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Thema des Monats Die letzte Ausfahrt

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19.12.2015
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Die letzte Ausfahrt

Die letzte Ausfahrt
Nasir schreckte aus kurzem Schlummer hoch. Er schlug die Augen auf und lauschte. Ein Geräusch, - als würden Heuschrecken über das Segeltuch kriechen, unter dem er auf seiner Matte lag. Nasir wusste, dass es die Sandkörner waren, die auf das Segel rieselten. Von der Wüste trug der Gibli den Sand bis hierher an die Küste und Abdallah behauptete, dass der windige Arm des Gibli sogar über das Meer reiche und Europa mit dem gelben Wüstensand bestreue.
Dafür war das Segel da: Als Schutz gegen den Sand, gegen Spritzwasser und gegen die Sonne, wenn Abdallah und er tagsüber auf der Rückfahrt waren. Einen Mast gab es schon lange nicht mehr. Die Salima war alt und der Mast war längst an irgendeinem Strand vermodert. Bereits Jahre bevor Abdallah in den Besitz des Bootes gekommen war, war die Salima durch den Einbau eines Motors in etwas verwandelt worden, das hässlicher und schneller war als das ursprüngliche Fischerboot.

Es war aber nicht das Rieseln des Wüstensandes, das Nasir geweckt hatte. Er hörte Nicolas und Abdallahs Stimmen.
„Wie viele sind im Lager?”, fragte Abdallah.
„Bis zum Rand voll.”
„Dann bring 120.”
„So viele diesmal?”
„Was willst du, Nicola? Dir kann es doch egal sein.”
„Ist es auch. Du wirst schon wissen, wie viele in dein Boot passen.”

Nasir wartete, bis Nicola gegangen war; dann kroch er unter dem Segel hervor und sprang auf den Steg. Im sternenlosen Schwarz schwamm eine dunstige Mondsichel. Unter plätscherten und gurgelten Wellen. Nasir trat an Abdallahs gebeugte Gestalt heran.
„Er hat recht, 120 sind zu viele. Wenn wir es nicht schaffen...”
Abdullah fuhr herum, als hätte Nair ihn mit einem glühenden Eisenstab berührt.
„Bist du neuerdings allwissend? Muss ich mich von einem Grünschnabel belehren lassen?”
Nasir wich zurück.
„Entschuldige, ich danchte nur...” Nasir verstummte und sah den Älteren erschrocken an. Aber dann zupfte ein Lächeln an Abdallahs Mundwinkeln, wie es meistens der Fall war, wenn er Nasir sah. Sie waren nicht verwandt. Doch nachdem Nasirs Eltern eines Tages spurlos verschwunden waren, hatte er sich des Jungen angenommen. Und dank Abdallahs Fürsorge konnte Nasir Geld verdienen und sich um seine jüngere Schwester kümmern.
„Sieh mich an, Nasir, ich bin alt, sieh meine Hände an, es ist keine Kraft mehr darin. Oft kann ich die Fahrten nicht mehr machen.” Er drehte die Handflächen nach oben und steckte sie Nasir hin.
„Und die Polizeiboote. Es wird mir zu gefährlich. 120 Leute, das macht eine Menge Geld.”
Dann ließ Abdallah seine Stimme wieder hart werden:
„Und wenn du Angst hat, bleib hier. Ich setz einen von den Kerlen an die Pinne. Wäre nicht das erste Mal.”

Vom schwarzen Himmel hob sich das tintenschwarze Meer ab. Das dritte Schwarz: der Bootskörper, der sich wie ein lebendiges Wesen auf und ab bewegte. Sie mussten nicht lange warten. Bald kamen Stimmen und Geräusche aus dem Dunkel. Nicht viel mehr als ein Schlurfen und Murmeln, als wäre es bloß eine Handvoll Menschen. Die Schlepper achteten darauf, dass die Leute übermüdet waren. Das schwächt den Willen und macht sie gefügig, hatte Abdallah gesagt.
„Los, aufs Boot mit euch”, zischte Abdallah, als der Tross an ihm vorbeizog, „Beeilung, Beeilung!” Nasir sah in ihre Gesichter. Ja, sie waren müde. Man hätte sie zur Schlachtbank treiben können und sie hätten sich kaum gewehrt. Manche erwiderten den Blick, dann schaute Nasir weg und warf einen Blick auf Abdallahs Profil. Seine Lippen bewegten sich still. Er zählt, dachte Nasir, Männer, Frauen und Kinder jeweils gesondert. Später würde es wie immer Streit mit Nicola wegen der Zahlen geben. Als die letzten eingestiegen waren, suchte Nasir nach den Markierungen für den Tiefgang. Ein einzelner Strich war noch über der Wasserlinie zu sehen.

