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Die Leiden eines Mitteleuropäers

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31.01.2012
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Die Leiden eines Mitteleuropäers

Ich stehe vor dem Regal. Der Überfluß an Dingen, die irgendjemand so schön bunt und attraktiv für mich gestaltet hat, die wiederum von irgendjemand anderem mit Geschmacksverstärker, der mich in einer Stunde wieder hungrig werden lässt, garniert wurde, um meine Treue für sein Produkt zu garantieren, welches genaugenommen nicht sein oder ihr Produkt, sondern der eines sehr reichen Menschen ist, der sich durch mich, den Konsumenten seines Produktes, seinen Weg in den für uns alle unvermeidlichen Tod versüßen lässt, verursacht in mir ein schlechtes Gewissen. Während ich vor dem Regal stehe, mit etwa zehn Kilo Übergewicht, welches ich weder durch die neue Kohlenhydraternährung, noch durch die Verringerung meines Fleischgenusses, zu der ich mich durch mein Gewissen genötigt fühle, da ich ein interessierter, mit offenen Augen durchs Leben gehender Mitteleurpäer bin und Jonathan Safran Foers erschütterndes Dokument über die grausame Willkürherrschafft des Menschen über das Tier gelesen habe, in den Griff bekomme, weiß ich, daß in Afrika Kinder verhungern, und das aufgrund nicht unerheblicher Mitschuld des weißen Homo Sapiens; also auch mir. Mein Gewissen siegt über meinen, durch bereits erwähnten Geschmacksverstärker manipulierten Appetit ( sollte ich nicht schon aufgrund dieser mir aufgezwungenen Manipulation meine Faust in die Höhe recken, laut : Viva la Revolucion brüllen und die Welt der niemals satten, korrupten Profit-Vampire in Schutt und Asche legen?). Ich greife zu dem doppelt so teuren Bio-Produkt und spüre wie mein geplagtes Gewissen sich für den Bruchteil einer Sekunde erleichtert, um dann sofort wieder in die innere Debatte einzutreten, ob denn der ganze Bio-Hype nicht auch wieder nur Geldmacherei der selben, oben schon erwähnten bösen Menschen ist, die vielleicht gar nicht böse sind, sondern nur den Markt bereitwillig bedienen, der ja offenkundig von den, durch zu viel Entertainment und zu wenig Katastrophe und menschliches Leid, stumpf gewordenen Mitteleuropäern ( wie schon festgestellt, zähle ich mich zu selbigen) verlangt wird. Profitgeiles Bio ist immernoch besser als überhaupt kein Bio. Ein Gefühl von mangelhaftem Verantwortungsbewusstsein für Mitmenschen und Umwelt bleibt. Während ich die Zeitschriften-Ecke passiere, streift mein Blick das Bild der Top Ten Kandidatinnen der aktuellen “Germany´s next Topmodel”- Staffel, die sich für irgendeine Hochglanz-Illustrierte leicht bekleidet haben ablichten lassen. Mein Multitasking erprobtes Gehirn vollbringt nun die Meisterleistung, sich unheimlich über die Schizophrenie einer Gesellschaft zu empören, die immer fetter und fetter wird und gleichzeitig mit bemitleidenswert dünnen Mädchen fiebert, die als das Idealbild der mitteleuropäischen Frau dargestellt werden, was wiederum der Grund für Herrscharen von noch jüngeren Mädchen ist, ihnen nachzueifern und sich regelmäßig das Mittagessen aus dem Leib zu kotzen oder aus lauter Frust noch mehr Fast-Food (die Fast Food Diskussion meiner Synapsen überspringe ich hier) in sich reinzustopfen und noch fetter zu werden. Parallel zu diesem Gedankengang schafft es mein Gehirn die Wochentage durchzugehen und freudig erregt festzustellen, dass schon morgen die nächste Folge GNTM läuft und zu überlegen, welche Leckereien ich mir für diesen gemütlichen Fernsehabend noch in den Einkaufswagen werfen muss. Ich wende meinen Wagen , um ihn zum Süßigkeiten Regal zu steuern. Dabei ramme ich fast eine kopfbetuchte ältere Dame mit Migrationshintergrund, welche mich, ob bewusst oder nicht bleibt mir verborgen, ignoriert und in einer wohlbekannten, weil täglich vernommenen, jedoch mir nicht verständlichen, orientalischen Sprache mit ihrer ebenfalls betuchten Tochter, Enkelin, Schwägerin oder Nachbarin ihre Unterhaltung weiterführt. “Deutschland schafft sich ab” schiesst es mir durch den Kopf. Empört schüttele ich selbigen, ob der obskuren, menschenverachtenden Thesen, dieses, spätestens seit Veröffentlichung seines Buches in die Liga der Self-Made Millionäre aufgestiegenen ehemaligen Bankvorstandes und versuche krampfhaft den “Eigentlich hat er doch Recht” - Gedanken meines offensichtlich übermüdeten, da zu von mir entschieden abgelehnten Gedanken neigenden Verstandes zu verdrängen. Schnell vorbei an den lecker aussehenden Schweinenackensteaks (Jonathan Safran Foer hatte ich schon erwähnt, oder?) und geradewegs zur Schokolade. Dort angekommen fällt mein Blick auf einen Anti-Atom- Button auf der Brust eines Zahnspange tragenden Mädchens. Ich freue mich über die politisch engagierten Teenager unseres Landes, werde aber recht schnell von dieser Freude abgelenkt, da mich das aufgesetzt freundliche Lächeln einer dieser unter Anorexieverdacht stehenden Heidi Klum- Models, von der eben am Zeitschriftenstand entdeckten Illustrierten, die aus der Tasche des politisch engagierten Mädchens lugt, anspringt.
Ich schnappe mir eine 200g-Tafel mit ganzen Mandeln und fahre mit meinem Wagen weiter, um dann doch noch einmal umzukehren und mir noch eine White-Crisp einzupacken, da die Show morgen schliesslich über zwei Sunden dauert und so eine Tafel Schokolade bei mir eine weitaus geringere Lebenserwartung hat. Mir fällt der Button wieder ein, der mich sofort an all die politischen Parteien denken lässt, die im Zuge des japanischen Super-Gaus, plötzlich, im Angesicht der bevorstehenden Landtagswahlen, das lächerliche Schauspiel vollbracht haben und über Nacht zu Öko-Parteien geworden sind. Da lob´ich mir doch die einzig wahre Öko-Partei, die nicht nur wahltaktische Slogans raushaut, sondern hält was sie verspricht. Obwohl!
Stuttgart 21 wird nun doch weitergebaut! Enttäuscht mache ich mir ernsthaft Gedanken
darüber , mich bei den nächsten Wahlen in die lange Schlange der protestierenden Nichtwähler einzureihen. Sind selbst Schuld! Mein Gewissen fährt mich sofort von der Seite an und erinnert mich daran, dass diese nutzlose Form des Protestes nur der NPD in die Hände spielt. Und dieses braune Pack will ich als letztes unterstützen. Alternativ könnte ich die grauen Panther wählen. Diese würden den selten dämlichen Beschluss der Bundesregierung, die Wehrpflicht und somit den, in zum Beispiel Altersheimen (deshalb auch die grauen Panther, die wohl in diesem Punkt einfach näher an der Realität sind) dringend benötigten Zivildienst abzuschaffen, wieder rückgängig machen. Nein, kein guter Gedanke für einen überzeugten Pazifisten wie mich. Also Zivis ja, Soldaten nein? Ach, sollen sich doch die Politiker mit dem komplizierten Zeug auseinandersetzen. Ich will eigentlich nur einkaufen.

