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Die Tulipa-Hausse

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31.08.2008
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Die Tulipa-Hausse

Wenn der Frühling kommt, dann pflück ich Dir Tulpen aus Amsterdam...

I.
"Vater! Ich habe Ihnen ein kleines Geschenk mitgebracht!" Der Sohn wickelte sorgsam eine Topfblume mit roten Blüten aus und bot sie dem alten Mann dar, der nur kurz aufsah.
"Schon, gut, stell' sie dahin", der Alte machte eine unwirsche Handbewegung. Der Sohn stellte die stolze Farbenpracht auf die Ecke des gewaltigen dunklen Schreibtisches. Der Alte las weiter in seinen Schriftstücken; sein graues Haar fiel ihm in das Gesicht; er streifte es zurück und nahm seine Leselupe wieder zur Hand. Er war ein hagerer, alter Mann, rüstig, aber vom Leben gezeichnet.
"Vater, ich möchte etwas mit Ihnen besprechen", drängte der Sohn.
"Setze dich erst einmal!", forderte der Vater auf. Der Sohn nahm sich den Stuhl, der seitlich zum Schreibtisch stand und wartete. Schließlich sah der Alte zu ihm hinüber:
"Und? Was möchtest du besprechen?"
"Verehrter Vater! Ich möchte über meine zukünftigen Aufgaben mit Ihnen sprechen. Ich arbeite nun schon zehn Jahre in Ihrer Bank, nachdem ich in anderen großen Bankhäusern gelernt habe, und erledige meine Aufgaben pflichtbewußt und gewissenhaft. Ich meine, es wäre an der Zeit, mir mehr Verantwortung zu übertragen."
Der Sohn war ein großgewachsener, kräftiger Mann mit lockigem Haar und einem etwas kindlichen Gesicht; er schaute seinen Vater erwartungsvoll an.
Der Alte schwieg und blätterte weiter in seinen Unterlagen. Schließlich räusperte er sich:
"So, Verantwortung möchte der Sohn haben. Weißt du denn schon, was das ist? Kannst du mir eine Entscheidung nennen, die du sorgfältig und zum Wohle aller getroffen hast? Kann ich dich selbständig arbeiten lassen? Ich denke, wenn du ein Handwerker wärst, müßtest du den Gesellenbrief erst noch erwerben. Zeige mir, was du kannst, dann sehen wir weiter."
"Vater! Dann bitte ich Sie, mir eine Aufgabe zu geben, mit der ich meine Fähigkeiten unter Beweis stellen kann. Wenn ich versage, werde ich mich darein fügen."
Der Alte senkte den Blick und schwieg wieder, aber diesmal las er nicht weiter in den Akten. Schließlich fiel sein Blick auf den Blumentopf:
"Da hast du ja eine Aufgabe. Nimm den Topf wieder mit und mach' etwas Gescheites daraus. Ich glaube, das ist das richtige für dich." Er warf ihm einen abschätzigen Blick zu.
"Ich verstehe nicht, Herr Vater .... soll ich Blumen züchten? Soll ich das wirklich?"
Lange hatte der Sohn sich damit beschäftigt, dieses Gespräch gedanklich vorzubereiten, sich zu überwinden, den Vater in dieser Sache anzusprechen, und nun diese Antwort.
"Ja, das sollst du. Du hast mich richtig verstanden." Der Alte wirkte ernst, während der Sohn ihn ratlos ansah. "Du möchtest deine Fähigkeiten erproben - also tue es. Es ist überhaupt nicht wichtig, womit du beginnst; es spielt keine Rolle. Nimm den Topf wieder mit und fang' an."
Der Sohn verharrte weiter wie gelähmt. Schließlich setzte der Alte eine etwas verständnisvollere Miene auf und drehte sich im Stuhl zu seinem Sohn hin.
"Als erstes kaufst du uns in einige Gärtnereien ein, die dieses Unkraut züchten - wie heißt es doch gleich - ach ja, die Tulipa. Buntes Gemüse aus China, du solltest wissen, daß ich keinen Sinn dafür habe. Dann sehen wir weiter - die Preise müssen steigen - die Leute müssen begreifen, daß sie diese Tulpen mehr als alles andere haben müssen, für die Pracht ihrer Gärten. Dieses neureiche Pack, das sich hier ausbreitet, seit die Geschäfte mit den Kolonien angelaufen sind - es ist mir ein Greuel; jeder meint gleich, er sei von edlem Adel, wenn er ein paar hunderttausend Gulden ergaunert hat, und versucht es mit seinen protzigen Gartenanlagen unter Beweis zu stellen.- Soweit ich weiß, ist die Tulpe noch zu wenig bekannt - wir brauchen einen, der das ändert. Einen Maler. Beschaffe einen; beauftrage ihn, Tulpen zu malen, so viel er kann. Ich möchte auf jeder Kunstausstellung Tulpenbilder sehen. Verstanden? So müßte es gehen. Und jetzt - ich muß arbeiten. Du hast die Chance, um die du mich ersucht hast. Fang' an."
Der Sohn stand betreten auf, klemmte sich den Topf unter den Arm, verbeugte sich und verließ das Büro.

II.
Der Diener sprach vor: "Herr, ihr Gast ist soeben eingetroffen. Ihr Sohn begleitet ihn. Dürfen die beiden eintreten?"
Der Alte winkte zustimmend. Der Diener verließ den Raum und kam kurz darauf mit dem Sohn und einem Fremden herein, einem älteren Mann mit grauen Haaren, breitem untersetztem Körper und sehr abgenutzter Kleidung.
"Darf ich Sie einander vorstellen? Herr Rembrandt, mein Vater", stellte der Sohn den Gast seinem Vater vor.
Rembrandt machte eine leichte Verbeugung. Der Alte sah auf und sagte:
"Nun, ich möchte keine langen Umschweife machen und gleich zur Sache kommen. Sie sind der Kunstmaler Rembrandt; man hat gelegentlich von Ihnen gehört; Sie sind sicherlich der geeignete Partner für unser Anliegen."
Rembrandt hatte inzwischen vor dem Schreibtisch Platz genommen, der Sohn daneben. Rembrandt erwiderte den Blick des Alten unschlüssig. Er mochte Bankiers nicht sonderlich und war der Einladung nur gefolgt, weil man ihm gute Verdienste in Aussicht gestellt hatte.
"Ich möchte, daß Sie uns Tulpen malen. So viele, so bunte und so schöne wie möglich. Sie haben freie Wahl der Gestaltung; lassen Sie Ihrer Phantasie freien Raum. Ich möchte, daß überall in den Kunsthandlungen und Ausstellungen Tulpenbilder angeboten werden. Über die Berechnung werden wir uns sicher einig."
"Aber ... das kann ich nicht. Mein Name steht für eine andere Art von Malerei. Ich kann Ihnen damit nicht helfen; es tut mir leid."
"Sie können es nicht?", der Alte tobte fast vor Wut, "was soll das heißen? Sie haben doch einen ganzen Stall voll von Malergesellen, Sie können produzieren und produzieren...von wegen, Sie könnten es nicht!"
"Ich könnte die Bilder malen lassen.", gab Rembrandt zu. "Ich habe einige begabte Schüler, die ich damit betrauen könnte... so ließe es sich machen, wenn Sie einverstanden sind."
Der Alte sah brüskiert zu Rembrandt, sagte aber nichts dagegen.
"Einigen Sie sich mit meinem Sohn, und dann an die Arbeit!"
Er deutete an, daß er das Gespräch mit dem Maler für beendet hielt. Seinen Sohn forderte er auf, noch zu bleiben. Rembrandt verabschiedete sich und verließ den Raum, ohne daß die beiden ihn weiter beachteten.

