Was ist neu

Die sterbende Alte

Mitglied
Beitritt
07.01.2018
Beiträge
38
Zuletzt bearbeitet:

Die sterbende Alte

In Benares schob ich mich durch die engen Gassen der Märkte. Nicht um etwas zu kaufen, allein aus Behagen. Wenn ich etwas aß, dann allein, um die Speisen zu kosten. Diese seltsamen Geschmäcke, die mich an nichts erinnerten, mit nichts zu vergleichen waren. Dann die vielen verschiedenen Hautfarben von hellgelb über oker, dunkelbraun bis schwarz. Dann die vielen Sprachen und Dialekte, die sich zu einem Stimmengewirr vermischten. Alle die hundert verschiedenen Dialekte, die in Indien gesprochen werden, schienen sich hier in Benares zu vereinigen. Überall waren die Menschen freundlich, zogen mich zu ihren Ständen, präsentierten stolz ihre Ware, wohlwissend, dass ich nichts kaufen konnte. Denn das konnte ich ihnen unmissverständlich klarmachen, darin hatte ich schon Übung. Aber offensichtlich ging es ihnen gar nicht ums Verkaufen. Sie freuten sich über meine anerkennende Gestik. Benares ist auch für sein ganz besonders feines Kunsthandwerk bekannt: so für die Seidenspinnereien, für den Goldbrokat, Feinspitzen. Jede Frau in Indien und Sri Lanka würde sich glücklich schätzen, einen Sari aus Benares zu besitzen. Streunende Kinder zerrten an meinen Armen. Sie wollten meine weiße Haut nicht nur sehen, sondern auch ertasten. Es war ihre Art der Orientierung.
Vom Markt führen alle Straßen hinunter zum Ganges. Je näher ich dem Fluss kam, desto häufiger sah ich sah ich nun alte Menschen am Straßenrand oder Sterbende oder Tote, die hinunter zum Ufer des Ganges getragen werden. Die alten Menschen haben eine lange Reise hinter sich, die sie auch oft zu Fuß zurückgelegt haben. Und das was nach dieser langen Reise an Geld noch übriggeblieben ist, reicht gerade noch, um ein Bündel Holz zu kaufen, auf dem sie sich dann verbrennen lassen. Sie kommen nach Benares, mit der Absicht zu sterben und werden bis dahin mit milden Gaben am Leben erhalten. Ich war oft in diesen Straßen der Sterbenden. Ich setzte mich still und in respektvollem Abstand auf eine Stufe, damit sie es nicht bemerkten, von mir beobachtet zu werden. Einmal wurde ich doch entdeckt: von einer alten Frau, die mir freundlich zuwinkte. Ich empfand es als eine Aufforderung, zu ihr herüberzugehen. Doch es war ein Missverständnis. Ich versuchte ihr klarzumachen, dass ich gerne etwas für sie tun würde, ihr etwas zu essen, zu trinken - oder was immer sie wollte - zu bringen. Aber sie lächelte nur vor sich hin und sagte kein einziges Wort. Am nächsten Tag war sie nicht mehr da. Vielleicht brachte man sie auch schon hinunter zum Ganges-Ufer, um ihr dort mit den paar Rupien, die ich ihr gegeben hatte, ein Bündel Holz zu kaufen. Auf das Bündel würde man sie dann legen, ganz so wie sie war, wie sie