Tuckernd schob der Diesel sie in blinder Dienstbarkeit gegen die Dünung Richtung Norden. Nasir saß an der Pinne und schaute auf die Klumpen von Leibern, die versunken auf den Planken kauerten. Fast wäre er eingedöst, als plötzlich Abdallah neben ihm auftauchte.
„Es kommt Wasser ins Boot. Die ganze Bilge steht schon voll. Wir liegen zu tief. Wenn der Wind noch stärker wird...”
„Soll ich die Lenzpumpe anschalten?”, fragte Nasir.
„Bist du taub?”, zischte Abdallah, „die läuft schon die ganze Zeit. Ich mach das Schlauchboot los.”
„Das Schlauchboot?”
„Herrje, ja, das Schlauchboot! Wir machen uns aus dem Staub, Wenn die Wellen ins Boot schlagen, saufen wir ab wie ein Stein. Wir sind noch nicht weit draußen. Mit dem Schlauchboot geht’s.”
„Und die Leute?”, fragte Nasir, als würde er immer noch nicht begreifen.
„Die können meinetwegen zu Allah beten.”
„Das dürfen wir nicht tun.”
„Was willst du denn tun, du Schwachkopf? Hier mit den anderen absaufen?”
„Ich... ich weiß nicht.”
Abdallah beugte sich noch tiefer, als wollte er Nasir auf die Stirn küssen.
„Du bist noch jung, Nasir, noch so jung. Es nützt niemandem, wenn wir hierbleiben.”
„Sie werden doch was merken, wenn du das Schlauchboot losmachst.”
„Ach, guck dir das dumpfe Vieh doch an”, Abdallah deutete mit einem Kopfrucken zu den Leiberklumpen auf den Planken, „bis die was kapieren, sind wir schon wieder im Hafen. Und wenn sie Ärger machen... die hier wird sie auf Abstand halten.” In Abdallahs Hand lag plötzlich eine Pistole wie ein scharzes Ungeziefer.
Einer der Männer am Trinkwasserbehälter richtete sich auf und schaute in ihre Richtung. Der Mann trug eine Brille und sein Gesicht sah aus wie gefroren.
„Nein, ich bleibe hier. Wir dürfen das nicht... wir dürfen das nicht”, wiederholte Nasir, denn weiter wusste er nicht.
Ächzend richtete Abdallah sich auf.
„Wie du willst”, antwortete er, während er über Nasir hinweg ins Dunkel blickte, das sich zwischen sie und die lybische Küste geschoben hatte. Nasir klammerte sich an die Pinne, als würde der Wind ihn sonst wegwegen, wie einen Krümel Sand.
Tatsächlich schien es niemanden zu kümmern, dass Abdallah zum Schlauchboot ging und an den Tauen fummelte. Erst als es mit hartem Knall aufs Wasser platschte, entstand Bewegung, - wie ein riesiges, schwarzes Tier, unter dessen Haut viele kleinere Tiere anfangen zu buckeln und hin und her zu huschen. Stimmen wurden laut. Nasir konnte sehen, wie Abdallah ins Schlauchboot kletterte und ein Tauende über die Bordwand schleuderte. Eine Welle schlug gegen das Heck. Das Spritzwasser prasselte auf Nasirs Poncho. Dicht an der Bordwand entlang glitt das Schlauchboot dem Heck entgegen. Nasir zitterte, als führen sie durchs Eismeer. Er beobachtete, wie Abdallah an der Startschnur riss. Im nächsten Moment heulte der Außenborder auf. Der Mann mit der Brille, der vorhin am Trinkwassertank gestanden hatte, kam auf Nasir zu. Er bewegte den Mund, als würde etwas rufen. Nasir ließ die Pinne los und stand auf. Als das Schlauchboot auf seiner Höhe war, sprang er.

