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Die Schreibhand zu wechseln bedeutet Zickenkrieg

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Die Schreibhand zu wechseln bedeutet Zickenkrieg

»Sei willkommen, rechte Hand, zu deiner ersten Unterrichtsstunde. Ich bin die linke Hand, aber du darfst mich gern auch nur ›Liha‹ nennen.«

»Hallo, Liha, dann bin ich wohl Reha, nicht wahr? Ah, ich hab's, das ist hier eine ›Rehamaßname‹?«

»Äh, ja, aber sei doch nicht albern. Übrigens schreibt man ›Rehamaßnahme‹ mit h.«

»Okay. Aber wieso eigentlich?«

»Weil das Wort nichts mit Name zu tun hat, sondern vielmehr mit nehmen. Außerdem listet Google für Maßnahme 4,9 Millionen Treffer, ohne h nur 54.100 Treffer.«

»Aha, ich meine, wieso muss ich schreiben lernen?«

»Weil der Herr, in dessen Leibeigenschaft wir uns befinden, es so will. Er hat erkannt, dass du, und nicht ich, seine originäre, genetisch veranlagte Schreibhand sein musst. Gott weiß, warum ihm das jetzt einfällt, aber es ist nun einmal so. Und ferner verspricht er sich vom Wechsel der Schreibhand durch die geänderte Hemisphärendominanz ein neues Kopfklima, neue Gedanken gar, wenn nicht er zu einem völlig anderen Menschen wird. Aber das ist für uns auch ohne Belang.«

»Ja, wo du recht hast, wir müssen gehorchen, was auch immer die Idioten, äh, Ideen in der Kopfabteilung aushecken. Dabei ist das so sinnlos, du kannst doch schon – schön – schreiben.«

»Ah, vielen Dank für das Kompliment. Tatsächlich kann ich schönschreiben, sieh!«

»Das könnte man aber auch schwulschreiben nennen, ne?«

»Na, na, na, keine Beleidigungen, klar? Ich bin immer noch deine Lehrerin, dass du mir das nicht vergisst!«

»Und meine ebenbürtige Schwester, damit du das nicht vergisst!«

»Ta! Ebenbürtig, dass ich nicht lache! Hast zehn Jahre, mindestens 15 Jahre, verklemmt und faul irgendwo rumgehangen.«

»Das ist gemein, was du jetzt schreibst. Ich war, und bin es noch, offiziell spastisch gelähmt. Dass ich jetzt schreiben lerne, ist vor allem meiner Disziplin zu verdanken.«

»Deine Disziplin? Hörst du die Glocken?«

»Doch, in der Tat, meine Disziplin. Ich hab mich nämlich vom Nervensystem emanzipiert.«

»Vom Nervensystem emanzipiert? Wie denn das?!«

»Das heißt, oah halt doch mal das Blatt ordentlich fest, dass ich nicht auf jedes dahergelaufende Aktionspotenzial anspringe, das in meinen motorischen Nerven sonntagsfährt.«

»Aha, soso, du veranstaltest also erst mal ein ›Cerebry's Next Top Model‹-Contest zwischen ihnen, oder wie?«

»Naja, so kann man das auch nennen. Ich ranke sie nach Ähnlichkeit mit den vorhergehenden, gewählten.«

»Ranking, das ist schon ziemlich spannend, so eine Top10 der Aktionspotenziale, aber gut, wenn es hilft.
Aber weißt du, was ich glaube? Unser Herr hat einfach zu viel Freizeit. Ich ja dann auch, wenn du dann schreiben kannst, was ich selbst dir gerade beibringe. Dann bin ich ein Stück arbeitsloser. Ach, werde ich mich langweilen.«

»Ach Schwesterchen. Wissen wir doch beide, dass wir kaum noch mit dem Stift schreiben. Meist schreiben wir auf der Tastatur.«

»Ja, ›wir‹. Ich tipp doch da viel mehr als du. Mit dem Tastaturlayout liegen die meistverwendeten Buchstaben auf meinem Gebiet.«

»Hey, was hältst du davon, wenn wir bei den Idioten, äh, Ideen vorstellig werden und eine Petition für alternative Tastaturlayouts einlegen?«