gefunden wurde. Dann würde ein kahlköpfiger Brahmane kommen, nur bekleidet bis zur Gürtellinie oder einem Lendenschurz mit einer Brahmanen- Kordel, die ihm rechts über der Schulter hängt. Er kippt eine Flasche duftendes Öl über sie und das Holz. Dann entfacht er das Feuer und schiebt mit einer langen Stange die Holzscheite immer wieder in die richtige Lage, damit das Feuer nicht seine Intensität verliert. Dann wird es plötzlich nach verbranntem Haar riechen und die Haut wird sich vom Fleisch lösen und das Fleisch von den Knochen. Und es wird nur noch Asche übrigbleiben. Diese wird in ein Tuch gewickelt und zum Ganges hinuntergebracht, wo die Asche dem Fluss übergeben wird.
Am Ganges angelangt beobachtete ich riesige Fische. Ich sah Rücken von Fischen auftauchen, deren Größe mich an Delfine erinnerte. Vielleicht werden diese Fische besonders dick und groß, weil sie sich von noch nicht gänzlich verbrannten Fleischfetzen ernähren können.
Ich blieb nicht lange an dem Ufer, wo die Feuer Tag und Nacht brennen. Ich wollte noch einmal in die Gasse, wo ich die alte Frau tags zuvor getroffen hatte. Der Platz, auf dem sie saß, war immer noch leer. Ebenso am Tag darauf. Ich setzte mich noch eine Weile und ließ die Erinnerung an sie an mir vorüberziehen. Diese Art, wie sie mir zugewunken hat und ihr leichtes Erstaunen, dass ich dies als Aufforderung interpretierte. Jetzt erschien mir dieses Winken wie die freundliche Geste einer Königin, die einem armen Kerl eine Gunst erweist. Natürlich kannte sie genau ihren Weg. Vielleicht saß sie auch oft unten am Ufer, sah den Verbrennungen zu, wohlwissend, was mit ihr innerhalb der nächsten Tage geschehen wird. Und doch hatte sie die absolute Gelassenheit, ja sogar Überlegenheit. Etwa wie jemand, der zwar mit Verständnis, aber ohne jegliche Zugehörigkeit auf das Treiben der Welt herabblickt. Und als ich ihr dann die paar Rupien in die Hand drückte, nahm sie diese zwar an, aber ohne eine Geste der Dankbarkeit. Sie akzeptierte das Geld wie eine moralische Pflicht, als hätte es nur noch symbolische Bedeutung. Es war kein Geld, sondern eine Gabe, die sie gnädig annahm und von der sie wusste, dass diese Gabe nicht mehr für sie, sondern nur noch für den Geber eine Bedeutung hatte.
Wenn ich an die kurze Begegnung mit der alten Frau zurückdenke, dann wird mir bewusst, wie gut mir dies damals getan hat, nach langer Zeit mal wieder etwas zu geben. Aber dieses Glücksgefühl wurde nicht durch die Gabe dieser paar Rupien erzeugt, sondern kam unmittelbar von dieser bettelarmen Frau, die offensichtlich nichts mehr wollte und doch meine Gabe annahm. Vielleicht aus Mitleid, vielleicht ahnte sie, dass ich schon lange niemandem mehr etwas gegeben hatte. Und dass sie nun zum letzten Male in ihrem Leben jemandem einen Gefallen tat.

