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Die Schreibmaschine

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18.10.2016
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Die Schreibmaschine

Sie hatte Brot gebacken. Den Stock, mit dem der dünne Teig flink und geschickt auf dem heißen Stein gewendet wird, hält sie noch in der Hand. Jetzt steht sie vor dem Alten und starrt auf das Ding unter seinem Arm. Er senkt den Blick und betrachtet seine Frau. So viele Jahre trägt sie auf ihrem Handrücken, haben sich unter den schwarzen Rändern ihrer Nägel angesammelt. Das Kind hatte sich damals in diese Hände geschmiegt wie ein winziger Vogel. Zum Vater war der Junge nur selten geflüchtet.
Trotzig drückt er das Ding an sich. Die Arbeit seiner Hände haben dem Jungen die Schule ermöglicht. Furche um Furche haben sie in den harten kurdischen Boden gezogen, von dem diese Hunde behaupten, er gehöre ihm nicht. Zur Universität hat er den Sohn geschickt. Und wie hat er es ihm gedankt? Ließ sich einen wilden, fremden Bart wachsen. Ihre Sprache hat er fast vergessen. Mit ihren Liedern aber zog er durch die Dörfer, Seifenblasen im Kopf und Aufruhr auf den Lippen. Die Jüngeren liefen seiner Bande singend und rufend nach. Die Alten aber erinnerten sich an die Musik aus vergangenen Zeiten wie an das Rattern der Maschinengewehre und den Geschmack von Blut.
Dann stand plötzlich dieses Ding auf dem Tisch. Neu und glänzend in dem Haus mit den alten Teppichen an den gekalkten Wänden und den wenigen, brüchigen Möbeln. Jeden Tag hörte er es klappern. Jede Taste ein Ton, jeder Ton ein Buchstabe, jeder Satz ein Ruf nach Freiheit.
Im Sommer stürmten türkische Soldaten durch die Dörfer, schleiften Söhne und Töchter die Berge hinunter. Väter und Mütter liefen ihnen nach und kamen mit roten Augen und hängenden Schultern und ohne ihre Kinder zurück.
Als im Herbst die ersten Särge in die Häuser getragen wurden, weinte der Junge. Das Ding arbeitete nur noch in der Nacht und sein Flüstern hallte in den Bergen wider.
Der Schnee bedeckte zum ersten Mal die Felder, da unterbrach ein warnendes Klopfen das nächtliche Geklapper. Namen waren an Soldatenohren gekommen, herausgeschrien unter den Schmerzen der Folter. Hastig wurden Stiefel und Mantel zusammengesucht, Brot, Zwiebeln und Käse eingepackt, Abschiedsküsse verteilt.
Jeden Tag fallen ihre Tränen auf das Ding. Warum hat der Junge es dagelassen?
„Sie werden kommen“, sagt der Alte. „Mit ihren Geräten finden sie es auch in der Erde.“
Ihre Augen sind noch immer groß und leuchtend, ihr Mund hart und fest.
Er macht einen Schritt zur Seite und drängt sich an ihr vorbei. Für einen Moment glaubt er, sie reiße ihm das Ding aus der Hand, doch dann lässt sie ihn gehen.
„Wenn er heimkommt, hole ich es zurück.“
Eilig humpelt er den Berg hinunter, fort, fort von ihrem Haus. Am Fluss wickelt er das Ding aus. Seine Finger rutschen versehentlich über einige Tasten. Es klappert. Erschrocken wirft er das Ding in das kalte, klare Wasser. Ein Blatt Papier steckt der Maschine noch im Rachen. Die Worte verschwimmen, als das Wasser sich vom Farbband dunkel färbt. Jede Taste ein Ton, jeder Ton ein Buchstabe, jeder Satz ein Ruf nach Freiheit.
Mit dem Hemdsärmel wischt er sich die Tränen ab.
Sein Rücken schmerzt, als er sich wieder an den Aufstieg macht. Niemand ist auf den Feldern, wundert er sich, obwohl die Sonne noch nicht hinter den Bergen versinkt. Er geht schneller.
Vor seinem Haus stehen Soldaten. Seine Frau tritt aus der Tür. Aus der Entfernung kann er es gerade noch erkennen. Sie hatte Brot gebacken. Den Stock zum Teigrollen hält sie in der Hand. Den Jungen hat sie damit nie geschlagen. Wer sein Kind nicht schlägt, schlägt seine Knie.
Die Soldaten laden eine lange, hölzerne Kiste aus. Der Alte beginnt zu laufen. Hatte er das Ding nicht in den Fluss geworfen? Ihm war, als zöge er es am Fußgelenk hinter sich her. Keuchend beobachtet er, wie sie den Stock fallen lässt und die Hände vor das Gesicht schlägt.
Er bleibt stehen.
Sie läuft zu der Kiste. Die Soldaten stürmen in das Haus. Der Alte rennt weiter, bis er schweißbedeckt vor ihr steht. Sie sieht ihn nicht an. Ihr Gesicht liegt auf ihren Händen, die Hände liegen auf dem Holz.
Aus dem Haus dringt Lärm. Er weiß, sie werden nichts finden. Sein Haus ist leer.

 

Hallo Willi,
Deine knappe Erzählung spiegelt für mich in der Sprache ganz gut die karge Bergbauernwelt wider. Die kurzen Sätze passen dazu. Es entsteht für mich schnell eine Stimmung, die mit wenigen Strichen skizziert ist und in der Wortwahl für mich stimmig erscheint, wobei ich mir die Sprache noch reduzierter vorstellen könnte. In der Summe fallen mir dann auch ein paar Unschärfen und nicht klare Formulierungen auf, die unten zitiert sind. Da sind mir vor allem ein paar zu theatralische Formulierungen aufgefallen. Die Geschichte setzt im Verständnis schon ein historisches Wissen voraus. Ich könnte mir Südtirol vorstellen, die Alpenfestung, junge Widerständler während der NS-Zeit. Die Alten haben noch Andreas Hofers Geschichte im Kopf und denken an entsprechendes Liedgut. Würde passen. Aber das ist offen und ich frage mich, wie viel an historischer Verankerung es braucht, damit die Geschichte funktioniert. Wie gesagt, Atmosphäre baut sich durch den Tonfall auf. Aber zum Kern dringt man letztlich vor, wenn man es auch einordnen kann. Und dazu gibt es kaum Information. So bleiben die losen Motive "Widerstand", "jugendliche Opposition", "Verfolgung im Unrechtsstaat". Dann kann man das natürlich auch ganz ohne geographische und zeitliche Verortung lesen. Dagegen steht aber Schreibmaschine, Brotbacken, Käse und Zwiebel.

