Was ist neu

Die Machete

Mitglied
Beitritt
07.10.2015
Beiträge
515
Zuletzt bearbeitet:

Die Machete

„Der Mathis kriegt ne Cosetta“, sagte mein Vater. Er hielt die Schultern leicht vornübergebeugt und ich schaute hinauf in sein Gesicht, als hätte ich nicht verstanden.
Ich kannte mich indes in solchen Dingen damals aus. Eine Cosetta, das war ein Jollenkreuzer. Sie war ganz aus Holz gebaut, das hätte mir gefallen, allerdings war sie etwas klein. Die Boote, die mich zu dieser Zeit in Atem hielten, waren stattlicher. Aber sie war schon ein gutes Boot, so eine Cosetta, und nüchtern betrachtet in jedem Fall ein hübsches Stück, wenn es einem Jungen unvermittelt versprochen wird.

Mathis, das bin nicht ich, das ist mein Bruder. Das Boot hat er nie bekommen, aber der Tag, an dem der Satz fiel, ist mir fest im Gedächtnis. Ich weiß genau, was war.

Das obere Gericht, in dem die Verhandlung anberaumt war, lag reichlich eine Autostunde von unserem Wohnort entfernt. Wir waren früh losgefahren, damit ganz sicher nichts dazwischenkam. So war noch Zeit übrig, die der Partner meiner Mutter zu nutzen wusste, indem er uns ohne Umwege in die Kantine führte. Es schien, als musste er das Gebäude nur betreten, um sich bereits auszukennen.

Wir saßen dann zu dritt vor unseren Tellern. In meinen Händen Messer, Gabel. Vor meinen Augen Tische, Stühle. Menschen, die umherliefen wie jeden Tag. Für alle diese Leute war das hier ganz normal, sagte ich mir, und ich versuchte, ebenso wie sie an den gewöhnlichen Dingen Halt zu finden. Nach jedem Bissen schaute ich auf die Uhr, als könnte ich so die Zeiger bannen. Und doch wollte ich, dass das, was gleich kommen sollte, hinter mir lag. Ich stocherte mit der Gabel auf meinem Teller. Es war immer noch Zeit. Der Partner meiner Mutter hatte sich mit einer Papierserviette den Mund abgewischt und nun ruhte seine große Hand auf der Tischplatte, die zerknüllte Serviette locker von den Fingern umschlossen. Er schob die Zunge über seine Zahnflächen und saß da, als gehörte die Kantine ihm. Ich schaute auf die Uhr.

Schon hier in der Kantine wusste ich, was ich bei der Anhörung zu sagen hatte. Mein Standpunkt musste ganz deutlich sein. Unbedingt musste ich deshalb davon erzählen, wie Vater die Machete schliff. Das war etwas Handfestes, und es war erprobt. Darauf konnte ich mich verlassen.

Die Machete: Mein Urgroßvater hatte sie im Ersten Weltkrieg am Gürtel getragen, als er mit den Tirailleurs sénégalais, den Senegalschützen, gegen die preußischen Hunnen kämpfte. Die Machete ist nicht wie die wenigen anderen Dinge aus dem großen Krieg, die bei uns überdauert hatten, in einer Kiste auf den Speicher geschafft worden, sondern sie wurde in der Werkstatt im Keller unter die Rasenscheren, Grubber, Gartenhacken geworfen und als alltägliches Arbeitsgerät gebraucht. Niemand außer mir nahm sie in die Hand wie eine Reliquie. Wann immer ich in den Keller ging, etwa wenn ich Vater den Obstpflücker in den Garten brachte, freute ich mich schon auf der Treppe daran, wie ich dem archaischen Gegenstand näher kam. In der Werkstatt zog ich die breite Schublade ganz auf, bis sie sich unter ihrem Gewicht verkantete, schob mit beiden Händen die Gartengeräte zur Seite und hob von ganz hinten die Lederscheide ans Licht. Ich ließ die Machete langsam aus der Hülle gleiten und wog die Klinge in den Handflächen. Dabei malte ich mir aus, wie vielleicht wirklich mit dem Messer, vor vielen Jahren und weniger wahr durch die seither vergangene Zeit, auf jemanden eingehauen, gar jemand umgebracht worden sein konnte. Die Vorstellung erschreckte mich nicht, sie lockte mich, obgleich sie wenig wahrscheinlich war. Der Uropa habe an der Front vor allem mit dem Schälmesser gekämpft, gab Vater zur Antwort, als ich einmal fragte. Ich hakte kein zweites Mal nach.

Im Übrigen war die Machete schon ursprünglich nicht zum Töten gedacht. Für einen echten Nahkampf soll sie nahezu nutzlos gewesen sein. Dennoch trug jeder der Tirailleurs eine Machete zur Uniform. Sie war ein Symbol: Der ist anders, sollte man über meinen Uropa denken, wenn man das Messer an seinem Rock hängen sah. Diese Leute kämpfen nicht, sollte man denken, sie schlachten. Schaut sie euch an, die furchtbaren Wilden.

Über diese Machete wollte ich im Gerichtssaal sprechen.
Ich habe kein echtes Bild von dem Saal mehr vor Augen. In der Erinnerung sehe ich nur mich und den Tisch, an dem ich saß. Und genauso sprach ich: Als wäre ich allein. Als wäre der Richter nicht da. Als wäre auch Vater nicht da. Ich spüre noch heute den spärlich besetzten Raum um mich herum, den ich nicht ausfüllen konnte, ein Bild habe ich nicht mehr dazu. Ich weiß es aber: Vater saß irgendwo hinter mir. Als ich hineingeführt worden war, hatte ich ihn gesehen. Die Geschichte von der Machete musste ich trotzdem liefern, denn sie stimmte ja. Und wenn sie stimmte, musste Vater sie hören.

Niemand hat Vater zuvor die Machete schleifen sehen. Sie muss einmal geschliffen werden, das alleine wäre kein Erschrecken wert gewesen. Aber wie ernst, wie stumm er es tat. Wie lange es dauerte. Er stand in der Werkstatt im Keller, schliff und schliff. Wir Brüder schoben uns an die Tür heran, und da sahen wir ihn, grell beleuchtet von der Neonlampe. Das Gesicht hing ihm nach unten, auch als wir auf der Schwelle standen, schaute er nicht auf. Ich sehe ihn im Gedächtnis vor mir, höher und schmaler, als er war. Er stand, führte die Klinge über den Stein, und es endete nicht.

„Er hat dann später“, erklärte ich dem Gericht, „das Haus verlassen. Er ist aus der Tür gegangen, ohne etwas zu sagen, hat das Auto genommen. Wir haben die Machete gesucht, überall. Sie war weg. Vater ist lange ausgeblieben. Er kam endlich wieder, aber die Machete war noch immer nicht am Platz. Mein Bruder und ich, wir haben dann den Autoschlüssel vom Regal genommen, heimlich, sind nach draußen vors Haus gegangen, haben das Auto aufgeschlossen und haben nachgeschaut. Auf der Fußmatte unter dem Beifahrersitz, da hat sie gelegen.“

Ich sprach ruhig und sachlich, ich hatte es schon mehr als einmal getan. Ich sah auf meine Hände, die flach auf der Tischplatte lagen, und erklärte, warum ich das erzählte, wie es mich erschüttert hat. Nachdem ich einmal zu reden begonnen hatte, ging es leicht. Das dumpfe Ziehen im Leib hatte mich verlassen wie einen Schauspieler, der die Bühne betreten und das erste Wort gesprochen hat. Ich legte dar, was Vater mit der Machete wollte, wozu er meinem Eindruck nach bereit gewesen wäre. Man musste einsehen: der Mann ist gefährlich. Bei ihm kann man nicht wohnen.

Ich hatte Übung darin, die Schwere und die Furcht zu übertreiben, die uns ergriff, als damals die Machete fehlte. Ich übertrieb darin, was wir, die Brüder, unserem Vater zutrauten. Ich hatte mich längst daran gewöhnt, die Possen selbst zu glauben, die ich dabei trieb. Ich musste, denn es ging um viel.

Natürlich wollte Vater damals wirklich, dass wir dachten, er bereite sich darauf vor, den Liebhaber meiner Mutter, von dem er seit wenigen Tagen wusste, mit der Machete in der Hand zur Rede zu stellen. Vielleicht schlich er dann später sogar tatsächlich scheu um die Wohnung des anderen Mannes oder saß im Auto eine Weile verstohlen davor, während er eine Zigarette nach der anderen rauchte. Aber es spielte keine Rolle, wohin er mit dem Schlachtmesser fuhr. Es ging darum, dass man ihn sah, während er es schliff. Schaut mich an, wollte er sagen: So sieht es in mir aus. Wenn einer erleben muss, was ich erlebe, seht her, dann müsste man sich nicht wundern, wenn er geradezu eines Verbrechens fähig wäre. So steht es um mich, schaut es euch an!, ich habe den Boden unter mir verloren ganz wie ein Verbrecher. Das wollte er zeigen. Es ging ihm darum, dass wir Kinder ihn baten, aufzuhören, obgleich er keine Antwort gab.

Das war zum Zeitpunkt der Verhandlung schon um die drei, vier Jahre her. Vater wollte mich nach der Trennung unbedingt bei sich haben und er kämpfte unnachgiebig darum. Ich sei doch eigentlich bei ihm zu Hause. Wir drei müssten doch zusammenhalten: Mathis, er und ich. Um nichts anderes ging es mehr, wenn ich am Telefon mit ihm sprach oder wenn wir bei einem seiner Besuche gemeinsam einen Spaziergang im Park machten, damit er Mutter nicht begegnen musste. Er sprach davon, wie verlassen das große Haus nun sei. Wie er jeden Tag den Tisch deckte und wie dabei mein Teller leer blieb. Wie er in mein Zimmer ging und meine Hausschuhe in die Hand nahm, die dort zurückgeblieben waren. Er streichele täglich über die Hausschuhe, sagte er mir am Telefon. Mein Zimmer rühre er sonst nicht an, sagte er. Ich müsse wieder zu ihm. Es gab nur doch das. Ich hielt den Hörer und wartete, bis das Gespräch zu Ende war. Mir wurde das alles zu viel und ich stieß Vater von mir. Es kam eben so. Mathis blieb bei ihm.

Der Vorfall mit der Machete hatte sich mit den Jahren verändert, er war mir zu einem Geschenk geworden, dessen ich mich bediente. Ich fand, er lieferte ein überzeugendes Argument. Ein mächtigeres hatte ich nicht.