 

Hola krippner,

ich habe nochmals in Dein Profil geschaut:

Die gesammelten Texte das erste Mal der Öffentlichkeit stellen und mich damit konfrontieren lassen.
Gesammelte Texte klingt nach viel. Eigentlich nach sehr viel, denn wir erwarten von Dir nicht nur die Beantwortung unserer Kommentare, sondern auch, dass Du unsere Texte kommentierst – da käme einiges zusammen! Und Deine Originaltexte bedürfen wohl auch aus heutiger Sicht einer Überarbeitung. Das addiert sich.
Aber immer mit der Ruhe. Wir sind in Benares – und da ich das nicht kenne, bin ich gespannt, was mich erwartet.
... durch die engen Gassen dieser Märkte gegangen. Nicht um etwas zu kaufen, allein aus Behagen
.
„Aus Behagen“ – ich glaube nicht, dass Dir jüngere Leser folgen wollen. Auch wenn wir beide aus Altersgründen damit kein Problem haben, stelle ich mir vor, dass Jüngere hier schon abwinken.
Es liegt bei uns, welchen Stil wir wählen – obwohl wir nur authentisch sein können, wenn wir der Sprache unseres Bauches folgen.
Diese seltsamen Geschmäcke, ...
Klingt seltsam, aber auch Geschmäcker (was ‚richtig’ wäre) überzeugt mich nicht. Bei solchen kniffligen Sachen sollte man den Satz anders bauen.
von hellgelb über Oker,
ocker
Alle die hundert verschiedenen Dialekte, die in Indien gesprochen werden, schienen sich hier in Benares zu vereinigen.
Für mich unglaubwürdig, jedenfalls habe ich nie auf turbulenten Märkten irgendwelche verschiedenen Dialekte wahrgenommen – eher lag ein Stimmengewirr in der Luft, das einen Einheits-Sound hatte. Hier besteht die Gefahr, dass man Urlaubslektüre schreibt.
präsentierten stolz ihre Ware, wohlwissend dass ich nichts kaufen konnte. Denn das konnte ich ihnen unmissverständlich klarmachen, darin hatte ich schon Übung. Aber offensichtlich ging es ihnen gar nicht ums verkaufen. Sie zeigten stolz ihre Ware ...
Das passiert mir auch immer wieder – oft bemerke ich Wiederholungen nicht, obwohl ich den Text zwanzigmal lese. Da muss eine zweite Person mitlesen.
... ergibt sich dadurch für mich die Frage, ob wahre Liebe nicht vielleicht aus einem tiefen Verstehen des Todes, der Vergänglichkeit erwächst.
Das, mein lieber krippner, kommt mir doch sehr theoretisch vor. Bitte lies das mal langsam.
Wahre Liebe – was zum Kuckuck soll denn das sein? Und die erwächst aus einem ... ...
Haben wir hier einen selbstverliebten Autor, einen Volkshochabendschulphilosophiekursteilnehmer als Reiseführer? Sei nicht sauer, aber so etwas erinnert mich an Lektüre vor langer Zeit.
Ich setzte mich still und in respektvollem Abstand auf eine Stufe, damit sie es nicht bemerkten, von mir beobachtet zu werden.
Sie haben es sich nicht anmerken lassen, dass sie sich beobachtet fühlen. Ein Weißer fällt immer auf – und man muss ihn beobachten, vielleicht ist etwas zu verdienen, wenn man mit ihm in Kontakt kommt.
Dann würde ein kahlköpfiger Brachmahne kommen, ...
Dann würde er das Feuer entfachen und mit einer langen Stange die Holzscheite immer wieder in die richtige Lage schieben, damit das Feuer nicht seine Intensität verliert. Dann wird es plötzlich ...
Ich wollte noch einmal in die Gasse, wo ich die alte Frau tags zuvor getroffen hatte. Der Platz, auf dem sie saß, war leer. Ebenso am Tag darauf.
Betrifft das Fette: Ist das so verwunderlich?
Nein, ist es nicht – aber jetzt kommt’s:
Ich setzte mich noch eine Weile und ließ die Erinnerung an sie an mir vorüberziehen. Diese Art, wie sie mir zugewunken hat und ihr leichtes Erstaunen, dass ich dies als Aufforderung interpretierte. Jetzt erschien mir dieses Winken wie die freundliche Geste einer Königin, die einem armen Kerl eine Gunst erweist. Natürlich kannte sie genau ihren Weg. Vielleicht saß sie auch oft unten am Ufer, sah den Verbrennungen zu, wohlwissend, was mit ihr innerhalb der nächsten Tage geschehen wird. Und doch hatte sie die absolute Gelassenheit, ja sogar Überlegenheit. Etwa wie jemand, der zwar mit Verständnis, aber ohne jegliche Zugehörigkeit auf das Treiben der Welt herabblickt. Und als ich ihr dann die paar Rupien in die Hand drückte, nahm sie diese zwar an, aber ohne eine Geste der Dankbarkeit. Sie akzeptierte das Geld wie eine moralische Pflicht - als hätte es nur noch symbolische Bedeutung. Es war kein Geld, sondern eine Gabe, die sie gnädig annahm und von der sie wusste, dass diese Gabe nicht mehr für sie, sondern nur noch für den Geber eine Bedeutung hatte.
Das ist absolut lesenswert! Und damit ist für mich der vorherige Kleinkram total vergessen!
Hier ist Substanz, das aktiviert die eigenen Hirnzellen – und vielleicht fördert es unsere Toleranz ‚Andersgläubigen’ gegenüber. Da habe ich wirklich das Gefühl, eine gute Geschichte gelesen zu haben.
Vielen Dank!

