke zurück:
"Ihr Herr Vater hat einen erneuten Herzanfall erlitten; es sieht nicht gut aus...schonen Sie ihn...bitte." Der Arzt verließ den Raum; der Sohn trat langsam mit leisen Schritten an das Bett. Sein Vater lag flach im Bett und hatte die Augen geschlossen.
"Vater, können Sie mich hören? Hören Sie mich?", fragte der Sohn erregt, aber halblaut.
Der Alte öffnete nicht die Augen, aber er antwortete: "Ja, ich höre dich, mein Sohn. Wie steht es um dein kleines Gesellenstück?"
"Die größten Banken haben alle Konkurs angemeldet und die Häuser geschlossen, die Menschen bekommen kein Geld mehr, sie hungern, es herrscht Aufruhr im ganzen Land."
"Aber du hast doch unser Gold und unsere Münzen in Sicherheit gebracht?"
"Ja, Vater, alles ist sicher und so verteilt, wie Sie es gesagt haben.- Der Staat ist eingesprungen, den Banken zu helfen, er wird auch uns helfen und unsere Bank unter seine Aufsicht stellen, wenn wir in Zahlungsschwierigkeiten geraten, aber es mehren sich auch schon Stimmen, die sagen, daß der Staat sich dabei übernehmen werde..."
"Das ist gut...das ist sehr gut..."
"…aber die Banken haben alle keinen Wert mehr, mit unserem Gold könnten wir sie jetzt alle kaufen. Der Goldpreis hat sich durch den Sturz der Immobilienpreise verdreifacht; mit unserem Gold könnten wir jetzt Besitzer aller holländischen Banken werden ... laß uns jetzt einschreiten, die anderen Banken übernehmen … dann ist die Krise vorbei, und wir sind reich…"
"Nein, dafür haben wir es nicht getan ... was willst du mit den holländischen Banken allein, die sind nichts ... warte noch..."
"Aber worauf, Vater? Worauf warten wir?"
Es klopfte an der Tür. Ein Diener schaute herein und bedeutete, daß es eine wichtige Nachricht gebe.
"Ich habe Sie doch angewiesen, uns auf keinen Fall zu stören", schalt ihn der Sohn mit scharfem Ton. Der Vater hob langsam eine Hand und winkte den Diener heran. Der blieb jedoch an der Tür stehen und wies einen Gast herein. Es kam der Geschäftsführer der ortsansässigen Filiale der familieneigenen Bank herein, trat an das Bett und sagte halblaut:
"Die Regierung hat erklärt, daß sie zahlungsunfähig ist. Die Besitztümer des Hauses Oranien-Nassau wurden gepfändet; es hat nur wenige Stunden Aufschub bewirkt. Die Regierung wird weder den Staatsdienern ihren Lohn zahlen noch sonstige Verpflichtungen erfüllen. Holland ist pleite. Es ist das Ende."
Der Mann verharrte einen Augenblick mit betroffenem Blick und wartete auf eine Antwort, dann verließ er den Raum. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, sah der Sohn seinen Vater fragend an: „Haben Sie das wirklich gewollt, Vater?“
"Ja, mein Sohn, denn jetzt ist deine Gelegenheit gekommen: jetzt kannst du alles kaufen ... kaufe die Banken, die Industrie, den Grundbesitz des Staates, die Güter des Adels, alles … und bewahre es gut.-
Du weißt jetzt, wie seit alten Zeiten das Spiel gespielt wird, und wirst es in Zukunft auch allein können. Gib es deinen Kindern weiter, was du von mir gelernt hast. Und denke daran, daß die Niederlande sehr klein sind und daß ihr nie zufrieden sein dürft ... niemals, sonst könnt ihr alles wieder verlieren. Schicke deine Kinder nach Amerika, laß sie und ihre Kinder dort das ganz große Rad drehen - ihr müßt einen langen Atem haben, vielleicht einen Atem für einige Jahrhunderte, aber der Lohn wird unermeßlich sein. Amerika ist das Tor zur Welt."
Epilog:
Ihren Höhepunkt erreichte die Tulpenspekulation bei einer Versteigerung am 5. Februar 1637 in Alkmaar. Dort wurden für 99 Posten Tulpenzwiebeln rund 90.000 Gulden erzielt, das entspricht heute ca. 900.000 Euro. Am 7. Februar 1637 stoppte der Handel schließlich. Die Preise fielen um über 95 Prozent. Zu den Opfern gehörte auch Rembrandt. Nicht nur, dass seine Tulpen-Kontrakte wertlos waren, auch seine Malerwerkstatt bekam in den Folgejahren kaum Aufträge, da die Niederländer das Geld für wichtigere Dinge als Gemälde brauchten. Rembrandt starb verarmt im Jahr 1669.
Mit dem Platzen einer Spekulationsblase am amerikanischen Aktienmarkt im Jahre 1929 wurde das erste Mal eine Wirtschaftskrise globalen Ausmaßes ausgelöst.