Schnell war die Salima im Dunkel verschwunden. Auch die Schreie hörte man bald nicht mehr. Nasir versuchte, in sich selbst zusammenzuschrumpfen, zu einem Sandkorn zu schrumpfen, das der Wind über das Meer blies. Vielleicht würde er dann eines Tages – wenn er wieder zu Menschengestalt gewachsen war – dem Mann mit der Brille begegnen, er würde Nasir lächelnd auf die Schulter klopfen und ihm erzählen, dass damals alles gut gegangen sei und dass er sich keine Sorgen machen solle.

 
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Hallo tortitch,

willkommen!
Zunächst, sprachlich finde ich deine Geschichte gut, die Beschreibungen, die Dialoge, da habe ich wenig zu meckern. (Allerdings sollten deine einleitenden Worte extra gepostet werden, sie gehören ja nicht zur Geschichte)
Diese Stelle jedoch erschien mir nicht schlüssig:

die Mischung aus Argwohn, Angst und neugeborener Wut.
Wenn da zunächst nur Argwohn ist, wieso kommt da gleichzeitig schon Wut auf? Die wäre doch eher da, wenn die Flüchtenden wirklich bemerken, dass hier ihr Tod geplant wird. Und ist plausibel, dass (auch noch) eine Frau alkoholabhängig ist in diesem Umfeld? Ich weiß ja nicht, wo das genau spielt, aber prinzipiell ist Alkohol im Islam verboten ...
Und das, meine ich, sollte man anders ausdrücken:
„Die hält sie uns vom Leib”, sagte er und grinste, um seine Gefühle zu verleugnen.
Ich finde das zu erklärend. Und so wie sein Verhalten ansonsten geschildert ist, passt es auch nicht.
Nun zum Inhalt allgemein. Wieso sollte jemand, der aus dem Schleppergeschäft aussteigen möchte, mit voller Absicht und ohne den Flüchtlingen eine Chance zu lassen, das Boot versenken? Wäre es nicht viel plausibler, sie einfach ihrem Schicksal zu überlassen, das Schiff treiben zu lassen? Wie es ja auch schon passiert ist? Woher diese Gewissenlosigkeit ohne Not und ohne Vorteil für ihn selbst?

Und dann, von hier aus so über Schlepper zu schreiben - die mit Sicherheit nicht selten höchst fragwürdig und auch menschenverachtend handeln, ja, aber auf die Flüchtlinge nach Lage der Dinge angewiesen sind. Und denen sie in vielen Fällen sogar dankbar sein müssen. Immerhin ist es die europäische Politik, die ihnen z.B. Flugreisen (die billiger wären) verwehrt ... (vgl. http://www.spiegel.de/politik/ausla...ht-per-flugzeug-kommen-koennen-a-1051827.html).

Obwohl gut geschrieben, habe ich daher ein paar Bauchschmerzen bei deiner Geschichte.

Ciao,

Eva

 

Hallo tortitch,

herzlich willkommen bei den Wortkriegern.

An Deiner Geschichte habe ich nichts zu bemängeln. Inhaltlich mag ich auch nicht viel dazu sagen. Ich kann mir vorstellen, dass Menschen so agieren/reagieren und sich auch noch als "gute" Menschen sehen. Aus Situationen der Art "Ich oder Du, einer wird sterben" lassen sich viele Geschichten erstellen, auch solche die sehr realitätsnah erscheinen.

Der Vorsatz vor Deiner Geschichte gehört in einen eigenen Beitrag.

Liebe Grüße

Jobär

 

Hallo Eva,
danke für den Kommentar. Ich greife mal den in meinen Augen entscheidenden Punkt auf: die Motivation des Bootversenkens. Da hast du natürlich recht. Vielleicht funktioniert es auch so, wie du es vorschlägst (sie verlassen das Boot einfach). Ich denk drüber nach.
Gruß
T.

