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Die Sache mit dem Fleischsalat
„Wer garantiert mir, daß du mich nicht verarschst?“
„Du bist eigentlich nicht in der Position, mich in Frage zu stellen.“
„Hey, was würdest du denken, wenn dir jemand in dieser Lage noch ne Knarre an den Kopf halten würde?“
„Die Waffe ist eigentlich genau der Grund, aus dem du vielleicht besser aufgeben solltest.“
Vermutlich hatte ich wirklich keine andere Wahl. Ich steckte nämlich verdammt tief in der Scheiße.
Es war eine unglückliche Verkettung dummer Zufälle, die mich in diese Lage gebracht hatte. Ich hing mit einer Hand über dem Sims eines Hochhausdaches mit schätzungsweise dreißig Stockwerken Luft unter mir. Es war arschkalt und der Wind machte es mir auch nicht gerade leichter, mich festzuhalten. Zu allem Überfluß dachte dieser Bulle nicht einmal daran, mir seine Hand zu reichen. Stattdessen hielt er mir eine Knarre an den Kopf.
Im fahlen Licht des Vollmondes wirkten die Blutflecken auf seinem Hemd ziemlich surreal. Sie waren Überreste des Blutbades, das sich eben abgespielt hatte. Ich hatte mich gerade noch in Sicherheit bringen können, bevor die Cops angefangen haben, hier oben rumzuballern. Obwohl... Sicherheit war eigentlich das falsche Wort. Sicher war nur, daß der Asphalt da unten meinen Sturz bestimmt nicht sanft abfedern würde.
Wenn ich es mir recht überlege, trug Paul an diesem ganzen Schlamassel die alleinige Schuld.
...
Ich kannte ihn seit unserer gemeinsamen Sandkastenzeit und wir haben seitdem ne Menge zusammen durchgemacht. Die Leute sagten immer, Paul hätte nicht alle Latten am Zaun, aber ich als sein bester Freund wußte es besser. Das war nämlich meine Schuld und war passiert, als ich ihn damals von dieser Party nach Hause gefahren und im Suff seine Einfahrt nicht getroffen hatte. Aber auch davon abgesehen war er wohl der bekloppteste Mensch auf diesem Planeten.
An dem Tag, als dieser Mist begonnen hat, traf ich Paul in seinem Garten. Weiß der Geier, wie seine Eltern vor ein paar Jahren an dieses kleine Häuschen in der Vorstadt gekommen waren, aber auf jeden Fall suchte er in diesem Moment mal wieder seinen Schatz. Der Kerl war fest davon überzeugt, in seinem Garten wäre ein alter Piratenschatz vergraben. Alle paar Wochen buddelte er darum willkürlich ein paar Löcher in die Erde. Natürlich hat er noch nie etwas gefunden, abgesehen von dieser alten Teekanne und einer Spaxschraube, aber so hatte er wenigstens was zu tun und war oft an der frischen Luft.
„Na, schon was gefunden?“, begrüßte ich ihn scherzhaft.
„Halts Maul!“, scherzte er zurück. Dann ging er, ohne ein weiteres Wort zu sagen, ins Haus und kam wenig später mit zwei Bier in der Hand wieder. „Hier, nimm das und komm mit.“
Paul führte mich in seinen alten Schuppen hinten auf dem Grundstück. Ich kannte diesen Holzbau schon so lange, daß mich jede Kakerlake hier mit Vornamen grüßte. Schließlich hatten wir hier schon an die tausend Mal gehockt und die wildesten Pläne ausgeheckt. Legendär damals die Sache mit den Kaugummis. Noch heute wurden wir von den Andern damit aufgezogen. Aber das war eindeutig Pauls Schuld gewesen. Ich wollte einfach nur die Scheibe einschlagen, aber Paul mußte ja unbedingt seine fette Pranke in den Automaten stecken um diese Billiguhr zu klauen. Naja, das war wirklich sehr lange her und wir waren halt noch blutige Anfänger.
„Ich habe einen Plan.“, sagte Paul. Das war nichts Ungewöhnliches. Paul hatte ständig irgendwelche Pläne. Meistens dumme Schnapsideen, aber manchmal war was Gutes dabei. Diesmal sollte es was richtig Großes werden. Keine Tankstellen mehr, nichts mit alten Omas und ihren Handtaschen - diesmal wollte Paul eine Bank ausrauben.
„Hast du ne Macke? Wie sollen wir das machen?“
„Vertrau mir. Das is ganz leicht. Alle machen das. Wir brauchen nur noch ein wenig Ausrüstung.“
...
