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Die Schreibmaschine
Sie hatte Brot gebacken. Den Stock, mit dem der dünne Teig flink und geschickt auf dem heißen Stein gewendet wird, hält sie noch in der Hand. Jetzt steht sie vor dem Alten und starrt auf das Ding unter seinem Arm. Er senkt den Blick und betrachtet seine Frau. So viele Jahre trägt sie auf ihrem Handrücken, haben sich unter den schwarzen Rändern ihrer Nägel angesammelt. Das Kind hatte sich damals in diese Hände geschmiegt wie ein winziger Vogel. Zum Vater war der Junge nur selten geflüchtet.
Trotzig drückt er das Ding an sich. Die Arbeit seiner Hände haben dem Jungen die Schule ermöglicht. Furche um Furche haben sie in den harten kurdischen Boden gezogen, von dem diese Hunde behaupten, er gehöre ihm nicht. Zur Universität hat er den Sohn geschickt. Und wie hat er es ihm gedankt? Ließ sich einen wilden, fremden Bart wachsen. Ihre Sprache hat er fast vergessen. Mit ihren Liedern aber zog er durch die Dörfer, Seifenblasen im Kopf und Aufruhr auf den Lippen. Die Jüngeren liefen seiner Bande singend und rufend nach. Die Alten aber erinnerten sich an die Musik aus vergangenen Zeiten wie an das Rattern der Maschinengewehre und den Geschmack von Blut.
Dann stand plötzlich dieses Ding auf dem Tisch. Neu und glänzend in dem Haus mit den alten Teppichen an den gekalkten Wänden und den wenigen, brüchigen Möbeln. Jeden Tag hörte er es klappern. Jede Taste ein Ton, jeder Ton ein Buchstabe, jeder Satz ein Ruf nach Freiheit.
Im Sommer stürmten türkische Soldaten durch die Dörfer, schleiften Söhne und Töchter die Berge hinunter. Väter und Mütter liefen ihnen nach und kamen mit roten Augen und hängenden Schultern und ohne ihre Kinder zurück.
Als im Herbst die ersten Särge in die Häuser getragen wurden, weinte der Junge. Das Ding arbeitete nur noch in der Nacht und sein Flüstern hallte in den Bergen wider.
Der Schnee bedeckte zum ersten Mal die Felder, da unterbrach ein warnendes Klopfen das nächtliche Geklapper. Namen waren an Soldatenohren gekommen, herausgeschrien unter den Schmerzen der Folter. Hastig wurden Stiefel und Mantel zusammengesucht, Brot, Zwiebeln und Käse eingepackt, Abschiedsküsse verteilt.
Jeden Tag fallen ihre Tränen auf das Ding. Warum hat der Junge es dagelassen?
„Sie werden kommen“, sagt der Alte. „Mit ihren Geräten finden sie es auch in der Erde.“
Ihre Augen sind noch immer groß und leuchtend, ihr Mund hart und fest.
Er macht einen Schritt zur Seite und drängt sich an ihr vorbei. Für einen Moment glaubt er, sie reiße ihm das Ding aus der Hand, doch dann lässt sie ihn gehen.
„Wenn er heimkommt, hole ich es zurück.“
Eilig humpelt er den Berg hinunter, fort, fort von ihrem Haus. Am Fluss wickelt er das Ding aus. Seine Finger rutschen versehentlich über einige Tasten. Es klappert. Erschrocken wirft er das Ding in das kalte, klare Wasser. Ein Blatt Papier steckt der Maschine noch im Rachen. Die Worte verschwimmen, als das Wasser sich vom Farbband dunkel färbt. Jede Taste ein Ton, jeder Ton ein Buchstabe, jeder Satz ein Ruf nach Freiheit.
Mit dem Hemdsärmel wischt er sich die Tränen ab.
Sein Rücken schmerzt, als er sich wieder an den Aufstieg macht. Niemand ist auf den Feldern, wundert er sich, obwohl die Sonne noch nicht hinter den Bergen versinkt. Er geht schneller.
Vor seinem Haus stehen Soldaten. Seine Frau tritt aus der Tür. Aus der Entfernung kann er es gerade noch erkennen. Sie hatte Brot gebacken. Den Stock zum Teigrollen hält sie in der Hand. Den Jungen hat sie damit nie geschlagen. Wer sein Kind nicht schlägt, schlägt seine Knie.
Die Soldaten laden eine lange, hölzerne Kiste aus. Der Alte beginnt zu laufen. Hatte er das Ding nicht in den Fluss geworfen? Ihm war, als zöge er es am Fußgelenk hinter sich her. Keuchend beobachtet er, wie sie den Stock fallen lässt und die Hände vor das Gesicht schlägt.
Er bleibt stehen.
Sie läuft zu der Kiste. Die Soldaten stürmen in das Haus. Der Alte rennt weiter, bis er schweißbedeckt vor ihr steht. Sie sieht ihn nicht an. Ihr Gesicht liegt auf ihren Händen, die Hände liegen auf dem Holz.
Aus dem Haus dringt Lärm. Er weiß, sie werden nichts finden. Sein Haus ist leer.