Lieber krippner, Du hast mich begeistert.
José

 

Moin Krippner.
Jose´hat die Punkte bereis angesprochen, welche auch mir aufgefallen waren. Auch mir gefällt die Quintessenz am Ende. Hab es gerne gelesen.
Höflichst
Der LORD

 
Zuletzt bearbeitet:

José und Lord, ich danke Euch. Und oh man, die Fehler. Das ist auch kein Kleinkram. Es ist sicher auch ein Fehler, dass ich mir vorgenommen habe, nicht mehr so viel in den Texten herumzuholzen, weil es dann manchmal erst recht krumm und schief wird. Habt Ihr auch diese Erfahrung gemacht? Bei einer Kritik muss ich heftig widersprechen. Es betrifft diese Stelle: Ich setzte mich still und in respektvollem Abstand auf eine Stufe, damit sie es nicht bemerkten, von mir beobachtet zu werden. Der Einwand: Sie haben es sich vielleicht nicht anmerken lassen, dass sie sich beobachtet fühlen. Ein Weißer fällt da sicher auf – und man muss ihn beobachten, vielleicht ist etwas zu verdienen, wenn man mit ihm in Kontakt kommt...und man muss ihn beobachten, vielleicht ist etwas zu verdienen, wenn man mit ihm in Kontakt kommt. Kannst Du José das wirklich selbst glauben, das Sterbende das denken? Es würde auch alles vorher Geschriebene auf den Kopf stellen.
Zu dem anderen Hinweis: Ja, ich werde jetzt hier mehr lesen und erst einmal nichts mehr reinstellen. Obwohl mir Kritik freilich nicht leicht fällt.

 

Hola krippner,

... vielleicht ist etwas zu verdienen, wenn man mit ihm in Kontakt kommt.
Kannst Du José das wirklich selbst glauben, das Sterbende das denken?
Nein, natürlich nicht. Ich hatte nicht Sterbende im Sinn (obwohl wir in Benares sind), sondern meinte das allgemein.

krippner: schrieb:
Ja, ich werde jetzt hier mehr lesen und erst einmal nichts mehr reinstellen.
Ziemlich resolut. Finde ich schade.
Gibt’s keinen Mittelweg? Vielleicht lässt Du Dich noch umstimmen.

José

 

moin krippner.
Ich hab hier glaub ich, an die 50 Geschichten stehen... viele hab ich einfach noch in der Euphorie des geschrieben-habens gepostet, um mir dann ne Menge berechtigter Kritik einzuhandeln. sieh es einfach gelassen, prüfe die Geschichte einfach so, wie du die Geschichte eines anderen lesen, und prüfen würdest. Dann poste... alles gut. Kein Meister fiel je vom Himmel...
LORD

 

krippner

Auch hier waren wieder viel bettelnde Kinder. Aber dieses Mal hatte ich nichts zu geben. Ich spielte mit ihnen, neckte sie, streichelte sie. Sie neckten mich, streichelten mich auch wieder. Ich musste mich nicht benehmen, niemand benahm sich.

Diese Stelle hatte eine gewisse Konotation, zumindest als ich sie das erste Mal las. Ist das in Indien so üblich? Fremde Kinder zu streicheln und gestreichelt zu werden? Vorallem nach der Erwähnung, dass diese Bettler sind, drängte sich mir der Gedanke auf, dass es sich um Kinderprostituierte handelt.

Ich gehe davon aus, du hast das nicht mit dem Hintergrund geschrieben, ich wollte nur anmerken, dass mir das in den Sinn kam, als ich die Stelle las.

Grüße,
K. H.

 

Hallo krippner

auch mir hat deine kleine KG sehr gut gefallen. Sie liest sich flüssig und wirkt authentisch. Weltenbummler, zu denen auch ich gehöre, genießen jede Zeile davon, denn du beschreibst die Situation aus einem sehr realistischen Winkel, den Besucher dieser Region vermutlich genauso wahrnehmen würden. Es entstehen immer wider skurrile Situationen, wenn Kulturen aufeinanderprallen. Du schubst mich hinein, in diese fremde Welt, sorgst dafür, dass ich mich sowohl mit deinem Protagonisten identifiziere, als auch mit den Menschen am Ganges.
Ich fühle mich beinahe geborgen in dieser Umgebung, die auf uns Europäer befremdlich und ungemütlich wirkt. Bravo!
Lediglich einen Punkt habe ich, wobei es derselbe ist, den Kaspar Hauser oben bereits angemerkt hat. Ja, hier stolperte ich kurz über die Wiederholungen, aber gestört hat es mich nicht. Denn ich vermute ganz stark, dass du diese Stelle stilistisch bewusst so gestaltet hast.
Also, toller Text und danke dafür!