 

Hallo Maria,
vielen Dank für den Kommentar. Bei nächster Gelegenheit werde ich einen sehr sehr langen Aufsatz über einen deiner Texte schreiben, das ist jetzt ja wohl klar.;)
Nein, ich würde mich nicht als Anfänger bezeichnen. Und natürlich ist es sinnlos, seinen eigenen Text zu erklären. Aber manchmal finde ich diese Veranschaulichungen von Gefühlen (wie z.B. ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken) einfach lächerlich. Ich glaube auch nicht, dass gute Autoren davon sonderlich Gebrauch machen. Sicher, was gute Autoren sind, darüber lässt sich streiten. Das "show don't tell"-Prinzip ist mir bekannt.
Nun, wie auch immer, es geht ja auch tatsächlich gar nicht so sehr um die Flüchtlinge, sondern mein Protagonist ist Nasir. Daher müssen die Leute im Boot mit wenigen Worten abgehandelt werden. Das ist sonst aus Gründen der Erzählperspektive schon problematisch.
Gruß
T.

 

Hallo,

der Text wuchert mit Exotismus, und spekuliert reichlich auf Mitgefühl, das ist etwas billig. Diese ganzen Namen im Text, Nasir, Abdallah, die sollen einem Authentizität vorgaukeln, aber im Endeffekt sind es nur die Bezeichnungen für Stichwortgeber; dahinter versteckt sich der Autor, und zwar zu einhundert Prozent. Das merkt man vor allem an den Dialogen, die mittelprächtig sind. Zu viel Autor, zu viel Erklärungsdrang, zu wenig Vertrauen in die eigenen Figuren. Warum?

„Ich verstehe nichts von Booten. Ich bin Geschäftsmann. Als Geschäftsmann muss ich auf meinen guten Ruf achten. Ein guter Ruf ist bares Geld. Wenn etwas passiert, ist mein guter Ruf zum Teufel."

Ich glaube, so etwas sagen solche Leute nicht, die sind in einer anderen Realität, wo das alles internalisiert ist schon. Man spürt richtig, wie du als Autor versuchst, da irgendeine Motivation oder Rechtfertigung herauszuziehen. Das musst du gar nicht, das distanzierte Zeigen, nüchtern und klar, würde die Wirkung um ein Vielfaches erhöhen meiner Meinung nach.

Das Ende wirkt auch irgendwie unbeholfen, so abrupt, ein absolut verkürzter, verkümmerter Konflikt, der nie richtig ausbricht. Zuerst totale Verunsicherung, Zweifel, und dann: Ach hey, alles okay! Und dann diese Dialoge, die so moralinsauer daherkommen - also, ich denke, das kannst du besser.

Man muss anerkennen, dass du sicherlich ein Talent für Sprache hast, das ganz ohne Zweifel, und du scheust dich nicht, den Dialog zu gebrauchen, das finde ich sehr wichtig, aber speziell für diesen Text hätte ich mir mehr Wagemut gewünscht, den hättest du einfach richtig dreckig werden lassen können. Einen objektiven, neutralen, beobachtenden Erzähler, der aus der orbitalen Warte das Geschehen betrachtet, ohne diese ganzen Motive, die wie aus dem Baukasten der Zweifler klingen. Ist er ein guter Mensch? Das klingt wie ein ausgedachter, geschriebenr Dialog, und er hinterlässt beim Leser ein schalen Beigeschmack, weil der Leser mündig ist, der Autor ist nicht dazu da, ihm die Welt zu erklären.

Gruss, Jimmy

 

Hallo Jimmy,
vielen Dank für deinen Kommentar. Wenn der Autor hervorguckt und das Ganze auch noch moralinsauer ist, dann ist die Geschichte SChrott. Das kannst nur du als Leser beurteilen. Als Verfasser fehlt mir die Distanz. Bei den genannten Beispielen kann ich sogar sehen, was du meinst.
Okay, ja, die Story kommt auf den SChrottplatz.
Nochmals Dank und Gruß
T.

 

Der Text gehört sicher nicht auf den Schrottplatz. Ich denke einfach, du solltest dich auf deine Figuren verlassen (können). So liest es sich eben eher wie eine Versuchsanordnung, aber das ist ja erstmal vollkommen in Ordnung, deswegen sind wir ja hier, um aus dem Text eine Werkstatt zu machen.

 

Sich auf die Figuren verlassen - klingt interessant, aber was genau meinst du damit?
Ich muss zugeben, ich bin etwas frappiert. Gestern hab ich in mein Notizheft geschrieben: Keinen Effekt erzielen wollen, so schreiben, dass der Autor hinter dem Geschriebenen verschwindet.
Und heute dein Kommentar, als hättest du in meinem Heftchen geschnüffelt. Das ist fast etwas gruselig.
Lieben Gruß
T.

 

Du benutzt deine Figuren, du mißbrauchst sie als Informationsverteiler, als Stichwortgeber, das wird vor allem in den Dialogen offensichtlich. Diese Personen verfügen alle über gemeinsames Wissen, die stehen in einem Wissenzusammenhang, den der Autor nicht erklären, sondern erlebbar werden lassen sollte (für den Leser.)Du gehst jetzt hin und versuchst, deine Figuren permanent dieses Wissen vermitteln zu lassen, die wirken wie ein App im Museum, und nicht nur das, sondern auch noch ihre Zweifel und/oder Motivation plappern die aus. Das solltest du entschlacken, aber dazu musst du über deine Figuren anders nachdenken, sie bekommen persönliche Details und Eigenschaften, die sich in Handlung und Sprache äußern werden. So klingen die auch alle ähnlich.

Bsp: Wenn alle wissen, dass Abdullahs Frau eine Säuferin ist, dann ist es ein offenes Geheimnis.
Er sagt dann: "Abdullahs Frau ist, du weißt schon - krank."
Und sie sagt: "Krank, ja, das hatte ich ganz vergessen."
Oder: "Ja, ich weiß, ihre Medizin ist sehr teuer, ich habe die Preise gesehen, als ich mich im Supermarkt verirrt hatte." (Oder sonst was, ist nur ein Beispiel)
Sie weiß schon, sie ist nicht krank, das verändert ja den ganzen Dialog, den ganzen Ton. Der Leser ergründet das selbst.

 

Gut, jetzt habe ich eine Ahnung, was du meinst.
Ich bin hier weihnachtsbedingt ein paar Tage raus.
Bis dann
T.

 

Hey tortich

Du schreibst in deinem Profil, dass du Motivation gewinnen möchtest und ich denke, die Voraussetzungen sind gut. Du schreibst elegant, das liest sich sehr flüssig. Das ist eine gute Basis. Und du hast äusserst gehaltvolle und motivierende Anregungen gekriegt.

Ich hatte bei der Lektüre schon auch das Gefühl, einen Text zu lesen, der von den Figuren dort handelt, aber bei dem klar war, dass er von jemandem hier geschrieben wurde.

Aber ich melde mich aus einem anderen Grund:

Aber manchmal finde ich diese Veranschaulichungen von Gefühlen (wie z.B. ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken) einfach lächerlich. Ich glaube auch nicht, dass gute Autoren davon sonderlich Gebrauch machen.

Ja, klar. Aber ...

Er hatte Angst vor dem schwarzen Wasser, das durch das Leck sprudelte, Angst vor den Leuten, die die Fäuste geballt und zu schreien angefangen hatten, er hatte Angst vor dem Sterben.
Obwohl Nasir ihre Gesichter im Dunkeln nicht erkennen konnte, spürte er die Mischung aus Argwohn, Angst und neugeborener Wut.
„Das können wir nicht tun”, rief Nasir, „es ist falsch, bitte, Abdallah!” Einer der Männer hatte das Leck entdeckt und starrte Nasir an.
„Was ist hier los?”, rief er. Immer mehr Leute erhoben sich und infizierten sich mit der Angst und der Wut .

...geht eben noch weniger. Das macht das Schreiben ja so schwierig. Es gilt, die Angst zu zeigen, ohne auf abgegriffene Formulierungen zurückzugreifen. Es brauchen ja auch nicht immer die Wirkungen der Angst zu sein, die man nennen muss. Vielleicht lässt sich das Geschehen so beschreiben, dass automatisch klar wird, dass die Person, die in dieses Geschehen involviert ist, Angst hat. Oder - was ich genial finde und mir wünsche, dass ich es könnte - man beschreibt irgendwas, aber auf eine gewisse Art und Weise, so dass eine spezifische Stimmung entsteht. Ich denke, da gibt es viele Möglichkeiten.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo tortitch (wie bist du eugentlich zu diesem Namen gekommen :)?)

schön, dass du hierher gefunden hast.
Die Geschichte war ganz angenehm zu lesen, obgleich ich es schwierig finde über ein aktuelles Thema zu schreiben. Man spürt so einen pädagogischen Ansatz darin und du willst unbedingt etwas zeigen, den Blick auf diejenigen richten, die sich an der Völkerwanderung bereichern. Ehrenwert.
Die Figuren bleiben noch recht blass, kaum unterscheidbar. Sie ließen sich anreichern, wenn ich sie mir vorstellen könnte, wenn sie etwas individuelles an sich hätten, wenn du - wie du sie schwitzen. leiden und zum Beispiel weinen ließest, wie du es am Anfang mit der Windszene andeutest. (das mit dem Wind finde ich richtig gelungen, auch als Symbol). Auch ein Blick auf die Opfer fehlt leider völlig.

Vielleicht arbeitest du ja noch ein wenig an der Geschichte:)

Mal in den Text geschaut:

Nasir schreckte aus kurzem Schlummer hoch. Er schlug die Augen auf und lauschte. Ein Geräusch, - als würden Heuschrecken über das Segeltuch kriechen, unter dem er auf seiner Matte lag. Nasir wusste, dass es die Sandkörner waren, die auf das Segel rieselten. Von der Wüste trug der Gibli den Sand bis hierher an die Küste und Abdallah behauptete, dass der windige Arm des Gibli sogar über das Meer reiche und Europa mit dem gelben Wüstensand bestreue.
so wortwiederholungen sind nicht elegant, nur mal so als beispiel, zieht sich aber durch den text...

Im sternenlosen Schwarz schwamm eine dunstige Mondsichel.
das mit dem "schwarz" machst du weiter unten noch mal... gibt auch das wort "nacht" :)

„Wir werden rausfahren und die Salima versenken”, sagte Abdallah leise, ohne Nasir anzusehen, „nur ein Stück rausfahren. Ich habe nicht mehr die Kraft für die ganze Fahrt. Und die Polizeiboote. Es wird immer gefährlicher.”
also hier kapiere ich es nicht... schlepper kaufen doch eher schrottboote, aber das ist ein gutes boot, materielle grundlage der familie und jetzt versenken sie es? das motiv, das du nachschiebst reicht irgendwie nicht...

„Sie werden ins Paradies eingehen”, antwortete Abdallah und brachte ein jämmerliches Lächeln zustande.
auch bei den christen kommt nicht jeder ins paradies, ist das bei moslems anders?

Er dachte darüber nach, ob Abdullah ein guter Mensche war. Und ob er, Nasir, selbst ein guter Mensch war.
da braucht er nicht drüber nachdenken. er weiß doch, dass er ein drecksack ist...

„Sie ist nicht krank. Sie ist eine Säuferin. Warum heißt es, sie sei krank, obwohl alle die Wahrheit kennen?”
hier nimmst du ein motiv auf, vertiefst es aber nicht...

Der Mond hatte zugenommen; dennoch schien es düsterer zu sein als vor zwei Tagen. Vom schwarzen Himmel hob sich das tintenschwarze Meer ab. Ohne das Rauschen hätte man glauben können, es sei das pure Nichts, das sich daran machte, den Himmel zu verschlucken. Das dritte Schwarz:

Für die Männer galt der höchste Preis, der niedrigste für Kinder.
nenn doch den preis...

der sie in blinder Dienstbarkeit gegen die Dünung Richtung Norden schob.
was kann denn der arme dieselmotor dafür...

Der alte Abdallah wieselte flink durch die zusammengesunkenen Leiber der Flüchtlinge und sprang ins Schlauchboot.
die flüchtlinge sind mir zu passiv, halten ihn nicht auf ... schreien nicht... zu viel opferhaltung...

Es würde alles gut werden. Abdallah würde ihm vertrauen, ihn in die Arme nehmen wie einen Sohn und endlich die Pistole ins Wasser werfen.
auch wenn der eine den anderen mit der pistole umbringt wäre ein gutes ende ...

viele Grüße
und einen angenehmen, nicht so "schwarzen" Sonntag
wünscht
Isegrims

 

Hi tortitch,

Der Text beginnt sehr schön und auch die Ausgangslage ist spanend. Dennoch fand ich den Spannungsbogen recht flach, weil nichts unvorhergesehenes passierte. Auch war mir die Motivation von Abdallah erschließt sich mir nicht.

„Sieh mich an, Nasir, ich bin alt, sieh meine Hände an, es ist keine Kraft mehr darin.” Abdallah drehte die Handflächen nach oben und streckte sie Nasir hin.
Für das Steuern des Bootes braucht er nicht unbedingt Kraft. Eher Nerven.
So nehme ich ihm das nicht ab, dass er das Boot versenken will. Warum lässt er nicht jemand anderen für sich fahren oder verkauft das Boot?

Nasir muss sich entscheiden, dass ist ein starker Konflikt. Er wird aber am Ende recht profan aufgelöst. Er springt auf das Boot, weil er plötzlich Angst hat. Da könntest du seine innere Zerrissenheit noch mehr herausstreichen, du könntest ihn auch offener mit Abdallah streiten lassen, was dann auch dessen Pistole erklärt. Ich vermute er ist noch recht jung, vielleicht 16, darum auch sein Zögern, aber genau darauf solltest du noch eingehen.
Ich habe eigentlich erwartet, dass bei dem Plan irgendetwas schief geht:
DAs Ende ist eine gute Andeutung:

Abdallah würde ihm vertrauen, ihn in die Arme nehmen wie einen Sohn und endlich die Pistole ins Wasser werfen.
, dass Abdallah noch etwas bösartiges vorhaben könnte.

Stilistisch finde ich die Geschichte gut gelungen und habe hier nichts anzumerken

lg
Bernhard

 
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Hallo Isegrim

nein, was die pädagogisch-moralische Absicht betrifft, da irrst du dich. Und dass N. weiß, dass A. ein Schweinehund ist, da irrst du dich auch. Es sind Freunde. Nasir hat verschiedenen Grund A. dankbar zu sein. Usw.
Die Flüchtlinge sollen auf jeden Fall passiv bleiben, auch unindividuell.
Ob hingegen die beiden Hauptfiguren noch einen individuellen Zug kriegen können... hm, mal sehen. Bin ich mir noch nicht sicher, ob das nötig ist (ist ja immerhin nur eine Kurzgeschichte).
Auf jeden Fall vielen Dank für den Kommentar. Die überarbeitete Version kommt demnächst.


Hallo Bernhard,

ich hoffe, dass die neue Version (bald da) ein paar Schwächen, die du ansprichst, nicht mehr hat. Was die Kräfte angeht, da unterschätzt du das vielleicht. Ich denke, man braucht schon beides, nervliche und physische Kraft, um so ein Boot über das Mittelmeer zu bringen. Und das ja auch unter schwierigen Bedingungen.
Gruß
T.

 
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nein, was die pädagogisch-moralische Absicht betrifft, da irrst du dich.

Isegrims irrt sich nicht, du möchtest es nur nicht wahrhaben, dass andere deinen Text so lesen. Ich lese den nämlich sehr ähnlich. Überhaupt scheinst du deinen Text doch irgendwie gegen jede Kritik rechtfertigen zu wollen. Warum? Und lies mal eine short story von Raymond Carver oder Andre Dubus, da hast du in drei Sätzen eine immense Charaktertiefe, das ist ja gerade die Kunst.

 

Vielleicht habe ich etwas ungenau formuliert. Ich weiß im Grunde gar nicht, wie ihr den Text lest. Bei Isegrim klingt es halt so, als meine er, mir ginge es darum zu sagen, dass die Schlepper ja böse Menschen sind. Darum geht es mir allerdings nicht. Das meinte ich damit, dass er sich irrt.
Und zu sagen, ich wolle meinen Text gegen jede Kritik rechtfertigen, finde ich ungerecht. In vielen Punkten habe ich zugestimmt. Aber das tu ich nicht in jedem Fall.
Gruß
T.

 

He T.

also nix für ungut: ich bin der Leser und ich interessiere mich einen Scheiß für das, was der Autor will oder wer der Autor ist oder welche Gefühlslage er hat.
Was bei mir angekommen ist, entscheidet darüber, wen ich für was in einem Text halte. :)
Insofern irrt sich bestenfalls der Autor, aber der Leser doch nicht...

Grüße
Isegrims

 
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Genau.


Und hier (also oben) die neue Version.

 

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