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Die Legende vom Heiri
Drei Tage später treten drei Kerle, Kartoffelsackmasken mit grossen Löchern auf dem Kopf, in das Häuschen der Raiffeisenbank. Heiri wartet draussen im Subaru. Die Schalterdame ist allein. Sie liest „John Sinclair – Die Körperfresser“. Als sie eintreten, schaut sie sie durch ihre grosse rote Brille an und hebt die Augenbrauen. „Geld, los, mach!“, ruft Ruedi, der älteste von ihnen, und fuchtelt mit der Hand, während die anderen zwei nur dastehen, die Hände in den Hosentaschen. Als die Schalterdame auflacht, greift er zu seiner Waffe, einem Militärgewehr, wie es damals jeder zuhause hatte. „Ich weiss doch, dass ihr es seid, wollt ihr mich versäckeln?“ „Gopfertami, nein, Geld her!“, ruft er und schiesst ein Loch in den grässlich roten Teppichboden. Sie schüttelt den Kopf. Dann fragt sie bloss: „Ernsthaft?“ Die Drei schauen sich an, zucken die Schultern und nicken. Daraufhin nickt auch sie und gibt ihnen das Geld, es sind nicht einmal zweitausend Franken. Die Drei brauchen ein paar Minuten, um die Banknoten untereinander zu verteilen. Sie verlassen das Häuschen und wollen in das Auto einsteigen. Doch das ist mitsamt dem Heiri weg. Niemand hier hat ihn je wieder gesehen.
Er war ein komischer Kauz, Witwer, kaufte sich Südamerika-Bildbände, die er in der Beiz anschaute, wenn er eine Stange trank. Frau Studer hat ihn noch gesehen, wie er im Wagen hockte und das blaue Dorfschild anschaute. Dann fuhr er gemächlich davon. „Wo ist der Tuubel?“, fragt der Bärtige, der Heiri noch nie gemocht hat und lieber selbst Fluchtfahrer gewesen wäre. „So können wir das nicht durchziehen“, meint der Bierbäuchige, der einmal Pfarrer werden wollte. „Bringen wir‘s zurück.“ Das tun sie. Sie gehen rein, legen das Geld, jeder sein Bündel, auf den Schaltertresen und werfen der alten Jungfer einen Hundeblick zu, sie lächelt schief. Dann sind sie wieder draussen. Die Polizei kam nie. Heiri war also eine Art Held. Seither liegt auf seinem Stuhl immer ein Kissen. Nur auf seinem. Anscheinend ging er noch im Nachbardorf für 15 Franken essen. Danach verlieren sich seine Spuren.
Vielleicht sitzt er jetzt in einem Dorf, das aussieht wie unseres, nur einen anderen Namen hat, oder vielleicht trinkt er in Machu Picchu eine Stange. Seine Sachen bewahrt das Gemeindehaus auf, falls er doch einmal zurückkommen sollte, oder auch nur zu Besuch.