Gruß

Dave

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Kaspar, hallo Dave, danke. In der Tat ist die körperliche Berührung in Indien (etwa Verbeugung statt Handschlag) gerade zwischen Frau und Mann weniger zu beobachten. Wie sind aber unsere Gedanken inzwischen (vielleicht durch die Medien) infiltriert? Ich war erschrocken darüber. Damals hatte ich diese Assoziationen nie. Was sind das nur für eigenartige Veränderungen und Zeiten, in denen wir jetzt leben? Ich habe sogar gehört, dass sich Väter in Deutschland inzwischen nicht mehr so einfach auf Kinderspielplätze trauen. Kann das wahr sein?

 

Da hast du recht, es ist traurig, dass einem sofort solche Assoziationen kommen.

Jede Interaktion zwischen einem Erwachsenem und Kind, das nicht seines ist oder mit dem er in irgendeinem Verhältnis steht, wirkt befremdlich, zumindest auf den ersten Blick.

Ich denke allerdings, dass Väter auf Spielplätzen willkommen sind, zumindest, solange sie ihr eigenes Kind dabei haben.

 
Zuletzt bearbeitet:

Deshalb danke für Deinen Hinweis. Es ist an der Stelle sicher mehr Sensibiltät notwendig und somit wohl auch Veränderungen am Text notwendig. Ich wollte die Neugierde (Orientierung nicht allein durch das Sehen, sondern auch tasten) auf einen Europäer und die helle Haut darstellen. Das ging daneben und war unsensibel. Mir fällt dazu nur ein, dass in einem mir bekanntem Begegnungszentrum die Frauen einem der Afrikaner gerne durch die Haare fahren. Ihm gefällt es, aber es geht um das Tasten, den Wunsch zu berühren ohne sexuelle Hintergedanken.

 

Hallo felixreiner, danke für die Rückmeldung, die Szene mit den Kindern, dann der Begriff Rasse. Wie dicht doch die Minen verteilt sind. Aber der Hinweis stimmt: zu meiner Zeit im Biologieunterricht noch gelehrt, ist er inzwischen wissenschaftlich veraltet, wird höchstens für Haustiere und Kulturpflanzen gebraucht. Wenn man freilich nicht von der Etymologie Radix herangeht... Zum anderen Hinweis: Muss man sich immer genau für ein Genre entscheiden?

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo und willkommen hierorts,

krippner,

wir alle sind sterblich (selbst wenn größenwahnsinnige Elemente Sillicon Valleys, Google & co. den unsterblichen Prothesengott produzieren wollen) und jede Kultur hat da ihre eigene Sterbenskultur neben dem Totenkult (Ursprug der Religion) entwickelt. Während hier das Sterben "Privatsache" und i. d. R. im Verborgenen vor sich geht, bildet Indien ein eher scheinbares Gegenmodell des öffentlichen Sterbens.

Ein Schwellenland halt.

Bei den Lakota und anderen Sioux z. B. verließen die Alten das Dorf, um im Stillen zu sterben, dem Dorf nicht zur Last zu fallen, sie wurden auf Gestellen an der frischen Luft "bestattet", was derzeit in Dakota an heiligen Orten zu einem Konflikt der wiederaufkeimenden AIM (American Indian Movement, die es nicht erst seit Wounded Knee 1973 gibt), der Ölindustrie und der Regierung Trump führt.

Übrigens waren Brandbestattungen vom indo-europäischen Ursprung her mutmaßlich die Regel. Die Brunhilde der (fränkisch/burgundischen) Sagenwelt wurde z. B. auf einem brennenden Rheinkahn bestattet, obwohl die nordische Tote wie die Vorfahren der Nordmänner zur See fuhr ... Schiffsbestattungen "betrieben" noch bis in christianisierte Zeiten "Wikinger" und "Waräger", selbst der "Rus", der ja von Haus aus Waräger war.

Deine kleine Studie hat neben zwei Rechtschreibfehlern

Aber offensichtlich ging es ihnen gar nicht ums [V]erkaufen
und dem
Brachmahne
(korrekt:) "Brahmane"
eine Frage bei mir aufgeworfen - hier, direkt am Anfang, wenn es heißt

Dann die vielen verschiedenen Menschenrassen, ...

stammt der Homo sapiens sapiens doch wie der Homo sapiens neandertalensis aus Afrika und war vermutlich dunkelhäutig, um sich in "dunkleren" Regionen von der Pigmentierung innerhalb weniger Generationen an anderer Stelle "farbmäßig" auf die Sonneneinstrahlung einzustellen.