"Was macht deine Tulpenzucht, mein Sohn?", wollte der Vater wissen.
"Wir haben alle großen Gärtnereien aufgekauft oder Anteile erworben. Aber die Tulpenzucht ist schwierig, viele Zwiebeln gehen ein, es dauert lange, bis sich Zwiebeln bilden - es ist nicht so einfach." Der Sohn klang, als wolle er sich dafür entschuldigen.
"Sehr gut, sehr gut...", sagte der Alte." Es geht nicht darum, viele Zwiebeln zu produzieren. Ganz im Gegenteil...hast du schon an die Preise gedacht? Wie entwickeln sie sich?"
"Sie sind stabil", antwortete der Sohn.
"Sie sind stabil? Darum wirst du dich kümmern müssen...sobald der Maler die Tulpenbilder fertig hat, nimmst du dir die Preise vor. Du entsendest jeweils mehrere Agenten auf alle Auktionen und läßt Tulpen ersteigern, wobei ihr die Preise langsam, aber stetig anzieht. Kauf dir deine Tulpen zurück und wirf sie wieder auf den Markt, bis der Markt begreift...du wirst schon sehen, daß es wirkt; es kann nicht lange dauern."

III.
"Vater, ich habe alles ausgeführt, was Sie mir auftrugen. Die Preise steigen ständig, jeder glaubt, sein Geld in Tulpen anlegen zu müssen, um es schnell zu mehren. Wir haben den Handel an die Börse gebracht; die handelt jetzt neben den Aktien auch mit Tulpenzwiebeln, nur daß die Zwiebeln den größten Teil des Umsatzes ausmachen; wer kauft noch Aktien, wenn er mit den Zwiebeln viel schneller Geld verdienen kann? Wir haben den Handel von einzelnen Zwiebeln auf Bündel ausgeweitet; so werden wir auch die minderwertigen Zwiebeln los, immer fünf verschiedene Zwiebeln werden zusammen angeboten. Die Frage ist nur: wie lange geht das so weiter? Sollten wir nicht lieber bald aussteigen? Wir haben jetzt schon mit den Tulpen mehr verdient als in den zehn Jahren mit dem gesamten Bankgeschäft…ich denke, wir sollten uns rausziehen.“
Der Alten schwieg einen Augenblick, dann sagte er: „Es ist gut, daß du dir diese Sorgen machst. Aber wir sind noch nicht am Ziel. Wir werden jetzt noch nicht aussteigen, sondern erst, wenn das Spiel zu Ende ist. Und wann das sein wird, das bestimmen wir.“
„Aber die Hausse ist bald zu Ende…es entwickelt sich ein Geldmangel; nur wenige können noch mehr ausgeben, als sie es bisher getan haben.“
„Ja, du hast recht. Darum werden wir uns bald kümmern müssen.“
„Aber wie?“
„Ich überlege noch. Wir werden es bald lösen, den Leuten das nötige Geld geben, damit sie das Spiel noch ein bißchen weiter spielen können…du wirst sehen.“
„Es gibt noch ein Problem, von dem ich berichten muß.“
"Problem? Was für ein Problem?"
"Die jüdischen Bankiers machen uns den Vorwurf, den Handel zu manipulieren. Sie sagen, es könne nicht gut enden, was sich da anbahnt. Sie wollen bei der Regierung vorstellig werden..."
"Laß' die reden...wer hört schon auf Juden? Die sind doch nur neidisch auf unser Geschäft...aber…suche einen Juden, der mit dir kooperiert. Beteilige ihn am Geschäft, wenn nötig, großzügig."
"Aber wozu?"
"Du wirst sehen..."
Der Alte bedeutete ihm, daß er jetzt keine Zeit mehr habe.

IV.
"Vater, ich möchte Ihnen über den Stand der Entwicklung berichten... einige Tulpen haben eine Krankheit, die die Blüten verändert, sie sehen sehr fremdartig aus, mit merkwürdigen mosaikartigen Mustern...dadurch erzielen diese besonders hohe Preise. Es wurden schon Summen im Wert eines Hauses für eine einzige Zwiebel gezahlt. Aber die kranken Zwiebeln vergehen schnell; es besteht ein hohes Risiko, damit nicht züchten zu können. Auch kann sich die Krankheit ausbreiten, dadurch werden die Zwiebeln auf dem Markt immer knapper. Ich weiß nicht, wie wir das lösen können..."
"Da gibt es nichts zu lösen, das ist gut...sogar sehr gut..."
"Aber wie soll ich die steigende Nachfrage bedienen? Schneller produzieren können unsere Gärtnereien nicht."
"Du mußt ja nicht mit den Zwiebeln selbst handeln."
"Womit denn dann?"
"Denke an Verträge... die Gärtner erstellen Beschreibungen der Zwiebeln, die sie gerade züchten, und verpflichten sich zur Lieferung zu einer angegebenen Zeit...diese Verträge nimmst du und bringst sie an die Börse...wie gehabt, am besten gleich im Bündel..."
"Aber die Liebhaber der Tulpen wollen doch etwas sehen..."
"Ja, gib ihnen etwas zu sehen. Nimm Maler unter Vertrag, die dir die Prospekte malen - gib den Hungerleidern Arbeit...apropos Hungerleider: was macht denn dein Jude? Hast du einen gefunden?"
"Ja, habe ich. Ich möchte dir gleich Samuel Silberberg vorstellen. Er wartet draußen."
Der Sohn wandte sich zur Tür und bedeutete dem Diener, den Gast zu holen.
Samuel Silberberg betrat den Raum. Mit einem wallenden grauen Bart, den leuchtenden Augen und einer klitzekleinen Brille in seinem markanten Gesicht erschien eine eindrucksvolle Person, nur sein Anzug war dafür etwas zu traditionell.
Die Herren begrüßten sich.
"Wir benötigen Ihre Unterstützung, und wir sind bereit, Sie dafür großzügig am Gewinn zu beteiligen", hob der Alte an. "Das wichtigste ist jetzt die Gestaltung des Kreditmarktes. Die Leute zahlen ja schon soviel für die Zwiebeln, wie sie können. Sie brauchen dringend günstige Kredite, sonst ist der Höhenflug schnell wieder am Boden. Wenn Sie kooperieren und wir gemeinsam die Zinsen senken, kann das Geschäft mit den Tulpen weiter blühen."
"Aber - wie steht es denn um das Angebot der Tulipazwiebeln? Man hört, es gäbe schon eine Verknappung, Lieferschwierigkeiten…?", fragte Silberberg.
"Für die Preise ist die Verknappung ja gut, aber es fehlt am Umsatz; da haben Sie recht. Wir haben eine Lösung dafür: in Zukunft werden auf dem Markt vornehmlich Terminkontrakte für die Tulpenzwiebeln gehandelt. Damit die richtig anlaufen können, brauchen wir möglichst bald eine Öffnung des Kreditgeschäftes."
Silberberg nickte verständig, auch der Sohn verstand jetzt. Die Zinsen mußten gesenkt werden, damit neues Kapital an die Börse fließen konnte. Zusammen mit dem Sohn verließ er das Büro.

V.
"Vater, die Zinsen haben wir abgesenkt, die anderen Banken mußten folgen und ebenfalls die Zinsen senken. Die Preise der Häuser steigen nun wie verrückt - sie werden darum auch umso höher beliehen; das bringt zusätzliches Geld auf den Markt. Jetzt schießen die Preise für die Tulpenpapiere weiter in die Höhe, obwohl: die wirklich gleich lieferbaren Zwiebeln erreichen immer noch die Spitzenpreise. Rembrandt beliefert uns mit schönen großen Tulpengemälden aus seiner Werkstatt und wird dafür mit Tulpenterminkontrakten entlohnt. Wir haben in Utrecht vierhundert Kunstmaler unter Vertrag, die uns kleine handliche Tulpenbilder in Öl malen. Die Maler bezahlen wir wie Rembrandt ebenfalls mit Tulpenpapieren. Jeder dieser Tulpenterminkontrakte beinhaltet ein oder mehrere solcher Bilder, je nach der Zahl der Sorten, deren Lieferung er festlegt.- Durch die Papiere kann jetzt auch das gemeine Volk mitverdienen. Sogar die einfachen Handwerker beteiligen sich am Geschäft und erwerben Anteile an Zwiebelkontrakten. Es tun sich bis zu zehn Käufer für den Erwerb eines Kontraktes für eine einzige Zwiebel zusammen.- Ich bin der Meinung, wir sollten jetzt aussteigen, denn wir stoßen an unsere Grenzen, was die Kreditvergabe angeht; uns droht das Geld auszugehen."
"Dafür hatten wir doch bei den Zwiebeln auch eine Lösung", antwortete der Alte.
Der Sohn fragte: "Sie meinen, wir bieten zusätzlich zu den Krediten Kreditpapiere an?"
"Ja, du nimmst das Geld bei den einfachen Leuten auf. Wer sich an dem Geschäft mit den Zwiebeln nicht beteiligen will, kann ja mit Kreditpapieren Gewinne machen. Verkaufe die Kredite! Aber...da ist noch etwas anderes...du hast recht; wir nähern uns langsam dem Höhepunkt. Wie hast du die Gewinne angelegt?"
"Wie immer...breit gesplittet, viele festverzinsliche Papiere, einige Aktien..."
"Jetzt mußt du alles umschichten...alles nur noch in Gold und Bargeld anlegen, nicht in unserer Bank, sondern an sicheren Orten im Land verteilt...laß auch einen Teil ins Ausland schaffen...in die Schweiz...mach' das und komme bald wieder...wir müssen jetzt häufiger miteinander reden..."
„Nur einen Punkt noch: unsere Geschäftsführer in den einzelnen Städten beschweren sich; sie sagen, das alles werde ihnen zu gefährlich. Ich sage denen immer, es liefe doch alles gut, die Gewinne waren noch nie so hoch, aber sie drohen, sich an weiteren Geschäften nicht mehr zu beteiligen."
"Gebe ihnen das dreifache Gehalt, das wird ihr Gewissen beruhigen..."

VI.
"Vater! Was ist passiert? Wie geht es Ihnen?" Der Sohn stürmte am Diener vorbei in das Krankenzimmer. Das Licht in dem Schlafgemach war gedämpft, die Vorhänge halb verschlossen. Unter einem Baldachin war ein großes Bett, in dem der Vater lag. Der Arzt, der eben noch neben dem Alten gesessen hatte, stand rasch auf und hielt den Zeigefinger an die Lippen:
"Ganz leise", flüsterte er. "Ihr Herr Vater hat einen schweren Herzanfall gehabt. Er benötigt dringend Ruhe!"
Der Alte räusperte sich. Leise sprach er: "Lassen Sie mich mit meinem Sohn sprechen."
"Aber nur ganz kurz. Und regen Sie ihn nicht auf!", sagte der Arzt zum Sohn und verließ den Raum.
"Und nun, mein Sohn? Wie laufen die Geschäfte?" Der Alte schien plötzlich erstaunlich wach.
"Der Tulpenmarkt steigt ungebrochen, aber wir und die anderen Banken können nicht mehr ausreichend Kredite bereitstellen; die Zinsen steigen darum wieder. Dadurch verfallen die Immobilienpreise und die Kredite werden unsicher, weil die Häuser ja für die gesunkenen Preise zu hoch beliehen sind ... die ersten bekommen schon kalte Füße ... die Angst geht um bei den anderen Bankiers; wir sollten unbedingt sofort aussteigen!"
"Hast du unser Vermögen umgewandelt, mein Sohn?"
"Ja, alles in Goldbarren und Münzen, alles in Tresoren außerhalb der Bank verteilt. Ich habe einige Transporte in die Schweiz organisiert; die Transaktionen liefen streng geheim und ohne Zwischenfälle. Alles ist in Sicherheit, so, wie Sie es angewiesen haben. Was haben Sie nun vor?“
"Geduld, mein Sohn. Geduld. Das Ziel ist nah; jetzt bereitest du den Ausstieg vor. Verkaufe langsam alle Anteile an den Zwiebeln und so viel wie möglich von den Kreditpapieren. Trenne dich von den Gärtnereien, aber nicht von allen auf einmal - es darf nicht auffallen. Lege weiterhin alles in Gold und Münzen an. Wenn du das alles in Ruhe ausgeführt hast, stimme dich mit Silberberg ab. Finde mit ihm einen geeigneten Tag heraus, geht beide mit den aktivsten Tulpenspekulanten an die Börse, um gemeinsam den Handel zu beobachten, und wenn eure Kunden euch um Einverständnis für neue Kredite nachfragen, um die gebotenen Preise zu überbieten, verweigert ihr weitere Kredite - nichts geht dann mehr. Dann geht ihr nach Hause."
Der Alte hatte die letzten Sätze nur noch geflüstert; er konnte nicht weiter sprechen. Der Sohn stand auf und verließ den Raum.