Es war ja eigentlich klar, daß ich mal wieder den beschissensten Teil des Jobs erledigen mußte. Paul stand derweil an der Rolltreppe und gab mir Deckung. Falls die Russen das Gebäude stürmen würden, meinte er. Auf jeden Fall stand ich nur einen Tag nach unserer Unterhaltung auf mich allein gestellt mitten im Feindesland. Um mich herum herrenlose Hausfrauen, die sich wie die Furien um die Unterwäsche des Sommerschlußverkaufs rissen.
„Kann ich Ihnen behilflich sein?“ Die Freundlichkeit in der Stimme der Verkäuferin war so falsch wie ihr Vorbau, aber ich tat so, als würde ich das nicht bemerken. In Filmen sind Verkäuferinnen in Dessousabteilungen immer junge, hübsche Schnecken mit großen Augen und tollem Fahrgestell. Das hier war bestimmt die Mutter all dieser Verkäuferinnen.
„Ja... ja, ich suche eine Strumpfhose... nicht für mich natürlich... für meine Frau... ja...“ Scheiße, ich hatte noch nie in meinem Leben so dermaßen gestammelt. Was war denn schon groß dabei? Jeder Mann kauft irgendwann sowas. Mir war das trotzdem verdammt peinlich. Ich verfluchte Paul für diese Scheißidee und mich selbst, weil ich dabei mitmachte.
„Ach so. Für Ihre Frau... natürlich.“ Ein wissendes Lächeln umspielte ihren viel zu aufdringlich geschminkten Mund und ich wußte, daß die Alte mir kein Wort glaubte. Vermutlich hielt sie mich für einen Perversen oder so. „Welche Größe hat denn Ihre... Gattin?“
„Puh... naja...“ Ich warf einen abschätzenden Blick auf Paul, der sich nervös in alle Richtungen umsah und vermutlich nach Russen suchte. „So, um die Einsneunzig würde ich sagen.“
„Nein, ich meinte die Größe für die Strumpfhose.“
„Das is mal ne gute Frage... woher soll ich das denn wissen?“
„Soll ich Ihnen mal meine Beine zeigen? Zum Vergleich meine ich.“ Alles, bloß das nicht, dachte ich mir. Aber sie ließ sich nicht aufhalten und hob ihren Rock soweit an, daß ich ihre von Krampfadern übersäten Beine gut im Blick hatte. Was für ein Glück, daß ich nicht auch noch einen BH besorgen sollte.
„Ja... ja, genau solche Strumpfhosen hätt ich gern.“, sagte ich, während ich versuchte, an etwas anderes zu denken. Heidi Klum wäre nett gewesen, aber an deren Beine konnte ich mich leider nicht erinnern, auf die hab ich nie wirklich geachtet.
...
Wir hatten für den ganzen Bankraub ein Budget von sieben Euro dreizehn eingeplant. Mehr Kohle hatten wir für die Pfandflaschen aus Pauls Keller einfach nicht gekriegt. Das meiste davon war schon für die Strumpfhose draufgegangen. Trotzdem brauchten wir noch ein paar Kleinigkeiten.
Das Naheliegendste, wenn man für wenig Geld viel Zeug besorgen muß, ist der Gang zum nächsten Aldi. Hier kauften wir eine Packung Fleischsalat, eine Haarnadel, zwei Dosen Rivercola und eine Tüte Chips und verstauten alles nach dem Bezahlen in unserer neuen Alditüte.
Das mit dem Wagen war wirklich ein Kinderspiel. Der Parkplatz war voller Autos. Paul hatte einfach beim Erstbesten die Scheibe mit einem Stein eingeschlagen, das Zündschloß mit der Haarnadel kurzgeschlossen und ab gings.
Ich hatte echt keine Ahnung, wie man mit einer Haarnadel einen Wagen kurzschließen kann, aber Paul meinte, daß er in Vietnam so einiges aufgeschnappt hätte. Klar, daß er nie in Vietnam war, nicht mal beim großen Bockwurstkrieg damals im Kindergarten hatte der Feigling mitgemacht, aber er wußte tatsächlich viele nützliche Dinge. Übrigens weiß ich auch nicht, wie zum Teufel er an die beiden Knarren gekommen ist. Auf jeden Fall hatte er sie nicht gegen eine Packung Fleischsalat bei irgendnem Hehler eingetauscht, soviel war mir klar.
...
Noch am selben Nachmittag saßen wir in unserem neuen Wagen vor der Bank, tranken unsere RiverCola, futterten Chips und warteten auf den richtigen Moment. Irgendwann, ohne daß es auch nur den geringsten Anlaß gegeben hätte, brüllte Paul mir dann auf einmal ins Ohr.
„Los!“
Als hätte ihm ein Nilpferd in den Arsch gebissen, stürmte der Kerl plötzlich aus dem Wagen, rannte quer über die Straße und stellte sich neben die Eingangstür der Bank. Er nickte mir verschwörerisch zu und ich trottete ihm langsam hinterher. Es gab einfach keinen Grund, sich zu beeilen. An der Bank angekommen, holte ich die Strumpfhose aus der Tasche, fummelte die Verpackung ab und riss den Stoff in der Mitte durch. Jeder von uns zog ein Strumpfbein über den Kopf. Dann entsicherten wir unsere Knarren und stürmten die Bank.
„Hände hoch, das ist ein Überfall!“, schrie Paul, wobei er sehr überzeugend klang. Dummerweise schien die Anwesenden das nicht besonders zu interessieren. Kunden waren keine da und die beiden Schalterbeamten dachten gar nicht daran, sich durch unsere Anwesenheit auch nur irgendwie aus der Ruhe bringen zu lassen.
„Habt ihr nicht gehört? Überfall! Wenn ihr nicht gleich die Hände hochnehmt, könnt ihr eure Gehirne vom Boden aufsammeln!“
„Erstens ist das hier Panzerglas.“, sagte der eine Beamte, wobei er an die Scheibe vor dem Schalter klopfte und dabei ein dreckiges Lachen kaum unterdrücken konnte „Zweitens ist das da über mir eine Kamera. Drittens drücke ich jetzt diesen Knopf hier, damit die Polizei kommt und viertens ist die Kasse eh leer.“ Ich hätte dem Kerl am liebsten eine reingehauen, aber Paul blieb recht cool.
„Halts Maul! Du bluffst doch nur! Ich mach dich alle!“
Um es kurz zu machen, der Kassierer bluffte nicht. Ich habe keine Ahnung warum, aber die verdammte Kasse war leer. Wütend verstaute Paul die Alditüte wieder in seiner Jackentasche und schien zu überlegen. Vermutlich zählte er auch einfach nur die Erhebungen in der Deckenverkleidung oder suchte ein Klo. Zuzutrauen war ihm praktisch alles. Auf jeden Fall dauerte das, was auch immer er da tat, verdammt lange und wenig später hörte ich schon die ersten Polizeisirenen.
Ich will nicht groß ins Detail gehen, das wird morgen eh in allen Zeitungen stehen, aber Paul drehte plötzlich vollkommen durch. Mit dem Ausruf „Tod allen Kapitalisten“ rannte er auf die Straße und ballerte wild um sich, wobei er den Autoreifen eines Viehtransporters, vier Fensterscheiben, zwei leere Bierdosen und ein Eichhörnchen am Schwanz traf. Ich hingegen behielt die Ruhe und nutzte die allgemeine Verwirrung, um mich in Richtung Klo zu bewegen. Tatsächlich gab es in diesem Raum ein Fenster, das nicht nur nicht abgesperrt war, sondern zudem auch noch nach hinten rausging. Ich rannte zurück zur Eingangstür und rief Paul zu, daß er zurückkommen soll. Aber der Kerl war nicht mehr zu bremsen, sondern warf nun mit Steinen nach den Bullen, weil seine Munition alle war. Und als ob das noch nicht peinlich genug gewesen wäre, durchwühlte der Penner plötzlich seine Jacke und schmiß den Bullen den Fleischsalat entgegen.
Ich hatte keine Ahnung, ob sie ihn erschossen oder einfach überwältigt haben, denn als das geschah, steckte ich schon im Klofenster der Bank fest. Das war verflucht eng und schnürte mir alles ab. Einen Moment lang ging mir durch den Kopf, daß ich meinen Bierkonsum mal ein wenig einschränken sollte, damit die Wampe ein Stück weit zurückweicht, aber dafür war es nun eh zu spät. So konnte es nicht gehen, ich paßte einfach nicht durch diese beschissene Fenster.
Also bin ich wieder rein in die Bank und hab das Treppenhaus gesucht. Aus Filmen wußte ich schließlich, daß der Fluchtweg übers Dach immer der Beste ist. Im Vorbeilaufen habe ich einen kurzen Blick auf die Straße riskiert, wo die Cops gerade dabei waren, das Gebäude zu stürmen. Und dann geschah diese dumme Sache mit den Schafen.