Hat mich im Nachhinein irritiert. Die Schreibmaschine ist eingewickelt, aber warum ein schmutziges Bündel?

schmutzige Bündel
Das Bild kann ich nicht nachvollziehen. Rein von der Größe her ist mir das zu weit hergeholt.
winziger Vogel.
Die Schreibmaschine spottet. Finde ich zu theatralisch.
Neu und glänzend spottete es dem Haus mit den alten Teppichen an den gekalkten Wänden und den wenigen, brüchigen Möbeln.
Die Grundidee der Steigerung gefällt mir sehr gut. Aber die Analogie Ton-Schreibmaschinengeklapper leuchtet mir nicht ganz ein. Es ist ein Geräusch, was die Maschine macht, kein Ton. Einen Ton kann man singen, ein Geräusch nicht. Ist pingelig. Aber mich hats gestört.
Jede Taste ein Ton, jeder Ton ein Buchstabe, jeder Satz ein Ruf nach Freiheit.
Zu viel und, wie ich finde.
und kamen mit roten Augen und hängenden Schultern und ohne ihre Kinder zurück.
Ist klar, dass es nicht ausgesprochen werden soll, dass es auch für den Leser die Aura des Geheimen haben soll. Aber im Verlauf scheint es mir zu stereotyp.
Das Ding
Das passt für mich nicht ganz. Das Wasser färbt sich dunkel, wenn die Maschine versinkt? Eine Schreibmaschine hat nicht so viel Chrom, dass sie massiv aufblitzt in der Sonne. Der Kontrast hell-dunkel ist schön, aber im Bild nicht schlüssig, meiner Meinung nach.
Erschrocken vom Aufglänzen des Metalls im Sonnenlicht wirft er es ins kalte Wasser, das sich dunkel verfärbt.
Zu theatralische Personifizierung.
Ein Blatt Papier steckte dem Ding im Rachen
Ist es realistisch? Das zieht sich. Es soll ja unauffällig sein.
winzige Schnipsel
Schmiegen passt für mich in der Situation nicht.
Ihr Gesicht schmiegt sich an das Holz

Herzliche Ostergrüße
rieger

 

Hallo Willi,

eine ganz kurze Bemerkung zu deiner Geschichte. Der Plot hat mich sehr interessiert. Der Junge ist in der Opposition, der Vater hat Probleme damit. Bürgerkrieg in einem armen Land. Militär, Angst ums Leben.

Leider kam ich mit deiner distanzierten Herangehensweise, die Geschichte so zu erzählen, nicht so gut klar. Mir hat die Nähe zu den Protagonisten gefehlt. Ich fand es schade. Fast kam es mir vor, dass du die Recherche gescheut hast, die das ganze authentischer gemacht hätte. So ist es in irgendeinem Land mit irgendeinem Regime. Wenn man das als Autor durch Details konkretisiert, ja vielleicht sogar noch politischen Backround mit hineinbringt, dass ich auch noch einen Wissens-Mehrwert habe, bekommt für mich so eine Geschichte viel mehr Kraft und Wirkung.

Liebe Grüße
bernadette

 
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Hallo Willi,

ich hatte schon einen Kommentar begonnen, habe dann die beiden Kommentare vor mir gelesen und habe dem eigentlich nur wenig hinzuzufügen. rieger hat auch meine Bedenken zur zeitlichen und historischen Einordnung schon sehr gut auf den Punkt gebracht und bernadette den Verdacht (fehlende Recherche), den auch ich habe, geäußert.

Man kann natürlich historisches Geschehen abstrahieren und auf seinen Kern reduzieren. Dann aber müsste mMn die Beziehung der handelnden Personen und was diese historische Situation mit ihnen macht, stärker in den Vordergrund gerückt werden. So bleibt beides nur angerissen und nicht ausgeführt: Das historische Geschehen wird reduziert auf wenige sehr allgemeine Elemente (rieger hat sie schon genannt) und die Lebenssituation der handelnden Personen auf die Erinnerungsfetzen des Vaters und sein Wegbringen der Schreibmaschine.
So entsteht leider keine Geschichte, sondern irgendetwas Bruchstückartiges, was weder die besondere Situation Südtirols (ich vermute es geht um Südtirol im Zweiten Weltkrieg) erfahrbar macht noch die Verzweiflung der Eltern, die miterleben müssen, wie ihr Sohn sich dem Widerstand zuwendet und am Ende für seine Auffassung sterben muss. Das stellst du für mein Empfinden alles leider zu verkürzt, zu fragmentarisch dar. Und es entsteht so leider weder inhaltlich noch sprachlich etwas Ganzes daraus.

Auch der ständige Wechsel einer distanziert-unpersönlichen Darstellung des Geschehens

Im Sommer stürmten Soldaten durch die Dörfer. Mit Stiefeln und Gewehren schleiften sie Söhne und Töchter die Berge hinunter. Väter und Mütter liefen ihnen nach und kamen mit roten Augen und hängenden Schultern und ohne ihre Kinder zurück.
,des Verhaltens der Protagonisten

Als im Herbst die ersten Särge in die Häuser getragen wurden, weinte der Junge.

„Sie werden kommen.“, sagt er.

und der Gedanken und Reflexionen des Vaters

Jeden Tag wäscht sie das Ding seitdem mit ihren Tränen. Warum hat der Junge es bei uns gelassen?

hat mich ziemlich verwirrt und immer wieder meinen Lesefluss unterbrochen.

Willi, vielleicht hast du es dir hier ein wenig zu leicht gemacht, dir nicht Zeit genug gelassen, deine (gute) Idee reifen zu lassen. Die ‚Schreibmaschine’ als Symbol des geistigen Widerstandes finde ich als Ausgangspunkt nämlich sehr interessant. Nur hat für mich diese zu starke Verkürzung der einzelnen Aspekte und Elemente des Geschehens und der zwischenmenschlichen Situation leider so noch nicht funktioniert. Es bleibt in jeder Hinsicht für mich zu oberflächlich.

Liebe Grüße
barnhelm


Edit:
Willi, ich habe gesehen, dass du deine Geschichte nun konkreter verortet hast: Es geht jetzt um den Konflikt zwischen Kurden und Türken. Das finde ich besser, weil so die Fragen des ‚Wo’ und ‚Wann’ nicht mehr störend deine Geschichte unterbrechen. Ob sie nun besser funktioniert, muss ich noch rausfinden.

 
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Hallo Rieger,

vielen Dank, dass du über die Feiertage bei mir hereinschaust. Dein Kommentar hat bei mir zunächst Erstaunen ausgelöst, denn ich dachte, es wäre völlig klar, von welchem Land ich schreibe. Dann erst wurde mir bewusst, dass die Signalwörter in dem Text nur von ganz wenigen verstanden werden können. Tja, so ist das mit dem eigenen Saft, in dem der Osterbraten bruzzelt ... :lol:

Auch sonst fand ich deine Kritik sehr förderlich und habe fast alles umgesetzt, was du angemerkt hast, danke!
Zu theatralischen Formulierungen neige ich ohnehin, da wird man mir sicher noch häufiger die Ohren langziehen müssen. Also schau gern wieder vorbei!