VII.
Beim nächsten Besuch wirkte der Sohn erregt und völlig aufgelöst. Der Vater sah dagegen noch blasser aus als bei dem Besuch davor und atmete laut. Das Dienstpersonal hatte ihn aufrecht in das Bett gesetzt, damit er besser mit dem Sohn reden könne.
"Vater, Silberberg und ich haben die Kredite gesperrt, wie Sie es angeordnet haben. Der Tulpenmarkt ist daraufhin sofort zusammengebrochen. Die Zwiebeln sind nicht ein hundertstel mehr wert. Wie eine vernichtende Flutwelle ging es innerhalb von wenigen Tagen durch alle Börsenplätze. Jetzt stellt sich heraus, daß die anderen Banken mit den Zwiebelpapieren viel Kapital verloren haben und ihre Kredite nicht bedienen können. Der Immobilienmarkt ist ebenfalls kollabiert. Die Häuser waren ja viel zu hoch beliehen; die Kreditpapiere sind jetzt alle nichts mehr wert. Das wird auch unserer Bank Schwierigkeiten bereiten. Haben Sie damit gerechnet? Was soll ich jetzt als nächstes tun?"
"Nichts, mein Sohn. Es ist alles gut..."
"Aber?"
"Es ist gut ... du mußt jetzt nur warten, nur warten ... es ist gut..."
Der Alte schloß die Augen und sagte nichts mehr.

VIII.
Schon am darauf folgenden Tag hatte der Sohn wieder Neues zu berichten:
"Vater, die ersten Banken haben Insolvenz angemeldet...die Regierung will die Banken übernehmen, um das schlimmste abzuwenden und die Wirtschaft des Landes zu retten, die Kirchen haben Millionen mit dem Zwiebelgeschäft verloren, einige Bischöfe protestieren bei den Banken und bei der Regierung, gleichzeitig bieten andere den Bankiers an, Gebete für die tägliche Fürbitte entgegenzunehmen ... Silberberg ist verfolgt worden; er ist mit seiner Familie in das Ausland geflohen, der Mob hat sein Haus angezündet, seine Bank wurde geplündert, alle sagen jetzt, die Juden seien Schuld..."
"Ja, mein Sohn, das sind sie ... du wolltest doch wissen, wozu wir ihn gebraucht haben? Wir hatten Gärtner, die Zwiebeln gezüchtet haben, wir hatten Neureiche, die den Hals nicht voll bekommen konnten und das von ihren Kolonialgeschäften stammende viele Geld noch weiter mehren wollten, und arme Schlucker, die uns die Kredite abgekauft haben ... wir brauchten nur noch einen ... einen, der die Schuld trägt ... dafür war Silberberg prädestiniert, dafür sind die Juden auserwählt … so heißt es doch: das auserwählte Volk … aber du, du mußt jetzt nur warten, nur noch ein paar Tage warten … bald kannst du alles kaufen, alles..."


IX.
Der Arzt beugte sich gerade über den Alten, als der Sohn eintrat. Er winkte kurz und zog sich mit dem Sohn in eine Zimmerecke zurück:
"Ihr Herr Vater hat einen erneuten Herzanfall erlitten; es sieht nicht gut aus...schonen Sie ihn...bitte." Der Arzt verließ den Raum; der Sohn trat langsam mit leisen Schritten an das Bett. Sein Vater lag flach im Bett und hatte die Augen geschlossen.
"Vater, können Sie mich hören? Hören Sie mich?", fragte der Sohn erregt, aber halblaut.
Der Alte öffnete nicht die Augen, aber er antwortete: "Ja, ich höre dich, mein Sohn. Wie steht es um dein kleines Gesellenstück?"
"Die größten Banken haben alle Konkurs angemeldet und die Häuser geschlossen, die Menschen bekommen kein Geld mehr, sie hungern, es herrscht Aufruhr im ganzen Land."
"Aber du hast doch unser Gold und unsere Münzen in Sicherheit gebracht?"
"Ja, Vater, alles ist sicher und so verteilt, wie Sie es gesagt haben.- Der Staat ist eingesprungen, den Banken zu helfen, er wird auch uns helfen und unsere Bank unter seine Aufsicht stellen, wenn wir in Zahlungsschwierigkeiten geraten, aber es mehren sich auch schon Stimmen, die sagen, daß der Staat sich dabei übernehmen werde..."
"Das ist gut...das ist sehr gut..."
"…aber die Banken haben alle keinen Wert mehr, mit unserem Gold könnten wir sie jetzt alle kaufen. Der Goldpreis hat sich durch den Sturz der Immobilienpreise verdreifacht; mit unserem Gold könnten wir jetzt Besitzer aller holländischen Banken werden ... laß uns jetzt einschreiten, die anderen Banken übernehmen … dann ist die Krise vorbei, und wir sind reich…"
"Nein, dafür haben wir es nicht getan ... was willst du mit den holländischen Banken allein, die sind nichts ... warte noch..."
"Aber worauf, Vater? Worauf warten wir?"

Es klopfte an der Tür. Ein Diener schaute herein und bedeutete, daß es eine wichtige Nachricht gebe.
"Ich habe Sie doch angewiesen, uns auf keinen Fall zu stören", schalt ihn der Sohn mit scharfem Ton. Der Vater hob langsam eine Hand und winkte den Diener heran. Der blieb jedoch an der Tür stehen und wies einen Gast herein. Es kam der Geschäftsführer der ortsansässigen Filiale der familieneigenen Bank herein, trat an das Bett und sagte halblaut:
"Die Regierung hat erklärt, daß sie zahlungsunfähig ist. Die Besitztümer des Hauses Oranien-Nassau wurden gepfändet; es hat nur wenige Stunden Aufschub bewirkt. Die Regierung wird weder den Staatsdienern ihren Lohn zahlen noch sonstige Verpflichtungen erfüllen. Holland ist pleite. Es ist das Ende."
Der Mann verharrte einen Augenblick mit betroffenem Blick und wartete auf eine Antwort, dann verließ er den Raum. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, sah der Sohn seinen Vater fragend an: „Haben Sie das wirklich gewollt, Vater?“
"Ja, mein Sohn, denn jetzt ist deine Gelegenheit gekommen: jetzt kannst du alles kaufen ... kaufe die Banken, die Industrie, den Grundbesitz des Staates, die Güter des Adels, alles … und bewahre es gut.-
Du weißt jetzt, wie seit alten Zeiten das Spiel gespielt wird, und wirst es in Zukunft auch allein können. Gib es deinen Kindern weiter, was du von mir gelernt hast. Und denke daran, daß die Niederlande sehr klein sind und daß ihr nie zufrieden sein dürft ... niemals, sonst könnt ihr alles wieder verlieren. Schicke deine Kinder nach Amerika, laß sie und ihre Kinder dort das ganz große Rad drehen - ihr müßt einen langen Atem haben, vielleicht einen Atem für einige Jahrhunderte, aber der Lohn wird unermeßlich sein. Amerika ist das Tor zur Welt."

Epilog:
Ihren Höhepunkt erreichte die Tulpenspekulation bei einer Versteigerung am 5. Februar 1637 in Alkmaar. Dort wurden für 99 Posten Tulpenzwiebeln rund 90.000 Gulden erzielt, das entspricht heute ca. 900.000 Euro. Am 7. Februar 1637 stoppte der Handel schließlich. Die Preise fielen um über 95 Prozent. Zu den Opfern gehörte auch Rembrandt. Nicht nur, dass seine Tulpen-Kontrakte wertlos waren, auch seine Malerwerkstatt bekam in den Folgejahren kaum Aufträge, da die Niederländer das Geld für wichtigere Dinge als Gemälde brauchten. Rembrandt starb verarmt im Jahr 1669.
Mit dem Platzen einer Spekulationsblase am amerikanischen Aktienmarkt im Jahre 1929 wurde das erste Mal eine Wirtschaftskrise globalen Ausmaßes ausgelöst.

 

" ...wer kauft noch Aktien, wenn er mit den Zwiebeln viel schneller Geld verdienen kann?"

Hallo Set,

Du erzählst auf etwas mehr als sechs Seiten Manuskript eine Geschichte aus der Zeit der Tulpenmanie, die vor allem die Republik der Vereinigten Niederlande das erste Drittel des 17. Jahrhunderts beherrschte und an der Mechanismen dargestellt werden, die heute noch gelten. Der geneigte Leser muss wissen, dass die Niederlande Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation waren und wie alle deutschen Lande, nein: ganz Europa sich im Kriegszustand befand. Der Krieg war der "Teutsche Krieg". Gleichwohl gab es nicht nur Kriegsgewinnler und -verlierer (genaugenommen waren das alle), sondern auch Spekulanten, die Vermögen er- und verspekulierten.

Die Geschichte wirkt - trotz ihrer Länge - wie ein Kammerspiel: sechs Personen treten auf und kommen zu Wort:
Vater und Sohn, als die Hauptdarsteller, die mit Tulpen und - wie wir heutigen sagen - deren Derivate* handeln und reich werden,
Rembrandt (eben der berühmteste niederländische Maler), dessen Werkstatt so etwas wie Marketing treiben soll,
ein namentlich genannter Jude, der schon als Sündenbock voll eingeplant ist in das anstehende Geschäft,
ein Arzt und ein Diener mit kurzen Auftritten.

Ich empfehle, die Geschichte in jedem Fall zu lesen, da ich weiter nicht allzu viel verraten werde. Auf keinen Fall hätten sich damals die "van der Beurse" in ihren kühnsten Alben träumen lassen, dass nachgerade am 25 Oktober 1929 und im Oktober 2008 die Börse nach kleineren Einbrüchen 1962, 1987, 1997 und 2001 (ihr erinnert euch?) richtig krachen würde.

Die historische Geschichte ist Dir gelungen. Besonders gelungen erscheinen mir die persönliche Anreden (im Adel hörte es sich wie folgt etwa an: "Ihro Gnaden dero Sohn ..." Schiller, Luise Millerin) und - als mein absoluter Höhepunkt - so etwas wie eine Neiddebatte ...

* Der von mir verehrte Werner Sombart wird im 20. Jahrhundert den Handel mit Papieren (wie Aktien z. B.) als "Demokratisierung des öffentlichen Kredits" bezeichnen, womit auch dem letzten der Bezug zu unserem heute größten Problem klar sein sollte. "Durch die Papiere kann jetzt auch das gemeine Volk mitverdienen", was im 17. Jhdt. schon ausgedrückt wurde.

Die Kleinkrämerseele will auch was von sich geben (der einfachheithalberr in der Reihenfolge der Erscheinung im Text):

"Wenn der Frühling kommt, dann bring' ich dir, Tulpen aus Amsterdam..." Heißt es nicht, "Wenn der Frühling kommt, dann schick ich Dir, Tulpen aus Amsterdam..."? Wie dem auch sei: bei "bring" und/oder "schick" kann das abschließende "e" weggelassen werden und es bedarf keines Apostrophs. Das gilt nachfolgend noch einige Male und kann hier nicht im einzelnen aufgeführt werden, wie dann auch nicht nur das "Sie", sondern auch das "Du" mit all seinen Derivaten in der Anrede groß geschrieben wird.

" ..., der nur kurz zu ihm aufsah." "zu ihm" erscheint mir entbehrlich, ohne dass die Aussage missverständlich wird.

"Schon, gut, stell' sie mir dahin.", der Alte machte eine unscharfe Handbewegung." ""Schon KOMMA WEGgut, stell' sie mir dahinPUNKT WEG", der Alte machte eine unscharfe Handbewegung." Was ist eine unscharfe Handbewegung? Kommata solltestu nochmal durchgehen, vor allem aber den Punkt am Ende der wörtlichen Rede beseitigen (Hatten wir schon mal, da es aber ständig vorkommt, vermut ich, dass Du Dir eine eigene Grammtik diesbezgl. zurechtgezimmert hast.), das nächste folgt rasch: ""Vater, ich möchte etwas mit Ihnen besprechenPUNKT WEG", drängte der Sohn.
"Setz' dich erst einmalPUNKT WEG, STATTDESSEN AUSRUFEZEICHEN", forderte der Vater auf. Usw.

" ... beauftrage ihn, Tulpen zu malen, soviel er kann." Soviel ist hier keine Konjunktion, darum auseinander: so viel. So wenig würdestu auch nicht zusammenschreiben.

"Sie haben doch einen ganzen Stall voll von Malergesellen, Sie können produzieren und produzieren...von wegen, Sie können es nicht!" Zum Schluss in jedem Fall Konjunktiv II: " ..., Sie könnten es nicht!", da er's ja bezweifelt.

Bisschen haben und sein:
"Mit einem wallenden grauen Bart, den leuchtenden Augen und einer klitzekleinen Brille in seinem markanten Gesicht erschien eine eindrucksvolle Persönlichkeit, nur sein Anzug war dafür etwas zu traditionell." Persönlichkeit hat/besitzt man - wie man einen Charakter hat - und Person ist man. Also erschien eine "eindrucksvolle Person", die vielleicht eine bestimmte Persönlichkeit besitzt, was aber noch keiner wissen kann (Prügelknabe zu sein).

" ... sie sagen, das alles werde ihnen zu gefährlich. Ich sage denen immer, es läuft doch alles gut, ..." Besser Konjunktiv I oder II (nach Grad des eigenen Zweifels an der Aussage, unter sich können es die Drahtzieher sich Ehrlichkeit erlauben.

"Verkaufe langsam alle Anteile an den Zwiebeln und soviel wie möglich von den Kreditpapieren." So viel, siehe oben!

Zum Epilog: Rembrandt Harmensz van Rijn kaufte erst 1639 das Haus, das heute das Rembrandt-Museum heißt. Sein finanzieller Niedergang erfolgte erst in den 50er Jahren. Gleichwohl wird es unter den Handwerkern/Gesellen des Meisters Spekulanten gegeben haben, die in die Pleite schlingerten. Gier ist kein modernes Phänomen ...

Gruß

Friedel

 

hallo Friedel.
vielen Dank für die ausführlichen Kommentare, nehme ich gern entgegen. Die Geschichte - die Historik - habe ich reichlich mißbraucht, um allerlei gegenwärtiges und widerwärtiges darzustellen - es sollte ja nur ein verschwörungstheoretisch plausibler Ursprung der aktuellen Strategien dargestellt werden. Meine Kolumbus-Geschichte ist ja auch nicht geeignet, von Historikern abgesegnet zu werden.

Das wesentliche an den Börsenkrächen, für manchen vielleicht ein Trost, ist doch: das Geld ist hinterher nie weg. Es gehört nur einem anderen.

danke nochmal,

Gruß Set

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Set,

nix zu danken, gern geschehn. Das mit dem Missbrauch und Verfremdung der realen Geschichte in dem, was man so "historischer Roman" (Novelle/Erzählung) immer gegeben. Wenn man nur die Fakten darstellt, ists Geschichtsschreibung, bringt man Fiktion rein, so hat man immer auch mit der Besserwisserei des Spätgeborenen zu kämpfen. Wäre auch noch schöner, wenn (gelernte) Historiker "Die Päpstin" oder sonst was an historisierenden Geschichtchen absegneten. Was nicht heißt, das es nicht ginge: schau Dir die haldokumentarische Mann-Biographie Breloers (hab ich den jetzt korrekt geschrieben?) an oder lies einmal Golo Mann ... Wo die Dokumentenlage nicht ausreicht, stellt er Vermutungen an und arbeitet mit Wahrscheinlichkeiten, was er natürlich nie so ausgedrückt hat. Aber das gilt dann auch, je weiter zurück geschilderte Ereignisse liegen (z. B. Wolframs "Geschichte der Goten" u. v. m.). An Adrian den Tulpendieb kann ich mich kaum noch erinnern, war ich noch ein Knabe mit ... Aber da historisier ich selbst.

Tschüss und Gruß

Friedel

Nachträge: Zum einen spielt die Handlung durchaus zu der Zeit, da das "eszet" erfunden wurde; zum zwoten steht heute im neuen Zeitmagazin eine Reportage, wie eine junge Frau - durchaus ohne Neigung zum Zocken - ihr bescheidenes Vermögen innerhalb eines Jahres verdoppeln wollte ... Lesenswert, find ich.

 
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Hallo Friedel,

vielen Dank nochmal für Deine Fleißarbeit mit meinen Fehlern; vielleicht lerne ich ja langsam etwas dabei. Ich habe jetzt eine korrigierte und leicht überarbeitete Fassung eingestellt.
Die wirklichen Geschehnisse in den vierziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts kann man in Mike Dashs "Tulpenwahn" nachlesen.
Da Du so geschichtsbewandert bist: weißt Du von vergleichbaren Spekulationsblasen in der Antike? Etwa über Anteile an Schiffsexpeditionen und erhoffter Handelsware? Der wahre Ursprung der heutigen Bankenkrise scheint mir noch sehr viel weiter zurückzuliegen.

Gruß Set

 

Hi Setnemides,
ich fand deine Geschichte ganz wunderbar erzählt - und mit einem gewissen, verschmitzten Unterton im Wissen um den aktuellen Banken-Crash. Außerdem habe ich vor Jahren einmal einen Roman über dieses Tulpenkrieg-Thema gelesen -"Tulipan, der Tulpendieb". Der wachte bei deiner Geschichte wieder vor meinem inneren Auge auf. Dort wurden allerdings noch viel detaillierter die verschiedenen Zuchtverfahren und das Aussehen und Alternationen der Tulpenarten beschrieben, und wie wirklich Züchter und Händler im wahrsten Sinne des Wortes dafür über Leichen gegangen sind. Aber du wolltest ja offensichtlich vor allem den ökonomischen Aspekt an dieser Tulpenmanie aufzeigen. Das ist dir wunderbar parabelhaft gelungen. Also, deine oben in der Diskussion geäußerte Prämisse (das Geld ist nie weg, sondern nur bei jemand anderem) ziehst du sehr gekonnt und erfolgreich durch. Glückwunsch!
venusBonn

 

Grüß Dich venusB. & herzlich willkommen auf kg.de!

Heißt der erwähnte "Tulipan" nicht "Adrian"? Das ist bei mir altem Sack schon derart lange her, dass ich mir da im Augenblick nicht sicher bin.

Hallo Set,

nix zu danken. Ob in der Antike sich derartige/vergleichbare Ereignisse nachweisen lassen ist mir nicht bekannt. Entsinn mich aber noch Brechts "Geschäfte des Herrn Julius Caesar", in dem die Immobilienlandschaft erwähnt wird (warum schreib ich heute so oft "erwähnt"? Wo ist mehn Seelenklempner!) Ich schau aber mal nach ...

bis dahin

Friedel

 

Hallo Set,

Du fragst "weißt Du von vergleichbaren Spekulationsblasen in der Antike?" Die Spekulationsblasen können - von der Logik her - frühesten mit dem Münzgeld (7. Jhdt. v. Chr., Griechenland), dem Fernhandel (bevorzugt: Phönizier, aber auch die Griechen mit der Kolonisation) und - als weiteres Medium - der Börse auftauchen. Das ist erst im ausgehenden Mittelalter der Fall, da wo man auch "van der Boerse" sagt: in Flandern. Vorarbeiten wurden in Norditalien geleistet (Bank, Kredit, der berühmte "Lombard...".) Dennoch hat es einige Zeit gedauert, bis so etwas wie eine weltweite Krise draus wurde: Die "South Sea Bubble" und der "Mississippischwindel" zu Beginn des 18. Jhdts, seit 1857 gibt's sie einigermaßen regelmäßig, wobei ich jetzt nicht über "Kondratjeff-Zyklen" und "Hegemonialzyklen" referieren will und die Mods verärger). Die jetzige bubble-Ökonomie ist nach Eric Janszen eine "asset price hyperinflation", d. h. Vermögen ist - dank amerikanischer Rechnungswesen - überbewertet worden und die Lockerungen von Buchungsvorschriften für die hiesigen Banken lassen BÖSES befürchten. Die Preise wachsen (jetzt muss man sagen: wuchsen) inflationär. Der erwähnte Janszen gibt übrigens Wetten darauf, was die nächste Blase auslöst: der Energiemarkt und zwar insbesondere der "ökologische".

So viel und so wenig auf die schönste aller Welten!

Gruß aus Niflung

Friedel

PS: Natürlich gab's in der Antike Wirtschaftskrisen: am Ende der Herrschaft der Ramessiden war Ägypten pleite und ein armes Weltreich... Rom gar nicht erst zu erwähnen, das übrigens eine Marktwirtschaft hatte.