Als vor drei Jahren die Aufregung über die Flüchtlinge aus Afrika und der Levante einen Höhepunkt erreichte, behauptete ein Gegner der damaligen deutschen Gastfreundschaft in meinem Heimatort, er wisse genau, dass seine Großmutter nicht aus Afrika gekommen sei, worauf ich -meiner Art gemäß laut - meinte, dass die Oma wohl aus dem Neanderthal komme.

Wohlgemerkt, Dir unterstell ich keinen Rassismus, aber Naivität - neben der Übertreibung an sich ein legitimes Mittel der Literatur. Und da brauch ich nix zu unterstellen, eine Antwort auf "Erinnerungssplitter" werd ich wohl hier als Vermisstenanzeige aufgeben.

Was bei mir nicht bedeutet, dass wir nicht noch die dicksten Freunde werden.

Bis bald

Friedel

Also, nicht die Nerven verlieren, gelassen an die Frage gehen, nachdenken und so gut als möglich antworten.

 
  • Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Hallo Friedel,

Hallo Friedel, auf Erinnerungssplitter habe ich nicht geantwortet? Nun, aber zum (Un-)Wort Rasse habe ich mich auf felixreiners Bemerkung schon geäußert. Du liegst mit deinem Einwand vollkommen richtig. Wie sehr sich doch Bedeutungen der Wörter wandeln, abnutzen, verbrauchen. Sogar im DDR Biologiebuch gab es eine Abhandlung über die Menschenrassen. Trotzdem ist es heute in diesem Zusammenhang unbrauchbar. Niemand denkt freilich an die lateinische Herleitung Radix, was ja Wurzel heißt. Übrigens, auch das Wort "Naivität" war ursprünglich nicht als töricht oder blauäugig konnotiert, sondern als einfach oder eben ursprünglich. Erheiternd fand ich Deinen ironischen Hinweis auf Sterbekultur und Schwellenland. Was kann es innerlich Größeres geben, als den Tod und das Sterben anzunehmen?

 

Hallo, krippner

Eine schöne Geschichte. Sie hat Hand und Fuß und ein sehr schönes, stimmiges Ende. Ein paar Kleinigkeiten wollte ich auch noch anmerken:

Über die Menschenrassen wollte ich mich vorhin schon beschweren. Nun sagst Du ...

Selbst im DDR Biologiebuch gab es eine Abhandlung über die verschiedenen Menschenrassen.

Das ändert nichts daran, dass es keine Menschenrassen gibt. Die Unterschiede zwischen Ethnien (was der richtige Begriff ist) klärt gerade einmal 6% der genetischen Varianz zwischen Menschen auf. Aber dieses Abenteuer in die Abgründe der Statistik ersparen wir uns lieber (sobald man nämlich anfängt, diesen vorherigen Satz mit Beispielen zu erklären, wird es ganz abstrakt). Ich frage mich nur, warum man ein solches Wort verwendet, das weder sachlich noch wissenschaftlich ist, sondern historisch unangenehm konnotiert und biologisch überholt ist. Offenbar hast Du dazu ja irgendeine Meinung, aber ich frage mich, welche das sein kann?! Ich weiß, dass man in der englischen Sprache mit dem Begriff sorglos umgeht, aber das ist im historischen Kontext vielleicht auch in Ordnung. In der deutschen Sprache ist es eben anders.

Aber das wurde ja schon angemerkt, gehen wir also weiter im Text.

Je näher ich zum Ganges kam, sah ich alte Menschen am Straßenrand oder Sterbende oder Tote, die hinunter zum Ufer des Ganges getragen werden.

Nach "je" muss konsequenterweise ein "desto" folgen. "Je näher ich dem Ganges kam, desto häufiger sah ich ..." oder "Wenn ich mich dem Ganges näherte, sah ich ..."

Die alten Menschen haben eine lange Reise hinter sich, die sie auch oft zu Fuß zurückgelegt haben. Und was nach dieser langen Reise an Geld noch übriggeblieben ist, reicht gerade noch, um ein Bündel Holz zu kaufen, auf dem sie sich dann verbrennen lassen. Sie kommen nach Benares, mit der Absicht zu sterben und werden bis dahin mit milden Gaben am Leben erhalten.

