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Die Legende von J. M.

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02.09.2007
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Die Legende von J. M.

„Opa, wer ist J. M.?“, fragte der Enkel seinen Opa beim Betrachten eines alten Fotos.
Auf dem Foto waren zwei männliche Personen abgebildet, die vor einem Schiff standen. Den Mann auf der rechten Seite erkannte der Enkel, auch wenn dieser jetzt viel älter war. Doch er kannte den Mann, der an der Seite seines Opas war, nicht. Auf dem Rahmen des Fotos waren die Worte „J. M. – Möge er in Frieden ruhen“ eingeprägt. Der Enkel blickte zu seinem im Schaukelstuhl sitzenden Opa hoch.
„J. M.“, wiederholte dieser leise und blickte von seiner Zeitung auf. „Ja, das war ein tapferer junger Mann. Tapferer als wir alle zusammen“, sagte er nach einer kurzen Pause.
„Sogar tapferer als du, Opa?“, wunderte sich sein Enkel.
„Oh ja, viel tapferer als ich je hätte sein können“, seufzte er, dann warf er seinem neugierigen Enkel ein kurzes Lächeln zu und widmete sich wieder seiner Lektüre.
Doch das Interesse des Enkels wurde gerade erst geweckt und er konnte es nicht glauben, dass sein Opa, der doch nie eine Gelegenheit auslässt, um Geschichten aus seinen alten Seemannsjahren preiszugeben, bei dieser hier keine Anstalten macht sie zu erzählen.
„Möchtest du mir die Geschichte, die hinter dem Bild steckt, denn nicht erzählen?“
Doch die Antwort war nicht die, die er erwartet hatte.
„Och, nein, mein kleiner Johnny. Heute nicht mehr, ich bin schon ziemlich müde.“
Das genügte dem Enkel nicht, sondern spornte ihn nur noch mehr an. Also stellte sich der Enkel vor ihn und schaute ihn mit den größten Augen, die er in der Lage war zu erzeugen, an und ergänzte diesen unwiderruflichen Ausdruck durch einen perfekten Schmollmund.
„Bitte, Opa, ich möchte sie so gern hören“, brachte er durch seine verformten Lippen hervor.
Sein Opa schaute von seiner Lektüre hoch und sah, dass es seinem Enkel sehr ernst war und dieser nicht so schnell aufgeben würde. Also seufzte er ein weiteres Mal.

„Das Schiff im Hintergrund das war meine Schwalbe“, begann er die Geschichte.
„Ich habe gerade einen neuen Steuermann bekommen, frisch aus der Ausbildung. Sein Name war J. M. Wir schwammen von Detroit über den Eriesee nach Buffalo. Unsere Besatzung war wohl auf und wir hatten die besten Passagiere, die man haben kann. Wir hatten keine Proble-me mit ihnen, keine nervigen Gäste, die mit allem unzufrieden waren und so...“
Der Enkel lauschte seinem Opa aufmerksam. Er war fasziniert wie sein Opa diese Geschichte erzählte, so hatte er ihn noch nie reden hören. Der Enkel hing so sehr an den Lippen seines Großvaters, dass er sich selbst zu den gut gelaunten Passagieren begab. Leise vor sich hin pfeifend, auf dem Deck der Schwalbe, gesellte er sich zu einer kleinen Gruppe von Leuten, die den jungen J. M. fragten wie lange sie denn noch fahren würden. Der schaute nach vorn und schaute in die Rund‘: „Noch dreißig Minuten ... halbe Stund‘!“ Und alle waren sie glücklich und zufrieden.
„Und dann kam der Moment der alles verändern sollte“, drang die Stimme des Großvaters durch die Vorstellung seines Enkels.
Doch dieser nahm die Stimme nur noch im Hintergrund wahr, denn im Vordergrund brach Geschrei aus dem Schiffsraum aus. „Feuer!“ war es was da klang, ein Qualm aus Kajüt und Luke drang. Flammen überall und sie hatten noch eine zwanzigminütige Fahrt vor sich.
Und die Passagiere brachen in Panik aus und stürmten wild durch einander. Johnny wusste nicht wohin, alles ging so schnell und alle liefen in verschiedene Richtungen. Doch dann hörte er wieder die Stimme seines Opas, doch diesmal kam sie von dem Mann auf dem Foto. Die jüngere Version seines Großvaters forderte freundlich aber bestimmt alle auf, sich am Bug-spriet zu versammeln, dort wo der wenigste Qualm war. Johnny sah seinem Opa zu, wie er vergeblich versucht die Leute zu beruhigen. Doch ein Jammern wurde laut: „Wo sind wir? Wo?“ Und die Uhr drohte mit weiteren fünfzehn Minuten in diesem Chaos.
Zwischen den vielen Leuten und dem bleibendem Rauch eingeklemmt, fiel es Johnny schwer zu atmen. Je schwieriger es wurde, desto mehr Angst bekam er. Um ihn herum machten die Menschen hektische Bewegungen und schrien durcheinander. Er versuchte sich einen Weg raus aus dieser wilden Menge zu erkämpfen. Egal was dort vorne auf ihn wartete, er musste aus dieser Masse raus. Wie in einem Dschungel aus Lianen schob er auf seinem Weg in die geheimnisvolle Freiheit Beine und umherfuchtelnde Arme auseinander. Die Leute um ihn herum bekamen davon nichts mit. Ein Taschendieb hätte sich hier einen großen Lohn verdienen können, wenn er nicht selbst in lauter Panik verloren wäre. Als Johnny endlich keine groben Hindernisse mehr im Weg waren, stand er vor einer Wand von Qualm, welcher ihn zu verschlingen schien. Doch dann erkannte er vor ihm die Umrisse einer Figur. Diese war groß und anscheinend auf etwas fixiert, das in der Weite vor ihm lag. Aber das konnte nicht sein, denn hier war es schon kaum auszuhalten, wie konnte dann noch etwas oder gar jemand weiter hinten ihm Qualm stehen? Und da hörte er zum zweiten Mal auf diesem Schiff die Stimme seines jüngeren Großvaters durch ein Sprachrohr, welches die Person vor ihm in der Hand hielt.
„Noch da J. M.?“
„Ja Herr. Ich bin!“

Und da wurde es Johnny schlagartig klar, dass jemand genau in dieser Sekunde, am anderen Ende des Schiffes, das Schiff steuern musste. Gefangen zwischen dem Qualm und der eigen auferlegten Pflicht die Passagiere und die Besatzung gesund ans Ufer zu bringen.
Das Schiffsvolk jubelte: „Halt aus! Hallo!“
Und Buffalo war in zehn Minuten in Sicht. Doch der Qualm blieb hartnäckig und sog jede Sekunde mehr frische Luft ein. Johnny schnaufte und griff sich am Bein seines Opas fest. Er konnte sich gar nicht vorstellen, wie dieser arme Mann da vorne sich tapfer am Steuer fest-krallte und versuchte für die Anderen seinen spindeldünnen Lebensfaden noch ein paar Momente weiter zu halten.
„Noch da J. M?“
Und als Antwort schallt’s mit ersterbender Stimme: „Ja Herr, ich halt’s!“

Und beim kaum hörbaren Klang dieser dünnen, kraftlosen, verlorenen Stimme, stieg in Johnny die Angst noch höher. Er drückte seinen Körper noch fester an das standhafte Bein. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er konnte diese auch nicht halten, sodass sie rasch über seine Wangen liefen. Seine Augen schließend und nach Luft ringend, flüsterte er hilflos: „Ich will noch nicht sterben.“

Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur Einer fehlt.