 

hallo Friedel,

danke für die Recherche; ich dachte an die Sammelwut und den Handel mit den Diddl-Blöcken und die interessante Vermarktung der Beanie-Babies, die ja im Handel, wenn veraltet, immer teurer wurden und damit den entscheidenden Reflex auslösten: "heute kaufen, morgen ist es doppelt so teuer. Im Internet wird ein Stofftier, das es seit einem halben Jahr nicht mehr im Handel gibt, schon für das Zehnfache gehandelt..." so etwas kann man auch mit Muschelgeld inszenieren.

Gruß Set

 
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Hallo Friedel,

danke für die nette Begrüßung -stimmt, du hast recht! Der Tulpendieb hieß Adrian! Habe das mit einem Volkslied verwechselt, wo von den "Tulipan" die Rede ist!

Gruß Heike

 
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Hallo Setnemides,

auch die zweite Geschichte, die ich von Dir gelesen habe, finde ich super. Zwar sehr lang, aber kein bisschen ermüdend, habe sie in einem Rutsch durchgelesen. Die Parallele zum Hier und Heute ist allerdings mehr als erschreckend. Wenn es so - oder so ähnlich - damals in den Niederlanden wirklich war (muss gestehen, dass ich von der tatsächlichen Historie nur mal gehört habe), muss ich mich fragen, warum die Menschheit eigentlich nichts dazu lernt.
Irgendwie komme ich nach dem Lesen Deiner Geschichte zu dem Schluss, dass die Gier des Menschen wohl nicht ausrottbar ist, dass aber letztlich immer die Falschen darunter leiden müssen, nämlich die kleinen Leute, denn die eigentlichen Protagonisten, sowohl der damaligen wie der heutigen Krise, haben ihre Schäfchen ja im Trockenen.

LG
Giraffe.

 
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Hallo Giraffe,

freut mich, daß Dir die Geschichte gefällt und daß Du sie durchgehalten hast. Natürlich war es damals in den Niederlanden anders; die Geschichte transportiert aktuelles Börsengeschehen in die Historie. Und ob heute die Börse so inszeniert wird wie in der Geschichte, da sind wohl auch Zweifel angebracht. Ich wollte es mit den Vereinfachungen und Übertreibungen nur verständlich machen, was meinem Eindruck nach 1929 passiert ist und was uns vielleicht bevorsteht. Die Ähnlichkeiten zur High-Tech- und Internet-Blase der 90er Jahre sind allerdings offensichtlich.

Gruß Set

Hallo Friedel,

nochmal zur wirtschaftlichen Dynamik der Antike: ich habe eine Quelle gefunden, in der die wirtschaftspolitischen Ansätze im alten Rom zuverlässig beschrieben werden: Goscinny und Uderzo: Obelix GmbH & Co.KG. Einen besonders direkten Bezug zur Tulipa-Spekulation sehe ich in der Marktanalyse:

"Die Leute kaufen

a) Nützliches
b) Bequemes
c) Amüsantes
d) was den Nachbarn neidisch macht

und dieses d) ist die Marktlücke, in die wir eindringen müssen!"

Gruß Set

 

Grüß Dich Set & Altersgenosse,

die alten Römer hatten tatsächlich eine Marktwirtschaft und Geldwirtschaft, kannten den Fernhandel und somit die wesentlichen Elemente des Kapitalismus, während Asterix & Co. wohl eher noch dem Tauschhandel frönten (zumindest bis zur Eroberung) und dann mit dem Frankeneinbruch im 5. Jhdt. wieder darauf zurückfielen, bis die "neue" Oberschicht - eben Merowinger & Co. - "romanisiert" wurde. Das verschwägerte burgundische Königshaus (Nachkommen aus Niflung!) hatte sich viel schneller an die romanischen Verhältnisse angepasst ...

Aber was ganz anderes: "Wiedersehen" hat mich auf eine kleine Köstlichkeit bei Böll gestoßen, die auf einmal wider hoch aktuell ist: "Der Bahnhof von Zimpren", unbedingt lesen!

Gruß

Friedel

 
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Nix zur Antike,

Set,

aber zur wahrscheinlich ersten richtigen Weltwirtschaftskrise:

Marcel Hänggi berichtet in der Zeit Nr. 40 vom 25. September d. J. unterm Titel "Parvenüs ihrer Zeit" von den riskanten Spekulationsgeschäften im 14. Jhdt., durch welche die größten Banken der damaligen Zeit zusammenbrachen: 1343 war Edward III. durch den Hundertjährigen Krieg pleite (und somit nicht Island, aber England) und er stand mit 1,5 Mio Florin - die damals härteste Währung der Welt - bei zwo Florentiner Finanzdienstleistern in der Kreide, "So viel, wie ein Königreich wert ist", schrieb ein Zeitgenosse. Die drei größten Finanzdienstleister gingen den Bach runter, zwo Kaufmannsfamilien suchten sogar dem Bnkrott zu entkommen, indem sie in Florenz - damals die wohlhabendste Stadt, man denke nur an die Vielzahl der dort beheimateten Künstler - putschten. Warten wir mal ab, wer's heute versuchen wird ...

Es gibt Querverweise zu Flandern (die Konkurrenz für Florenz), den Templern, die, wenn man so will, den Travellercheck erfunden haben: einzahlen in Europa, Barzahlung in Jerusalem ...

In der Folgenummer der Zeit gehts dann mit Wolfgang Uchatius um "Das große Geld", (Die Zeit Nr. 41, 1. Oktober d. J., Zeitläufte) wo auch Hamburg mit der ersten deutschen Börse genannt wird und die von Dir ausgegrabene Tulpenmanie. Hier findet sich auch ein Literaturhinweis. Charles Kindleberger A Financial History of Western Europe.

Und noch'n Tip, auf den irgendwo Samuelson hingewiesen hat: Charles Kindleberger Manias, Panics and Crashes. Wie der Titel verrät, geht's um 4 Jahrhunderte Krisen ...

Wen's interessiert, chau ins eine oder andere hinein!

Schönen Wintereinbruch

Friedel

 

Hi Set,

schon erschreckend, wie sich Geschichte wiederholt, immer und immer wieder. Musste erst mal wikipedieren (jaaa, klingt seltsam, aber es gibt ja auch googeln :)), weil mir die Tulpenmanie so gar nicht bekannt war. Wieder was gelernt.

Du hast eine schöne Sprache, der Text ist flüssig und routiniert geschrieben, ist zwar etwas länger, aber ich kam praktisch ohne Anhalten durch.

Frägchen zum Teil II.: Der Diener meldet Rembrandt und den Sohn an und fragt dann, ob die beiden eintreten dürfen. Würde der nicht eher sowas sagen wie "bitten eintreten zu dürfen" oder gar nicht fragen und einfach mitteilen, dass die beiden da sind?

Die Verschwörung in der Geschichte hat mir gefallen und den letzten Satz fand ich erschreckend. Gut!