Viele Grüße

Willi


Hallo Bernadette,

auch dir vielen Dank für deinen Osterbesuch. Wie ich Rieger schon schrieb, war mir nicht bewusst, wie unklar der Text hinsichtlich seiner geografischen Verortung war. Das lag nicht an einem Mangel an Recherche, sondern eher an einem Zuviel an Verhaftung in dieser Welt.
Aber natürlich kann so etwas auch immer und überall geschehen, wo autoritäre Regime herrschen.
Die knappe Sprache hingegen wollte ich gern so belassen, es gibt ja immer sehr unterschiedliche Herangehensweisen an eine Geschichte (zum Glück).

Viele Grüße

Willi

 

Hallo Willi,

ich noch mal.
Nun habe ich deinen Text noch einmal aufmerksam gelesen. Ich bin mir nicht sicher, was du alles verändert hast, aber nun gefällt er mir viel besser. Ich weiß nicht genau, ob es an der genaueren Verortung liegt oder daran, dass ich nun schon sehr vertraut mit deinem Text und seinem Thema bin. Aber ich glaube, du hast auch ein wenig an der Figurenzeichnung geändert. Und jetzt funktioniert er für mich, die einzelnen Elemente fügen sich am Ende zu einem Ganzen zusammen.
Das nur als kurze Rückmeldung.

Im übrigen wünsche ich dir weiterhin schöne Ostertage.

Liebe Grüße
barnhelm

 
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Hallo Willi,

ein sehr starker Text.
Ich habe seit dem Wettbewerbstext nichts mehr von dir gelesen und ich muss sagen, du hast dich total gesteigert. Ich finde den Text echt toll. Ich fand das auch schon, bevor du die Geschichte geographisch verortet hast. Irgendwie fand ich das wohl nicht so schlimm, dass es nicht genau klar war, wo das spielte.
Aber ich muss mal ausholen, ich hab deinen Text heute Morgen gelesen und fand ihn richtig geil. Dann hab ich danach erst die Komms gelesen (mach ich ganz bewusst oft so) und mich erschrocken. Ich hatte überhaupt nicht mit der doch recht kritischen Sichtung gerechnet. Aber so ist das manchmal.

Was ich an deinem Text so stark finde, das ist erstens, dass du es hinkriegst, einen in diese bäuerliche Welt hineinzunehmen, mit ihrer Armut und ihrer eigenen Atmosphäre. Man hat eine unterentwickelte, für Geschäft und Industrie uninteressante Region vor Augen, die den Bewohnern gerade so (oder auch nicht) die Substistenz ermöglicht, eine Region, die unterdrückt und/oder Zankapfel politischer Mächte ist. Mit dem Hinweis auf die kurdische Erde ist das jetzt klarer geworden. Und das finde ich auch gut so. Da brauchst du später auch gar nicht mehr die türkischen Soldaten, das erklärt sich dann eigentlich von selbst.
Und was ich außerdem stark fand, war die sprachliche Umsetzung, gerade diese karge, nur durch den Rhythmus und Wiederholungen fokussierte Sprache unterstützt du aus meiner Sicht total den Inhalt und die ergreifende Schlichtheit und Tragik dieser Figuren.

Ich hatte kein Problem mit dem Wechsel aus distanzierter und persönlicher Sicht, bin nur an einer Stelle durcheinandergeraten, das war hier:

Jeden Tag wäscht sie das Ding seitdem mit ihren Tränen. Warum hat der Junge es bei uns gelassen?
Beim zweiten Satz war mir nicht gleich klar, dass es ein Gedanke war. Ich dachte einen Moment, du rutschst aus der Persp. Vielleicht wäre ein "dachte er" nicht schlecht?

„Sie werden kommen.“, sagt er. „Mit ihren Geräten finden sie es auch in der Erde.“
Falsche Zeichensetzung. Keinen Punkt am Ende der wörtlichen Rede.

Die Worte darauf verschwimmen, als das Wasser sich vom Farbband dunkel färbt.
Find ich jetzt besser gelöst als vorher. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass sich das Wasser echt dunkel verfärbt von diesem dussligen schmalen Farbband. Es reicht doch auch, wenn die Worte so verschwimmen. Und die Schreibmaschine dürfte auch sehr schnell untergehen.

Ansonsten sind da echt tolle sprachliche Stellen drin. Ich spar mir aus Zeitgründen (irgendwie hab ich das Bedürfnis noch einige Komms zu schreiben, bevor ich wegfahre), sie rauszusuchen, aber ich hab sie alle sehr genossen.

Ich bin echt sehr gespannt auf deinen weiteren Weg, Willi mit dem schönen Namen.
Alles Gute von Novak

 
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Hola Willi,
Deine Geschichte ist ja gut angekommen und auch
ich schließe mich den netten Kommentaren an, allerdings hatte ich den Eindruck, dass die Geschichte pünktlich zum Referendum fertig sein sollte:shy:.
Pardon, kleiner Scherz – nur bin ich an einigen Stellen hängen geblieben, wo ich dem Ablauf der Geschichte nicht folgen konnte:

Sie hatte Brot gebacken. Den Stock zum Teigrollen hält sie noch in der Hand.
Nach dem Rollen des Teiges muss das Brot in den Ofen, deshalb muss sie den Stock aus der Hand legen. Dann ist das Brot fertig, warum muss sie den Stock noch einmal anfassen?

Das Kind hatte sich damals in diese Hände geschmiegt wie ein winziger Vogel.
Selbst ein Neugeborenes erscheint mir zu groß, als dass es sich wie ‚ein winziger Vogel’ in zwei Frauenhände schmiegen könnte.
Trotzdem ein schöner, gefühlvoller Satz.

Unsere Sprache hat er fast vergessen.
Ein junger Mann hat die Sprache, mit der er aufgewachsen ist, deren Lieder er in den Dörfern zum Besten gegeben hat, so mir nichts, dir nichts fast vergessen? Für mich unvorstellbar.

stand es dem Haus
in dem Haus
Mit Stiefeln und Gewehren schleiften sie Söhne und Töchter die Berge hinunter.
Unrund. Auch „In Stiefeln und mit Gewehren ...“ ist nicht toll, besser vielleicht nur:
„Sie schleiften ...“?

Jeden Tag wäscht sie das Ding seitdem mit ihren Tränen.
Das 'Ding’ gefällt mir nicht, aber eine bessere Idee habe ich leider auch nicht.
Eigentlich ein schöner Satz, doch für einen weniger romantischen Leser entsteht kein schlüssiges Bild: Sie wäscht die Schreibmaschine mit ihren Tränen? Statt waschen vielleicht 'benetzen ihre Tränen' ...?

Warum hat der Junge es bei uns gelassen?
Diese Frage verstehe ich nicht, denn was hätte er in dieser Situation sonst tun können?

Erschrocken wirft er das Ding ins kalte Wasser. Ein Blatt Papier steckt der Maschine noch im Rachen. Die Worte darauf verschwimmen, als das Wasser sich vom Farbband dunkel färbt.
Gut formuliert, ein schönes Bild.
Allerdings versinkt eine in den Fluss geworfene Schreibmaschine wie ein Stein und für das Entstehen des beschriebenen Bildes besteht keine Zeit.

Den Stock zum Teigrollen hält sie noch in der Hand. Den Jungen hat sie nie geschlagen. Wer sein Kind nicht schlägt, schlägt seine Knie.
Hier ist mir alles unklar. Der Übergang von der Teigrolle zu Schlägen; der dritte Satz ist mir ein Rätsel.

Für einen Moment glaubt er, sie reißt ihm das ...
reiße

Liebe Willi, ich habe den starken Eindruck, Du hast Deinem Text nicht genug Zeit gegeben.
Du schreibst gut, ganz ohne Frage, aber wie gesagt – für einen kurzen Text stoße ich auf einige Fragezeichen, die jemand wie Du vermeiden könnte; siehe hier:

Jede Taste ein Ton, jeder Ton ein Buchstabe, jeder Satz ein Ruf nach Freiheit.
Fabelhafter Satz!
Du hast ihn zweimal verwendet – finde ich gut als Stilmittel und Schwerpunkt.

Ich hoffe, Du verlebst trotz meiner Mäkeleien schöne Ostertage. Ich grüße Dich!
José

 
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Hallo barnhelm,

freut mich, dass dir der Text jetzt besser gefällt. Das ist ja das Schöne an diesem Forums, dass man sich durch kompetente Kommentare weiterentwickeln kann.

Dir auch schöne Ostern!

Willi


Hallo Novak,

vielen Dank für deine ausführliche Auseindersetzung mit dem Text. Ich fühle mich immer total getröstet, wenn er nicht völlig durchfällt.

Man hat eine unterentwickelte, für Geschäft und Industrie uninteressante Region vor Augen, die den Bewohnern gerade so die Substistenz ermöglicht oder noch nicht einmal das, eine Region, die unterdrückt und/oder Zankapfel politischer Mächte ist.

Das trifft es wirklich so unglaublich genau, wie schön, wenn der Text es ein wenig vermitteln konnte. Die türkischen Soldaten habe ich erwähnt, weil sonst unklar gewesen wäre, in welchem Teil des kurdischen Gebiets die Geschichte spielt. Politischer Zankapfel sind alle Regionen.

Das mit dem sich verfärbenden Wasser ist eine Anspielung auf ein Massaker von 1938, das von türkischen Soldaten in der kurdischen Region Dersim begangen wurde. Dort hatte sich das Wasser des Flusses Munzur rot vom Blut gefärbt. Für Dersimer ein bekanntes Bild, dass ich aus Verbundenheit mit der Geschichte gern hineinnehmen wollte in den Text, ohne es jedoch näher zu erklären (das wäre eine ganz eigene Geschichte). Eines dieser Schlüsselbilder, die nur Wenige kennen. Das habe ich diesmal auf jeden Fall dazugelernt: Solche Bilder funktionieren besser, wenn die Symbole bekannt sind.

Ich lerne gern weiter und freue mich über alles, was mir dazu hilft!

Viele Grüße

Willi


Hallo José,

da ich immer so wenig Zeit habe, bin ich oft hastig beim Schreiben (und nicht nur da).

Die Sache mit dem Brot habe ich hoffentlich geklärt, aber mir war das Bild so klar vor Augen, wie kurdische Frauen Brot backen, dass ich es nicht ausführlicher geschildert hatte.
Das mit den Händen und dem Kind ist auch so ein Bild, aber vielleicht kamen mir die Kinder in diesen großen, starken Frauenhänden auch immer nur so winzig vor...

Ein junger Mann hat die Sprache, mit der er aufgewachsen ist, deren Lieder er in den Dörfern zum Besten gegeben hat, so mir nichts, dir nichts fast vergessen? Für mich unvorstellbar.

Leider, leider, leider, aber dadurch, dass Kurdisch in der Türkei über viele Jahrzehnte verboten war, sprechen einige Generationen diese Sprache kaum noch. In der Schule hat man die Kinder geschlagen, wenn sie Kurdisch sprachen.
Die Lieder wurden aber durch die Familien stets weitergegeben. Inzwischen ist Kurdisch für den Hausgebrauch offiziell erlaubt, wird aber misstrauisch beäugt. Ich bin aber unsicher, ob und wie ich all dieses Detaillwissen in diesen Text einarbeiten sollte ...

Wer sein Kind nicht schlägt, schlägt seine Knie

Ist eine türkisch/kurdische Redensart, dort schlägt man sich bei Kummer auf die Knie, wenn beispielsweise die Kinder missraten sind. Zum Rollen des Teigs braucht man einen Stock, mit dem auch dir Kinder häufig geschlagen werden. Armut und Unterdrückung bringen eben oft nicht gerade das Beste im Menschen hervor ...

Lieber José, aber du hast natürlich recht, allzu oft befolge ich die goldene Regel, einen Text für einige Tage oder Wochen liegen zu lassen und dann erneut zu bearbeiten, nicht. Fehlende Impulskontrolle, würde ich selbst diagnostizieren. Therapie angesetzt, Heilung erscheint nicht ausgeschlossen ... Aber Schreiben ist wie Atmen in den wenigen Luftlöchern, die der Alltag uns lässt. Trotzdem - ich gelobe Besserung!

Viele Grüße und schöne Ostertage!

Willi

 
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Du schreitest verdammt schnell vorwärts,

liebe willi,

ohne Zweifel und schad, dass ich nicht die ursprüngliche Version kenne, nicht nur, weil ich den Sandwirt Hofer verehre, der ja eher unfreiwillig in die Rolle des Widerständlers und Volkshelden gegen Buonaparte und des ihm verbundenen Baiern wurde. Sinnigerweise soll kurz zuvor in Norditalien die erste funktionstüchtige Schreibmaschine hergestellt worden sein. Ob sie in die bäuerliche Bergwelt gefunden hätte?

Ein schwieriges, alle Zeit aktuelles Thema, verlegt in eine fremde Welt (bisher bin ich nur mit Kara Ben Nemsi durchs wilde Kurdistan gezogen). Ich glaub auch kaum, dass Du speziell auf die Situation der Kurden, sondern eher auf negative Folgen des Krieges für welche Bevölkerung auch immer hinweisen und es an einer Hand voll Leuten darstellen willst.

Wobei die Hand noch ein besonderes Symbol ist und als das natürliche Werkzeug des Homo sapiens anzusehen ist, alle anderen Werkzeuge (und sei's der

Stock zum Teigrollen
sind Verlängerung der Hand.

Am Handrücken (wie am Hals) kann man übrigens dass näherungsweise korrekte Alter eines sich (noch?) jugendlich/jünger gebärdenden Menschen erkennen, dort "zeichnet" sich das Alter trotz aller Mühe ab. Vielleicht wäre hier

So viele Jahre liegen auf ihrem Handrücken
statt des Verbs "liegen" (Zeit ist keine Stapelware) "sich abzeichnen", vielleicht sogar "hineinfressen". Die Last der Zeit spürt "sie" in ihrem Kreuz, das sie wie ein jeder andere auch selbst tragen muss.