Meine Anhörung dauerte nicht lange. Es hätte wohl genügt, denke ich heute, wenn ich in wenigen Worten gesagt hätte, was ich wollte. Heute zweifle ich kaum daran, dass der Richter über das Schauspiel, das ich für ihn aufbrachte, hinwegsah. Damals aber glaubte ich, auf die Geschichte nicht verzichten zu können, und meine Mutter hatte sich keine Mühe gegeben, mir den Glauben zu nehmen.
Von der Verhandlung bekam ich weiter nichts mit. Wie habe ich das Urteil mitgeteilt bekommen? Ich weiß es nicht mehr, weiß nur, dass ich eine Weile draußen im Gang stand. Ich wartete stehend, es gab nichts zum Sitzen im Gang, wie ich mich erinnere, beschwören könnte ich es nicht. Warum war niemand bei mir? Hohe Türen standen im langen Gang, zwei hohe Fenster nur ganz am Ende, und hinter den Türen verhandelten sie weiter. Wie lange? Es kann nicht sehr lange gewesen sein, denn ich wartete doch draußen auf dem Gang. War ich denn allein? War nicht der Partner meiner Mutter bei mir, den die anderen längst meinen Stiefvater nannten? Es scheint mir, als müsse er dabei gewesen sein.
Aber dann kam Vater heraus, und da war ich doch allein.

Ich gebe dir nicht die Hand, sagte er, als er vor mir stehen blieb. Sagte er das? Gab er mir nicht die Hand? Ich glaube. Dann sagte er: Der Mathis kriegt ne Cosetta.
Er ging weg. Eine Cosetta. Selbst wenn!, dachte ich. Wie armselig! Der hat ja nichts kapiert. Der hat nicht begriffen, um was es ging. Dass er wirklich meinte, das Ganze habe etwas mit Gegenständen zu tun, die man hat oder nicht hat. Ich fühlte mich reif und überlegen. Er hatte nichts begriffen, und jetzt hatte er kein Recht mehr auf mich. Da ging er fort mit seinen schnellen Schritten, den vertrauten schnellen Schritten, bog um und war aus dem Gang heraus.
Der Mathis kriegt ne Cosetta, sagte mein Vater zum Abschied, und im Stillen lachte ich ihn dafür aus.
Was hätte er auch sagen sollen?

 

Hallo erdbeerschorsch,

das finde ich eine sehr starke Geschichte. Ein stilles Familiendrama, in dem niemand stirbt (auch wenn du ein bisschen mit der Möglichkeit spielst) und trotzdem eine Menge Tragik drinsteckt. Vor allem gefällt mir, dass hier niemand gut oder böse ist. Der Vater nicht, der ja nur ein Verlassener ist und damit nicht so gut klarkommt. Der Erzähler nicht, der angesichts seines kindlichen Alters wohl nicht so recht weiß, was für eine schwere Anklage er da erhebt, und doch nur das Gericht zur gewünschten Entscheidung bewegen will. Die Mutter und ihr Freund nicht, über die man wenig erfährt, die aber zumindest den Erzähler nicht zu dieser Aussage angestiftet haben (so jedenfalls mein Eindruck). Und auch der Richter nicht, der ja offenbar über die übertriebene Aussage des Jungen hinwegsieht, aber trotzdem die naheliegende Entscheidung trifft, ihn der Mutter zuzusprechen, bei der er ja auch wohnen will. Letztlich tun also alle ihr Bestes im Rahmen ihrer Möglichkeiten und der Situation, und trotzdem geht am Ende etwas Wichtiges unwiederbringlich kaputt, nämlich die Beziehung des Jungen zum Vater. Ein bisschen wie in der griechischen Tragödie, in der der Held gerne als "schuldlos schuldig" werdend beschrieben wird. In den Worten deines Prot: Es kam eben so.

Schön auch, wie du so ganz allmählich eröffnest, dass man der Erinnerung des Erzählers nicht hundertprozentig trauen kann. Heute nicht, aber auch damals schon nicht, als er die in mehrfacher Nacherzählung aufgebauschte Geschichte mit der Machete vorträgt. Ich könnte mir vorstellen, dass das Peeperkorn gefällt, der sich ja auch so seine Gedanken über das Verhältnis von Erinnerung und Fiktion macht.

Wenn ich etwas kritisieren sollte, dann tatsächlich dein Spiel mit Andeutungen, dass der Vater wirklich etwas Böses mit der Machete vorgehabt oder sogar durchgeführt haben könnte. Das könnte man als etwas effektheischend ansehen, wobei du natürlich andererseits Interesse und ein bisschen Spannung erzeugen willst/musst, weil so eine im Wortsinne alltägliche Geschichte zwar für die Beteiligten sehr dramatisch ist, für die Leser aber möglicherweise langweilig wirkt. Nein, ich denke, ich möchte das gar nicht kritisieren. :)

Ein bisschen Textkram:

Er hielt die Schultern leicht vornübergebeugt und ich schaute hinauf in sein GesichtKomma als hätte ich nicht verstanden.

damit ganz sicher nichts dazwischen kam
"dazwischenkam" zusammen

Schon hier in der Kantine wusste ich, was ich bei der Anhörung zu sagen hatte.
"Schon" wirkt etwas merkwürdig. So würde man formulieren, wenn die Anhörung noch Wochen in der Zukunft läge, aber dass man kurz vor der Verhandlung "schon" weiß, was man sagen will, sollte eher der Normalfall sein.

Mein Standpunkt musste ganz deutlich sein, das hätten sie mir nicht noch einmal einzuschärfen brauchen. Unbedingt musste ich deshalb davon erzählen, wie Vater die Machete schliff.
Das klingt so, als hätten Mutter und Freund ihm eingeschärft (ist das Wortspiel eigentlich Absicht?), von der Machete zu erzählen. Weiter unten klingt es, als hätte ihn die Mutter nur nicht davon abgebracht. Nur etwas unklar oder schon irreführend?

nicht wie die wenigen anderen andere Dinge
Wort doppelt

Wann immer ich in den Keller ging, etwa wenn ich Vater den Obstpflücker in den Garten brachte, freute ich mich schon auf der Treppe daran, wie ich dem archaischen Gegenstand näher kam. In der Werkstatt zog ich die breite Schublade ganz auf, bis sie sich unter ihrem Gewicht verkantete, schob mit beiden Händen die Gartengeräte zur Seite und hob von ganz hinten die Lederscheide ans Licht. Ich ließ die Machete langsam aus der Hülle gleiten und wog die Klinge in den Handflächen.
Der Detailreichtum der Beschreibung verrät, welche Bedeutung dieser Akt für ihn hatte. :thumbsup:

Dennoch trug jeder der tirailleurs eine Machete zur Uniform
"Tirailleurs" großschreiben?

Ich sehe ihn im Gedächtnis vor mir, höher und schmalerKomma als er war.

„Er hat dann später“, erklärte ich dem GerichtKomma „das Haus verlassen. Er ist aus der Tür gegangenKomma ohne etwas zu sagen, hat das Auto genommen.

Mathis, erKomma raus und ich.

Ich gebe dir nicht die HandKomma sagte er, als er vor mir stehen blieb.

Gern gelesen!

Grüße vom Holg ...

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo erdbeerschorsch,

was für eine Geschichte! Da wird die Machete, das faszinierende Erbstück aus fernen Tagen, zum stummen Belastungszeugen in einem Sorgerechtstreit.

Stilistisch und inhaltlich bin ich vollauf begeistert, obwohl ich nicht behaupten möchte, auf Anhieb alles verstanden zu haben.

Gut dargestellt ist der Unterschied zwischen dem Vater und dem neuen Partner der Mutter, der eine hat den Boden unter den Füßen verloren, der andere muss ein Gebäude nur betreten, um sich darin auszukennen. Das macht die Motivation des jungen Ich-Erzählers klar, der, um bei der Mutter leben zu dürfen, das Schleifen der Machete als Gewaltakt übertreibt, damit die Verbindung zwischen dem Tirailleur des ersten Weltkriegs und dem betrogenen Ehemann herstellt. Aber schon der Urgroßvater erfüllt die Erwartung nicht so recht, er war wohl eher in der Küche beschäftigt als im Schützengraben.
Gut gefallen hat mir auch das Versprechen des Bootes, das eine Klammer um den Text bildet, aber auch den letzten hilflosen Versuch des Vaters zeigt, den Sohn doch noch für sich zu gewinnen.
Entscheidet sich der Ich-Erzähler aber wirklich nur deshalb für die Mutter, weil ihm deren Freund so gut gefällt oder der Vater sich so verzweifelt klammert? Die Mutter selbst tritt fast nicht in Erscheinung und in den wenigen Stellen wird sie nicht gerade positiv dargestellt. Aber wenn du der Meinung bist, genügend Hinweise im Text verstreut zu haben, und ich einfach nicht gründlich genug bei der Suche war, dann werde ich dir das glauben.

Für mich brauchst du da (fast) gar nichts ändern (der Kommafehler hatte sich The Incredible Holg ja schon angenommen), allerdings bin ich hier über zwei Stellen beim Ausdruck gestolpert:

Die Machete ist nicht wie die wenigen anderen andere Dinge, die aus dem großen Krieg bei uns überdauert hatten, in einer Kiste auf den Speicher geschafft worden, sondern sie wurde in der Werkstatt im Keller unter die Rasenscheren, Grubber, Gartenhacken geworfen und als alltägliches Arbeitsgerät gebraucht.
"die aus dem großen Krieg bei uns überdauert hatten" klingt irgendwie schief. Vielleicht besser: die wenigen anderen Dinge aus dem großen Krieg, die bei uns überdauert hatten?

Wann immer ich in den Keller ging, etwa wenn ich Vater den Obstpflücker in den Garten brachte, freute ich mich schon auf der Treppe daran, wie ich dem archaischen Gegenstand näher kam.
Ich kenne "daran erfreuen" oder "darauf freuen", aber "daran freuen"?

Insgesamt fand ich's toll.

Viele Grüße
Ella Fitz

 

Hallo erdbeerschorsch,

das ist eine Geschichte, die mir gefällt. Sie ist ruhig erzählt, nicht spektakulär und ohne Volten, die dem Leser die Spannung erhalten sollen. Ein Vater kämpft um die Liebe seiner Kinder. Er benutzt eine Drohgebärde, die eher der Verzweiflung als dem Hang zur Gewalttätigkeit entspringt. Und der Sohn benutzt diese Gebärde, um - ja, worum geht es dem Sohn? Da liegen - so wie ich es sehe - zwei Gefühlsschichten übereinander, und es ist noch nicht ausgemacht, ob auf Dauer das Mitleid mit dem gestrauchelten Vater nicht doch überwiegen wird.