Hier wechselst Du plötzlich ins Präsens. Das ist konsequent, weil Du etwas Allgemeines sagen möchtest, allerdings fällt das hier so in den Text rein. Ich würde wenigstens Absätze drumherum machen. Vielleicht kannst Du es auch anders schreiben, sodass diese Stelle nicht mehr so erklärend und allgemein wirkt, sondern weiterhin aus der Perspektive Deines Prots erzählt wird.

Eine Prozedur, die ohne jedes Ritual ablief.

Man wird verbrannt, und ein Bramahne ist dabei. Das ist doch ein Ritual. Vielleicht wolltest Du sagen, dass niemand sonst diesem Ritual beiwohnt?!

Ich blieb nicht mehr lange an dem Ufer, wo die Feuer ununterbrochen Tag und Nacht brennen.

"ununterbrochen Tag und Nacht" ist doppelt gemoppelt. Wie wäre es mit "wo die Feuer Tag und Nacht brennen"?

Ansonsten eine runde Sache. Wie gesagt, mir hat v.a. das Ende gefallen. Es hat mich wirklich zum Nachdenken gebracht und war sehr schön zu lesen. Vielen Dank dafür.

Viele Grüße,
Maria

 
Zuletzt bearbeitet:

Danke, Maria, was man in so einem kurzen Text für Fehler einbauen kann. Aber es steht ja schon bereits in der Bibel: "Den Balken im eigenen Auge sieht man nicht." Nach den Hinweisen zum Thema "Rasse": Ich nehm das Wort raus. Zumal das Rausnehmen aufgrund der nachfolgenden Bemerkungen zu den Hautfarben sogar schon reicht. Die Einwände: Es gibt zwar Rassismus, aber im Grunde keine Rassen, ist ja nicht ganz von der Hand zu weisen. Der Verweis auf das DDR Biologiebuch sollte nur verdeutlich, wie selbstverständlich der Begriff Rasse selbst von jenen verwendet wurde, die des Rassismus eigentlich unverdächtig waren bzw. zu diesem sogar konträr standen. Nichtsdestotrotz ist die Unterschiedlichkeit der Menschen doch gewinnbringend. Nichts würden wir ja voneinander lernen, wenn wir Klone wären.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich weiß, dass man in der englischen Sprache mit dem Begriff sorglos umgeht, aber das ist im historischen Kontext vielleicht auch in Ordnung. In der deutschen Sprache ist es eben anders.

Wie jetzt? Rasse ist nicht okay, wenn wir es in der deutschen Sprache benutzen, aber im Englischen schon, weil die keinen Nationalsozialismus hatten? Entweder es gibt eben keine Rassen, und das ist wissenschaftlich begründet, dann ist es eben ein überholter Begriff in ALLEN Sprachen, oder eben nicht. Da sollte man keinen Unterschied machen.

Außerdem könnte der Erzähler auch nicht der Autor sein. Der Erzähler könnte ein übler Rassist sein. Man sollte das im Kontext lesen, und sich nicht immer sofort empören.

 

Hi krippner,

ich muss ja gestehen, dass auch mich das Wort "Menschenrassen" auffällig gestört hat, und zwar nicht weil es böse ist, sondern eben weil es Unsinn ist. Dass es nicht böse gemeint war, hat man deinem Text allerdings unmittelbar angesehen. Trotzdem gut, dass es weg ist. Und weil es mir noch im Ohr klingt, lasse ich mich einfach doch kurz noch auf die Abschweifungen ein und merke an, dass ich zwischen "Wurzel" und "Rasse" keinen sinnvollen Zusammenhang sehen kann, wohingegen der frühere Gebrauch des Wortes zur Abgrenzung von Adel und Bauernschaft sowie in der Pferdezucht sich vom heutigen Gebrauch noch nicht ganz verflüchtigt zu haben scheint. Rasse bezieht sich auf Merkmale, die man betonen will, ganz wie bei der Züchtung, so dass die "reinrassigen" Hunde es genauso nur per Definition des Züchters sind wie die "reinrassigen" Menschen. Aber ich weiß schon, die Diskussion ist eigentlich zu Ende geführt, ich hör mal zu salbadern auf.

