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Die Magie der ersten Begegnung
Wir treffen uns Nachts, auf einer Eisenbahnbrücke. Ich sehe sie an den Gleisen entlang auf mich zukommen.
Die Sturmlaterne, die sie trägt, pendelt im Rhythmus ihrer Schritte. Ich bin aufgeregt, das Herz klopft wie ein Specht gegen die Brust.
Der Widerschein der Laterne reflektiert von den stählernen Streben, deren Bögen sich über die Brücke spannen. Merkwürdigerweise ist der erste Meter der schweren Streben mit gelben und roten Streifen gemustert. Es sieht aus, als würden sie Ringelsocken tragen. Außer dieser kleinen Seltsamkeit scheint die Umgebung lebensecht zu sein.
Welcher kleine Gott hat das entworfen?
Unter uns fliesst still ein Flüsschen, doch leise zirpen die Grillen aus dem hohen Gras, dass an dem Bahndamm wächst.
Zwischen den Bahntrassen wachsen Unkräuter und ein paar Schnipsel Aldiprospekt.
Sie weiß genau, was sie will und wie sie es erreichen kann, ich lese es am Rhythmus ihrer Schritte und meine Augen folgen dem pendelnden Licht. Anscheinend beginnt sie mich schon in ihren Bann zu ziehen, bevor sie überhaupt hier ist. Diese Erkenntnis schenkt mir etwas Klarheit. Ich nutze diesen Moment und ziehe den Schlapphut tiefer ins Gesicht, um meine Augen vor dem Laternenlicht abzuschirmen.
Ich bin so gut vorbereitet wie man es nur sein kann.
Eine Woche lang sammelte ich die versteckten Trümpfe des Lebens, um sie jetzt darzubieten.
Meine Morgengabe, mit rastlosen Blicken zusammengestohlen. Ansonsten hätte ich schon verloren, bevor das Spiel überhaupt beginnt. Den ehrlichen Kampf Mann gegen Frau versuche ich zu meiden. Ich verlege mich lieber auf das falsch spielen. Auf Illusionen und Tricks.
Ich werde bluffen und den Jackpot knacken. Aber sie ist eine echte Herausforderung. Sie ist die Bank, der Hauptgewinn, der Croupier und die Mitspieler.
Das wird ein schwieriger Trick, denke ich und streichele zu meiner Beruhigung den Pandabär, der in meiner Tasche genüßlich an einem Bambus nuckelt.
Trotz der Gefahr, durch das Licht hypnotisiert zu werden, riskiere ich noch einen Blick auf die Näherkommende. Mittlerweile hat sie schon zwei Drittel des Weges zurückgelegt.
Über ihrem Kopf schwebt ein riesiger Sack, den sie an einer blauen Leine hinter sich herzieht.
Wahrscheinlich hat sie darin einen Elefanten versteckt. Was sonst sollte in einem riesigen fliegenden Sack stecken?
Gegen einen fliegenden Elefanten würde es schwer werden, da könnte höchstens der jonglierende Panda mithalten, aber dass ist nicht sicher.
Das Licht kommt fortwährend näher, ich blicke zum Boden und sehe bald den Flammenschein, der eine runde Helligkeit aus der Nacht schneidet.
“Hallo Herr Schlapphut.” Ihre Stimme ist hell wie etwas ausgesprochen helles. Sehr weiblich. Ich sehe die wiegenden Hüften in ihren blitzenden Augen förmlich vor mir. So keck. “Hallo Fräulein Gamasche” sage ich.
“Finden sie unsere Pseudos nicht ein bisschen dämlich? Wie sind sie nur darauf gekommen? Und warum treffen wir uns eigentlich auf einer Eisenbahnbrücke?, hier fahren doch Züge.”
In meinem Kopf rattern die Synapsen wie eine vollgeladene Diesellok, die einen steilen Berg hochschnauft. Ich glaubte, das sie diese Pseudos vorgeschlagen hat, ebenso wie diesen Treffpunkt. Wieso sollte ich mich auf einer Eisenbahnbrücke treffen wollen und solch seltsame Tarnnamen wählen? Ich kann mich nicht erinnern, derartiges vorgeschlagen zu haben und muss gleichzeitig einräumen, dass es verdammt nach mir klingt.
Ich hebe den Kopf und sehe sie an. Der Anblick ist überraschend.
Ihr Gesicht liegt quer auf dem Hals - die rechte Wange geht in den Hals über. Außerdem fehlt der obere Teil des Gesichts, als hätte es jemand über der Nase abgeschnitten. Wo ihre Stirn sein sollte, ist Dunkelheit.
“Na, genug geschaut?” Ihre linke Wange schaut mich fragend an. Ich wusste gar nicht, dass Wangen so etwas können.
“Es ist das erste mal, dass mein Blind Date wirklich keine Augen hat.”, sage ich. Sie mustert mich einen kurzen Moment. “Sie wissen aber das dort, wo andere einen Kopf tragen, bei ihnen ein Iglu steht?”
Ich zucke die Schultern und wechsele das Thema. “Wie ich mich ihnen bereits brieflich vorgestellt habe, mein Name ist Würfel, Würfel Schlapphut. Zauberer.” Ich ziehe den Schlapphut vom Iglu und verneige mich vor ihr. Sie betrachtet mich abwartend.
“Zauberer, ja, das haben sie geschrieben. Mir scheint es ein bisschen übertrieben, da sie noch nicht mal einen Zylinder tragen.” Augenblicklich verwandele ich den Schlapphut in einen Zylinder. Diesen Trick habe ich vorbereitet, die Frage bietet sich so sehr an.
Ihre Augen werden staunend groß, ich wundere mich, dass Wangen so was können.
Zufrieden schaue ich sie an. “Na, Lust auf einen Trick?” frage ich. Doch sie lässt sich nich so leicht beeindrucken wie ich es mir gewünscht hätte und beginnt - quasi als Gegenzauber - von innen heraus zu leuchten.
Strahlen durchstoßen ihren Mantel und es sieht aus, als würden die himmlischen Heerscharen ihre neuesten Schusswaffen ausprobieren.
Da reichen keine großen Augen mehr. Das Iglu auf meinem Kopf schmilzt und bildet eine riesige Pfütze am Boden, die die Form einer Iris hat.
Funken sprühen aus ihren Sommersprossen und bilden ein Netz von leuchtenden Sternen um sie herum. Iris staunt.
Glücklicherweise trug ich ein Iglu, ansonsten wäre ich jetzt kopflos. Gerade bei der Magie einer ersten Begegnung lohnt es, einen kühlen Halsfortsatz zu bewahren.
Mein linker Arm taucht tief in den Zylinder und zieht einen Kopf heraus, der eine Sonnenbrille trägt. Ich schraube ihn auf meinen Hals.
Die Sonnenbrille reflektiert ihr Leuchten. “Wow, so sieht das aus?, pholl cool.” Murmelt sie und starrt in ihren eigenen Zaubertrick. Das Fräulein ist erst einmal beschäftigt. Jetzt ist es an der Zeit nachzusetzen.
In meinen weiten Manteltaschen befinden sich Dimensionslöcher, durch die ich die Trümpfe ziehen kann. Ich angele nach zwei besonderen Augenweiden. Bald habe ich sie gefunden.
Das Fahrrad mit dem Ara stelle ich links von mir und das kleine Mädchen zu meiner rechten. Es ist ein bisschen umständlich, das Fahrrad aus der Manteltasche zu ziehen, weil der Ara mir ständig in den rechten Daumen hackt. Dafür sieht er um so schöner aus.
Ich entstaube sein Gefieder und kämme ihm kurz über seine Kopffedern. Dann schaue ich dem Mädchen in die Augen, die noch genauso strahlen wie vor drei Tagen, als ich ihren Anblick auf der Straße stahl. Alles bestens, das müsste Eindruck schinden.
Ich schüttele Fräulein Gamasche an den Schultern, damit sie aus ihrer Traumwelt erwacht. Wer hätte gedacht, dass es so einfach gehen würde?
Sie sieht das Mädchen, das einen gemalten Schmetterling auf ihrem Gesicht trägt, schlägt die Hände zusammen und sagt: “Oh wie süß!”, dann geht sie auf die Kleine zu und krault ihr das Kinderköpfchen.
“Jetzt” flüstere ich dem Ara ins Ohr. Gleichzeitig knistere ich mit der Pinienkerntüte in meiner Tasche. Der Vogel beginnt ein herzzerreißendes Lied zu singen, von Liebe und Sonnenuntergang. Jetzt habe ich sie. Diesem Kombo konnte noch kein Fräulein widerstehen.
Die Selbstzufriedenheit breitet sich in mir aus wie ein schmieriger Ölteppich.
Das Fräulein Gamasche dreht sich zu mir um. Ich erwarte ihre leicht geöffneten Lippen zu sehen, die mich küssen wollen oder wenigstens ein paar zärtliche Worte in die Dunkelheit entlassen. Automatisch schließe ich die Augen und folge meinen Lippen in ihre Richtung.
“Hast du dir gedacht, was?” Sagt sie statt dessen schelmisch. Überrascht öffne ich die Augen und nehme die Sonnenbrille ab. Sie lächelt, aber es ist keines von diesen verzückten, hingerissenen Lächeln, wie ich es mir gewünscht hätte. Sondern eines von der Sorte, die man benutzt wenn man mehr weiß, als der andere.
Ihre Hand ruckt an dem Seil, dass zieht den Sack runter. Unter dem Sack ist ein Schild, auf dem in funkensprühender Leuchtschrift - Funken scheinen ihre Spezialität zu sein - Buchstaben entstehen, die sich zu Worten reihen.
Willenlos verfolge ich das Spektakel, die Sonnenbrille fällt mir aus der Hand. Das ist echte Magie. Mist.
Die Worte bilden Verse, die Verse ein Gedicht. Eines von denen, die Kunstfertigkeit mit echtem Gefühl verbinden. Könnte ich so schreiben, ich hätte es selber getan. Auf einmal fühle ich mich klein und erbärmlich.
Der Ölteppich in meinem Inneren schlägt leck und verpestet meine Selbstzufriedenheit, ich merke, dass meine Metaphern auch nicht mehr funktionieren und lasse den Kopf hängen. Das Gedicht sprüht vor meinem inneren Auge weiter.
Und auf einmal ergibt alles einen Sinn, ich sehe wie das Schicksal die heutigen Karten ausgegeben hat und dass ich eine Chance verspielte, die ich hätte nutzen sollen. Heute wäre der Zeitpunkt gewesen, die Karten offen zu legen. Zwischen den Zeilen wächst eine überwältigende Erkenntnis in mir heran und ich möchte sie für das Fräulein in Worte fassen, aber meine Zunge gehorcht mir nicht. Ich möchte weinen und tue nichts.
“Scheiße, Verszeitlose.” entfährt es dafür meinem Gehirn, dass sich anfühlt wie schockgefrostet. Seltsame Worte, die nicht einmal mir etwas sagen.
Der Specht, der mein Herz ist, hämmert langsam und dafür mit doppelter Kraft. Alles Blut in meinen Adern fliesst auf die rechte Körperhälfte, in ihre Richtung.
Ich bin jetzt das Meer, fließend und formbar. Sie ist mein Mond.
Alles in mir drängt zu ihr, doch das Meer wird von diesem fiesem Schmierteppich erstickt, durch den jetzt eine ernüchternde Wahrheit den Kopf steckt. Die Wahrheit sieht aus wie eine Lachmöwe. “Ahahaha, das hättest du niiicht gedaaacht, großer Zauberer? Zu spät, zu spät... verloren.” lacht mich die Möwe aus.
Nun wäre es an der Zeit, mich selber als Illusionisten zu entlarven und auf Errettung durch ihren echten Zauber zu hoffen. Es wäre an der Zeit, sie anzuflehen, mich als Zauberlehrling anzunehmen. Doch ich sage davon keinen Ton, sondern krame nach dem Panda und hoffe, dass er alles das ausdrücken wird, was ich nicht zu sagen imstande bin.
Ich ziehe den Hosentaschenpanda aus meiner Manteltasche und halte ihn genau zwischen unsere Halsfortsätze, wie man eine Reliquie halten würde, von der man ein Wunder erhofft.
Der Bär jedoch denkt nicht daran ein Wunder zu wirken, sondern nuckelt ungerührt an seinem Bambus.
Anscheinend wird die Rettung nicht von außen kommen, ich muss selber aktiv werden.
Angestrengt angele ich nach Worten und finde tatsächlich ein paar, die tief in mir herumschwimmen. Mit der Entschlossenheit eines Hochseeanglers ziehe ich sie herauf und treibe den unbekannten Fang über meine Zunge in die Aussenwelt.
Doch die erhoffte Rettung erweist sich als ein kleinlautes:
“Hier, für dich.” Ich reiche ihr den nuckelnden Panda.
Fräulein Gamasches linke Wange schaut mich ein bisschen gerührt an. Wangen könne so was.
“Danke. Ich liebe Pandas.” sagt ihr lächelnder Mund. Dann dreht sie sich um und verschwindet an den Gleisen entlang in der Dunkelheit. “Vielleicht sieht man sich noch einmal wieder?” rufe ich ihr hinterher.
“Ja, vielleicht.” antwortet sie.