Das ist sehr subtil erzählt mit großem Einfühlungsvermögen in die Gefühlswelt von Scheidungskindern, die gezwungen werden, Partei zu ergreifen.

Mir persönlich gefällt auch der weitgehende Verzicht auf emotional aufgeblähte Dialoge. Das brauchen die Charaktere hier nicht.

Gern gelesen
wieselmaus

 

Hallo erdbeerschorsch

Ich könnte mir vorstellen, dass das Peeperkorn gefällt, der sich ja auch so seine Gedanken über das Verhältnis von Erinnerung und Fiktion macht.

Ja, aber nicht nur deswegen.
Witzig, ich habe deine Geschichte unterwegs angelesen und gedacht, das ist genau mein Ding, und als ich daheim ankam, hatte Holg dich und mich schon darauf aufmerksam gemacht. (Dennoch merci, lieber The Incredible Holg, wäre schade, wenn einem so was entgehen würde.)

Also, du merkst, dass mir dein Text sehr gefallen hat, vor allem auch in inhaltlicher Hinsicht. Du erzählst sehr unaufgeregt und dennoch (deswegen) schaffst du es, diese Erinnerung auch für den Leser bedeutsam werden zu lassen, man kriegt die tragische Dimension des Geschehens mehr und mehr zu spüren.
Thematisch finde ich persönlich die Frage nach der Schuld derjenigen, die noch gar nicht wirklich schuldig werden können, extrem spannend, das ist etwas, das mich beschäftigt und was mich an deinem Text sehr angesprochen hat. Ich finde, du hältst das sehr gut in der Schwebe.

Es kam eben so.

Kauf ich und ich finde gut, dass du hier nicht mehr Erklärung nachschiebst. Wenn der Erzähler nach Rechtfertigungen suchen, z.B. die Liebe zu seiner Mutter hervorheben würde, dann würde die Sache (ich bin nicht sicher) vielleicht kippen, für mich hat das gepasst, diese Aussparung, der Leser muss sich da was ausdenken und das ist in diesem Fall gut.

Vom inhaltlichen als auch von erzählerischen Aspekt her finde ich deinen Text grossartig. Chapeau!

Ein paar Kleinigkeiten:

Ich weiß genau, was war.

Sorry, aber ich bin sehr versucht, den Satz zu klauen, wenn ich mal wieder Erinnerung thematisieren und / oder einen unzuverlässigen Erzähler einführen will. Sind ja nur 5 Wörter.

Wir waren rechtzeitig losgefahren, damit ganz sicher nichts dazwischen kam. So war zunächst noch Zeit übrig, die der Partner meiner Mutter zu nutzen wusste, indem er uns ohne Umwege in die Kantine führte.

Ich würde, „früh“ schreiben, denn irgendwie war’s ja nicht wirklich rechtzeitig, sondern zu früh. „Früh“ ist auch ein schöneres Wort als „rechtzeitig“. Alternativ: „Wir waren zeitig losgefahren.“
Das „zunächst“ würde ich streichen, ist überflüssig.

Es schien, als musste er das Gebäude nur betreten, um sich bereits auszukennen.

Ich kann’s nicht genau begründen, mich stört das „bereits“, würde es vielleicht durch ein „darin“ ersetzen oder ganz streichen. Wirkt einfach eleganter.

Wir saßen dann dort zu dritt vor unseren Tellern.

Wo sonst? Streichen.

Für alle diese Leute war das hier ganz normal, sagte ich mir, und ich versuchte, ebenso wie sie an den gewöhnlichen Dingen Halt zu finden.

Aber für die ist doch alles normal, die brauchen keinen Halt zu finden.

Ich stocherte mit der Gabel auf meinem Teller und sah den Bratkartoffeln zu, wie sie langsam weniger wurden.

Finde ich eine schwierige Formulierung. Mein Vorschlag: „Ich sah, wie die Bratkartoffeln weniger wurden.“

seine Zähneflächen

Zahnflächen

Das war etwas Handfestes, und es war erprobt. Darauf konnte ich mich verlassen.

Weshalb erprobt? Er hat es geprobt. Aber erprobt heisst: in seiner Wirkung bestätigt. Und das ist die Erzählung nicht.

Mein Urgroßvater ist aus dem heutigen Burkina Faso zuerst als Soldat nach Frankreich gekommen. Als wieder Frieden war, verheiratete er sich bald nach Genf und entkam so mit Glück dem zweiten Krieg.

Würde ich ersatzlos streichen. Das leistet nichts für die Geschichte, eröffnet ein Nebengeleis, das nicht befahren wird. Die Infos, die du oben gegeben hast, reichen, um die Machete zu verorten.

Niemand außer mir nahm sie heimlich in die Hand wie eine Reliquie.

Zwei Infos in einem Satz. Mir fallen dann stets so blöde Fragen ein, wie: „Die anderen haben sie also nicht heimlich in die Hand genommen, sondern vor den Augen aller?“

In der Werkstatt zog ich die breite Schublade ganz auf, bis sie sich unter ihrem Gewicht verkantete, schob mit beiden Händen die Gartengeräte zur Seite und hob von ganz hinten die Lederscheide ans Licht. Ich ließ die Machete langsam aus der Hülle gleiten und wog die Klinge in den Handflächen.

Klasse! Du arbeitest mit den Dingen, gibst diesen eine Bedeutung, die über das Materielle hinausreicht, auf eine elegante Weise.

Dabei malte ich mir aus, wie vielleicht wirklich mit dem Messer, vor vielen Jahren und weniger wahr durch die seither vergangene Zeit

Kapier ich nicht.

Ich hakte kein zweites Mal nach, um meine verborgene Zuneigung zu dem alten Kriegsgerät nicht zu gefährden.

Sei mutig und lass diese Erklärung weg. Der Leser, der selbst drauf kommt, wird es dir danken.

Im übrigen war die Machete schon ursprünglich nicht zum Töten gedacht.

Im Übrigen

Als ich hereingeführt worden war, hatte ich ihn gesehen.

Aus der Perspektive des Erzählers wurde er hineingeführt.

Und wenn sie stimmte, musste Vater sie hören.

Irritierend. Klasse!

Aber wie ernst, wie stumm er es tat. Wie lange es dauerte. Er stand in der Werkstatt im Keller, schliff und schliff. Wir Brüder schoben uns an die Tür heran, und da sahen wir ihn, grell beleuchtet von der Neonlampe. Das Gesicht hing ihm nach unten, auch als wir auf der Schwelle standen, schaute er nicht auf. Ich sehe ihn im Gedächtnis vor mir, höher und schmaler als er war. Er stand, führte die Klinge über den Stein, und es endete nicht.

Eine super Passage, für mich der atmosphärische Höhepunkt der Geschichte. Auch der folgende Abschnitt ist toll.

Was hätte er auch sagen sollen?

Gibt der Sache noch einen letzten Drall. Ich bin nicht sicher, ob der Text ohne diesen Satz stärker wäre, und das meine ich nicht rhetorisch. Ich würde noch mal darüber nachdenken.

Der hat Tiefe, dieser Text.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo Incredible Holg, Ella Fitz, Wieselmaus und Peeperkorn,

vielen Dank für eure erfreulichen und hilfreichen Kommentare! Ich freu mich darauf, später im Detail zu antworten, aber ich muss es verschieben. Hier, wo ich gerade bin, ist es schon 2 Uhr nachts, wenn ich jetzt noch mit dem Antworten anfange, werde ich nicht vor Sonnenaufgang fertig :)

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo Erdbeerschorch,

ein hochbrisantes Thema (mir fallen gleich mehrere ähnliche Situationen aus meiner Umgebung ein), so dargestellt, dass man mitten in dem Drama des Erzählers landet, seine Leid spürt ohne, dass es auch nur einmal benannt wird. Im Gegenteil.

Der Mathis kriegt ne Cosetta, sagte mein Vater zum Abschied, und im Stillen lachte ich ihn dafür aus.

The Incredible Holg urteilt da erheblich milder als ich, aber ich merke, dass ich beim Lesen total wütend werde auf die Erwachsenen. Zuallererst auf den Vater, der sich vor den Kindern so gehen lässt in seiner Gekränktheit. Selbst wenn der Junge die Situation mit der Machete übertreibt, ist das ein starkes Stück.
Auch die Art, wie er sich an die Kinder klammert, sie unter Druck setzt, ihre Loyalität einfordert, hat etwas sehr egoistisches.

Wie er jeden Tag den Tisch deckte und wie dabei mein Teller leer blieb. Wie er in mein Zimmer ging und meine Hausschuhe in die Hand nahm, die dort zurückgeblieben waren. Er streichele täglich über die Hausschuhe, sagte er mir am Telefon. Mein Zimmer rühre er sonst nicht an, sagte er. Ich müsse wieder zu ihm.

Was mich fast wundert ist, dass die Art, wie der Vater den Kindern Schuldgefühle macht, bei dem Erzähler so wenig verfängt. Man weiß nicht genau, wie alt der Junge ist, ich schätze so zwölf? Aber es macht auch Sinn, dass er das eben total abblockt und sich deshalb an die Situation mit der Machete klammert. Das ist greifbarer und ein Kind könnte nicht sagen. "Mein Vater benutzt mich."

Dass die Mutter ihn vor Gericht die Geschichte mit der Machete erzählen lässt, ist von ihrer Seite wieder unverantwortlich. Nie scheint es wirklich um den Jungen zu gehen, sondern immer nur um die Bedürfnisse der Erwachsenen. Die sehen zu, wie der Junge diesen Verrat auf sich lädt, weil es ihnen in den Kram passt. Gut, wie du andeutest, dass das möglicherweise gar nicht nötig gewesen wäre.

Und dann der "neue Partner von meiner Mutter" (toll, diese umständliche Benennung für den Mann, der dem Jungen ja aufgezwungen ist.).

Er schob die Zunge über seine Zähneflächen und saß da, als gehörte die Kantine ihm. Ich schaute auf die Uhr.

Super, das mit der Zunge, ich habe sofort ein Bild. Auch keiner, der versucht, sich in den Jungen einzufühlen.

Übrigens denke ich auch an den Mathis, der die Cosetta nicht bekommt. Der hätte ja bald noch eine eigene Geschichte verdient.

Also, ich merke, dass ich gleich tief inhaltlich in diese Geschichte einsteige, was ein gutes Zeichen ist. Zu meckern habe ich im Moment noch nichts, vielleicht fällt mir später noch was ein.

Liebe Grüße von Chutney

 

Hallo erdbeerschorsch,

nachdem du mir diese zwei sehr konstruktiven Kritiken geschrieben hast, möchte ich mich nun auch an einen deiner Text ranwagen :)
Du hast deine Geschichte ja in viele kleinere Abschnitte eingeteilt, deshalb ist es glaube ich unklug, jeden einzelnen dieser Abschnitte aus dem Kontext zu reißen und seperat zu beurteilen. Deswegen erstmal etwas Allgemeines. Kennst du das Buch "Der kleine Nick und seine Freunde"? Früher war das einer meiner Lieblingsbücher. Dein Schreibstil und besonders die Erläuterungen durch deinen Protagonisten haben mich daran erinnert. Sonst fällt es mir schwer, in stillistischer Hinsicht größere Stolpersteine in deiner Geschichte auszumachen, dafür ist die Balance meiner Meinung nach zu ausgewogen - im postitiven Sinne, ist das Erste, was ich loswerden will. Ins Stolpern gekommen bin ich an folgenden Stellen:

Es schien, als musste er das Gebäude nur betreten, um sich bereits auszukennen.
Hier ist die Formulierung nicht so meins. Auch bevor ich die anderen Kommentare gelesen hatte, kam es mir nicht so vor, als sei das der Ausgangssatz. Man merkt irgendwie, finde ich, dass er bereits ein wenig umgestellt wurde. Vielleicht ersetzt du dieses "bereits" wirklich, wie schon von Ella Fitz vorgeschlagen, durch ein "darin". Das würde dann meiner Meinung noch mehr verdeutlichen, dass es auf das Innere des Gebäudes bezogen ist.

Unbedingt musste ich deshalb davon erzählen
"Deshalb" könnte weg, oder? Schließlich ist er noch nicht sehr weit auf das Thema eingegangen.

Vater ist lange ausgeblieben. Er kam endlich wieder, aber die Machete war noch immer nicht am Platz.
Hier stört mich der Übergang zwischen dem ersten und dem zweiten Satz ein wenig. Erst heißt es, er sei auf lange Zeit weggegangen und im Folgesatz schreibst du, es käme endlich wieder. Da habe ich irgendwie nicht das Gefühl, das wirklich so viel Zeit vergangen ist.

Ein anderer Aspekt ist vielleicht noch das Alter deines Protagonisten und dessen Eindrücke, Gedanken etc. Deine Beschreibungen wie beispielsweise die zur Cosetta haben bei mir schon früh das Bild gefestigt, dass der Bruder von Mathis noch sehr jung sein muss. Eingeschränkt wird das hingegen durch die Sache mit der Uhr beim Essen. Ganz auf den Kopf stellt den Gedanken natürlich die Tatsache, dass dein Protagonist auf dem Weg zu einer Anhörung ist. Was ich damit sagen möchte? Dass mir der Ausgleich zwischen den Beschreibungen mit dem Boot bzw. Cosetta und dem folgenden Teil auf dem Weg zum Gericht etwas überrascht hat. Du hüpfst da für mich zu stark zwischen den Eindrücken eines kleinen Kindes und dem Leben eines Jugendlichen (?) hin und her.

Sonst hat's mir sehr gefallen :gelb:!
SCFuchs

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber erdbeerschorsch,

mir gefällt deine Geschichte, mir gefällt dein Stil, deine lakonische Art des Erzählens und mir gefällt die Beschreibung der Situation und wie du der Handlung ihre spezielle Atmosphäre gibst.
Probleme hatte ich mit der Nachvollziehbarkeit dessen, was mir erzählt wird. Ich glaube, Ella Fitz hat es schon angesprochen. Warum verhält sich der Ich-Erzähler so, wie er sich verhält? Warum ist es ihm wichtig, diese Geschichte mit der Machete zu erzählen. Warum will er nicht zurück zu seinem Vater? Ist es die Bewunderung für den neuen Partner der Mutter, den du mit wenigen Sätzen so ausgezeichnet charakterisierst.

Oder ist es der Vater selbst, den der Ich-Erzähler als scheu und schwach bezeichnet, der nur vorgibt zu handeln, und doch nur Mitleid will?

Natürlich wollte Vater damals wirklich, dass wir dachten, er bereite sich darauf vor, den Liebhaber meiner Mutter, von dem er seit wenigen Tagen wusste, mit der Machete in der Hand zur Rede zu stellen. Vielleicht schlich er dann später sogar tatsächlich scheu um die Wohnung des anderen Mannes oder saß im Auto eine Weile verstohlen davor, während er eine Zigarette nach der anderen rauchte. Aber es spielte keine Rolle, wohin er mit dem Schlachtmesser fuhr. Es ging darum, dass man ihn sah, während er es schliff. Schaut mich an, wollte er sagen: So sieht es in mir aus. Wenn einer erleben muss, was ich erlebe, seht her, dann müsste man sich nicht wundern, wenn er geradezu eines Verbrechens fähig wäre. So steht es um mich, schaut es euch an!, ich habe den Boden unter mir verloren ganz wie ein Verbrecher.

Mir erschließt sich dieser Sohn nur schwer. Er kämpft im Gerichtssaal darum, nicht zu diesem Vater zu müssen, verstärkt die Geschichte mit der Machete.

Ich legte dar, was Vater mit der Machete wollte, wozu er meinem Eindruck nach bereit gewesen wäre. Man musste einsehen: der Mann ist gefährlich. Bei ihm kann man nicht wohnen.

Aber warum? Weiß er es vielleicht selber nicht und ist eben, wie Holg es schon vermutete, ein Erzähler, dem man nicht vertrauen kann? Ist alles nur der Versuch einer Rechtfertigung, um das eigene Verhalten vor sich selber zu begründen? Das mag sein.

Besonders schwer macht es mir auch dein Schluss:

Selbst wenn!, dachte ich. Wie armselig! Der hat ja nichts kapiert. Der hat nicht begriffen, um was es ging. Dass er wirklich meinte, das Ganze habe etwas mit Gegenständen zu tun, die man hat oder nicht hat. Ich fühlte mich reif und überlegen. Er hatte nichts begriffen, und jetzt hatte er kein Recht mehr auf mich.

Hier bringst du einen neuen Aspekt ein: die Loslösung vom Vater, der seinen Besitz einfordert? Das ist ein neuer Gedanke, ein neuer Pfad, der in eine Freudsche Richtung weist.

Und das ist dann auch mein Problem mit deiner Geschichte: Sie ist mir zu wenig eindeutig, zu schillernd, verwirrt mich als Leser. Ich suche nach einer Erklärung für das Handeln des Jungen. Und das versucht er selbst vermutlich auch. Aber das thematisierst du, wenn überhaupt, nur indirekt. Da stehen sich der neue Partner, der souverän die Situation beherrscht, und der Vater, der scheu und mitleidheischend ist, aber letztendlich unfähig mit dem Betrug der Mutter umgeht, gegenüber.
Zum Schluss erscheint es mir dann aber so, als lehne der Junge sich gegen den Besitzanspruch des Vaters auf.
Was also ist sein Motiv? Oder ist es auch für ihn undurchschaut und er sucht mit seiner Darstellung nach einer nachträglichen Begründung, nach einer Rechtfertigung. Der Versuch, Ordnung in etwas zu bringen, was sich nicht wirklich ordnen lässt.

Wenn es deine Absicht war, diesen Jungen so zu zeichnen, dann ist es dir gelungen. Der Konflikt steckt dann in ihm: Ebenso wenig wie der Leser das Verhalten des Jungen packen kann, kann er es wohl selber. Dann würde dein Text eine Darstellung der Zerrissenheit eines jungen Menschen sein, der sich mit seiner eigenen Entscheidung auseinandersetzen muss.

Alles möglich – oder auch nicht.

Mir ist dein Text unterm Strich zu vage, er lässt für mich einen zu weiten Interpretationsspielraum, lässt mich zwar über ihn nachdenken, doch gibt er mir zu wenig an Anhaltspunkten, die mich seine Aussage oder die Intention des Autors erkennen lassen. Mich stört am Ende dann doch die Beliebigkeit der Deutung. Aber das ist vermutlich nur mein Problem.

In jedem Fall ein interessanter und lesenswerter Text.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo erdbeerschorsch,

bisher wurde ja schon einiges zu deiner Geschichte gesagt und ich will mich der Meinung meiner Vorredner nur anschließen. Die Geschichte ist genial geschrieben und zieht einen sofort in den Bann. Wie du mit der Fantasie der Leser spielst und mit kleinen Andeutungen falsche Fährten legst, ist genial. Da ich die letzten Tage fast ausschließlich Horrorgeschichten gelesen habe, war ich mir schon fast schon zu sicher, dass jetzt etwas Blutiges passieren muss. Das hat mich bei der Stange gehalten und die Auflösung kam dementsprechend überraschend.

Das obere Gericht, in dem die Verhandlung anberaumt war, lag reichlich eine Autostunde von unserem Wohnort entfernt.

Das reichlich eine Autostunde finde ich etwas ungewöhnlich von der Wortwahl. Kann aber natürlich auch Präferenz sein.

In meinen Händen Messer, Gabel.

Ich liebe an sich Aufzählungen, als ich das jedoch gelesen hatte, geriet der Lesefluss kurz ins Stocken. Vielleicht weil Messer UND Gabel etwas üblicher ist.

Er schob die Zunge über seine Zähneflächen und saß da, als gehörte die Kantine ihm.

Zahnflächen oder Zähne. Als gehörte die Kantine ihm gefällt. Kann man natürlich nur deuten, klingt aber so, als ob der Junge nicht allzu begeistert von dem Partner ist. Ist das so?:D

Eine Cosetta. Selbst wenn!, dachte ich. Wie armselig! Der hat ja nichts kapiert. Der hat nicht begriffen, um was es ging.

Die kurzen Sätze lassen den Erzähler noch etwas kindlicher und trotziger wirken, sehr schön.

Sorry, dass mein erster Beitrag eine Kritik ist. Die fiel allerdings nicht negativ aus und nachdem ich die Geschichte gelesen hatte, dachte ich mir, wow da musst du mal etwas schreiben. Hat mir, wie gesagt, sehr gefallen.

Beste Grüße,
Kazensis

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber The Incredible Holg,

vielen Dank also noch einmal für deinen Kommentar!
Die Fehler, die du moniert hast, sollten jetzt alle beseitigt sein. Ansonsten kann ich mich nur darüber freuen, wie schön du die Konstellation zusammenfasst. So prägnant hätte ich das wahrscheinlich selbst nicht gekonnt.

Manches ist - ich muss gestehen: absichtlich - etwas effektheischend, da hast du recht. Anfangs, als die Geschichte entstanden ist, war das sogar noch stärker, ich hatte es noch länger offen gelassen, worum es in der Verhandlung ging, welche Rolle der Vater spielt usw. Es hat etwas gedauert, bis ich darauf gekommen bin, dass das albern war. Du bestätigst mir, dass es auch so noch dick genug aufgetragen ist.

Schon hier in der Kantine wusste ich, was ich bei der Anhörung zu sagen hatte.
"Schon" wirkt etwas merkwürdig. So würde man formulieren, wenn die Anhörung noch Wochen in der Zukunft läge, aber dass man kurz vor der Verhandlung "schon" weiß, was man sagen will, sollte eher der Normalfall sein.
Gut, da muss ich mir noch etwas einfallen lassen. "Schon" könnte vielleicht einfach weg. Ich habe gehofft, dadurch anzudeuten, er sich die Aussage "schon" zurecht gelegt hat, aber stimmt, das geht so nicht.

Mein Standpunkt musste ganz deutlich sein, das hätten sie mir nicht noch einmal einzuschärfen brauchen. Unbedingt musste ich deshalb davon erzählen, wie Vater die Machete schliff.
Das klingt so, als hätten Mutter und Freund ihm eingeschärft (ist das Wortspiel eigentlich Absicht?), von der Machete zu erzählen. Weiter unten klingt es, als hätte ihn die Mutter nur nicht davon abgebracht. Nur etwas unklar oder schon irreführend?
"Unbedingt wollte ich usw." könnte eventuell eine Lösung sein? Oder ich lasse das Einschärfen (kein absichtliches Wortspiel übrigens) weg. Die Mutter hat ja wahrscheinlich schon auch Lampenfieber und könnte z.B. fürchten, dass der Sohn von der Gegenseite irgendeine Frage gestellt bekommt, die darauf abzielt, dem Sohn doch zu entlocken, dass ihm am Vater etwas liegt. Sie denkt sich dann eben: Je drastischer, desto besser. Aber die Mutter ist eigentlich nicht Thema, deswegen reicht es vielleicht, stehen zu lassen, dass sie ihn nur nicht von seiner Aussage abbringt.

Dennoch trug jeder der tirailleurs eine Machete zur Uniform
"Tirailleurs" großschreiben?
Hab ich gemacht. Ich hatte das kursiv, aber das ist beim Einkopieren des Textes verloren gegangen. Gegen die Großschreibung spricht, denke ich, gar nichts.

Schönen Gruß vom erdberschorsch

------------

Liebe Ella Fitz,

Stilistisch und inhaltlich bin ich vollauf begeistert,
(Ich brauche fast nicht zu sagen, dass ich das gerne höre)

obwohl ich nicht behaupten möchte, auf Anhieb alles verstanden zu haben
Es kann schon sein, dass das Gefüge noch immer etwas zu verschachtelt ist. Die Befürchtung hatte ich in jedem Fall. Ich finde immer schwer einzuschätzen, wie viel Erklärungen nötig sind. Als derjenige, der sich das ausgedacht hat, versteht man halt immer alles...

Entscheidet sich der Ich-Erzähler aber wirklich nur deshalb für die Mutter, weil ihm deren Freund so gut gefällt oder der Vater sich so verzweifelt klammert?
Der Freund dürfte kein so sehr großes Gewicht haben, eher das Klammern. Aber es kann gut sein, dass die Sicherheit, die der Freund ausstrahlt, eine Rolle für die Entscheidung spielt. Ich hatte im Entwurf mal eine Passage drin, die erklärt hat, warum der Sohn sich für die Mutter entscheidet. Kurz gesagt: Erst war es Zufall, dann Gewöhnung. Ich fand aber, dass diese Erklärung den Plot zu sehr aufgebläht haben.

"die aus dem großen Krieg bei uns überdauert hatten" klingt irgendwie schief. Vielleicht besser: die wenigen anderen Dinge aus dem großen Krieg, die bei uns überdauert hatten?
Es klingt besser, finde ich auch. Ich denke, das übernehme ich.

Ich kenne "daran erfreuen" oder "darauf freuen", aber "daran freuen"
Jetzt, wo du's sagst... Ich werde mir etwas überlegen. "Daran freuen" geht nicht gut, weil der eigentliche Gegenstand ja noch nicht erreicht ist, "darauf" auch nicht, weil das Näherkommen immerhin schon statt findet.

Ganz herzlichen Dank!
Schöne Grüße
erdbeerschorsch

--------------

Liebe wieselmaus,

Auch an dich einen herzlichen Dank für deinen Kommentar! Es freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat! Mir wiederum gefällt deine kurze Interpretation der Geschichte. :)

und es ist noch nicht ausgemacht, ob auf Dauer das Mitleid mit dem gestrauchelten Vater nicht doch überwiegen wird.
Genau, dass sollte letztlich offen bleiben. Aber es könnte eine Weile dauern, bis der Sohn wagen wird, sich das selbst zu fragen. Von der Perspektive des Erinnernden Erzählers aus sollte es eigentlich soweit sein, dass das Mitleid überwiegt. Das hatte ich ich im Entwurf schon mal deutlicher, aber ich finde, so ganz knapp angedeutet genügt es auch.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

-------------

Lieber Peeperkorn,

Vielen Dank auch für deinen Kommentar - und hier muss auch ein weiteres Dankeschön an den Holg gehen, der dich indirekt auf die Geschichte angesetzt hat :)

Ich weiß genau, was war.
Sorry, aber ich bin sehr versucht, den Satz zu klauen, wenn ich mal wieder Erinnerung thematisieren und / oder einen unzuverlässigen Erzähler einführen will.
Nur zu. Mal sehen, ob es mir dann auffällt ;)

Wir waren rechtzeitig losgefahren, damit ganz sicher nichts dazwischen kam. So war zunächst noch Zeit übrig, die der Partner meiner Mutter zu nutzen wusste, indem er uns ohne Umwege in die Kantine führte.
Ich würde, „früh“ schreiben, denn irgendwie war’s ja nicht wirklich rechtzeitig, sondern zu früh. „Früh“ ist auch ein schöneres Wort als „rechtzeitig“. Alternativ: „Wir waren zeitig losgefahren.“
Das „zunächst“ würde ich streichen, ist überflüssig.
"Früh" oder "zeitig" - danke, das ist beides besser und obendrein habe ich noch die Auswahl. Ich überleg mir, was ich nehme. "Zunächst" kann wohl wirklich weg. Ich erinnere mich, dass ich das relativ spät eingefügt habe, irgendwie dachte ich, das bräuchte man. Warum ich das dache, weiß ich nicht mehr...

Es schien, als musste er das Gebäude nur betreten, um sich bereits auszukennen.
Ich kann’s nicht genau begründen, mich stört das „bereits“, würde es vielleicht durch ein „darin“ ersetzen oder ganz streichen.
Ja, vielleicht weil im "nur" das "bereits" eigentlich schon fast drinsteckt. Ich habe den Eindruck, dass dieses "Bereits" die Regelmäßigkeit leicht verstärkt, soll heißen: Es ist immer wieder so, dass sich der Mann sofort auskennt. "Darin" scheint mir den Fokus dagegen mehr auf das bestimmte Gebäude zu verschieben. Es ist aber gut möglich, dass mein Eindruck von anderen nicht geteilt wird. Immerhin hat auch dem SCFuchs nicht gefallen. Ich lasse es wahrscheinlich erst mal so und denke während dessen darüber nach.

Für alle diese Leute war das hier ganz normal, sagte ich mir, und ich versuchte, ebenso wie sie an den gewöhnlichen Dingen Halt zu finden.
Aber für die ist doch alles normal, die brauchen keinen Halt zu finden.
Ich dachte mir das ungefähr so: Die anderen brauchen die gewöhnlichen Dinge schon auch, um ihren Halt zu bewahren - wenn auch nicht zu finden -, sie merken es nur in der Regel nicht, weil es so selbstverständlich ist. Das war also eine absichtliche kleine Irritation. Kann sein, dass ich sie wieder rausnehme...

Ich stocherte mit der Gabel auf meinem Teller und sah den Bratkartoffeln zu, wie sie langsam weniger wurden.
Finde ich eine schwierige Formulierung. Mein Vorschlag: „Ich sah, wie die Bratkartoffeln weniger wurden.“
Ich tendiere dazu, deinen Vorschlag in dieser oder einer ähnlichen Weise umzusetzen. Ich wollte damit andeuten, dass er beim Essen passiv ist und seinen eigenen Bratkartoffeln zusieht, wie sie verschwinden. Aber von Anfang an kam mir das etwas verspielt vor, jetzt noch mehr.

Das war etwas Handfestes, und es war erprobt.
Weshalb erprobt? Er hat es geprobt. Aber erprobt heisst: in seiner Wirkung bestätigt. Und das ist die Erzählung nicht.
Ja, sehr schön, ich fürchte, da hast du nebenbei eine kleine Baustelle identifiziert. Es sollte schon erprobt heißen, ursprünglich war die Idee nämlich, dass höherinstanzlich verhandelt wird und er die Geschichte tatsächlich schonmal gebracht hat, da aber noch, ohne dass der Vater anwesend war. Das ist dann irgendwann rausgeflogen. Es soll auch nicht wieder rein, aber es gibt noch weitere Reste aus der Version, wenn es nämlich heißt, dass er das nicht zu erden Mal erzählt. Da werde ich mir wohl den Kopf noch mal ein kleines Bisschen zerbrechen müssen.

Mein Urgroßvater ist aus dem heutigen Burkina Faso zuerst als Soldat nach Frankreich gekommen.
Würde ich ersatzlos streichen. Das leistet nichts für die Geschichte, eröffnet ein Nebengeleis, das nicht befahren wird. Die Infos, die du oben gegeben hast, reichen, um die Machete zu verorten.
Jo, danke für den Hinweis, das stimmt!

Niemand außer mir nahm sie heimlich in die Hand wie eine Reliquie.
Zwei Infos in einem Satz. Mir fallen dann stets so blöde Fragen ein, wie: „Die anderen haben sie also nicht heimlich in die Hand genommen, sondern vor den Augen aller?“
Schön aufgespießt :) Den Einwand habe ich sogar so halb kommen sehen. Da muss ich also noch mal ran.

Dabei malte ich mir aus, wie vielleicht wirklich mit dem Messer, vor vielen Jahren und weniger wahr durch die seither vergangene Zeit
Kapier ich nicht
Gemeint war: Es gehört in eine andere Welt, weil es so lange her ist. Es ist ja oft so - wenigstens bei mir - das lange vergangenes Leid nicht so unmittelbar berührt, wie zeitlich näher liegendes. Aber "weniger wahr" ist eine etwas kapriziöse Formulierung, um das auszudrücken, das muss ich wohl zugeben.

Was hätte er auch sagen sollen?
Gibt der Sache noch einen letzten Drall. Ich bin nicht sicher, ob der Text ohne diesen Satz stärker wäre, und das meine ich nicht rhetorisch.
Hier freut es mich besonders, dass du eine Frage stellst, die ich mir selbst stelle. Auf den Drall möchte ich nicht gerne verzichten, da geht es auf das mögliche Mitleid zu, das wieselmaus angesprochen hat. Aber gewaltig ist diese Formulierung nicht. Andrerseits gefällt es mir auch, dass sie eben nicht gewaltig ist. Ich mache es, wie du vorschlägst: Ich denke noch einmal darüber nach!

Ja, also dann: Noch einmal vielen Dank! Freut mich sehr, dass dir die Geschichte gefallen hat!

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Chutney,

Schön, dass du vorbeischaust - und schön, dass du einsteigen konntest..

...ich merke, dass ich beim Lesen total wütend werde auf die Erwachsenen.
Das gefällt mir, obwohl ich es nicht darauf angelegt hatte. Es ist doch (fast) immer gut, wenn eine Geschichte zu Emotionen anregt. Ich wollte aber schon auch den Protagonist zwiespältig belegen, nicht in dem Sinn, dass ich dafür werben wollte, dass er Verantwortung trage, aber doch so, dass man das, was er tut, nicht gut findet. (Auch wenn es wiederum nachvollziehbar sein soll, dass er so handelt.)

Was mich fast wundert ist, dass die Art, wie der Vater den Kindern Schuldgefühle macht, bei dem Erzähler so wenig verfängt...Aber es macht auch Sinn, dass er das eben total abblockt und sich deshalb an die Situation mit der Machete klammert.
Davon hängt viel ab, ob das Sinn macht, und es freut mich, dass du das so siehst. Trotzdem nehme ich auch den Warnhinweis an, dass es evtl. nur noch knapp glaubwürdig sein könnte. Ich habe mir vorgestellt, dass der Junge zur Zeit der Verhandlung maximal 14 ist und mindestens zwölf. Dann kann er zur Zeit des Vorfalls wiederum zwischen 12 und 8 Jahren alt gewesen sein, aber ich würde auch da sage: mindestens 9. Wichtig wäre eigentlich nur, dass es ein Alter gibt, das passt.

Und dann der "neue Partner von meiner Mutter" (toll, diese umständliche Benennung für den Mann, der dem Jungen ja aufgezwungen ist.).
Ja, genauso war es im Grunde gemeint, und ich war auch wirklich ganz froh, als mir das eingefallen ist. "Aufgezwungen" ist aber etwas hart, der Junge entschiedet sich ja immerhin, bei der Mutter mit dem Mann zu leben. Ich muss also eventuell aufpassen, das Verhältnis nicht als zu distanziert anzudeuten...

Er schob die Zunge über seine Zahnflächen und saß da, als gehörte die Kantine ihm. Ich schaute auf die Uhr.
Super, das mit der Zunge, ich habe sofort ein Bild. Auch keiner, der versucht, sich in den Jungen einzufühlen.
Ein wertvoller Hinweis, ich war mir nämlich nicht sicher, wie das wirkt.

Übrigens denke ich auch an den Mathis, der die Cosetta nicht bekommt. Der hätte ja bald noch eine eigene Geschichte verdient.
Da wittere ich noch ein verborgenes kleines Problem: Vielleicht kommt der Mathis in dieser Geschichte doch zu kurz. Warum bekommt er das Boot nicht, aber auch: warum bleibt er beim Vater? Antworten darauf habe ich im Entwurf hier und da mal angefangen, dann aber wieder gestrichen, um das alles nicht zu sehr auszudehnen.

Zu meckern habe ich im Moment noch nichts,
...das ist erfreulich
vielleicht fällt mir später noch was ein.
Immer gerne :)

Vielen Dank für den Kommentar!
Schöne Grüße
erdbeerschorsch

------------------

Lieber SCFuchs,

Freut mich, dich hier in dem Thema anzutreffen.

Kennst du das Buch "Der kleine Nick und seine Freunde"? Früher war das einer meiner Lieblingsbücher.
Das kenne ich nicht, aber es kann mir nur gefallen, dass du dich an einen Stil erinnert fühlst, der dir gefällt.

Unbedingt musste ich deshalb davon erzählen
"Deshalb" könnte weg, oder?
Gut möglich. Ich streiche aber vielleicht den Halbsatz mit dem "Einschärfen", und dann schiene mir das "Deshalb" wieder ganz nützlich, um den Anschluss abzusichern. Aber nicht zwingend, ich behalte es im Hinterkopf.

Vater ist lange ausgeblieben. Er kam endlich wieder, aber die Machete war noch immer nicht am Platz.
(...) Erst heißt es, er sei auf lange Zeit weggegangen und im Folgesatz schreibst du, es käme endlich wieder. Da habe ich irgendwie nicht das Gefühl, das wirklich so viel Zeit vergangen ist.
Stimmt. Dazwischen stand mal ein kurzer Satz, den ich gestrichen habe. "Endlich" geht wahrscheinlich trotzdem, es gibt, meine ich, einen etwas altertümlichen Sprachgebrauch, in dem das Wort so verwendet wird (oder worden ist). Aber der Junge redet ja nicht altertümlich. Sollte ich wahrscheinlich ändern.

Zum Alter des Jungen habe ich gerade Chutney etwas geantwortet. Ich weiß nicht, ob das für dich dann passt. Wenn ein 9-12jähriger ein großer Fan von Segelbooten ist und so eine "Cosetta" vielleicht ein gefeiertes Boot, dann kann man schon damit rechnen, dass er das kennt. Den erinnernden Erzähler habe ich mir übrigens als voll und ganz Erwachsen gedacht - so um die 50 vielleicht. Es gibt also drei Alter derselben Person. Der Hinweis, dass das verwirrend sein kann ist nützlich, und so ganz und gar überrascht er mich nicht einmal.

Herzlichen Dank und beste Grüße
erdbeerschorsch

------------------

Liebe barnhelm,

Vielen Dank für deinen Kommentar. Es gibt also ein Problem, das ist immer wertvoll zu wissen. Ich glaube, ich habe im Vorfeld nicht befürchtet, dass die Geschichte zu vage sein könnte, umso wichtiger ist der Hinweis.

Warum verhält sich der Ich-Erzähler so, wie er sich verhält? Warum ist es ihm wichtig, diese Geschichte mit der Machete zu erzählen. Warum will er nicht zurück zu seinem Vater?
Die mittlere Frage beantworte ich mal zuerst. Er möchte ganz sicher gehen, dass das Urteil in seinem Sinn ausfällt, und da glaubt er, die drastische Geschichte sei ein Trumpf. Vielleicht reicht das aber nicht. Es gibt einen Hinweis auf einen weiteren Aspekt, den ich zwischendurch mal stärker ausgebaut hatte und dann doch weggelassen habe: Die Verhandlung ist bei einem "oberen Gericht", ich habe mir vorgestellt, dass der Vater in einer höheren Instanz klagt. Da wäre die Angst des Jungen womöglich verständlicher, dass die Sache anders ausgehen könnte. Immerhin ist das Anliegen von der höheren Instanz zur Verhandlung zugelassen worden. Dann müsste man sich natürlich frage, warum der Vater vor einer höheren Instanz gehört wird, und tatsächlich hätte ich auch darauf eine Antwort (bzw. einen halb ausgearbeiteten Ansatz) - aber das würde jetzt zu weit führen. Das ist jetzt für sich genommen alles nicht mehr Teil der Geschichte, und ich kann nur hoffen, dass es trotzdem funktioniert. Man könnte sich die Sorge des Jungen vielleicht auch dadurch erklären, dass er so oder so großen Respekt vor einem Gericht hat.
Warum will er nicht zum Vater? Erst Zufall, dann Gewohnheit, so habe ich mir gedacht. Aber ist das wirklich so wichtig? Wenn ja, würde ich wirklich darin so in etwa die Antwort sehen:
Oder ist es der Vater selbst, den der Ich-Erzähler als scheu und schwach bezeichnet, der nur vorgibt zu handeln, und doch nur Mitleid will?
Die Trennung macht dem Sohn auch so schon zu schaffen, da braucht er nicht den Vater um sich, der damit auch nicht klarkommt. (Das Ding mit der Machete war ja noch bevor die Frage überhaupt im Raum stand, wohin die Kinder gehen.) Ich bin mir nicht sicher, ob ich das deutlicher machen möchte. Ja, aber ich würde doch sagen: Wenn mir etwas Gutes einfällt, um das mit einem umspektakulären örtlichen Eingriff zu klären, mache ich es gerne.

...und ist eben, wie Holg es schon vermutete, ein Erzähler, dem man nicht vertrauen kann?
Ein Stück weit ist das zwar so, aber davon sollte die Erklärung nicht abhängen. Ich habe mir sogar auch Gedanken dazu gemacht, die ich dann aber nicht in die Geschichte aufgenommen habe. Ich habe mir nämlich, als mir auch die Frage kam, ob die Dringlichkeit verständlich wird, gedacht, es könnt ja nicht um das Sorgerecht, sondern um das Umgangsrecht gehen. Der Sohn will also sogar nicht, dass der Vater ihn weiter besucht, weil im das Klammern zu viel wird. Das fände ich plausibel (und es würde, nebenbei, auch die höhere Instanz besser erklären). Ich hatte allerdings gehofft, dass man mir die Zusammenhänge auch ohne eine genaue Begründung abnimmt. Abgesehen davon, ob ich da noch nachbessere oder nicht: Mich würde interessieren, ob du die Geschichte nachvollziehbar fändest, wenn es um das Umgangsrecht ginge?

Mich stört am Ende dann doch die Beliebigkeit der Deutung. Aber das ist vermutlich nur mein Problem.
Wahrscheinlich nicht! :)

Beste Grüße
erdbeerschorsch

------------------
Liebe/r Kazensis,

um mit dem Ende anzufangen:

Sorry, dass mein erster Beitrag eine Kritik ist.
Bei mir musst du dich dafür nicht entschuldigen, für mich ist das nur schmeichelhaft. Aber auch sonst wird es gerne gesehen, wenn man nicht nur seine eigenen Geschichten schreibt und mutkommentiert, sondern auch die von anderen. Insofern dürfte der Einstieg völlig in Ordnung sein. Herzlich willkommen hier!

Da ich die letzten Tage fast ausschließlich Horrorgeschichten gelesen habe, war ich mir schon fast schon zu sicher, dass jetzt etwas Blutiges passieren muss. Das hat mich bei der Stange gehalten und die Auflösung kam dementsprechend überraschend.
Ja, schön. Dann hat das wohl funktioniert, wenn auch mit unverhoffter Schützenhilfe.

Deine Kritik an den zitierten Stellen behalte ich im Kopf. Ich finde das immer ganz interessant, wenn etwas zu Einzelstellen gesagt wird, denn das sind häufig ja so schwer greifbare Dinge. Dass etwas ungewöhnlich ist, darauf kann man sich oft noch leicht einigen, aber ob das Ungewöhnliche gut ist oder schlecht, das ist dann schon schwerer zu entscheiden...

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hej, lieber erdbeerschorsch,

wunderbar, so schnell eine neue Geschichte von dir zu lesen. Ich freue mich immer, von dir zu lesen (auch in den Kommentaren).

Mathis, das bin nicht ich, das ist mein Bruder.

Das war echt clever: ein Schock! Mir erst von einem Versprechen zu erzählen und dann das. Ich bin also darauf vorbereitet, eine Geschichte der Enttäuschungen zu lesen. Du gehst mir sofort an die 'Emotionen'! ;)

... lag reichlich eine Autostunde von unserem Wohnort entfernt.

'Lag reichlich' liest sich schon etwas ungewohnt.

Es schien, als musste er das Gebäude nur betreten, um sich bereits auszukennen.

Ein phantastisches Beispiel dafür, mir Charakterzüge zu zeigen. Ich habe eine Ahnung vom Partner der Mutter.

Ich stocherte mit der Gabel auf meinem Teller und sah den Bratkartoffeln zu, wie sie langsam weniger wurden

Klingt nach ziemlich aktiven Bratkartoffeln. :shy:

Mir wurde das alles zu viel und ich stieß Vater von mir. Es kam eben so. Mathis blieb bei ihm

Aber warum nur wurde dem Jungen was zu viel? Der Vater redet offen über seine Gefühle. :hmm:

Das ist sehr traurig. Und ich bin ganz verwirrt. Was ist wohl vorgefallen, dass der Ich-Erzähler soviel Abstand zu seinem Vater sucht? Das erlese ich nicht. Ich weiß nicht, warum er agiert, wie er es tut, warum er sich nicht erinnert, aber warum er den Vater ablehnt. Diesen verletzten, hilflosen Mann.
Welche Intention hat der Autor? Gab es ein Opfer mit der Machete? Gab es eine Tat?

Der Ton des Erzählers ist toll. Ich bin sehr interessiert. Aber eben auch verwirrt.

Sehr freundlicher Gruß, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Kanji,

Das:

Ich freue mich immer, von dir zu lesen
höre ich natürlich gerne. Ich hoffe, das bleibt so :)

Klingt nach ziemlich aktiven Bratkartoffeln.
Ja, ja, das ist wohl nicht die allerstärkste Stelle im Text. Ich habe da ziemlich rumgebastelt mit diesen Bratkartoffeln, weil ich immer gemeint habe, ich müsste auch ein Bild davon bringen, wie er isst. Am "Wie" hat allerdings bisher auch keiner gemeckert, und so langsam dämmert mir, dass ich das "Was", das ich da angehängt habe, vielleicht doch besser streichen sollte...


Aber warum nur wurde dem Jungen was zu viel? Der Vater redet offen über seine Gefühle.
Der Vater ist in den Kommentaren jetzt schon ganz verschieden gesehen worden. Ich bin darüber eigentlich gar nicht unglücklich. Aber der Junge - da sollte man natürlich schon flüssig einsehen, warum er sich gegen den Vater sträubt. Ich fand eigentlich die Sache mit dem Tischdecken, den Hausschuhen, dem Zimmer ziemlich verschroben. Noch denkbar, aber jedenfalls auch nicht so ganz gesund (nicht im medizinischen Sinn). Aber wenn ich so darüber nachdenke, reicht das womöglich wirklich nicht zur Abschreckung. Erstmal dürfte sich der Sohn ja wirklich darüber freuen. Dahinter steckt allerdings, dass der Vater die Entscheidung des Sohns nicht akzeptiert, und das macht den Umgang dann eben schwer. Man könnte sich vorstellen, dass der Sohn am Anfang vielleicht sogar manchmal beim Vater übernachtet hat, vielleicht sogar halb und halb, und dass der Vater ihn dann nicht wieder gehen lassen wollte. Und dann sagt der Sohn irgendwann: Das wird mir zu viel. Kurz gesagt: Ich denke schon, dass der Grundgedanke nicht überkonstruiert ist, aber es könnte doch sein, dass ich das Drängeln deutlicher machen müsste. Ich lasse mir aber mal noch etwas Zeit damit. (Und alles, was ich hier am Ende nicht verwerte, birgt in jedem Fall Hinweise für später.)

Gab es ein Opfer mit der Machete? Gab es eine Tat?
Nein, nein, auf keinen Fall!

Übrigens mag ich Geschichten, die verwirren, oft ganz gerne. Aber hier war das nicht meine Absicht. Jedenfalls nicht durch den Plot.

Vielen Dank für den Kommentar und die Aufgabe, die du mir dabei mitgegeben hast.

Beste Grüße
erdbeerschorsch

 

Hallo erdbeerschorsch

das ist schon eine gut komponierte Geschichte. Sie spielt ein wenig mit den Erwartungen des Lesers, enttäuscht sie dennoch nicht, auch wenn sie mich anfangs entwas irregeleitet hat (wozu dient die Machete? wenn nicht zum Töten, dann doch zum Zerschneiden der Beziehung zum Vater. Sprachlich manchmal etwas wirr, könnte irgendwie klarer sein und weniger hässliches Plusquamperfekt enthalten :)... insgesamt hat es mir wirklich gefallen...

Paar Textstellen:

Eine Cosetta, das war ein Jollenkreuzer.
okay: soll ich jetzt nachschlagen was ein Jollenkreuzer ist oder gleich was ne Cosetta ist :) ?

Er schob die Zunge über seine Zähneflächen und saß da, als gehörte die Kantine ihm.
den Satz kapiere ich nicht, auch den Bezug zu verstehen fällt mir schwer...

Als wieder Frieden war, verheiratete er sich bald nach Genf
verheiratete ich mich? heißt das, er hat ne Menge Geld dafür bekommen?

vor vielen Jahren und weniger wahr durch die seither vergangene Zeit, auf jemanden eingehauen, gar jemand umgebracht worden sein konnte.
hier führst du mich in die Irre :)

Als ich hereingeführt worden war, hatte ich ihn gesehen.
hier so ein hässliches "hatte" und "worden war", da braucht es nicht unbedingt Vorbergangenheit...

Er stand, führte die Klinge über den Stein, und es endete nicht.
der Satz ist klasse, mehrdeutig, auf den Punkt gebracht...

Ich hatte Übung darin, die Schwere und die Furcht, die uns ergriff, als damals die Machete fehlte, zu übertreiben.
ich hätte den Satz anders angeordnet... ich hatte Übung darin die Schwere und die Furcht zu übertreiben, die...

Es ging darum, dass man ihn sah, während er es schliff. Schaut mich an, wollte er sagen: So sieht es in mir aus.
ganz stark :Pfeif:

Es gab nur doch das.
?:dozey:

Ich fand, er lieferte ein überzeugendes Argument. Ein mächtigeres hatte ich nicht.
auch das: sehr stark...

Der Mathis kriegt ne Cosetta, sagte mein Vater
im letzten Abschnitt kommt mir zu viel Cosetta vor, als wolltest du dich versichern, dass wir es auch kapiert haben...

liebe Grüße
Isegrims

 

Liebe Isegrims,

herzlichen Dank für deinen Kommentar! Schon deinen ersten Satz

Isegrims; schrieb:
das ist schon eine gut komponierte Geschichte
lese ich gern. Es sind ja mehrere Ebenen ineinander verschachtelt, da habe ich schon eine Weile gebastelt, bis ich fand dass es passt. Ich habe mir zwischendurch sogar überlegt, diese Cosetta wegzulassen, um es einfacher zu machen. Aber jetzt freue ich mich, wenn du mir bestätigst, das es Am Ende doch einigermaßen geklappt zu haben scheint.


Isegrims; schrieb:
wozu dient die Machete? wenn nicht zum Töten, dann doch zum Zerschneiden der Beziehung zum Vater.
Ja, genau. Denn sicher sollte die Machete auch der Dramatik dienen, aber eben nicht nur ;)

Isegrims; schrieb:
okay: soll ich jetzt nachschlagen was ein Jollenkreuzer ist oder gleich was ne Cosetta ist :) ?
Na, der Jollenkreuzer ist halt irgendein Boot ("Jolle" kennt man aber, oder?). Der Junge war damals ein richtiger Bootefan, sowas erklärt der nicht. Ich habe wirklich probiert, ob da eine Erklärung hinpasst, habe aber gefunden, dass das nicht geht. Ach ja, apropos: Schlag doch Costa mal nach, ich bin gespannt, was du findest ;)

Isegrims; schrieb:
verheiratete ich mich? heißt das, er hat ne Menge Geld dafür bekommen?
Nein, das nicht. Der Satz ist jetzt aber eh raus.