Eigentlich wollte ich dir ja auch zu dem Text noch was sagen. Ich finde nämlich auch, dass er sehr schöne Stellen hat. Insgesamt war mir das aber zu sehr im Berichtstil geschrieben, und zwar teilweise sogar - nicht böse sein - so ein Geschichte-Bericht-Mischstil, wie man ihn manchmal in Reiseführern findet. Hier zum Beispiel:

Benares ist auch für sein ganz besonders feines Kunsthandwerk bekannt: so für die Seidenspinnereien, für den Goldbrokat, Feinspitzen. Jede Frau in Indien und Sri Lanka würde sich glücklich schätzen, einen Sari aus Benares zu besitzen.

Aber auch weiter oben schon: Die Dialekte, "überall waren die Menschen freundlich", ja sogar die Aufzählung der verschiedenen Hautfarben: Das kann man natürlich schon mal so machen, aber mir würde es besser gefallen, wenn zumindest ein Teil davon konkreter ausgebaut wäre. Also eine bestimmte Situation, in der jemand freundlich ist, und das man von da aus, ohne dass du es dazusagen musst, versteht, dass sie "überall" so sind. Oder eben auch ganz konkrete Merkmale der verschiedenen Sprachen, die herauszuhören sind.

Oder vielleicht einfach auch weniger den Blick aus dem "Oft" und mehr von "diesem Mal".

Ich musste mich nicht benehmen, niemand benahm sich.
Hier fehlt ja dieser Satz mit der Streichelei. Der ist mir auch aufgefallen, aber gar nicht mal unbedingt, weil gestreichelt wird, sondern weil du danach das Benehmen bringst. "Nicht benehmen" - das hat fast unvermeidlich im Ansatz auf die Kinderprostitutionsschiene gelockt, auch wenn man zugleich gemerkt hat, dass es darum wohl doch nicht gehen soll.
(Übrigens: dass Väter sich in Deutschland nicht mehr richtig auf die Spielplätze trauen sollen, habe ich von dir zum ersten Mal gehört ...)

Und dann noch das:

Benehmen ist nichts weiter als eine Verkleidung für eine Gesellschaft, die keine Liebe kennt. Nur wer nicht liebt, muss sich wenigstens benehmen.
Das hat im Zusammenhang mit dem Streicheln dann schon Anklänge an die Rede, die ein Pädophiler im Mund führen könnte, denn was veranlasst den Ich-Erzähler sonst, sein Streicheln der Kinder mit echter Liebe in Verbindung zu bringen.
Auch das Streicheln ist gelüscht, und jetzt fragst du dich, warum ich schon wieder nur über Gelöschtes rede. Das hat damit zu tun, dass ich das Gefühl habe, du hast für meinen Geschmack das Falsche gestrichen. Kinder streicheln ohne diese Sache mit dem Benehmen und der echten Liebe - das dürfte gehen, und es sieht mir nach einem authentischen Bild aus. Das möchte ich eigentlich gar nicht für dein Räsonieren über das Benehmen eintauschen müssen.

Je näher ich dem Ganges kam, desto häufiger sah ich sah ich
-- doppelt. Aber auch: "Je näher, desto häufiger" lässt mich hier stolpern. "Je näher, desto mehr" wäre passender. Zumal du ja meist nicht von einem speziellen Tag sprichst, an dem der Ich-ERzähler dem Ganges näher kommt, sondern von "oft", und in diesem Zusammenhang klingt "häufiger" fast danach, als würde er sich erst mit der Zeit näher an den ganges herantrauen (auch eine schöne Möglichkeit, aber ganz danach klingt es auch wieder nicht).

Einmal wurde ich doch entdeckt
Dieses Einmalige, diesen Tag - das würde ich mir mehr herausgestellt wünschen. Na, hab ich schon gesagt.

Ich sah Fischrücken auftauchen, deren Größe mich an Delphine erinnerte.
Genau genommen ein etwas schief liegender Vergleich: Fischrücken erinnern an Delphine - aber streng genommen erst mal an Delphinrücken ... (Könntest du sicher ausräumen, indem zu z.B. mit "Rücken von Fischen" oder dergleichen herumprobierst)

Sonst finde ich diese Schlussequenz mit am schönsten in dieser Geschichte, dieser halbentrückte Stil passt da gut.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom