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Die Neuen oder Herrn Schills Komparativ, Eva und ich
oder
Geburt und Herkunft der Querdenkerszene
Als ich aus dem Wagen steig, liegt er auf ein Kissen gestützt in einem offenen Fenster im zwoten Stock und ich vernehm zum ersten Mal seine Stimme: „He, Sie da! Parken S’e mal rasch woanders!“
Schon als wir eingezogen sind, ist mir der dicke große Kerl aufgefallen. Während ein anderer neuer Nachbar ungefragt mit anpackte, stapfte der große dicke Kerl mitten durchs Gewimmel amateurhafter Möbelpacker, hielt mit der rechten Hand einen mächtigen Spieß schräg über seine Schulter gelegt und verschwand im Treppenhaus ohne ein Wort.
Ich sollte ihn von nun an täglich sehen und selbst wenn ich grüßte, er blieb stumm. Er ist der Mensch, der dafür sorgt, dass der Rasen vor und hinterm Haus englisch kurz bleibt und er scheint der Mensch zu sein, der Unkraut und Kraut zu definieren weiß und mit chemischen Keulen die natürliche Auslese kultiviert. Aber zu Anfang sprach er kein Wort, obwohl der andere Nachbar mich beim ersten Pils nach dem Umzug vor diesem Ehepaar warnte, denn es wären Sabbeltaschen, sie träten alles breit, tratschten rum und wähnten sich als Blockwart und Hausmeister.
Als ich ihn also das erste Mal sah, trug er mit der rechten Hand eine Partisane schräg über seine Schulter gelegt ins Haus. Und jetzt, als ich aus dem Wagen steig, liegt er auf ein Kissen gestützt in einem offenen Fenster im zwoten Stock und ich vernehm zum ersten Mal seine Stimme: „He, Sie da! Parken S’e mal rasch woanders!“
Auf meine Frage, warum, antwortet er: „Weil S’e hier falsch parken …“
„Das wüsst' ich aber“, antworte ich.
„Hör’n S’e mal, ich wohn hier seit zwanzig und mehr Jahren, bin hier der älteste Mieter und ich werd doch wohl wissen, wer wo hier parken darf.“
Ich wiegle ab: „Kann sein, muss aber nicht. –
Und warum geht Sie das was an?“
„Hör’n S’e mal, junger Mann“, betont er übermäßig, „ich will Sie vor ’nem Strafmandat schützen, denn die Straße wird oft kontrolliert.“
„Ach ja?“, sag ich nur noch.
„Aber sicher!
Zudem lieb ich Ordnung, kenn mich aus in Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien, -
bin der einzige hier, der Auge und Ohr offen hält.
Und ich sag Ihnen, die Ordnungswidrigkeit wird Sie vierzig Euro kosten.“
Vierzig Euro -
rattert’s in Cents durch meinen Kopf.
Ich steig wieder ein und fahr den Wagen weg, wenn auch nur gleich um die Ecke und vielleicht auch nur um des lieben Friedens willen.
Wie ich zurückkehr, seh ich schon von der Ecke aus, dass vorm Eingang ein anderer Wagen steht. Ich gehe schnell hin. Eine dralle Frau, die mir irgendwie bekannt vorkommt, hantiert am Kofferraum mit vollen Einkaufstaschen, die sie offensichtlich allein nicht tragen kann. Ich sprech sie an: „Wissen Sie, dass Sie hier falsch parken?“
Sie antwortet zunächst mit einem „Ach!“, und schüttelt den Kopf.
„Das wüsste ich aber“, antwortet sie und fährt fort: „Junger Mann, ich wohn mit meinem Mann seit mehr als zwanzig Jahren hier und ich werd doch wissen, ob ich hier parken darf oder nicht.“
Ich versuch’s weiter: „Liebe Frau, ich will Sie vor einem teuren Strafmandat bewahren. Mein Nachbar hat mir gerade gesagt, dass es vierzig Euro koste, hier falsch zu parken.“
„Ach wissen Sie, junger Mann, das sagt mein Mann immer, wenn jemand Fremdes unbefugt unseren Parkplatz vor der Haustür blockiert.“
Publikum sammelt sich auf der Straße. In den anderen Fenstern bewegen sich Gardinen, Fenster werden quergestellt, gar geöffnet. Wetten werden abgeschlossen, was als Nächstes geschieht.
Jetzt merk ich erst, dass der dicke Kerl immer noch im Fenster liegt, denn er mischt sich ein: „Seh’n S’e nicht, dass die Frau die schweren Taschen allein nicht tragen kann?
Geh’n S’e ihr doch zur Hand, Mann.
Oder können S’e keine Taschen tragen?
Sie sind doch kein Hedonist, oder?
Haben S’e’s im Rücken? –
Oder woll’n S’e einfach nicht helfen?“
Wie im Reflex ergreif ich vier Taschen und überlass der drallen Frau eine Packung seidenweichen Toilettenpapiers, die ich nicht mehr untern Arm klemmen kann. Wir gehen gemeinsam durch die Haustür in den zwoten Stock. Ich schleppe mich mit dem Zeug vier lang andauernde Treppen hinauf, muss auf halbem Weg auf dem Treppenabsatz eine Verschnaufpause einlegen. Sie aber schreitet rüstig und frisch voran.
Es geht in die Puppenstube meines neuen Nachbarn. An der Tür steht groß Herrmann & Schill. Und da weiß ich, woher ich die Frau kenn’.
Der dicke Kerl begrüßt mich mit den aufmunternden Worten: „Junger Mann, von der Stirne heiß rinnen muss der Schweiß! Den schlechten Mann muss man verachten, der nie bedacht, was er vollbringt. Das ist's ja, was den Menschen zieret und dazu ward ihm der Verstand, dass er im innern Herzen spüret, was er erschafft mit seiner Hand.“
Und seine Frau Eva, da bin ich mir jetzt sicher, fährt fort, während ich durch beider Hilfe mit vier schweren Taschen an der Hand in die Puppenstube bugsiert werde: „Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben, muss wirken und streben und pflanzen und schaffen, erlisten, erraffen, muss wetten und wagen, das Glück zu erjagen. Da strömet herbei die unendliche Gabe, es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe, die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus.“
Nachdem beide mir Stuhl und Getränk angeboten haben, fährt Frau Herrmann fort: „Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder, und herrschet weise im häuslichen Kreise, und lehret die Mädchen und wehret den Knaben, und reget ohn' Ende die fleißigen Hände und mehrt den Gewinn mit ordnendem Sinn.“
Und der Herr des Hauses fähret fort mit dem hoch gebildet’ Wort: „Wo rohe Kräfte sinnlos walten, da kann sich kein Gebild’ gestalten, wenn sich die Leute selbst befrei’n, da kann die Wohlfahrt nicht gedeih’n. Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte der Feuerzunder still gehäuft, der Mensch, zerreißend seine Kette, zur Eigenhilfe schrecklich greift! Da zerret an der Glocken Strängen der Aufruhr, dass sie heulend schallt und, nur geweiht zu Friedensklängen, die Losung anstimmt zur Gewalt“, das Frau Herrmann weitergibt: „Freiheit und Gleichheit! hört man schallen, der ruh’ge Bürger greift zur Wehr, die Straßen füllen sich, die Hallen, und Würgerbanden zieh’n umher. Da werden Weiber zu Hyänen und treiben mit Entsetzen Scherz, noch zuckend, mit des Panthers Zähnen, zerreißen sie des Feindes Herz. Nichts Heiliges ist mehr, es lösen sich alle Bande frommer Scheu, der Gute räumt den Platz dem Bösen, und alle Laster walten frei.“
Schließlich sprechen beide zugleich: „Gefährlich ist's, den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn, jedoch der schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh denen, die dem Ewigblinden des Lichtes Himmelsfackel leih’n! Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden und äschert Städt’ und Länder ein.“
Ich bedanke mich für meine Mühe und werde den Herrmanns und Schills „ihren“ Parkplatz direkt vor der Haustür überlassen.