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Die Romantik in Florenz
Ich trennte mich von Sebastian in Florenz. Mitten auf der Ponte Vecchio gegen Abend. Der Arno floss unter uns, Lichtreflexionen tanzten auf den Wellen.
„Was siehst du?“, fragte ich ihn.
„Eine amorphe Masse von Touristen, die sich über die Brücke wälzt“, antwortete er. Ich hatte diese Reise ausgesucht, dieses eine Mal.
„Tu wenigstens so, als wärst du gern hier!“, sagte ich. „Mir zuliebe.“
„Ich mache die ganze Zeit nichts anderes“, gab er zurück.
In meiner Vorstellung war Florenz, ähnlich wie Venedig oder Rom mit Romantik verbunden. Ihm ging es nicht so.
„Florenz sehe ich eher in der Renaissance verhaftet, also deutlich vor der Romantik“, erklärte er mir.
„Gab es Züge in der Renaissance-Epoche?“, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf.
„Heute gibt es welche und ich nehme den nächsten.“
Er machte sich nicht die Mühe, mich aufzuhalten.
Meine Freundin wartete am Bahnhof, ich hatte sie aus dem Zug angerufen. Christiane nahm mich in den Arm und strich mir über den Kopf wie bei einem Kind. Dann fuhren wir zu ihr und tranken Wein. Zwei Flaschen Grauburgunder. Ich redete und weinte. Sie hörte zu und nickte. Am nächsten Morgen ging es mir nicht gut, aber ich holte meine Sachen aus der gemeinsamen Wohnung. Es war nicht viel, fast alles gehörte ihm. Das Klavier, die Bücher, Sofas und Schränke. Das Bett, der Schreibtisch, die Stühle. Wie eine Diebin klaubte ich meine Habseligkeiten zusammen und packte sie in Kartons. Christiane half mir. Wir fuhren zweimal, ihr Wagen war nicht groß. Am Nachmittag rief Sebastian an, ich ging nicht ran.
Im Fitnessstudio waren einige Trainer ausgefallen, ich übernahm gern die Kurse. Bauch, Beine, Po. Sebastian lachte immer darüber. Schon die Bezeichnung fand er erheiternd. Mit Yoga konnte er ebenso wenig anfangen. Für mich war es nicht nur willkommene Ablenkung, der Job machte mir Spaß. Ich übernachtete bei Christiane, aber auf Dauer musste eine neue Wohnung her. Die Mietpreise in den Inseraten waren horrend, es war frustrierend. Meine Freundin beruhigte mich.
„Wir kommen doch gut klar, lass dir Zeit!“
Sebastian schickte Nachrichten, manchmal mehrere an einem Tag.
„Er wird dich wiederhaben wollen“, sagte Christiane. Wir saßen auf ihrem Sofa bei einem Glas Wein.
„Ich mache Bauch, Beine, Po und er ist ein Intellektueller, der an der Uni lehrt“, antwortete ich.
„Das sind die schlimmsten“, kam es von ihr.
Bei einer Wohnungsbesichtigung standen die Bewerber Schlange, der Makler verteilte Bögen zum Ausfüllen. Bei der Frage nach dem Beruf schrieb ich Bauch, Beine, Po. Dann zerknüllte ich das Papier und ging. Im Studio fing mein Yin-Yoga-Kurs an.
„Wir werden loslassen“, sagte ich den Teilnehmerinnen, „uns nur auf unser Innerstes konzentrieren.“ Die Frauen hörten mir zu.
Abends kochten Christiane und ich. Ihre Lieblings-Musik lief, Norah Jones und Mark Knopfler. „Wo sind bei dir die scharfen Messer?“, fragte ich. Sie gab mir eines, ich schnitt die Zwiebeln. Eine Nachricht von Sebastian blinkte auf dem Handy. Christiane wischte mit einem Tuch über den Tisch und sah mich an. Sie verdrehte die Augen.
„Schreibt der immer noch?“
Er hatte ein Restaurant in Kreuzberg vorgeschlagen. Bitte, sag ja, stand da zum Schluss. Ich machte mir Gedanken über die Garderobe. Nicht zu sexy. Attraktiv, aber dezent und seriös. Der enge Pulli mit Rollkragen in beige sah im Spiegel gut aus. Eine lange Kette darüber. Keine, die ich von ihm geschenkt bekommen hatte, eine von früher. Dazu die neuen Stiefel. Der Mantel farblich passend. Ein letzter prüfender Blick. So ging es.
Das Restaurant machte einen gehobenen Eindruck, weiße Tischdecken, gedämpftes Licht. Die Kellner bedienten die Gäste in schwarzen Hemden und Krawatten. Er war schon da. Ich konnte ihn von draußen an einem der Tische am Fenster sehen. Er trug ein Jackett über dem weißen T-Shirt, die Beine lässig übereinanderschlagen. Ein Kellner kam zu ihm, er schickte ihn mit einer Handbewegung weg. Sein Blick wanderte ungeduldig von der Armbanduhr zur Eingangstür. Er griff nach dem Handy und tippte darauf herum. Bei mir summte es. Wo bleibst du, las ich. Meine Erstarrung löste sich. Abends kühlte es ab, Mitte Oktober und es fing zu nieseln an. Ich knöpfte den Mantel zu und machte kehrt. In der U-Bahn schickte ich ihm eine Entschuldigung. Eine Antwort kam nicht. Die Stationen flogen vorbei, im Fenster spiegelte sich mein Gesicht. Ich sah es an.