Der Enkel schlug die Augen auf und fand sich auf dem Boden des Wohnzimmers wieder. Er lag zu den Füßen seines Opas. Der Enkel schaute zu diesem auf, doch sein Opa schien es gar nicht zu bemerken, sondern schaute nur stur geradeaus und murmelte in einem monotonen Ton die Geschichte weiter: „Und da waren wir dann. Die Glocken erfüllten die ganze Stadt, doch das war nicht nötig, denn die ganze Stadt nahm am Trauermarsch teil. Kein Aug‘ im Zuge, das tränenleer. Wir waren erfüllt von Ehrfurcht und Dankbarkeit. Der Mann, den wir gerade zu Grabe trugen, hatte uns allen das Leben gerettet. Und was tat ich? Ich, Kapitän des Schiffs? Der Vater der Schwalbe? Ich ging vom Schiff und ließ meine Tochter und diesen armen jungen Mann alleine sterben. Er hatte sein ganzes Leben vor sich und schied so früh aus dieser Welt. In diesem Moment lag er tot in diesem Sarg. Und was machte ich? Ich lief quicklebendig den Weg zum Friedhof, um ihm, unserem Held, unserem Retter, die letzte Ehre zu erweisen. Was war ich doch nur für ein Feigling gewesen. Welcher Kapitän verlässt sein Kind, wenn dessen letzte Stunde schlägt? Welcher Kapitän lässt einen anderen für sich sterben. Nur ein feiger, nichtsnutziger Angsthase wie ich! Einer der Angst vor Tod hat. Doch was bleibt einem vom Leben, wenn man mit ansieht, dass jemand für dich sein Leben lässt, sein kostbares, junges Leben. Jetzt kann ich nichts mehr tun. Ich konnte nur diese Totenfeier so aufwändig wie möglich gestalten, um wenigstens etwas für ihn zu tun. Wir legten den Sarg in ein Blumenbeet und schlossen das Grab mit weiteren Blumen. Auf dem Sarg verewigten wir schließlich mit goldener Schrift, wie es einem Mann wie ihm gebührt, seine Heldentat. Es war das Einzige was wir tun konnten. Heute können wir nur noch versuchen ihn durch unsere Worte ewig am Leben zu erhalten.“

Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand,
hielt er das Steuer fest in der Hand,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron‘,
er starb für uns, unsre Liebe, sein Lohn,
John Maynard!​

- „John Maynard“ von Theodor Fontane -​

 

nach dem Gedicht von Theodor Fontane

Ich wusste nicht genau in welche Rubrik das passen könnte, also wäre es mir Recht, wenn diese Geschichte verschoben werden würde.

 

Hallo,

Auf dem Foto waren zwei männliche Personen abgebildet, die vor einem Schiff standen.
„Männliche Personen“? Personen verwendet man extra, um etwas geschlechtsneutral auszudrücken oder um irgendwie in irgendeiner juristisch-bürokratischen Unterscheidung zu sprechen, aber „männiche Personen“? Das ist als würde man sagen: Brotige Backwaren oder kätzische Tiere.

Den Mann auf der rechten Seite erkannte der Enkel, auch wenn dieser jetzt viel älter war. Doch er kannte den Mann, der an der Seite seines Opas war, nicht.
Eleganter bitte. Den Mann auf der rechten Seite erkannte er. Zweifellos. Das war sein Opa. Aber wer war der andere Mann auf dem Bild?

„J. M. – Möge er in Frieden ruhen“ eingeprägt.
Genau genommen, sind das „Wörter“, nicht Worte. Wörter ist das tatsächlich, sehbare, geschriebene Wort. Und „Worte“ sind das inhaltliche.
Seht die Wörter an der Wand – Vernehmt die Worte des Herren.
Und Wörter … also „J.M.“ ist kein Wort, das kommt dann danach und ist eigentlich keins. Die Wörter „1947 starb er“ z.B. – klar sind „starb er“ Wörter, aber 1947 eigentlich nicht; Und J.M. ist auch kein Wort, sondern das sind Iniatlien.

„J. M.“, wiederholte dieser leise und blickte von seiner Zeitung auf
Sagt er da wirklich Jot Em, oder sagt er Jay Äm? Und wie sagt er das? Ich kann mir schwer vorstellen, dass irgendjemand Jot Em – das war ein Mann sagt.

Unsere Besatzung war wohl auf und wir hatten die besten Passagiere, die man haben kann.
Ach nee … das find ich so unglaubwürdig alles. Interessiert man sich wirklich für die Passagiere? Und Schwalbe … Eerie-See, ich hatte das Gedicht auch in der Schule. Fuffzehn Minute – ne Viertelstund!

Er war fasziniert wie sein Opa diese Geschichte erzählte, so hatte er ihn noch nie reden hören.
Bitte? Jot Em das war ein Mann. Die Passagiere waren klasse, haben keinen Stress gemacht. Das reicht dem Jungen schon? Darauf steht er? Der Opa muss ja sonst furchtbare Geschichten erzählen. Und so etwas wie ein Buch oder ein Radio/Fernsehen scheint es dort auch nicht zu geben.

Der schaute nach vorn und schaute in die Rund‘: „Noch dreißig Minuten ... halbe Stund‘!“ Und alle waren sie glücklich und zufrieden.
Ey, nicht meine Kindheitserinnerungen an das Gedicht kaputt machen.

Hmpf, also die Geschichte hat nen Haufen Meta-Probleme. Zum einen ist es ganz frustrierend, von einem Jungen zu lesen, der so wahnsinnig in einer Geschichte aufgeht ,wenn man selbst überhaupt nichts sieht, außer ein paar Tempusfehler und Logikfehler.
Und zum zweiten: Du nimmst hier eines der schönsten und bildhaftesten Gedichte der deutschen Sprache und setzt deinen Text dazwischen. Da kann man doch nur verlieren? Man kann doch nicht versuchen, in ein Meisterwerk seinen eigenen Kram reinzuschneiden. Das ist doch … nee, da tut man sich keinen Gefallen mit.
Wenn man versucht, so ist das ja hier, in einer bestimmten Stimmung zu schreiben, mit einem bestimmten Ton, sich anzunähern, dann beraubt man sich ja selbst der Freiheit. Es gibt nur eine Art, so zu schreiben dann, nämlich so, dass es sich diesem Gegenstand einfügt und nähert. Wenn man frei schreibt, dann kann man sich mehr erlauben, aber hier gibt man sich ja in ein Gefüge rein, in so ein Schreiben nach Zahlen-Ding, und dann merkt der Leser viel eher, wenn der Ton nicht passt. Und hier passt er halt nicht.
Ich find das schon sehr schwer, so was zu machen. Vielleicht ist es besser, erst einmal eine eigene Stimme zu finden und sich in ihr sicher zu bewegen und das Erzählen zu üben, bis man sich an solche Collage-Techniken rantraut?

Gruß
Quinn

 

Hallo Quinn,

ich bin hier um etwas auszuprobieren und aus Fehlern zu lernen.
Ich wollte das Gedicht nicht zerstören, denn ich mag dieses Gedicht wirklich sehr. Außerdem habe ich es mit den Worten: "Dreißig Minuten, halbe Stund'" gelernt, so stand es auch in unserem Buch und im Verlaufe des Gedichtes werden die Mintuen ja immer verkürzt.
Ich habe im ganzen Text die Initialen von John Maynard benutzt, um nicht gleich zu verraten wer es ist. Bestimmt merken das schon viele bereits am Anfang, aber ich fand es so besser. J. M. ist sozusagen ein Platzhalter, der sich durch den ganzen Text zieht und eigentlich immer für den ganzen Namen steht.
Mit dem Ausdruck, dass der Junge so fasziniert ist von der Geschichte, habe ich versucht den Perspektivenwechsel einzufädeln, um es auch aus der Sicht des Jungen zu schreiben.

Wie gesagt ich wollte etwas ausprobieren und es ist mir anscheind nicht geglückt. Ich entschuldige mich auch dafür, dass die Geschichte den Anschein erwecke dieses schöne Gedicht zerstören zu wollen, denn das wollte ich mit Sicherheit nicht.

Löwenmäulchen

 

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