Lieben Gruß

backslash

 

hallo Backslash,
wenn jemand so rege kommentiert und selbst keine Geschichte postet, ist das zwar viel schöner als der umgekehrte Fall, aber vielleicht möchten doch einige mal etwas von Dir lesen...danke für deine Kommentare.
Ich möchte doch auf etwas hinweisen: ich schreibe zwar manchmal etwas schreckliches, was auch so gemeint ist, wie ich es schreibe, aber diese Geschichte ist eher humoristisch gemeint. Ich habe sie nicht als Satire gepostet, weil sie das nicht erfüllt, andererseits ist sie so grotesk übertrieben, daß ich wirklich nicht alles ernst gemeint habe, was da steht. Ich wollte nur zum Nachdenken anregen, wie die anderen Forum-Mitglieder mit ihren Geschichten zur Bankenkrise auch, und einen Aspekt in den Vordergrund stellen (alles von Anfang an gesteuert), der so ungewöhnlich nicht ist; immerhin kommt ein populäres Wochenmagazin in der aktuellen Ausgabe mit derselben These...
Vielleicht geht es ja dieses Mal noch glimpflich ab;

Gruß Set

 

Mahlzeit,

ich hab auch nicht jedes Wort deiner Geschichte auf die Goldwage gelegt. Passt scho. :)

Ja, was eigene Geschichten angeht, bin ich noch jungfräulich, das stimmt. Liegt daran, dass mir im Moment die Ideen fehlen und einfach irgendwas runterschreiben, nur damit ich was hier stehen hab, will ich nicht. Kommt schon noch was, versprochen.

Gruß

\

 
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Und wieder ist's die ZEIT*, die mich zu dieser gelungenen Geschichte zurückführt, dass ich sie noch einmal lesen musste. Da tun sich Analogien zu den Analysen zu den modernen (Finanz-)Krisen von John Kenneth Galbraith und Paul Krugman auf, dass es mich juckt, die Geschichte zu empfehlen. Ich denk drüber nach,

lieber Set.

Gruß

Friedel

*Martenstein freut sich nämlich auf den Zusammenbruch des Kapitalismus, denn dort habe uns der Osten eine Erfahrung voraus, insofern der schon einen Systemzusammenbruch hinter sich hat.

>Man stirbt nicht dran.<

Und was ist heute schon der Unterschied zwischen Plan- und Marktwirtschaft (betriebswirtschaftliche Terminologie seligen Angedenkens an Erich Gutenberg), ob die Wirtschaft staatlich gelenkt ist (Zentralverwaltungswirtschaft) oder ob weltumspannende Konzerne ihre Planwirtschaft betreiben, wobei die Feudalherren des Kapitals ihre Macht durchaus auszuspielen wissen?

 
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hallo Friedel,

Und was ist heute schon der Unterschied zwischen Plan- und Marktwirtschaft (betriebswirtschaftliche Terminologie seligen Angedenkens an Erich Gutenberg), ob die Wirtschaft staatlich gelenkt ist (Zentralverwaltungswirtschaft) oder ob weltumspannende Konzerne ihre Planwirtschaft betreiben, wobei die Feudalherren des Kapitals ihre Macht durchaus auszuspielen wissen?

Ja, man könnte in dieser Richtung immer weiter lästern, etwa daß der Unterschied zwischen Planwirtschaft und Marktwirtschaft etwas mit dem Unterschied zwischen Sklaverei und Arbeitsmarkt zu tun hat: in der Sklaverei hat der Besitzer der Arbeitskräfte Verantwortung für deren Gesundheit, Arbeitsfähigkeit, Reproduktion...in der freien Gesellschaft trägt er diese nicht, die Arbeitskräfte können verschlissen werden; die Gesellschaft produziert sie nach...man könnte auch denken, die Planwirtschaft sei die nationale Organisation der Produktion, die Globalisierung betreibe dasselbe international, der in Resten verbliebene Wettbewerb diene nur effektiveren Ausbeutung...auch das Auf und Ab der Börse ist ja präzise Planung zur Konzentration des Kapitals, um zu meiner Geschichte zurückzukommen...die Planwirtschaft hat nicht überzeugt, sie ist "out", der Kapitalismus habe diese nicht besiegt, er sei nur übriggeblieben, sagt Ghaddafi; das klingt witzig, ist aber genauso falsch, als sagte man, ein aggressiver Tumor sei übriggeblieben...es gibt seit Alters her einen Darwinismus der Gesellschaftssysteme, und wie soll eine durchgeplante Gesellschaft die Welt erobern? Mit Liedern und roten Fahnen? Mit Atomwaffen? nein, das lief nicht, trotz der strammen Bemühungen, aber die globale Organisation der Produktionen, der Warenströme, der Geldströme, befeuert durch die Spekulationen, durch einige tausend bestbezahlte Nadelstreifen, die auch noch stolz sind, diesen Koagulationsprozess zu bedienen, die ermöglicht die Eroberung der Welt - aber durch wen? Die Weltherrschaft benötige in Zukunft keine Heimat mehr, sagt Henry Kissinger, (keine verschwiegenen Orte in den USA, von wo regiert wird,) keine nationale Heimat der globalen Konzerne, es sei egal, von wo aus die Welt regiert werde, die Macht könne auf der Welt zu Hause sein...da können wir Ford und General Motors ruhig den Bach runter gehen lassen, die Regierung - oder sollte man sagen: die Konkursverwaltung? - dem farbigen Charismatiker überlassen, nur die Atomwaffen werden noch nicht eingemottet, fürs erste noch nicht... es ist beängstigend, wie wenige die Globalisierung infrage stellen, die Notwendigkeit, jedes Land auf der Welt dem Willen der Konzerne zu opfern, wie nett wird dieses Lied gesungen.

Globalisierung läuft auf zwei Weisen:

- die schleichende, stetige, die die Gesellschaften aushöhlt, den Staat abbaut, die Bildung und alle Zukunftsinvestitionen runterschraubt und ganze Nationen dem Shareholdervalue unterwirft, Planungshorizont drei Monate anstelle der früheren drei Jahre (bis zum nächsten Wahlkampf),

- und die mit den Zäsuren, die den Prozess in ruckhaften großen Schritten beschleunigen, das sind die regelmäßigen Spekulationsblasen und die folgenden Börsencrashs, die wie das Pulsieren einer riesigen Geldpumpe ganze Länder enteignen.

Du hast mich verleitet, befreit von den Fesseln der Kurzgeschichte munter weiter zu polemisieren, alles rauszulassen, was in dieser keinen Platz hat, auch in vielen folgenden nicht; jetzt mußt Du es auch ertragen, das alles zu lesen, bevor der Moderator es wieder löscht...vielleicht überzeugen die eigens für ihn fettgedruckten Begriffe, die zeigen sollen, daß wir nicht offtopic sind, aber ich glaube nicht...

Gruß Set

 

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