Isegrims; schrieb:
Als ich hereingeführt worden war, hatte ich ihn gesehen.
hier so ein hässliches "hatte" und "worden war", da braucht es nicht unbedingt Vorbergangenheit...
Ich für meinen Teil habe ja erst mal nichts gegen Plusquamperfekte. Speziell hier bin ich mir nicht sicher, ob man auf ihn verzichten kann. Die Perspektive ist dessen, der schon am Tisch sitzt, und da sieht er den Vater schon nicht mehr. Der Plusquamperfekt bildet das ab, und das ist doch eigentlich hübsch, dass die Sprache das kann.

Isegrims; schrieb:
ich hätte den Satz anders angeordnet... ich hatte Übung darin die Schwere und die Furcht zu übertreiben, die...
Ja, kein Zweifel, das andere ist gemurkst.

Isegrims; schrieb:
im letzten Abschnitt kommt mir zu viel Cosetta vor, als wolltest du dich versichern, dass wir es auch kapiert haben...
Das war nicht die Absicht. Die mittlere Cosetta könnte wahrscheinlich rausfliegen. Meine Vorstellung war die eines inzwischen schon älteren Erzählers, dem dieser Satz im Kopf herumgeht. Die Erinnerung ist ja nicht mehr ganz frisch, daran erkennt man den Abstand vielleicht noch (weitere Hinweise, mit denen ich gespielt habe, habe ich gestrichen). Diese Vorstellung hat mich vermutlich zu den Wiederholungen im Erzählteil bewegt. In der Rede des Jungen dachte ich daran, den Trotz (oder etwas derart) zu verstärken. Das muss aber auch nicht unbedingt.

Ja dann: vielen Dank noch mal, du hast da einige Denkanstöße gebracht, mit denen ich mich noch eine Weile beschäftigen kann (die teils wirre Sprache, die du monierst, fällt mir da wieder ein. Ich brauche gar nicht unbedingt ein Beispiel, es ist einfach ein Hinweis mehr, dass ich noch etwas zu sortieren habe.)

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo Erdbeerschorsch,
Eine hervorragende Geschichte. Sie hinterlässt einen tiefen Eindruck bei mir. Selten gelesen, dass dieses Thematik so vielschichtig behandelt wurde. Genau wie im wirklichen Leben: Alle sind Verlierer der Situation, mit der die unreifen Erwachsenen nicht umgehen können.
Die Sprache und Konstruktion machen das Lesen zum Genuss. Ich merke, dass Du genau weißt, welche Strippen Du bedienen musst, um den Leser zu kriegen. Manchmal fühle ich mich etwas manipuliert, aber ausnahmsweise stört mich das überhaupt nicht.

Grüße, das Kellerkind

 

Hallo Kellerkind,

Danke schön für deinen Kommentar!

Manchmal fühle ich mich etwas manipuliert, aber ausnahmsweise stört mich das überhaupt nicht.
Dann brauche ich ja kein schlechtes Gewissen zu haben :)

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Erdbeerschorsch,

ich habe deine Geschichte gelesen und war erst einmal ratlos. Nicht, weil ich sie schlecht finde. Ich finde, geschrieben ist sie wirklich gut. Der Stil hat etwas Kindliches, Melancholisches und doch auch recht Trotziges. Das gefällt mir.

Der kleine Junge vor Gericht war mir einfach so unsympathisch. Und irgendwie will man vor sich selbst immer besonders rechtfertigen, wenn man ein Kind nicht mag. Weil: Es ist doch noch ein Kind! Aber egal, ich mag den Jungen nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich sein Schmierentheater nicht verstehe. Was hat sein Vater ihm denn eigentlich getan, dass er seine Aussage so aufbauschen muss? Oder gefällt der Kleine sich einfach in der Rolle des Zeugen von dramatischen Ereignissen? Ich musste unwillkührlich an das Buch ABBITTE denken. Dein Junge erinnerte mich an die kleine Briony, die mit ihren übertriebenen/falschen Aussagen mehrere Menschen ins Unglück stürzt. Klar, eine Machete zu schleifen und seinen Kindern das Gefühl zu vermitteln, man metzelt damit jetzt mal eben den neuen Typen von der Mama um, das ist nicht fein. ABER ich frage mich: Kann man sich auf diese Erinnerung des Jungen denn wirklich verlassen?

Dann Mutter und neuer Partner. Die mag ich auch nicht. Mir kam es schon so vor, als ob sie dem Jungen zusätzlich eingetrichtert hätten, er müsse die Geschichte so und so erzählen. Und anderem hier: Mein Standpunkt musste ganz deutlich sein, das hätten sie mir nicht noch einmal einzuschärfen brauchen. Ich kann es nicht leiden, wenn Erwachsene die Kinder zum Spielball machen. Und auch hier fehlt mir ein wenig der Hintergrund. Was genau hat der Vater Schlimmes getan, dass der Sorgerechtsstreit so ausarten muss? Warum genau will der Junge nicht zu ihm? Und was ist mit seinem Bruder? Hat der damit keine Probleme?

Im Endeffekt habe ich Mitgefühl einzig und allein für den Vater. Er wirkt gebrochen, betrogen, hilflos.

Versteh mich nicht falsch, die Figuren einer Geschichte nicht zu mögen, ist ja an sich nichts Schlechtes. Wer sagt denn schon, dass man mit Hauptfiguren immer d'accord sein muss. Viel interessanter ist es doch, wenn man sie nicht gleich einordnen kann. Und das kann ich irgendwie nicht so richtig, deshalb bin ich ein wenig ratlos.

Ich bin gespannt, wie du meine Fragezeichen beantwortest.

Gut geschrieben, gerne gelesen!
RinaWu

 

Hallo RinaWu,

ich fürchte, mich stört es sogar weniger als dich, dass du den Jungen unsympathisch findest. Darauf habe ich es zwar nicht angelegt, aber erlaubt ist es aus meiner Sicht. Allerdings sollte das Theater schon (im Ansatz) nachvollziehbar sein. Das war aus der Sicht mehrerer Kommentatoren nicht der Fall. Ich hätte noch Reserven in der Hinterhand, um die Motivation solider auszubauen, und ich bin recht zuversichtlich, dass damit die Lücke geschlossen werden könnte. Andrerseits hat es auch einen Grund, warum diese Reserven es nicht in die vorläufige Endversion geschafft haben: Es wäre mir zu umständlich geworden. Es scheint da in jedem Fall ein gewisses Problem zu geben, und das ist immer gut zu wissen. Ich tendiere im Moment trotzdem eher dazu, den Makel stehen zu lassen und in der einen oder anderen Form für die Zukunft etwas daraus zu lernen.

Oder gefällt der Kleine sich einfach in der Rolle des Zeugen von dramatischen Ereignissen?
Ich halte es nicht für abwegig, dass das eine Rolle spielt (aber nicht alleine das).

ABER ich frage mich: Kann man sich auf diese Erinnerung des Jungen denn wirklich verlassen?
Ja, das sollte man schon. Unsicherheiten gibt es vielleicht hier und da, aber der Vorfall soll sich schon ereignet haben.

Dann Mutter und neuer Partner. Die mag ich auch nicht. Mir kam es schon so vor, als ob sie dem Jungen zusätzlich eingetrichtert hätten, er müsse die Geschichte so und so erzählen. Und anderem hier: Mein Standpunkt musste ganz deutlich sein, das hätten sie mir nicht noch einmal einzuschärfen brauchen.
Das Einschärfen nehme ich raus, ich dachte eigentlich, ich hätte schon. Das ist letztlich zu stark. Aber an sich dürfen dir gerne auch die beiden unsympathisch sein.

Was genau hat der Vater Schlimmes getan, dass der Sorgerechtsstreit so ausarten muss? Warum genau will der Junge nicht zu ihm?
Die erste Frage scheint mir wichtiger als die zweite. Ich würde sagen, es liegt nicht an der Machete, dass er nicht zum Vater will. Und etwas Schlimmes, also: etwas Böses, hat der Vater nicht getan. Der Junge fühlt sich über die letzten Jahre eingeengt, und da will er endlich frei werden. Drei, vier Jahre ist nicht so wenig in dem Alter, das da infrage kommt, der Vater ist für ihn mit der Zeit zu einer Belastung geworden. Nach und nach ist es dann zu der alles abblockenden Haltung gekommen.

Und was ist mit seinem Bruder? Hat der damit keine Probleme?
Ja, der Bruder... Auch dazu hätte ich Antworten, die aber gleichfalls bei den Reserven geblieben sind. Da ist eine Lücke, klar. In meiner Vorstellung wäre der Bruder älter. Ich weiß nicht ob das schon hilft, könnte aber vielleicht, denn dann ist er auch reifer usw. Ich würde hoffen, dass man den älteren Bruder an dem versprochenen Boot erkennen kann. Aber der Hinweis ist nicht allzu dick aufgetragen, das muss ich zugeben.

Im Endeffekt habe ich Mitgefühl einzig und allein für den Vater. Er wirkt gebrochen, betrogen, hilflos.
Ja, das ist doch schon was. Ich habe deinen Kommentar selbstverständlich durchgelesen, bevor ich geantwortet habe, und das ist nun auch der Satz, der es mir so leicht macht, deine fehlende Sympathie für die andern durchzuwinken. Das ist doch ganz folgerichtig: Wenn dir der Vater am meisten zusagt, dann müssen dich die anderen ja ärgern. Wenn dir der Vater auch noch unsympathisch wäre - naja, warum nicht, aber lieber ist es mir so :) Mir gefällt es jedenfalls gut, dass hier unterschiedlich Partei ergriffen wird. Man könnte das bestimmt als mangelnde Festlegung auch unschön finden, aber mir geht das nicht so. Angenommen, die Leute wären echt - dann gäbe es ja sicher auch unterschiedliche Einschätzungen.

Ich bin gespannt, wie du meine Fragezeichen beantwortest.
Jedenfalls habe ich es gerne getan. Zugleich aber etwas zurückhaltend: Ich könnte inhaltlich mehr erklären, und in Antworten zu den vorangehenden Kommentaren, sofern sie in eine ähnliche Richtung gingen, habe ich das sogar auch etwas mehr getan. Aber die angesprochenen Reserven bringen die Geschichte selbst halt erst dann vorwärts, wenn sie auch darin eingearbeitet sind...

Alles in Allem: Deine Sicht auf die Charaktere gefällt mir für sich genommen gut, mich wurmt allerdings schon ein bisschen die offensichtlich doch etwas zweifelhafte Plausibilität der Handlung.

Ein herzliches Dankeschön fürs Lesen, Loben (das war ja auch dabei) und Anregen zum weiteren Kopfzerbrechen!
Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom