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Die Tochter des Teufels
Die windgepeitschten Wellen aus dunkelrotem Blut trafen mit Gewalt auf die zerfurchten Wände des Knochenfelsens. Riesige Brocken fielen mit großem Getöse ins Meer. Der Wind trieb auch das letzte kleine, schutzsuchende Lebewesen an den Rand der Verzweiflung, da es nichts gab, das auch nur die geringste Sicherheit bot.
Das kleine Dorf, welches nicht weit entfernt der Klippen lag, beherbergte schon seit langer Zeit keine Menschenseele mehr. Einzig die Tochter des Pfarrers wachte in der steinernen Kirche über die letzten Überreste des Dorfes.
Die Menschen ahnten etwas. Ein flaues Gefühl im Magen, dass irgendetwas nicht stimmte, plagte jeden Bewohner des Dorfes. Und sie wussten, dass etwas Furchtbares passieren würde. Zu begleichen ist die Schuld eines jeden Menschen.
Die Vögel zwitscherten nicht mehr. Das Wasser aus dem Brunnen schmeckte bitter. Die Frau des Müllers gebar einen Sohn, der das Aussehen eines aus der Hölle Gesandten trug, mit einer Behinderung am Kopf, die die Leute vor Furcht erzittern und erschauern ließ. Wer sich in der Sonne aufhielt, dem wuchsen grauenhafte Geschwüre, die nach kurzer Zeit aufrissen und tiefe, eiternde Wunden zurückließen. Kühe und Ziegen brachen aus ihren Ställen aus und rannten voller Panik in vermeintliche Sicherheit. Der naheliegende Wald wirkte düster und Schreie hungriger Bestien kreischten in die Nacht.
Die Tochter des Pfarrers spürte es als erste. Albträume plagten sie Nacht um Nacht und brachten sie um klare Gedanken. Natürlich vertraute sie sich ihrem Vater an. Sie schilderte ihm ihre Visionen vom Ende der Zeit.
„Was habt ihr getan?“, fragte sie ihren Vater. Er blockte ab, nichts sei geschehen, die Visionen nichts als Einbildung einer schwachen, kindlichen Seele.
Als die Zeit kam, in der alles endet, war der Pfarrer der erste, der um Vergebung bat. Zu spät, für sich und jeden anderen auf dieser gottverdammten Welt. Winselnd und Blut spuckend hauchte er sein letztes Gebet gen Himmel, der schon dunkle Wolken trug. Zu viele Geschwüre, zu viele unvergessene Taten. So raffte es Stück für Stück jeden Dorfbewohner dahin. Nur die Tochter des Pfarrers blieb übrig. In der steinernen Kirche.
Sie nahmen ihr Geheimnis mit ins Grab. Nie fand sie heraus, was geschehen war, warum sie alle so qualvoll sterben mussten. In der letzten Nacht hatte sie wieder einen Traum.
Am letzten Morgen geht sie an den Rand der Klippe des Knochenfelsens. Ihr Kleid weht im tosendem Wind und ihre langen braunen Haaren schließen sich dem Spiel an. All das Grauen, all die Ängste, all das Leid, sie enden hier und jetzt. Nichts hat nun mehr Bedeutung, nichts hat einen Sinn, alles ist vergeben. Was geschah, ist geschehen.
Einen gerechten Preis musstet ihr zahlen, sprach sie zu sich selbst, als sie an die Dorfbewohner dachte. Nun muss es enden. Nie hättet ihr mich aufnehmen dürfen. Die Tochter des Teufels.
Das blutige Meer traf weiter auf die Klippen des Knochenfelsens.