Vermutlich sind sie vom Viehtransporter gefallen, dem Paul bei seinem kleinen Amoklauf vorhin in den Reifen geballert hatte, vielleicht waren sie aber auch schon immer da und wurden nur nie bemerkt, aber auf jeden Fall standen diese Viecher vor der Bank und glotzten mich blöde durch die Scheibe an. Aber nicht lange, denn ein übermotivierter Polizist überfuhr eines von ihnen in diesem Moment mit seinem Dienstwagen. Konnte wohl nicht mehr bremsen oder so. Scheiße, sah das furchtbar aus. Überall spritzte Blut und der ganze Kram, der normalerweise in so einem Schaf drin ist, durch die Gegend.
Diese Sache würde mir sicher ein wenig Zeit geben, dachte ich und rannte in Richtung Treppenhaus. Es war kaum zu glauben, aber diese Bank war in etwa so gut gesichert, wie das Bett meiner Exfrau. Da konnte auch immer jeder rein. Auf jeden Fall war die Tür nicht abgeschlossen. Es gab auch keine Selbstschußanlagen, Dobermänner oder vollgefressene Wachleute und so kam ich wohlbehalten auf dem Dach des Hochhauses an. Es dauerte ein wenig, bis ich wieder bei Atem war, aber dann bemerkte ich, daß ich ziemliche Scheiße gebaut hatte.
Anders als in Filmen gab es hier nämlich keine Nachbarhäuser, über deren Dächer man mal eben so fliehen kann. Da stand auch kein Hubschrauber, den ich zwar eh nicht hätte fliegen können, der mir aber zumindest ein wenig Selbstbewußtsein gegeben hätte. Ich rannte in Panik kreuz und quer über das Dach und überlegte, was ich nun machen sollte. Von der Tür zum Treppenhaus hörte ich schon die Rufe der Bullen.
„Dreiundzwanzigster Stock - sicher! Vierundzwanzigster Stock - sicher!“
„Scheiße, ist das hoch. Ich kann gleich nicht mehr...“
„Halts Maul, ich muß zählen! Fünfundzwanzigster Stock - sicher!“ Es war wie eine Art Countdown für mich. Wenn es wenigstens ein Versteck gegeben hätte, aber da war nichts.
In Panik ballerte ich mit meiner Knarre ein wenig in die Luft und auf die Tür. Was hätte ich auch sonst machen sollen? Das mußte die Bullen aufgeschreckt haben. Plötzlich sprang nämlich die Tür auf und zwei Männer hechteten auf das Dach, wobei sie noch im Sprung in meine Richtung schossen. Sah aus wie in Matrix, nur hat sich hier nichts gedreht. Es war auch nicht annähernd so ästhetisch, was vor allem daran lag, daß die Bullen keine hautengen Lederklamotten trugen, sondern diese peinlichen grünen Uniformen.
Da war auch keine Zeitlupe und die Kugeln zogen auch keine lustigen Streifen hinter sich her, aber ich schaffte es trotzdem, schnell genug über die Brüstung zu hechten und mich gerade noch mit einer Hand am Dach festzuhalten, während ich mit der anderen meine Knarre fest umklammert hielt.
...
„Laß deine Waffe fallen, dann helf ich dir hoch.“
„Wer garantiert mir, daß du mich nicht verarschst?“
„Du bist eigentlich nicht in der Position, mich in Frage zu stellen.“
„Hey, was würdest du denken, wenn dir jemand in dieser Lage noch ne Knarre an den Kopf halten würde?“
„Die Waffe ist eigentlich genau der Grund, aus dem du vielleicht besser aufgeben solltest.“
Naja, ich hatte immer noch keine andere Wahl. Bis ich meinen Arm hochgerissen und dem Bullen Blei zu spüren gegeben hätte, hätte er mir sicher schon dreimal zwischen die Augen geschossen. Ich gab also auf, ließ meine Knarre einfach fallen und mir von dem Bullen auf das Dach helfen. Der Kerl legte mir Handschellen an und führte mich vorbei an seinem immer noch schnaufenden Kollegen wieder nach unten. Dort sah ich Paul mit Handschellen in einem Wagen sitzen. Er rief mir irgendwas zu. Ich glaube, es etwas in der Art, daß Helme in jedem Fall die bessere Alternative wären oder so. Das half mir natürlich nicht weiter.
Interessanter fand ich da schon den Leichenwagen, der uns auf dem Weg zum Revier entgegenkam um den toten Bullen wegzubringen, dem meine Knarre auf den Kopf gefallen war.