Hier nun

Die Arbeit meiner Hände ...
möcht ich eine Umkehrung der Positionen anregen, denn die Hände sind es, welche "die" Arbeit bewältig(t)en, ohne ihre tätigen Hände hätte ein anderer "die Arbeit" verrichten müssen oder sie - die Arbeit - bliebe liegen. Warum also nicht die Hände der Arbeit voranstellen als

"Meiner Hände Arbeit"
und den lästigen Artikel vermeiden, der die eine wie alle andere Arbeit(en) meinen kann.

Zwo echte Fehler sind zu korrigieren (zunächst Mehr-, statt Einzahl)

Einige Namen war[en] an Soldatenohren gedrungen, ...

(Konj. I zu reißen war gemeint, ist aber schon erledigt)

Gleichwohl schöne Tage diese Tage vom

Friedel,
der bestimmt noch mal vorbeischaut, nicht nur, weil er die Schreibmaschine aus welchem Grund auch immer ausgeblendet hat ...

 

Lieber Friedrichard,

auf jeden Fall eine spannende Figur, der Andreas Hofer, auch wenn er hier nicht ausdrücklich gemeint war. Eine Schreibmaschine hätte er wohl auch in Verwendung genommen, hätte sie ihm denn zur Verfügung gestanden.

bisher bin ich nur mit Kara Ben Nemsi durchs wilde Kurdistan gezogen

Der gute Karl May lag so falsch nicht mit seiner Geschichte über die wilden Kurden, er hat ja viel von dem Herrn Layard abgeschrieben und der ist da ziemlich herumgekommen. Den Text hast du aber ganz richtig verstanden, es ging mir darum, dass es in jedem Krieg immer nur Verlierer gibt - auch in diesem, der schon so furchtbar lange andauert.

Schön, dass du das Symbol "Hand" aufgenommen hast, ich bin immer nicht so sicher, was von meinen "Signalen an den Leser" tatsächlich ankommt. An den Händen eines Menschen kann man immer viel von seiner Geschichte ablesen, finde ich. Dass die Jahre auf dem Handrücken lagen, war bestimmt wieder so ein Ausdruck, den ich mag und sonst niemand (neulich habe ich mich öffentlich für das Wort "moralinsauer" begeistert und stand wahrscheinlich kurz vor einer Zwangseinweisung). Vielleicht gefällt dir die neue Version besser?

"Meiner Hände Arbeit" klingt eindeutig eleganter und ich habe lange darüber nachgedacht, das auszutauschen, mich aber dann genau deswegen dagegen entschieden. Den Fehler habe ich aber ausgemerzt, vielen Dank für den Hinweis und überhaupt für deinen klugen, wie immer virtuos formulierten Kommentar!

Viele Grüße

Willi

 
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willifragt ganz vorsichtig (so scheint's)
Vielleicht gefällt dir die neue Version besser?

Vorweg,

liebe willi,

der Text hat mir vorher auch gefallen, aber gut, zu den Änderungen in dieser vermeintlichen Bürgerkriegsgeschichte, die aber diesen Anstrich nur erhält, weil die Regierung zu Ankara den Kurden Minderheitsrechte aberkennt, obwohl die kurdische Sprache eindeutig zur indoeuropäischen und keiner turkstämmigen Sprachfamilie zählt, scheint der fernen Regierung die Religionszugehörigkeit zu genügen, um Kurden als eigene Ethnie zu ignorieren. Tatsächlich ist es ein Freiheits- und Unabhängigkeitskrieg (und kommt damit tatsächlich dem Tiroler Aufstand von 1809 näher, als man zunächst glauben mag, der aber musste ohne Schreibmaschine auskommen ...), die Änderungen also, die mir durchweg gefallen, wenn nun etwa direkt zu Anfang

Er senkt den Blick und betrachtet ihre Hände, als sähe er sie zum ersten Mal. So viele Jahre trägt sie auf ihrem Handrücken, haben sich unter den schwarzen Rändern ihrer Nägel angesammelt
die Zeit nicht mehr auf dem Handrücken liegt, sondern als Last zu "tragen" ist. Denn Zeit ist ja nun mal keine Stapelware.

Aber ich wollte eh noch mal reinschau'n - schon wegen des Titels, denn:

Warum ist "die Schreibmaschine" titelgebend, ein an sich veraltendes Ding, in einer Zeit, in der selbst Flüchtlinge, die nichts weiter bei sich haben, als was sie am Leibe und mit ihren Händen tragen können, die Errungenschaften des Internets über Smartphone ausnutzen.

Die Dudenredaktion bringt etwas Licht hinter das Geheimnis durch die Definition dieser besonderen Maschine als ein "Gerät, mit dessen Hilfe durch Niederdrücken von Tasten Schriftzeichen über ein Farbband auf ein in das Gerät eingespanntes Papier übertragen werden, sodass eine dem Druck ähnliche Schrift entsteht", es ist der Einbruch der Moderne in eine karge Welt, mutmaßlich ohne Elektrizität ("Elektrizität war in der Nachfolge der Oktoberrevolution nach einem Wort Lenins Grundvoraussetzung - neben der Macht der Räte (Sowjets), eine kommunistische Gesellschaft zu verwirklichen).

Die Maschine ist das Glied zwischen der Erfindung des Buchdrucks zur Vervielfältigung von Schriften und den modernen Medien, die den Massen mit Stromanschluss zugänglich sind. Aber die - "mechanische" - Maschine bleibt bloßes Symbol für die Macht des (vervielfältigten) Wortes, ohne dass wir außer ihren klickenden Geräuschen etwas vernähmen. In dem Maße, wie sie eine "tragende" Rolle von Anfang an spielt, wird sie - vielleicht kommt da wieder mal meine Herkunft aus Ironien durch - buchstäblich nur herumgetragen.

Doch jetzt steht sie vor ihm und starrt auf das Bündel unter seinem Arm.
und nach einer kurzer Nutzung
Dann stand plötzlich dieses Ding auf dem Tisch
und wird auch verwendet
Jede Taste ein Ton, jeder Ton ein Buchstabe, jeder Satz ein Ruf nach Freiheit.
wie schon die Reformation den Buchdruck nutzen konnte und "fliegende" Blätter in den Kriegen Einfluss aufs Geschehen nahmen oder sogar - wie eines der bekanntesten Werke überhaupt - der Hessische Landbote Aufklärungsarbeit über die herrschenden Verhältnisse leistete. Allemal begaben sich Autor wie Verteiler in Gefahr, geschnappt zu werden. Doch wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt drin um (jetzt Biermann aus'm Kopf zitiert).

Als im Herbst die ersten Särge in die Häuser getragen wurden, weinte der Junge. Das Ding arbeitete nur noch in der Nacht, doch sein Flüstern hallte in den Bergen wider.
klingt wie ein aufkommender Mythos, ganz im Gegensatz zur Ertränkung ...

Allemal gern gelesen (obwohl "gern" in Geschichten zu Gewalt eher nicht so passend ist, dann aber doch als Widerstandsgeschichte doch seine Berechtigung findet) vom

Friedel

 
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Rojbas, Maria, selam und merhaba,

vielen Dank für deinen Kommentar. Tut mir leid wegen der Rubrik, das hatte ich schlicht vergessen. Ich habe versucht, das noch zu reparieren, weiß aber nicht, ob es geklappt hat. Mit so Technix bin ich manchmal ein bisschen überfordert.

Fast vergessen ist auch diese Art, Brot auf einem Stein zu backen und so kommst du dem Zeitpunkt der Geschichte auf die Schliche: Er liegt tatsächlich schon einige Jährchen zurück. (Ich weiß nicht, wie deine Erinnerungen sind, aber ich finde, es gibt keinen schöneren Geruch auf der Welt als den von frisch gebackenem Brot, egal, wie es zubereitet wurde.)

Aber der Krieg tobt ja auch schon Jahrzehnte, für Kurden gibt es nicht erst seit dem gescheiterten Militärputsch auf den kizilbas ... Und ja, Kurden besitzen Land, unsere Familie besitzt dort Land, auch wenn es jetzt für einen Staudamm der türkischen Regierung enteignet werden soll.

Die Distanz, die du fühlst, kann ich nachvollziehen. Wie beschreibt man einen Schmerz, der so gigantisch ist, dass er über Generationen weiterwirkt? Ich wollte Entfernung, kein Draufzoomen wie bei RTL 2, Respekt vor den Tränen, die auf beiden Seiten geweint werden, denn einer türkischen Mutter ergeht es nicht besser, wenn man ihren Soldatensohn beerdigt. Vielleicht bin ich dabei zu weit zurückgetreten, habe mich selbst zu sehr entfernt.

Es freut mich wirklich sehr, dass du die Geschichte trotzdem gern gelesen hast.

Viele Grüße
Willi


Hallo Friedrichard,

Schreibmaschine fand ich schöner als Handy, wobei auch die Zeit, in der ich diese Geschichte angesiedelt hatte, schon etwas zurückliegt. Wie war es wohl zu Hofers Zeiten? Statt Megafon Geflüster in den Häusern und Ställen? Gefällt mir besser, wobei der Hessische Landbote natürlich eine wahre Legende ist - und der olle Biermann auch.

Vielen Dank für deinen Besuch, gern wieder auf ein Tässchen Gaffee oder zwei.

Viele Grüße

Willi

 
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Hi Willi,

schöne Geschichte. Ziemlich dicht, finde ich, die distanzierte Perspektive steht ihr dabei aus meiner Sicht gut, die Offenheit, wer wer letztlich ist, auch.
Allerdings finde ich die häufigen Unklarheiten oder Uneindeutigkeiten in den Bezugnahmen (d.h. von Satzbau und Grammatik, nicht vom Inhalt her gedacht) nicht so elegant. Die sind mir ganz besonders am Anfang aufgefallen - und sie sind auch schuld daran, dass ich mich gleich zu einem Kommentar hinreißen lasse :D

Gleich mehr dazu, um aber am Anfang anzufangen:

Sie hatte Brot gebacken.
Hier - und weiter unten noch mal - Plusquamperfekt, sonst Gegenwart. Glatter wäre wohl das Perfekt. So wie es dasteht, entsteht bei mir die Vorstellung von zwei Zeitebenen: Eine Gegenwart, und eine deutlich dahinterliegende Zeit, die die (scheinbare?) Gegenwart als Erinnerung oder als Wiederholung einer erinnerten ähnlichen Episode widerspiegelt. Wenn das Absicht ist, mach es so (nur vielleicht deutlicher?), wenn nicht, ist es einen Gedanken wert, das zu ändern.

Jetzt aber die Bezugnahmen:

Den Stock, mit dem der dünne Teig flink und geschickt auf dem heißen Stein gewendet wird, hält sie noch in der Hand. Doch jetzt steht sie vor ihm und starrt auf das Bündel unter seinem Arm.
Thema scheint im ersten Satz der Stock zu sein, Subjekt ist sie. Wer ist dann "er"? Ich tippe im ersten Reflex auf den Stock, aber der kann kein Bündel unterm Arm haben. Beim weiterlesen verstehe ich es, aber ich finde es halt nicht elegant, zumal sie, er, und das Bündel bis auf weiteres drei Unbekannte auf einmal sind.

Er senkt den Blick und betrachtet ihre Hände, als sähe er sie zum ersten Mal.
Sie? Man könnte meinen, die Hände. Das fänd ich gar nicht schlecht. Aber dann:
So viele Jahre trägt sie auf ihrem Handrücken,
Hände oder Frau, der Unterschied ist nicht groß, aber ich fänd's halt eleganter, auch grammatikalisch bei den Händen zu bleiben, wenn du doch thematisch bei ihnen bleibst (also etwa: "so viele Jahre tragen die Handrücken." Das klingt grauenvoll, schon klar, es geht mir nur um die Richtung).

Zu ihm war der Junge nur selten geflüchtet.
Wer ist diesmal "er" und wer der Junge? Bei dem Jungen denke ich intuitiv an das Bündel. Klar, wenn man nachdenkt, kommt man drauf, dass ein Junge, der als Bündel unterm Arm klemmt, noch zu klein wäre, um irgendwohin zu flüchten. Trotzdem anstrengend, die verschiedenen Möglichkeiten im Blick haben und sortieren zu müssen, zumal alle bisher gezeigten Figuren (und Dinge) bisher immer noch recht unbekannt sind.

Trotzig drückt er das Bündel an sich. Die Arbeit meiner Hände haben dem Jungen die Schule ermöglicht.
Bisher dachte ich "er" trägt das Bündel, also "er", zur dem der Junge selten geflüchtet ist. Jetzt habe ich den Eindruck, der Junge hält das Bündel, aber wer ist dann "er"? (Und wer ist "ich"?)

Zwischendurch: Ich kann es gut verstehen, dass du deinen Figuren in der Geschichte keine Namen gibst, die entsprechende Distanz gefällt mir ja wie gesagt. Aber vielleicht wäre es eine Überlegung wert, die Figuren durch Kennzeichnungen (einfaches Beispiel: der Mann, der Bauer o.ä.) ganz kurz zu verankern.

er gehöre nicht uns. Zur Universität haben wir ihn geschickt.
Uns? Wir? Spricht "sie" oder "er" oder jemand drittes?

Väter und Mütter liefen ihnen nach und kamen mit roten Augen und hängenden Schultern und ohne ihre Kinder zurück.
Sehr schön knapp und wirkungsvoll!

Als im Herbst die ersten Särge in die Häuser getragen wurden, weinte der Junge. Das Ding arbeitete nur noch in der Nacht, doch sein Flüstern hallte in den Bergen wider.
Offenheit, wie gesagt, an sich nicht schlecht. Aber hier würde ich es dir danken, wenn du klar sagen würdest: Arbeitet er an dem Ding - also der Junge? - oder arbeitet es durch die Hände eines Unbekannten? Ich kann den Jungen bisher noch nicht zuverlässig einordnen. Spricht er zwar die Sprache kaum mehr und kämpft trotzdem gegen die Unterdrückung? Kann ja sein, aber wenn es sein soll, dann wird es durch dieses "es" - aus meiner Sicht ungünstig - verwischt.

Der Schnee bedeckte zum ersten Mal die Felder, da unterbrach ein leises Klopfen das nächtliche Geklapper. Einige Namen waren an Soldatenohren gedrungen,
Hier gefallen mir zwei Dinge nicht. Zum einen in der Logik der Geschichte: Hätte das Klopfen wirklich das Geklapper unterbrochen, dann wäre es um die Maschine sicherlich geschehen gewesen. Zum anderen sprachlich: "Soldatenohren" kling für mich einen Tick zu aufgesetzt. "An die Ohren der Soldaten" oder auch einfach "an die falschen Ohren" gefiele mir besser. Ach, und doch gleich noch was: "gedrungen" und "geschrien" passt für meine Begriffe auch nicht so ganz zusammen. Die Ohren der Folterer sind doch sicher ziemlich nah dran, da dringen ja die Schrei nicht hin wie durch dicke Mauern.

„Sie werden kommen“, sagt er. „Mit ihren Geräten finden sie es auch in der Erde.“
Sagt wer?

„Wenn er heimkommt, bringe ich es zurück.“
Hier klärt sich dann so ziemlich alles, also z.B. wer der "er" ist, zu dem das Kind geflüchtet ist usw., zumindest, wenn ich von hier aus auf den Anfang zurückschaue. Du kannst den Leser natürlich absichtlich rätseln lassen, und es kann ja auch gut sein, dass ich nur besonders schwer von Begriff bin. Trotzdem kann es nicht schaden, wenn du weißt, dass eben Leute, die vergleichbar schwer von Begriff sind, dankbar wären, wenn diese Rätsel etwas abgemildert würden.
Das heißt ja nicht, dass du den Figuren eine ausgetretene Geschichte andichten musst. Nur ein, zwei Handgriffe, und ich wäre schon glücklich.

Glücklich bin ich dafür mit allem weiteren. Alles passt, finde ich, und selbst den erwähnten Plusquamperfekt:

Hatte er das Ding nicht in den Fluss geworfen?
bin ich als absichtliche Irritation im angesprochenen Sinn beinahe zu goutieren bereit.

Ja, du siehst: das war eine breit ausgewalzte Kritik, die eigentlich nur einen einzigen Punkt zum Gegenstand hat.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Liebe Willi,

dann wollen wir mal ...

Sie hatte Brot gebacken.

Trotzig drückt er das Bündel an sich. Die Arbeit meiner Hände haben dem Jungen die Schule ermöglicht.
Hm, weiß nicht. Da stimmt was nicht. Hier kommt mir der Perspektivwechsel zu plötzlich.
Ich würde sofort in der Ich-Perspektive starten, bzw. mich für eine Perspektive entscheiden.

in der Hand. Doch jetzt steht sie vor ihm und starrt auf das Bündel unter seinem Arm. Er senkt den Blick und betrachtet ihre Hände, als sähe er sie zum ersten Mal. So viele Jahre trägt sie auf ihrem Handrücken, haben sich unter den schwarzen Rändern ihrer Nägel angesammelt. Das Kind hatte sich damals in diese Hände geschmiegt wie ein winziger Vogel. Zu ihm war der Junge nur selten geflüchtet.
Trotzig drückt er das Bündel an sich. Die Arbeit meiner Hände
Ich meine, da kommt zu oft „Hände“ vor. 5 mal in 8 Sätzen.
Und dabei spielen die Hände ja gar keine Hauptrolle in der Geschchte, sonst ...

Mit unseren Liedern zog er durch die Dörfer, Seifenblasen im Kopf und Aufruhr auf den Lippen.
Wow. Das gefällt mir. Klasse! :)

Jeden Tag hörte er es klappern. Jede Taste ein Ton, jeder Ton ein Buchstabe, jeder Satz ein Ruf nach Freiheit.
Eine sehr schöne Umschreibung der Schreibmaschine. :thumbsup:

Jede Taste ein Ton, jeder Ton ein Buchstabe, jeder Satz ein Ruf nach Freiheit.
Durch die Wiederholung, denke ich, verliert dieser starke Satz leider an Bedeutung.

Eine beängstigende Stimmung baust du da auf.

Bis auf den Perspektivwechsel und die Wiederholung des Satzes habe ich nichts zu bemängeln.
Du hast ja auch schon eifrig am Text gearbeitet. Kenne die erste Version nicht, aber so, wie es jetzt da steht, ist es echt gut.
Gefällt mir!

Liebe Grüße,
GoMusic

 

Civani base Willi ,
Deine Geschichte war voll schön. Die poetische Sprache und die Kürze vom Text lassen mich an die Lyrics von den Liedern Ahmet Kayas denken. Lag da deine Inspiration? Wie schon von Anderen angemerkt, fiel mir eine gewisse Distanz auf. Ich fand das nicht schlimm, aber da du ja, wie du selbst sagst, ein Debütant bist, kannst du ja bei deiner nächsten Geschichte mit Nähe herumspielen.
Ciau,
alexei

 

Hej Willi,

gleich nach dem Einstellen deines Textes kam ich gar nicht zurecht mit den Sätzen, die in meinem Hirn keinen Sinn ergaben. Die Atmosphäre war aber von Anfang an dicht.
Jetzt habe ich ihn erneut gelesen und war ganz gefangen. Du hast es möglich gemacht, mit wenigen Worten, Szenen zu erschaffen, die eindringlich, fürchterlich und tragisch sind. Ich spüre genau die Trauer, die Kälte, die Hast und die Furcht deiner Protagonisten. Ganz wunderbar.
Lediglich würde es mir gefallen, du würdest sparsamer mit dem Wort das Ding umgehen. Es nimmt etwas den Zauber.

Ein Leseeindruck und freundlicher Gruß, Kanji

 
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Hallo erdbeerschorsch,

inzwischen habe ich an der Erzählperspektive etwas herumrepariert und hoffe, dass die Personen nun besser zugeordnet werden können. Eigentlich wollte ich mit dem Springen in den Perspektiven zum Ausdruck bringen, wie zwiespältig der Vater fühlt: Er leidet selbst unter den Verhältnissen, sieht aber keine Option, sondern nur Gefahren und auch ein wenig einen Vorwurf im Kampf seines Sohnes. Aber ich werde sicher noch eine ganze Weile üben müssen, bis mir solche Kunststückchen gelingen.

Auch das PQ ist durchaus motiviert: Der Vater hatte die Mutter beim Brotbacken vermutet. Erst als sie vor ihm steht, weiß er, dass er sich getäuscht hat. (jetzt bin ich selbst verwirrt :Pfeif:)

Arbeitet er an dem Ding - also der Junge? - oder arbeitet es durch die Hände eines Unbekannten?

Solche Flugblätter, die in den Dörfern und Städten verteilt werden, tragen ja keine Unterschrift bzw. nur die einer Organisation/Partei. Deshalb wollte ich hier die Grenzen zwischen Mensch/Maschine verschwimmen lassen. Der Vater beseitigt die Maschine, aber damit irgendwie auch seinen Sohn.

Du siehst, ich werde noch viele, viele Kommentare wie deinen brauchen, um all das, was ich gerne ausdrücken würde, auch transportieren zu können. Deshalb vielen Dank an dich und schau jederzeit gern wieder bei mir herein!

Viele Grüße

Willi

Hallo GoMusic,

vielen Dank für deinen positiven Kommentar! An der Perspektive habe inzwischen gearbeitet und hoffe, dass es nun deutlicher geworden ist. Die Hände würde ich aber gern belassen, auch in ihrer Häufigkeit, weil sie ein so wichtiges Symbol sind. Man hätte es aber sicher noch rhythmischer einsetzen können. Vielleicht bin ich da ein bisschen old school, aber ich mag Wiederholungen, um Bedeutungsschleifen in den Text zu flechten.

Eine beängstigende Stimmung baust du da auf.

Hoffentlich magst du trotzdem 'mal wieder bei mir hereinschauen.

Viele Grüße

Willi


Hallo Bea Milana,

das ist eine interessante Geschichte, die du geschrieben hast und sie hat mir gefallen.

Das freut mich sehr, vielen Dank! Die Perspektivwechsel habe ich inzwischen verändert, da lag dein Kommentar durchaus im Mainstream :D

Nee, das stimmt nicht. Man vergisst seine Muttersprache so schnell nicht! Nur wenn man sie Jahre bzw. jahrzehntelang nicht gesprochen und / oder in fremder Umgebung war oder sie bewusst negiert hat.

Kurdisch war bis vor einigen Jahren in der Türkei verboten. In der Schule wurden die Kinder dafür geschlagen, auch wenn sie nur untereinander kurdisch sprachen. In den Gefängnissen durften kurdische Eltern, die ja oft gar kein türkisch konnten, nicht mit ihren Töchtern und Söhnen, die dort inhaftiert waren, sprechen. Wer trotzdem kurdisch sprach, machte sich schnell verdächtig, die Guerilla zu unterstützen.

Inzwischen ist die kurdische Sprache für den Hausgebrauch wieder erlaubt. Es gab aber vor einigen Jahren massive Polizeieinsätze gegen kurdische Studenten, die Kurdisch als Unterrichtssprache bzw. Unterrichtsfach an den Universitäten forderten. Viele Menschen auf türkischem Staatsgebiet haben das Kurdische verlernt, nur in den Liedern wurde es heimlich weitergegeben. Der kurdische Sänger Sivan Perwer ist in allen Teilen des kurdischen Gebietes eine Legende.

Viele Grüße

Willi


Zor spas Alexei,

dein Vergleich mit Ahmet Kaya lässt mich bis an die Ohren rot werden, an ihn würde ich mich nicht einmal gedanklich heranwagen. Aber ich finde auch, die türkische/kurdische Musik/Literatur hat einen ganz eigenen Zauber.
Deine Idee, auch einmal mit Nähe herumzuspielen, finde ich großartig. Das will ich gleich einmal ausprobieren ... vielen Dank und viele Grüße!

Willi

Hallo Kanji,

vielen Dank für deinen Kommentar. Ja, ich habe nach all den Anregungen hier kräftig am Text gearbeitet und freue mich, wenn er nun verständlicher ist.

Ich spüre genau die Trauer, die Kälte, die Hast und die Furcht deiner Protagonisten. Ganz wunderbar.

Wie schön, viele konnten das nicht fühlen und fanden den Text zu distanziert. Da erschließt sich dann ein neues Übungsfeld, auf dem wir uns hoffentlich noch oft begegnen werden!

Viele Grüße

Willi

 
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Hallo Willi


es ist so schwierig, einen schon lange schwelenden politischen Konflikt auf die Ebene der konkret betroffenen Menschen herunterzubrechen. Den einen Lesern sind zu wenig Hintergründe aufgezeigt, die anderen haben Schwierigkeiten mit der Personenzuordnung, wieder andere retten sich in formale Diskussionen.
Beim erneuten Lesen muss ich sagen, dass es dir sehr gut geglückt ist, das Elend der fortwährenden Kämpfe zwischen Kurden und Türken mit ihrer Zerstörung auch von Familienstrukturen in Bilder zu packen, ganz klassisch mit einem Dingsymbol, der Schreibmaschine, die du vollkommen zurecht das "Ding" nennst.

Und einen Generationenkonflikt hast du veranschaulicht, der, so kommt es mir vor, auch ohne die politische Dimension aufgebrochen wäre. Ich erlebe dies zur Zeit bei syrischen Flüchtlingsfamilien (syrische Kurden), wo der Vater nur schwer akzeptieren kann, dass seine achtzehnjährige Tochter in Deutschland Fuß fassen möchte, ihren Studienort selbst wählen möchte. Es ist wirklich eine Welt im Umbruch.

Mir hat der Text in seiner jetzigen Form gut gefallen, auch weil ich glaube zu spüren, dass du ihn mit Herzblut geschrieben hast. Der Text ist völlig zurecht bei den Empfehlungen gelandet.

Freundliche Grüße
wieselmaus

 

Hallo Wieselmaus,

vielen Dank für deinen Kommentar!

Und einen Generationenkonflikt hast du veranschaulicht, der, so kommt es mir vor, auch ohne die politische Dimension aufgebrochen wäre. Ich erlebe dies zur Zeit bei syrischen Flüchtlingsfamilien (syrische Kurden), wo der Vater nur schwer akzeptieren kann, dass seine achtzehnjährige Tochter in Deutschland Fuß fassen möchte, ihren Studienort selbst wählen möchte. Es ist wirklich eine Welt im Umbruch.

Ja, und für die Jungen/Männer/Väter ist es am Schwierigsten, da sie ihrer im Herkunftsland kulturell geprägten und auf der Flucht oft lebensnotwendig gewordenen Rolle als Ernährer und Beschützer der Familie nicht mehr nachkommen können - und sollen. Für viele eine ziemlich schmerzhafte Entthronisierung, während die Mädchen/Frauen/Mütter einen Zugewinn an Freiheit und damit an Selbstverwirklichung verbuchen können.

Letztendlich lieben alle Väter ihre Töchter und wollen immer nur das Beste für sie - nur über das, was das Beste ist, gibt es Uneinigkeit.

Viele Grüße

Willi

 

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