»Tolle Idee, eine Petition, ha! Und wer soll die alles unterschreiben?«

»Na, wir beide natürlich. Reicht doch.«

»Gehts dir gut?! Ich unterschreib doch nicht meine eigene Arbeitslosigkeit! Ich behalte meine Buchstaben auf der Tastatur, damit das klar ist! Lern du erst mal ordentlich die Maus zu halten, so wie jetzt hast du bald ein Karpaltunnelsyndrom, das sich gewaschen hat. Fängst ja jetzt schon immer an zu jammern, dass ich dich massieren soll.«

»Warum bist du so aggressiv? Könnten wir uns bitte wieder vertragen?«

»Nur, wenn das BH-Öffnen lebenslang meine Angelegenheit ist. Machos machen das mit links.«

»Meinetwegen. Aber ich schreib die Liebesbriefe.«

»Na toll, dann kann ich mir das BH-Öffnen wohl abschminken.«

»Bist du von gestern? Heute macht man das per SMS.«

»Wie, das BH-Öffnen?«

»Nein, das Bezirzen.«

»Ach, du hast ja keine Ahnung. Aber ich auch keinen Bock mehr auf dieses Lesbengequatsche.«

»Ja klar, jetzt vermischt du wieder die Kontexte. Unser Geschlecht ist doch nur grammatisch.«

»Von mir aus kann es auch grammastuhl sein, ich hab die Nase voll von deiner albernen Respektlosigkeit.«

»Wieso sollte ich dir Respekt zollen?«

»Ich habe 15 Jahre für zwei geschuftet, du Witzfigur von Körperteil! Was bildet der sich ein, unser Herr? Mir einfach meine händische Dominanz abzusprechen. Wenn ich nicht wäre ...«

»Könnte ich längst viel schöner und schneller schreiben.«

»Ts! Eh du dich versiehst, war's das mit dem ›Ich gönn' mir die Absonderlichkeit, auf Papier zu schreiben‹-Gehabe unseres Herrn. Das ist doch nur eine Laune von ihm. Dann darfste wieder dein lächerliches P, I, O und ß ficken auf der Tastatur.«

»Jetzt wirst du ausfällig!«

»Oh, ich werd ausfällig! Tu ja nicht so pädagogisch, die Lehrerin bin ich, und du bist eine unverbesserliche Rotznase, geh halt nach Haus' und verdien dir ne Tracht Prügel, ich hab halt genug von dir.«

»Aber Schwesterchen, nu is' mal gut. Also brechen wir das Ganze ab, beenden wir es. Hat mir jedoch Spaß gemacht, doch, wirklich, dir nicht?«

»Ach, lass mich in Ruhe. Du bringst es dir im Grunde doch selbst bei, das Schreiben, mich brauchst du nicht dazu. Mich braucht niemand mehr. Lass mich einfach in Ruhe.«

»Geht klar. Oje, jetzt isse depressiv, naja, zum Glück kann se sich nicht selbst amputieren.«

[highlight]Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE (s. Profil)[/highlight]​

 

Hey, Damaris, danke für deinen Kommentar. Schön, dass es dir gefallen hat.

Schließe mich der Kritik von Nachtschatten an, bin manchmal durcheinander gekommen, ob Liha oder Reha spricht.
Ist nun hoffentlich besser, indem ich die Sprechparts der linken Hand kursivgesetzt habe. Das steht mit den Schriftbildern auch durchaus im Einklang (s. Link).

»Tja« meinte ich nicht, diese Interjektion sagt was anderes aus als »Ts!«, wovon »Ta!« (das a qualitativ geschwächt) eine Variante ist, das erstere ist auch im Text vertreten.

Sonntagsfährt? kapiere ich nicht.
Sonntagsfahrer kennst du nicht? Dann fährst du wohl nicht Auto. Okay, ich kenn das auch nur als Ausfluch von Angehörigen, neben denen ich sitze. Die Unlogik in diesem Satz liegt indes ganz woanders: ein dahergelaufenes Aktionspotenzial fährt nicht, ein Widerspruch in sich. Bis mir ne bessere Formulierung einfällt, plädiere ich auf künstlerische Freiheit, alternativ auf das Recht Unsinn zu reden – auch für Körperteile!

Danke!
-- floritiv.

 

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