 

Hallo tiho,

Nach zehn Zeilen hat's mich rausgehauen. Das einzige, was zunächst geschieht, ist, dass der Erzähler vor dem Regal steht - was den Leser nicht gerade in die Geschichte zieht und ihm erst recht nicht den nötigen Hunger macht, den er bräuchte, um die folgenden beiden Sätze zu überstehen: zu lang, zu abstrakt, zu weit weg.

Dann schweifte mein Blick nach unten, auf der Suche nach dem Ende des Absatzes, das ... einfach ... nicht ... kommen wollte. Das ist von mir jetzt bewusst etwas spitz formuliert, aber dahinter verbirgt sich der wohlgemeinte Rat: Erhöhe die Lesbarkeit durch Punkte und Absätze!

Aber das ist für mich nur eine Seite des Problems. Die andere ist, dass die Geschichte kaum eine ist. Ich weiß, darüber, was eine Geschichte ist und was nicht, werden an Universitäten Vorlesungen gehalten, aber: Auch bei großzügiger Auslegung sehe ich hier mehr kritische Reflexionen, die durch den mehr angedeuteten Handlungsrahmen nichts gewinnen oder verlieren. Das konkrete Vor-dem-Regal-Stehen hättest du auch streichen und den Text als Traktat oder Polemik anbieten können.

Ich verstehe schon, dass es verlockend sein kann, so etwas zu verfassen, aber ich würde dir empfehlen, dich noch einmal damit zu befassen, was eine Geschichte eigentlich ausmacht.

Meine liebste Arbeitsdefinition:

Jemand will etwas und hat Schwierigkeiten es zu bekommen.

Grüße,
Meridian

 

Hallo tiho,

eine nette Widerspiegelung des in Mitteleuropa gewiss weithin praktizierten Kunststücks, bei dem man das System mehr oder weniger vage durchschaut, aber in jedem Falle kurz vor der Einsicht, dass man ja selbst dringend etwas ändern müsste, um diese Missstände zu beenden, hektisch auf die Denkbremse tritt - sonst überfährt man diese Einsicht womöglich noch. Manche reißen das Lenkrad auch scharf herum, haben eine vortreffliche Rechtfertigung gefunden, sich über andere zu heben und selbst so weiter zu leben wie bisher. Ist diese Haltung ja auch gesellschaftlich echt anerkannt, warum nicht, sie zu kritisieren, ja auch nur darauf aufmerksam zu machen, provoziert nur zu leicht die Gegenfrage "Und was ist mit dir?". Das beste, was ich tun kann ist, mit dieser verlogenen Zivilisation aufzuhören und bei mir mit dem Ändern anzufangen. Rückschläge gibt es da schon mehr als genug.

Die Geschichte, soweit man den Text so nennen kann, rennt bei mir jedenfalls offene Türen ein. Das ist aber schon das Problem. Meine Gedanken wiederholen oder unterstützen kann ja jeder Text, damit ist nicht gesagt, ob ich aus ihm auch etwas mitnehme. Schachtel- und Bandwurmsätze, sowie Handlung bestenfalls als Dekor, in Alibi-Funktion, um den Text gerade noch als Geschichte bezeichnen zu können, werfen für mich die Frage auf: Lohnt es sich, weiter nach neuen Erkenntnissen zu schürfen?

Die Geschichte, soweit man den Text so nennen kann, könntest du ausbauen: Zu allererst zu nennen sind Absätze, so ist das eine Bleiwüste, kein Wunder, dass deine Leser da aussteigen. Weniger geistigen Monolog, mehr in Form von echter Handlung darstellen. Auf fremde, reale Namen/Werke zu verweisen hat meiner Meinung nach noch keiner Kurzgeschichte geholfen, das schmälert den Geschichtencharakter nur noch mehr. Den sehe ich in dem Text in seiner jetzigen Form ehrlich gesagt nur mit fest zugekniffenen Augen. ;)

Mach was dran.

-- floritiv

 

Da findet sich doch wahrhaftig einen früherer Text von Dir, "der" Vorgänger von Vater & Sohn,

liebe[r] tiho,

die aber meilenweit auseinanderliegen. Konnt ich im Vater und Sohn Formwillen erkennen, so ist Dein Erstling dagegen eine Schwatzbude. – als hättestu einfach drauflosgeschrieben, was Dir gerade in den Sinn kam, das zudem einige Mal gequält witzig klingen soll, was mich dann wiederum hoffen lässt, dass der Text eine Parodie sei - beim Wort Satire sträubt sich alles bei mir. Aber im Einzelnen:

Vor Jahzehnten versuchte Oswald Wiener die (auf den meisten wohl zu sperrige Weise und zu umfangreich, aber durchaus gelegentlich genial anmutende) Verbesserung von Mitteleuropa. Was kann man auch von einem Wissenschaftler, der in Kunst macht (und Literatur ist doch wohl eine) anderes erwarten. Aber Oswald hat in seiner Tochter, Sarah W., einen Teil seines Projektes realisiert: die begnadete Köchin hat wohl Deine Gedanken vorweggenommen und was gegen getan. Denn da muss ich Meridian recht geben: Du grübeslst allein über eine Verbesserung / Veränderun Mitteleuropas nach, was nicht bedeutet, dass ein innerer Monolog keine Geschichte sei, spielt sich doch jedes fiktive Geschehen, wie auch die Historie, die, wiewohl weniger fiktiv als real, bevor’s in und auf andeme Medium veröffentlicht und sinnlich wahrnehmbar wird vor allem im Kopf ab …

Ach, nun schwätz ich selbst wieder klug daher! Bissken Freude für die Kleinkrämerseele von einem, der immer schon untergewichtig und somit ein dürres Männlein ist und doch fressen und saufen kann wie ein Loch:

Schon der zwote Satz lässt mich fürchten, dass ein Kleist’sches Schreibmodell ausprobiert wird:

Ich stehe vor dem Regal. Der Überfluß an Dingen, die irgendjemand so schön bunt und attraktiv für mich gestaltet hat, die wiederum von irgendjemand anderem mit Geschmacksverstärker, der mich in einer Stunde wieder hungrig werden lässt, garniert wurde, um meine Treue für sein Produkt zu garantieren, welches genaugenommen nicht sein oder ihr Produkt, sondern der eines sehr reichen Menschen ist, der sich durch mich, den Konsumenten seines Produktes, seinen Weg in den für uns alle unvermeidlichen Tod versüßen lässt, verursacht in mir ein schlechtes Gewissen.
Warum dieses unbestimmte adverbiale
irgendjemand?,
dessen ursprüngliche Bedeutung (Althochdeutsch: io wergin spielte mit dem io auf Ewigkeit und somit die Zeit an, die Silbe wer entspricht keineswegs dem gleichnamigen heutigen Pronomen, sondern eher einem wo. Von seinem Ursprung her verknüpft es also Raum und Zeit). So wie irgendwo eher nirgendwo, ist irgendjemand zugleich ein niemand. Böten sich hier nicht die schlichteren Varianten des einen und des anderen an, was ja beim zweiten Mal geschieht, überflüssig wie ein Kropf davor das attributiv verwendete irgendjemand.

Auch bei den Pronomen (mich, meine und dann doch: sein und ihr) sollte Sparsamkeit walten: Ist die Konsumwelt nur für den Icherzähler, ich geh’s mal direkt an, für Dich geschaffen? Da müsste der übertrieben Reiche aber auch bald Konkurs anmelden. Und die singulär verwendeten Pronomen in der dritten Peron (sein / ihr), soll das eine Parodie auf pc (Political correctness) sein? Auch in dieser Konsumwelt arbeiten mehr als ein Männlein und ein Weiblein, dass ein ihr im Plural genügen würde, wenn schon wenigstens zwo Leute, wenn auch unbestimmt, benannt sind (der [eine] und der andere irgendjemand). Auch könnten einige weitere Attribute wegfallen, ohne dass die Satzaussage Schaden nähme.

Zudem müht sich die Rechtschreibkommission ein Jahrzehnt um eine Vereinfachung der Orthographie, dass man der Regel, man schreibe, wie man spreche, und denen, die sich nix oder bestenfalls schlecht merken können geholfen werde –
und doch bleiben selbst die Jungen an der alten Schreibweise hängen!

Überfluß
müsste nach der alten Schreibweise nun [’y:bɐflu:s] statt [’y:bɐfluzz] ausgesprochen werden. Da solltestu Dich der neuen Schreibweise doppel-s getrost nähern.
Oder solltestu Deine eigenen Regeln haben:
“Deutschland schafft sich ab” schiesst es mir durch den Kopf?

Ohne dass ich jetzt auch noch vom Unterschied [Arbeits]produkt und Ware dozieren will, sähe der Satz dann etwa so aus - was natürlich nur ein Vorschlag sein kann und keineswegs zwingend ist:
Der Überflu[ss] an Dingen, die[einer] so schön … für [uns] gestaltet hat, die wiederum von [einem] andere[n] mit Geschmacksverstärker, der [uns] in einer Stunde wieder hungrig werden lässt, garniert wurde, um [unsere] Treue für [das] Produkt zu garantieren, welches genaugenommen nicht … ihr Produkt, sondern der eines … reichen Menschen ist, der sich durch [uns, die] Konsumenten [des] Produktes, seinen[und unseren] Weg in den … Tod versüßen lässt, verursacht … ein schlechtes Gewissen.

Richtig bedenklich wird’s für mich, wenn vom „weißen“ Homo sapiens gesprochen wird, denn selbst der blasseste Nordländer stammt von Afrikanern ab, ohne dass er ein Albino wäre. Der Einwanderer (wir sind alle Abkömmlinge von Wirtschaftsflüchtlingen) war dunkelhäutig, keineswegs blässlich.

Kurz, liebe[r] tiho, da hilft nur eins: Kürzen & Überarbeiten!, oder wolltestu kurz[geschichtlich] nur mal die Welt retten?

Gruß & schönes Wochenende vom

friedel

 

Ok, Ok! Ich geb´s ja zu! Ich hab´einfach mal drauf los geschrieben, mit dem Ziel mich in Bandwurmsätzen, die bewusst veschachtelt sein sollten, auszuprobieren!!!!! Dann kam noch die vage Idee von diesem überforderten Mitteleuropäer, der zwar die Mißstände sieht, aber zu bequem ist echte Konsequenzen draus zu ziehen!
Und das hab ich hier einfach mal reingeworfen und war auf die Reaktionen gespannt! Die hab´ich ja jetzt! :)
Der weiße Homo Sapiens war eigentlich ein Sinnbild für den Mitteleuropäer, der halt nun mal größtenteils weiß ist!
Danke Friedel für den Tipp, das alle eigentlich aus Afrika kommen!! Wußte ich, aber wie gesagt einfach drauflosgeschrieben! (Bitte vergebt mit diesen Frevel) :) !
Ich versuch mich zu bessern
Grüße und Danke an alle Leser und konstruktiven Kritker!
bis denn

 

Hallo tiho,

... (Bitte vergebt mit diesen Frevel) !
Ich versuch mich zu bessern -
was Dir doch schon im Vater & Sohn gelungen ist.

Gruß & schönen Restsonntag wünscht der

Friedel

 

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