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Die Landschaft der Knochen

Seniors
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28.12.2009
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Die Landschaft der Knochen

Sie stellt die Tasse vor mich hin und nimmt sich eine Zigarette aus meiner Schachtel. Für einen Moment betrachtet sie den Filter, liest den Schriftzug – CAMEL – dann zuckt sie mit der Schulter und sagt: Hast du mal Feuer?
Ich nicke und reiche ihr das Zippo.
Dein Bruder, sagt sie leise und öffnet die Schutzkappe. Der … ich weiß nicht.
Ich dachte, die Ärzte sagen, `s sei alles wieder in Ordnung?
Sie nimmt einen Zug und schüttelt den Kopf. Das kann ja sein, das wird schon seine Richtigkeit haben, wenn die das sagen.
Was meinst du dann?
Der hat jetzt fast ein halbes Jahr lang zu Hause gesessen … Sie sieht mich lange an, legt die Zigarette in den Aschenbecher. Geh‘ ihn ruhig mal besuchen. Der braucht Gesellschaft. Das Alleine sein, das is‘ nix für den.
Ich nehme ein Schluck Kaffee, stelle die Tasse zurück auf den Tisch. Mutter nimmt immer zwei Löffel zu viel Pulver. Ölaugen auf der schwarz schimmernden Oberfläche. Zum Abschied schließe ich sie in den Arm. Wir stehen im engen, schmalen Flur. Auf der Kommode liegt immer noch der Zeitungsartikel über die Freisprechung letztes Jahr. Mein Bruder steht lächelnd neben seinem Gesellenstück, einem aufwändig gestalteten Brandschrank, der an diesem Abend mit dem ersten Platz prämiert wurde.
Stumpfsinnig, sagt meine Mutter und fährt mit den Fingerspitzen über den Artikel. Der wird mir noch stumpfsinnig vom vielen Rumsitzen.
Ich fahr‘ gleich rüber, versprochen.
Sie öffnet die Wohnungstür. Und grüß mir die Lisa.
Mach ich, sage ich und bleibe im Treppenhaus stehen, bis das Licht hinterm Spion erloschen ist. Ich lehne mich gegen das Geländer, gehe Stufe für Stufe ins Erdgeschoss. Draußen vor den Mülltonnen steht Herr Cyron. Er schiebt die Altpapiertonne unter den Verhau, hebt die Hand und sagt: Na, Jung, warste dinge Mutter besuchen?
Muss ja auch mal sein.
Na sicher, sagt er und schürzt die Lippen. Und? Wie läuft der Laden? Rentiert et sich schon?
Rentieren, nee, das können se verjessen, sage ich und schnalze mit der Zunge. Die Leute schmeißen heute doch alles direkt weg, da is nix mehr mit reparieren, und neu, neu kaufen die bei Saturn oder im Media Markt. Die lassen sich von mir beraten, sagen `Vielen Dank` - und weg sindse.
Ja, Jeiz is eben jeil, sagt der alte Cyron und klopft mir auf die Schulter. Sportschau fängt gleich an. Ich wünsch dir wat!
Effzeh wieder auf’m Abstiegsplatz?
Hör mir bloss auf mit denen – nur Driss, alles nur Driss, wat die da zusammenspille. Nächstes Jahr geht’s wieder nach Sandhausen.
Wir lachen beide. Er winkt noch einmal und zieht die Haustür zu. Ich gehe an den Mülltonnen vorbei über die Straße. Aus den Schornsteinen der KEPEC ziehen dichte Rauchschwaden. Den Wagen habe ich im Industriegebiet vor dem Getränkeexpress geparkt, ganz hinten neben den Einkaufswagen. Ich bleibe vor dem Eingang stehen. Die Neonreklame ist kaputt, das Licht flackert. Hinter der Milchglasscheibe sehe ich Schemen. Ich zögere, mache einen Schritt nach vorne – die Tür geht automatisch auf. Leise Musik dringt aus den Boxen. Hinter der Kasse sitzt ein junger Typ mit Wollmütze und starrt auf das Display seines Handys. Ich gehe zu den Kühlschränken und nehme einen Sechserpack Mühlen Kölsch aus dem untersten Fach. Der Junge sieht kurz auf das Bier, tippt einen Betrag in die Registrierkasse ein und sagt: 5,29. Ich lege einen Zehner in die Plastikschale. Er nimmt ihn, lässt ihn in die Schublade fallen und zählt mit einer Hand das Wechselgeld ab.

Das Bier stelle ich auf den Beifahrersitz und starte den Motor. Die Straßen sind frei, kaum Verkehr. Ich fahre an der Grundschule vorbei, biege am neu gebauten Kreisverkehr ab, den Seidenberg hinunter. Ab der Hälfte nehme ich den Gang raus, lasse den Wagen im Leerlauf rollen. Die Flutlichter im Stadion sind eingeschaltet. Mittelrheinliga. In die Stichstraße links. Graues Mietshaus. Ich drücke die Klingel an der Haustür, ein lauter Ton schrillt durch das ganze Treppenhaus. Nach dem sechsten oder siebten Mal höre ich seine Stimme an der Gegensprechanlage.
Ja?
Ich bin’s, dein Bruder. Stille. Er atmet ein, atmet aus, dann klickt der Türöffner. Im Erdgeschoss stinkt es nach Abfall und nassem Hund. Ich lasse das Licht ausgeschaltet. Hinter den Wohnungstüren gedämpfte Geräusche. Fernseher, Musik, Lachen. Auf einem Weichholzregal im Gang liegen Schuhe – alte Ledersandalen, Sneaker, verdreckte Gummistiefel. Die Wohnungstür steht einen Spalt breit offen. Auf dem Mülleimer in der Diele stapeln sich Pizzakartons. Der Fernseher läuft. Ich schließe die Tür hinter mir.

Er sitzt auf der Couch, die Beine ausgestreckt, seine nackten Füße liegen auf einem Sitzkissen. Die Jalouisen sind runtergelassen, einzelne Lamellen verbogen. Das Fenster verschlossen. Auf dem Boden unter dem Tisch steht Leergut. In einer 1.5 Liter PET-Flasche schimmert eine hellgelbe Flüssigkeit.
Was guckste?, frage ich und sehe auf die Mattscheibe. Zwei Bären stehen auf ihren Hinterläufen, die mächtigen Oberkörper erhoben, sie gebärden sich drohend, bereit zum Kampf.
`ne Doku, sagt er. Ich stehe vor der Couch, wir beide sehen auf den Bildschirm. Dann räuspert er sich, hebt den Kopf und sieht mich an. Ich guck' gerne so Dokus, `s gibt da echt abgefahrenes Zeug manchmal …
Ja, sage ich und setze mich neben ihn. Die Bären kämpfen nicht. Sie stieren sich an, kommen sich näher, bleiben Kopf an Kopf voreinander stehen, aber nichts passiert, sie gehen einfach auseinander, verschwinden wieder im Dickicht. Im Regal neben dem Fernseher steht die Playstation, die wir vor ein paar Jahren gemeinsam gekauft haben. Kabel zusammengerollt, die Controller liegen neben der Konsole.
Wie geht‘ s dir?, frage ich, ich betrachte sein Gesicht dabei, und da ist etwas mit seinen Augen, sie sehen eingefallen aus, alt und müde, der Blick starr.
Er nimmt die Fernbedienung von der Couchlehne, fährt mit dem Daumen langsam über die Knöpfe.
Ja, sagt er leise. Muss.
War vorhin noch bei Mutter. Ihr geht’s auch gut so weit.
Ja, die Mutter, wiederholt er und nickt. Dann schaltet er um auf einen Sportkanal. Eishockey.
Waren auch schon ewig nicht mehr in der Kölnarena …
Haie sind doch nix mehr, sagt mein Bruder. Und Jonesy ist auch nicht mehr da.
Ja, der Jonesy, das war einer ...
Mein Bruder schaltet in den nächsten Kanal – es läuft eine Dokumentation über den Zweiten Weltkrieg. Männer in SS-Uniformen. Panzer. Hitler. Hast du Kippen?, fragt er. Klar, sage ich und hole die CAMEL aus der Jackentasche. Er nimmt mir die Schachtel aus der Hand, ich reiche ihm mein Plastikfeuerzeug. Mutter raucht wieder, sagt er und zündet sich eine Zigarette an.
Ja, ich weiß.
Er nimmt einen tiefen Zug, behält den Rauch lange in der Lunge. Die hatte doch schon zwanzig Jahre aufgehört …
Manchmal fängt man mit so `nem Scheiß eben wieder an, keine Ahnung.
Der is‘ einfach langweilig. Er nimmt noch einen tiefen Zug.
Kann sein. Ich zeige auf die Playstation im Regal. `ne Runde Fifa zocken?
Er schüttelt den Kopf. Nee, sagt er. Geht nich‘ mehr …
Ich dachte, die Ärzte haben gesagt, das alles wieder okay is?
Alles okay, wiederholt er. Dann hebt er seine Hand, spreizt Zeige und Ringfinger ab, dreht sie langsam hin und her. Ich sehe die Narben - grobe Risse im Gewebe, immer noch rot unterlaufen. Die Gelenke sind weg, da is nix mehr drin. Die hab’n Gewebe aus’m Arm genommen und das damit … Er atmet Rauch aus. Nich‘ mal `ne Flasche kann ich richtig aufdrehen, und im Daumen, da ist gar kein Gefühl mehr drin, nichts. Der Nerv ist kaputt, da kommt auch nichts mehr wieder, das bleibt so, also was soll da alles okay sein?
Scheiße, das wusste ich ja nicht. Warum hast du nichts gesagt?
Was hätt‘ das geändert? Ändert doch nichts, oder?
Nein, aber …
Aber was? Die Hand, die is‘ verkrüppelt, und das wird die bleiben, bis ich in der Kiste liege. Er starrt mich an, seine Lippen feucht und zusammengekniffen. Dann sinkt er zurück auf das Kissen. Is‘ jetzt so, sagt er noch. Ich ziehe an der Zigarette, ich ziehe so hart, dass sie fast ein Drittel abbrennt. Der Tabak knistert. Im Fernsehen Hitler bei einer Rede, den Oberkörper vorn übergebeugt, das Gesicht verzerrt.
Und was meint der Kelzenbach?, frage ich nach einer Weile.
Was soll der schon meinen, der Kelzenbach? Der weiß auch nich‘, wie es weitergeht. Muss man einfach sehen. Ich konnte ja nix machen, die letzten Monate. Dreimal haben die operiert. Und dann immer die gleiche Scheiße. MD, BG, Unterlagen einreichen, Unfallrente beantragen, was weiß ich nich‘ alles. Baustellen hab’n wir genug, die Arbeit, die is ja da. Aber …
Ja, sage ich. Kann ich mir vorstellen.
Er lässt die Kippe in eine offene Flasche fallen, es zischt kurz. Danach schaltet er um auf einen anderen Kanal. Wieder Eishockey. Wir sitzen nebeneinander, ich halte die Zigarette in der hohlen Hand, spüre die Hitze der Glut. Es läuft die Zusammenfassung eines NHL-Spiels, Maple Leafs gegen Bruins. Wir hören dem englischsprachigen Kommentator zu. Seine sonore Stimme kippt, als er: John Tavares with the backhand, scoooores! schreit. Die Maple Leafs gewinnen in Overtime.
Willst du `n Bier? Ich hab‘ welches unten im Auto, hatt‘ ich extra beim Getränkeexpress gekauft, total vergessen. Ich lasse die halb gerauchte Zigarette in die gleiche Flasche fallen und stehe auf. Mühlen-Kölsch, ich kann grad runtergehen. Was sagste, biste dabei?
Ich bin hier, sagt mein Bruder, ohne mich anzusehen. Ich geh nirgendwohin.
Im Flur mache ich das Licht an, blicke in das Schlafzimmer, ein schmaler, langer Raum der an den Hinterhof grenzt. Das französische Bett, Laken und Decke liegen zerknüllt am Fußende, Laptop, Briefe, technische Zeichnungen auf dem Boden verteilt. Hinter dem Schreibtisch, gegenüber dem Fenster, eine große, leere Stelle. Ich kann noch die Umrisse an der Wand sehen, da, wo der Sonnenschein auf die Raufasertapete eingewirkt hat. Wo is`n der Schrank?
Ich höre, wie er sich auf der Couch bewegt, ein leises, unterdrücktes Husten. Ich bleibe für einen Moment in dem Raum stehen, sehe aus dem Fenster, auf die Wiese im Hof, die Grashalme erhellt durch das grelle, zuckende Licht der Fernsehapparate. Die Hecke, den Rest Stadtmauer, die Siedlung dahinter – zweistöckige Genossenschaftshäuser, von deren Fassaden die Farbe abblättert. Dann drehe ich mich um, bleibe in der Wohnzimmertür stehen. Der Schrank, wiederhole ich. Was hast du mit dem Schrank gemacht?
Ach, macht mein Bruder und legt die Füße hoch. Sperrmüll.
Sperrmüll?
War sowieso viel zu groß, das Ding.
Ich sehe mein Bruder, wie er bei der Freisprechung neben mir sitzt, direkt am Gang, in seinem alten Kommunionsanzug, und als sein Name aufgerufen wird, senkt er kurz den Blick, fast verschämt, aber dann lächelt er und zuckt mit der Schulter, als habe er es nicht anders erwartet.
Okay, sage ich leise und mache das Licht im Flur aus. Geh‘ grad runter, ja?
Er schweigt. Er bleibt vor dem Fernseher sitzen. Ich lasse die Haustür angelehnt.

Draußen ist es kühl, in der Luft liegt schon der Geruch von Regen. Der Himmel hat die Farbe von nassem Silber. Ich schließe die Fahrertür auf, lasse mich auf den Sitz gleiten, umfasse mit einer Hand das Lenkrad. Für einen Moment bleibe ich so sitzen, im gelblichen Licht der Armaturen, dann schließe ich die Tür und es wird wieder dunkel. Das Bier steht im Fußraum. Ich beuge mich über die Mittelkonsole, reiße die Umverpackung auf und ziehe eine Flasche heraus. Das Glas ist eiskalt. Kondenswasser auf dem Etikett. Ein Kater überquert die Straße, sein Körper geduckt, die Bewegungen geschmeidig. Ich klemme mir die Flasche zwischen die Schenkel und starte den Motor. Der Diesel springt mit einem kurzen Ruck an. Im Radio ein Song von Creedence Clearwater Revival. Bad Moon Rising. Die erste Gang kratzt, der Schaltknüppel ist so kalt wie das Glas. Ich fahre. In den zweiten Gang, den dritten, der Motor läuft gleichmäßig, der Duster rollt leise den Tönnisberg hinab. Unten an der Kreuzung halte ich vor dem STOP-Schild. Rechts der neu eröffnete Asiate. Das Geschäft ist längst geschlossen, nur der gedämpfte Lichtschein der Reklame erhellt noch den Häuserblock. Ich war mit Lisa letzte Woche dort. Sie hat ihr Gericht mit Stäbchen gegessen - Reis mit Garnelen in Erdnusssauce. Ich hatte Frühlingsrollen und dazu ein dünnes Bier. Als ich anfahre und die Kreuzung überquere, beginnt es zu regnen. Nieselregen, der die Frontscheibe vernebelt. Der Wind verweht das braun verfärbte Laub. Die Straßen leer. Nur das Geräusch von Reifen auf nassem Asphalt und John Fogerty’s Stimme aus dem Radio. In den Kreisverkehr, links abbiegen, am Affenfelsen vorbei. Auf einem der großen, gelb angestrichenen Balkone steht ein Raucher, die Glut seiner Zigarette ein einsamer, rot flirrender Punkt in der Dunkelheit. Über die Kaiserstraße, am Knast vorbei. Hinter der Unterführung halte ich mit laufendem Motor am Straßenrand, kurbele das Seitenfenster herunter, schmecke die Abgase in der Luft. Für einen kurzen Moment schließe ich die Augen, denke an nichts. Zumindest versuche ich es. Dann lege ich den Rückwärtsgang ein.

Er steht an der nächsten Ampel, die Hand auf dem Drücker, den Blick Richtung Himmel. Der Wind zerrt an seinem Bademantel, bläht die Hälften auseinander. Regen tropft aus seinem langen, blonden Haar. Ich halte auf dem Bürgersteig, stelle den Motor ab. Als ich aussteige, nehme ich das Bier mit. Das Glas ist immer noch eiskalt. Ich halte ihm die Flasche hin, aber er dreht sich nicht um, sieht mich nicht an. Ich öffne die Flasche mit der Kante meines Zippos. Der Kronkorken landet in einem Rinnsal neben dem Gulli. Schließlich nimmt er die Flasche und lächelt schief. Wenn du mit Holz arbeitest, also so richtig, den ganzen Tag lang, von morgens bis abends – weißt du, was ich meine?, dann … keine Ahnung, dann riechst du irgendwann danach, dein Schweiß, deine Haut, deine Haare, alles, dann ist es so … er hält inne und schüttelt den Kopf. Vater sagte immer, ich rieche wie ein Baum.
Wir beide lachen, leise, fast tonlos, und dann nimmt er den ersten Schluck.
Warum hast du das mit dem Schrank gemacht?
Der Regen läuft seinen Hals hinunter, verschwindet im Ausschnitt des T-Shirts, der Stoffrand ist dunkel vor Nässe. Er führt die Flasche mit seiner gesunden Hand an die Lippen, schließt die Augen und trinkt einen Schluck, dann noch einen. Ganz langsam setzt er die Flasche wieder ab, lässt sie bis auf Hüfthöhe gleiten. Jeder kann so einen Schrank bauen, sagt er dann. Das ist nichts. Du brauchst nur einen Plan, einen Plan, das ist alles.
Der Regen wird stärker. Unser Atem kondensiert. Wir schweigen.
Komm, reden wir drinnen. Reden wir drinnen weiter.
Ja, sagt er und nickt.

Ich gehe los, ein, zwei Schritte. Er steht immer noch da, im strömenden Regen, die Flasche Bier in der einen Hand, die andere auf den Ampelmast gelegt, sanft, fast zärtlich.

 

Oh Scheiße, @jimmysalaryman, ich hab grad deine wunderbare Geschichte gelesen. Und vielleicht schaust du mal, ob das noch anderen so geht: Ich wusste nicht, dass "Freisprechung" der Abschluss der Gesellenzeit ist. Ich musste sofort und die ganze Geschichte durch ein Gerichtsurteil nach einem Prozess denken, und dann hab ich mich natürlich die ganze Zeit gefragt, was der Bruder denn angestellt haben könnte. Ich kam erst später durch Nachlesen und über den Fakt, dass der Bruder ja schlecht am selben Tag sein Gesellenstück und vor Gericht freigesprochen worden sein kann, mal auf die Idee, nach Freisprechung zu googlen.
Naja, dann hatte alles plötzlich seinen Sinn und seine Logik. Vielleicht muss man das wissen, und nur ich bin grad so ein Hirndödel. Aber besser ist es, du weißt es, und kannst es ggf ändern, wenn es noch mehr Leuten so geht.

Wie gesagt, eine wunderbare, aber sehr traurige Geschichte.
Den Titel empfinde ich ein bisschen melodramatisch, aber er passt inhaltlich natürlich. Ist vielleicht auch Geschmackssache.
Noch eine Sache, mir wurde am Anfang erst bisschen spät klar, dass man mit der "Sie" die Mutter vor sich hat. Ich musste sofort an eine alte Liebe denken, die er nach langer Zeit mal wieder besucht. Und wieso erinnert die ihn dann an seinen Bruder? Also auch eine Irritation.
Es kann aber auch gut sein, dass die Irritationen heute ganz und allein mit mir zusammenhängen, bin erkältet und entsprechend verschwiemelt, aber du kannst die Stellen ja mal im Kopf behalten und ggf prüfen.

Anbei beim Lesen:

Das Alleine sein, das is‘ nix für den.
Ich nehme ein Schluck Kaffee, stelle die Tasse zurück auf den Tisch.
Das Alleinesein
Ich nehme einen Schluck Kaffee

Wenn du mit Holz arbeitest, also so richtig, den ganzen Tag lang, von morgens bis abends – weißt du, was ich meine?, dann … keine Ahnung, dann riechst du irgendwann danach, dein Schweiß, deine Haut, deine Haare, alles, dann ist es so … er hält inne und schüttelt den Kopf. Vater sagte immer, ich rieche wie ein Baum.
Scheiße, das hat richtig weh getan. Ja, ich kann mir das gut vorstellen, wie die verletzte Hand, die ja schon jeden in ein Loch stürzen würde, weil man sich von so viel verabschieden, mit so viel Schwierigkeiten umgehen muss, aber dass die Verletzung diesen Mann hier regelrecht entwurzelt. Das ist verrückt, das Sprachbild passt hier zu dem Schicksal des Manne und zu deiner Textstelle wie die Faust aufs Auge.

Wie immer wunderbare treffende Dialoge, eine atmosphärische Dichte vom Feinsten. Einfach saugerne gelesen.
Novak

Später: Ha, und jetzt ist der Titel anders. Das ging ja schnell wies Brezelbacken.

 

@Novak

danke dir, liebste Novak, für deinen Kommentar und für deine Zeit.

Ja, ist eine traurige Geschichte. Ist auch eine relativ wahre Geschichte, denn mein Bruder, der Möbelschreiner gelernt hat, hat sich tatsächlich zwei Finger aufgesägt, und war danach in einer ganz seltsam brütenden Stimmung, die fast zwei Jahre angedauert hat. Ist schon etwas länger her, und jetzt habe ich auch ausreichend Abstand, um diese Geschichte irgendwie zu verpacken. Ja, also hat mich auch Überwindung gekostet, dies so zu schreiben, aber es soll ja nicht den Text gegen Kritik immunisieren, so ein Schwächling bin ich auch nicht. :D

Das mit der Mutter muss ich überdenken. Ich wollte nicht sofort in diese Situation rein damit, sondern sie sich langsam aufbauen lassen. Aber klar, ich verstehe schon, dass sich die Dynamik dadurch verändert, bzw der Leser etwas irritiert ist, wobei ich das gar nicht schlimm finde, wenn er zweimal lesen muss. Ich überlege mir was. Mit der Freisprechung ist es so eine Sache, da gibt es, so weit ich weiß, kein anderes Wort, keines, was mir einfällt jedenfalls. Mir ist klar, dass dies vielleicht anders rüberkommt, also dass man das anders interpretieren kann, aber wie gesagt, mir fällt echt kein anderes dafür ein. Lossprechung vielleicht!!!

Wie immer wunderbare treffende Dialoge, eine atmosphärische Dichte vom Feinsten. Einfach saugerne gelesen.

Ja, hey, danke dir. Ich habe lange nichts mehr hier veröffentlicht, weil ich einfach zu busy war mit dem neuen Roman etc, aber jetzt hab ich wieder mehr Zeit und auch richtig Bock. Da nehme ich dein Lob jedenfalls gleich mal als Ansporn! Zenks!

Gruss, Jimmy

 

Mit der Freisprechung ist es so eine Sache, da gibt es, so weit ich weiß, kein anderes Wort, keines, was mir einfällt jedenfalls. Mir ist klar, dass dies vielleicht anders rüberkommt, also dass man das anders interpretieren kann, aber wie gesagt, mir fällt echt kein anderes dafür ein. Lossprechung vielleicht!!!
Bei uns Kölner Tischlern heißt das Lossprechung. Mag regional unterschiedlich sein.

 

Naja, wenn ichs genau nehme, war ich auch ziemlich verpeilt. Erkältung halt. Wenn es um einen Prozess gegangen wäre, hätte es Freispruch heißen müssen und nicht Freisprechung. Und im Zusammenhang mit Gesellsenstück eigentlich klar. Also ich denk, ich hatte da einfach eine verschnupfte Bildungslücke.

 

Hallo,

erstmal vorneweg: natürlich handelt es sich nicht um meinen Bruder, in dieser Geschichte. Das ist kein autobiographischer Text, sondern komprimierte, verdichtete Fiktion. Sie ist lediglich davon inspiriert.

Trotzdem hat mich diese Stelle nicht so berührt, wie wahrscheinlich von dir angedacht.

Nö, ganz ehrlich, ich denke mir jetzt nie, diese und jene Szene soll so und so ankommen, wenn ich das wüsste, müsste ich diese Texte ja nicht mehr hier präsentieren.

Ich denke das liegt daran, dass wir über deinen Bruder ziemlich wenig erfahren. Natürlich ist dir dein Bruder deutlich vertrauter als dem Leser. Man erfährt zwar über die Mutter, dass er früher nicht den ganzen Tag in seiner Wohnung verbracht hat; trotzdem ist der Kontrast für den Leser nicht fassbar, weil man eben nicht weiß, wie er früher war.

Das läuft so etwas konträr zu dem, wie dieser Text angelegt ist. Der Erzähler ist ja sehr gegenwärtig, er erfährt Dinge, er sieht Dinge, und er gibt das in einem knappen, reduzierten, fast schon Telegramm-artigen Stil wieder. Natürlich ist das der Perspektive geschuldet, ich habe ja bewusst diesen sehr schmalen Ausschnitt gewählt, in dem der Erzähler sein Erleben dem Leser präsentiert, ohne große Reflektionen. Warum tue ich das? Weil ich glaube, dass Rückblenden, also das was du erinnern nennst, immer narrative Krücken sind. Sie sollen etwas erledigen, eine Funktion übernehmen, die dem Text nicht immanent ist. Das ist ja auch ein künstliches Erhöhen der Dramatik - sieh mal, so war mein Bruder jetzt, und so ist er jetzt! Und jetzt alle mal kräftig weinen. Ich kann dieses Verlangen nach Fallhöhe, und auch später, nach Auflösung, nach Karthasis, nach einem Happy End, absolut verstehen, denn das sind ja die gängigen Schemata von Hollywoodkino, von Mainstreamproduktionen. Aber so läuft das in meinen Texten eben nicht. Ich fühle mich da einfach einer anderen Tradition, einer anderen Schule verpflichtet. Ich glaube, man sollte nichts erklären, man sollte die Charaktere handeln, sie sprechen lassen. Eine Besserung, wie du es nennst, ein Happy End würde sich für mich wie ein Verrat an der Geschichte und an den Figuren anfühlen. Es wäre mir einfach zu unsubtil, und dann würde auch die ganze Konstruktion in sich zusammenfallen. Der Erzählposition gibt das auch einfach nicht glaubwürdig her - er ist gegenwärtig, so extrem nah, dass er kaum seine eigenen Gefühle fassen, beschreiben kann, und dann soll er noch reflektieren, sich erinnern, das alles ordnen, während es passiert? DAS würde ich mal eine sehr dürftige Konstruktion nennen. Es gibt genau eine Rückblende, eine knappe Erinnerung, und zwar wie der Bruder den Preis für sein Gesellenstück gewinnt, und wie er es im Grunde auch schon ahnt. Der Bruder hat auch früher nicht nur nicht den ganzen Tag in der Wohnung abgehangen, das klingt ja fast schon banal - hier geht es doch darum, dass er wahrscheinlich nicht mehr diese Arbeit ausführen kann, eine Arbeit, die ihm offensichtlich etwas bedeutet, sehr viel bedeutet, und die er gut beherrscht, die sein Lebensinhalt gewesen ist, und seine Zukunft ist ungewiss. Er identifiziert sich ja bereits mit dem Holz, mit dem Urstoff, und durch einen Arbeitsunfall wird ihm das nun alles genommen. Oder auch nicht. Das bleibt offen. Das steckt, in meinen Augen, alles im Text. Ich kann aber, wie gesagt, deine Erwartungshaltung an Texte oder Narrationen allgemein verstehen.

Ich finde dafür, dass du teilweise Bewusstseinsströme beschreibt, macht er sich sowieso etwas wenig Gedanken über seinen Bruder und lieber über Asia-Restaurants. :lol:

Ich finde die Stelle mit den Asia-Restaurants übrigens auch gar nicht zum lachen, denn dort wird etwas ganz Wichtiges scheinbar nebensächlich verhandelt: Lisa, die Frau oder Freundin des Erzählers, isst ihr Essen mit Stäbchen. Das ist etwas, dass sein Bruder wahrscheinlich nicht mehr können wird, weil Finger und Daumen nicht mehr so können, wie er es will. Überhaupt tun in diesem Text ständig Leute etwas mit ihren gesunden Händen, das könnte man ja, wenn man wollte, auch als eine Art Sub-Text deuten, als ein Symbol, wie eine Bedeutungsfolie, die unter dem Eigentlich, dem Erzählten liegt.

Danke für deine Zeit und deinen Kommentar,

Gruss, Jimmy

 

Hallo @jimmysalaryman ,


Mutter nimmt immer zwei Löffel zu viel Pulver. Ölaugen auf der schwarz schimmernden Oberfläche. Z

Also das mag ich an Deinen Geschichten. Diese Beobachtungsgabe für das Detail. Musste gleich an den Kaffee meiner Oma denken.

Gestolpert bin ich noch über das frz. Bett, das zerknüllt am Boden liegt. Für mich ist das frz. Bett das Bett an sich und nicht das Bettzeug. ?

Im Übrigen eine einfühlsame Geschichte, die mir gut gefallen hat. Besonders, wie Du den Bruder zeichnest, der sich selbstaufgebend, -bemitleidend im eigenen Mist verkriecht.
Und die Mutter scheint auch nicht sehr hilfreich zu sein. Verfällt in eigene Süchte anstatt dem Sohn in den ...

Gern gelesen! Und wenig zu meckern ?.

LG
Mae

 

Hallo @Maedy

danke dir für deinen Kommentar und deine Zeit. Ich dachte, ich habe das ausreichend abgetrennt mit dem Komma, nach dem französischen Bett, also das nicht das Bett ungemacht ist, sondern zuerst sieht er das Bett, DANACH das Laken etc. SO war es gemeint. DOOF wenn es nicht so rüberkommt. Muss ich nacharbeiten.

Ja, ich denke, das ist so ein Thema, das mich mitgenommen hat, wenn Menschen durch solche Dinge etwas Wichtiges in ihrem Leben verlieren. Ich wollte es ganz zurückgenommen erzählen, nicht auf die Tränendrüse drücken, und auch mit einem offenen Ende, weil ich denke, das passt am besten. Mal sehen.

Gruss, Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey jimmy,

schöner Text! Da bin ich wieder ganz bei Dir!

Sie stellt die Tasse vor mich hin und nimmt sich eine Zigarette aus meiner Schachtel. Für einen Moment betrachtet sie den Filter, liest den Schriftzug – CAMEL – dann zuckt sie mit der Schulter und sagt: Hast du mal Feuer?
Sie, die Ex?

Dein Bruder, sagt sie leise und öffnet die Schutzkappe. Der … ich weiß nicht.
Ich dachte, die Ärzte sagen, `s sei alles wieder in Ordnung?
Die Freundin vom Bruder? Der Gedanke hält ein bisschen an, bis es dann in Mutter kippt. Ich also wie die anderen :).

Der hat jetzt fast ein halbes Jahr lang zu Hause gesessen … Sie sieht mich lange an, legt die Zigarette in den Aschenbecher. Geh‘ ihn ruhig mal besuchen. Der braucht Gesellschaft. Das Alleine sein, das is‘ nix für den.
Die haben sich also ein halbes Jahr lang nicht gesehen. Der Bruder hatte den Unfall und seit her war da eher weniger Kontakt. Okay. Ich stelle das Zitat jetzt nur so raus, weil mich diese Info beim Lesen durch den Text begleitet hat.

Ich bleibe vor dem Eingang stehen. Die Neonreklame ist kaputt, das Licht flackert. Hinter der Milchglasscheibe sehe ich Schemen. Ich zögere, mache einen Schritt nach vorne – die Tür geht automatisch auf. Leise Musik dringt aus den Boxen. Hinter der Kasse sitzt ein junger Typ mit Wollmütze und starrt auf das Display seines Handys.
Ich mag deine Details, deine Stimmungsbilder. Das hier besonders.

Ja?
Ich bin’s, dein Bruder. Stille. Er atmet ein, atmet aus, dann klickt der Türöffner.
So is wohl. Der eine muss sagen, wer er ist, der andere atmet erst mal tief durch.

Ja, sage ich und setze mich neben ihn. Die Bären kämpfen nicht. Sie stieren sich an, kommen sich näher, bleiben Kopf an Kopf voreinander stehen, aber nichts passiert, sie gehen einfach auseinander, verschwinden wieder im Dickicht.
Könnte jetzt auch fast die Zusammenfassung der Story sein, nur das bei Dir noch einen Absatz weiter geht.

Mutter raucht wieder, sagt er und zündet sich eine Zigarette an.
Ja, ich weiß.
Mutter hat das auch noch nicht verarbeitet. Die leidet mit.

Manchmal fängt man mit so `nem Scheiß eben wieder an, keine Ahnung.
Der is‘ einfach langweilig. Er nimmt noch einen tiefen Zug.
Ach, je ...
Irgendwie sind bei dem Unfall nicht nur die Knochen abhanden gekommen. Die Familie ist auseinandergerückt, wie mir scheint, anstatt zusammen. Warum?

Die Gelenke sind weg, da is nix mehr drin. Die hab’n Gewebe aus’m Arm genommen und das damit … Er atmet Rauch aus. Nich‘ mal `ne Flasche kann ich richtig aufdrehen, und im Daumen, da ist gar kein Gefühl mehr drin, nichts. Der Nerv ist kaputt, da kommt auch nichts mehr wieder, das bleibt so, also was soll da alles okay sein?
Bleiben ihm zwei Finger. Shit. Ich habe mal eine Doku über die Notaufnahme an Silvester gesehen vom Krankenhaus gleich ums Eck. Die sind dort spezialisiert auf Brandwunden, d.h. fast jeder dem ein Böller oder eine Rakete (in Berlin) in der Hand losgeht, landet dort. Die amputieren die ganze Nacht. Und wenn später die Verbände das erste Mal abgenommen werden, ist immer ein Psychologe dabei. Musst ich gerade dran denken. Waren ja auch zu meist junge Burschen.

Scheiße, das wusste ich ja nicht. Warum hast du nichts gesagt?
Was hätt‘ das geändert? Ändert doch nichts, oder?
Okay, er dachte ist alles okay. Haben sich also so ein halbes Jahr nicht gesehen. Aber er hat auch nicht gefragt.

Was hast du mit dem Schrank gemacht?
Ach, macht mein Bruder und legt die Füße hoch. Sperrmüll.
Sperrmüll?
War sowieso viel zu groß, das Ding.
Der Schrank war ja so eine Art Zukunftsversprechen. Ich kann's verstehen.

Ich klemme mir die Flasche zwischen die Schenkel und starte den Motor.
Schöne Wendung! Ist ihm zu viel? Fühlt er sich zu hilflos? Hat er das Gefühl jetzt Verantwortung übernehmen zu müssen? Muss er erst mal selbst drauf klarkommen? Schuldgefühle wegen der letzten sechs Monate? Ein bisschen von allem? Was auch immer, ich habe es gekauft, dass er (mal kurz) abhaut.

Die Straßen leer. Nur das Geräusch von Reifen auf nassem Asphalt und John Fogerty’s Stimme aus dem Radio. In den Kreisverkehr, links abbiegen, am Affenfelsen vorbei. Auf einem der großen, gelb angestrichenen Balkone steht ein Raucher, die Glut seiner Zigarette ein einsamer, rot flirrender Punkt in der Dunkelheit.
Nagt wohl was an seinem Gewissen ... jedenfalls lese ich das so.

Er steht an der nächsten Ampel, die Hand auf dem Drücker, den Blick Richtung Himmel. Der Wind zerrt an seinem Bademantel, bläht die Hälften auseinander.
Der eine kommt zurück und der andere runter. Sind eben doch Brüder, die früher zusammen im Stadion waren und gezockt haben.

Vater sagte immer, ich rieche wie ein Baum.
Oh mein Herz ...

Der Regen wird stärker. Unser Atem kondensiert. Wir schweigen.
Komm, reden wir drinnen. Reden wir drinnen weiter.
Ja, sagt er und nickt.
Wäre ich gern dabei. Wenn auch nur um zu erfahren, was die beiden auseinandergetrieben hat. Alltag? Keine Zeit? Aber der mit Zeit hat sich ja auch nicht gemeldet. Ich stelle mir schon wieder so Fragen ...

Egal. Wunderbarer Text! Habe ich sehr gern gelesen.

Beste Grüße, Fliege

Nachtrag: Das war mein 3333ster Beitrag! Sehr würdig. Darauf mache ich mir ein Bier auf.

 

Hey @jimmysalaryman
hat mir sehr gefallen, deine Geschichte.
Mal eine Frage vorweg: Wann sind die Anführungszeichen aus der Mode gekommen?
Ich hätte die gut gebrauchen können.

Ich nicke und reiche ihr das Zippo.
Er nimmt mir die Schachtel aus der Hand, ich reiche ihm mein Plastikfeuerzeug.
Zuerst wollte ich rufen: Erzähl du mir mal noch was von Stereotypen!
Aber wieso bekommt der Bruder nur Plastik? Das Zippo reichst du doch eher denen, die das Feuerzeug einbehalten, weil das beim Zippo keiner so leichtfertig macht.
Ich nehme ein Schluck Kaffee
Nicht vielleicht "einen"?
Oder ist das Kölsch?
Mutter nimmt immer zwei Löffel zu viel Pulver. Ölaugen auf der schwarz schimmernden Oberfläche.
:thumbsup:
Leise Musik dringt aus den Boxen.
Echt? Die haben bei euch Boxen? Bei uns nur billige Lautsprecher, aber gut.
Der Junge sieht kurz auf das Bier, tippt einen Betrag in die Registrierkasse ein
Worein auch sonst?

Was guckste?, frage ich und sehe auf die Mattscheibe.
Überflüssige Frage oder überflüssiger Blick.
Dann hebt er seine Hand, spreizt Zeige[Bindestrich] und Ringfinger ab

Ich sehe viele Apostrophe, die der Duden nur dem Lesefluss schulden lassen täte. Muss hier nicht. Geht auch ohne und machst du stellenweise ja auch ohne. Also konsequent ohne.

Habe ich gern gelesen.
Liebe Grüße
Joyce

 

Hi @jimmysalaryman

Wie gewohnt, ein gutes Stück Literatur von Dir.
Ich sehe ein Bild vor mir: trostlose Stadt, leere Straßen. Die Charaktere der Hauptfiguren sind gut ausgearbeitet. Zumindest soweit das in einem Kurztext möglich ist. Der Konflikt, wird erst etwas spät deutlich.

Ich dachte, die Ärzte sagen, `s sei alles wieder in Ordnung?
Sie nimmt einen Zug und schüttelt den Kopf. Das kann ja sein, das wird schon seine Richtigkeit haben, wenn die das sagen.
Das ist für mich in dem Moment schwer zu deuten. Sicher willst Du das auch so, aber mich lässt das zu sehr im Dunkeln. Erst dachte ich, da gibt es ein Alkoholproblem oder dass die Brüder sich böse entzweit hätten. Als der echte Konflikt klar wird, also dass der Bruder seinen Beruf geliebt hat und ihn nie mehr ausüben kann, nehme ich das erst mit Verspätung wahr. Im Nachhinein betrachtet, ist der Text in vielen Details darauf ausgerichtet und vielleicht war ich zu unkonzentriert.
Keine Anführungszeichen. Nun; Autor darf alles, wenn er es kann und Du kriegst das ganz gut hin. Nur gibt es einige Stellen, wo es mich doch raushaut, weil ich mindestens einmal zurückspringen muss, um zu erkennen, dass die wörtliche Rede anfängt oder endet. Du wirst daran eh nix ändern, aber ich will es zumindest angemerkt haben.
Ich hatte so etwas mal als Schreibübung probiert, um Dialoggestaltung zu lernen – bin gnadenlos gescheitert.
Einen weiteren Moment der Irritation erlebe ich, als Prota mit dem Auto weg fährt und plötzlich bei seinem Bruder landet. Da fände ich einen Hinweis angebracht, dass er wieder zurück in Richtung Wohnung gefahren ist. Hab ich's überlesen?

Sehr gut gefallen mir die Details, die mich wunderbar in die Szenerie hineinziehen und natürlich die reduzierten Sergio Leone-Dialoge.

Schönes Ding!

Gruß!
Kellerkind

 
Zuletzt bearbeitet:

Wie du die Hauptsache in Nebensächlichkeiten verstecken kannst -
echt gekonnt.

Hallo Ronnie, und danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar. Ja, ich finde, diese kleinen, oft versteckten Details, ich mag so etwas selber gerne lesen, wenn Texte sich subtil offenbaren, deswegen danke ich dir für dein Kompliment. Cheers!

Nachtrag: Das war mein 3333ster Beitrag! Sehr würdig. Darauf mache ich mir ein Bier auf.

Jesus! 3333, demnächst dann 6666! All hail Satan! Ich trinke zur Zeit kein Bier, da Diät, ich trinke Bourbon mit Coke zero und nenne das "Slim Jim", weil es keine Kohlenhydrate hat. Yeah! :D Das nur nebenbei. Also, manchmal denke ich, es gibt Texte, die nur du so lesen kannst, wie du sie liest. Das ist echt krass. Jede noch so kleine Andeutung, alles was im Vagen liegt oder liegen soll, alle Fragen, die man sich über den Text, über die Motivation der Charaktere stellen könnte, all das liest du mit. Ich würde auch nicht behaupten, dass wirklich alles so von mir intendiert ist, sondern vieles geschieht sicher unbewusst, als entwickele ein Text ein eigenes Bewusstsein, abgekoppelt vom Autoren. Klingt etwas nach french rot, französischem Postmodernismus, aber ich denke, manchmal ist das tatsächlich so. Dann bin ich immer ganz verwundert, stehe vor dem Text und denke: SO kann man das auch sehen! Und DAS ist mir noch gar nicht aufgefallen! Also, auch in dieser Hinsicht, ein erhellender Kommentar von dir.

Der Schrank war ja so eine Art Zukunftsversprechen. Ich kann's verstehen.

Der Schrank ist ja eine Art Symbol. Der Bruder versucht das ja auch herunterzuspielen, in dem Sinne, dass er sagt, jeder könne das, man brauche nur einen Plan. Der Plan ist auch dopplbödig, weil es ja stimmt, für ein Möbelstück brauchst du einen Plan, und wenn du ein Leben hast, das aus Arbeit besteht, also aus Regelmäßigkeiten, ist das auch ein Plan, nur für das, was er jetzt erlebt, dieses tiefe, schwarze Loch, da gibt es eben keinen Plan, jedenfalls für ihn nicht.

Egal. Wunderbarer Text! Habe ich sehr gern gelesen.
Danke dir sehr!

Mal eine Frage vorweg: Wann sind die Anführungszeichen aus der Mode gekommen?

Ja, stimmt, ich mach die normalerweise auch immer, nur hab ich grade viel McCarthy gelesen und leide etwas an Hybris, und dachte mir, wenn DER das kann, kannst DU das schon lange! Nee, mal im Ernst, ich habe da dieses Experiment am laufen, wo ich versuche, den Lesefluss nicht zu unterbrechen; ich habe immer so das Gefühl, dass manchmal dieser Flow bei Dialogen stockt, weil man sich hineindenken muss, weil man die Dialogführung erstmal organisieren muss, und da dachte ich, vielleicht zieht man den Leser durch so kleine Tricks eher in das Geschehen hinein - ich weiß aber, um ehrlich zu sein, nicht, ob das tatsächlich so ist.

Aber wieso bekommt der Bruder nur Plastik? Das Zippo reichst du doch eher denen, die das Feuerzeug einbehalten, weil das beim Zippo keiner so leichtfertig macht.

Total richtig. Ich hab das erstmal voll verplant, dass da überhaupt zwei diverse Feuerzeuge sind. Wie konnte DAS passieren? Ja, nee, klar muss da wieder das gute, alte Zippo rein, klar.

Boxen, Lautsprecher, könnte man was draus machen. Registrierkasse - könnte auch einfach nur eine Geldkassette sein, wie so oft. Bei der Frage, was er guckt, das finde ich schwierig, denn es ist ja auch so eine Art der Kommunikation, bzw der Beginn davon, es ist so eine Art der Überbrückung, obwohl er weiß, was auf er Mattscheibe läuft, er sieht es ja, aber es ist eher so eine Introduction.

Mit den Apostrophen haste Recht, da habe ich unsauber gearbeitet, hole ich nach, ohne ist echt besser. Check.

wird fortgesetzt!

Gruss, Jimmy

 

Hey Jimmy,

wollte schon fragen, wann mal wieder was von dir kommt. Die Geschichte gefällt mir sehr gut. Das ist toll geschrieben, die Sprache ist authentisch, die Details passen. Besonders gut gefällt mir beispielsweise der Anfang der Begegnung der Brüder. Diese Sache mit der Bären- und dann der Wehrmachtsdoku. Das ist geschickt gebaut. Die Bären bäumen sich auf – die Brüder begegnen sich. Wird jetzt gekämpft? Nein, die Bären verziehen sich – keine Konfrontation. Ich kenne das vom Film. Tarantino macht das. David Lynch hat das in Twin Peaks – das war richtig genial: die schauen alle eine Seifenoper ("Einladung zur Liebe") und das konterkariert das vermeintlich kitschige Setting von Lynchs Serie. Außerdem gibt es da diesen grotesken und irgendwie witzigen Moment, als in der Seifenoper jemand erschossen wird und melodramatisch stirbt und der Bösewicht aus Twin Peaks Leo Johnson (glaub ich) gerade selbst angeschossen wird und während er zu Boden sinkt, diese Szene anschaut. Damit es in deinem Fall nicht so offensichtlich ist, wird zum Zweiten Weltkrieg umgeschaltet und nach Kippen gefragt, was ja auch eine schöne Exemplifizierung des teilweise bizarrren Medienkonsums und Umgangs mit Geschichte ist.
Mir hat auch gefallen, dass du im Prinzip kaum was erzählst, sondern die Figuren sprechen und ihre Gesten genau wiedergegeben sind. Da entsteht der Eindruck, dass alles echt ist und organisch. Als Milieu-Studie finde ich das nämlich auch passend. Das ist irgendwie trist, aber es hat auch verdammt viel Herz. Ich mag deinen Protagonisten, weil ihm sein Bruder nicht egal ist und wegen der kleinen Gesten (das in die Arme schließen zum Beispiel), die ehrlich sind und wo ich merke, da steckt etwas dahinter, auch wenn es nur so etwas Unscheinbares ist.
Von der Struktur hat es mich am Ende etwas verwirrt. Der Prot sagt, er geht nur schnell zum Auto, Bier holen, aber dann fährt er einfach los, und dann trifft er seinen Bruder aber im Bademantel auf der Straße. Habe ich etwas überlesen? Ich habe es mir so zusammengereimt: Der Prot braucht einfach kurz einen Moment Abstand von seinem Bruder, der Bruder läuft ihm aber entgegen seiner Ansage, in der Wohnung zu bleiben, auf der Straße nach. Das würde schon Sinn ergeben. Ist das richtig?
Ein Kommentator hat sich ein Happy End gewünscht. Ich muss sagen, dass dieses offene Ende auf mich schon auch zuversichtlich wirkt. Klar, kann man so einen Charakter nicht vom einen auf den anderen Tag umstimmen, aber mit so einem Bruder, der einen unterstützt und da ist, hat man gute Chancen. Gerade die abschließenden Worte über das Gesellenstück habe ich positiv gedeutet. Der Bruder deines Protas sagt, dass es im Grunde ja auf die Pläne ankommt, dass so einen Schrank dann auch egal wer bauen kann. Da steckt doch alles drin, was er braucht, um sich neu zu orientieren. Wenn er diese Pläne machen kann, dann braucht er seine Hand nur bedingt. Dann können irgendwann andere die Handarbeit erledigen. Sie wollen reingehen und nochmal alles miteinander besprechen, da ist eine Motivation spürbar. Der letzte Blick des Protas auf seinen Bruder und zugleich das Schlussbild ist für mich von einem gewissen Mitleid gezeichnet; es lässt es dem Bruder aber auch seine Würde. Der steht da im Regen, hat eine beschissene Zeit, aber er steht eben auch aufrecht.

Ich finde diese kleine Geschichte sehr gelungen und sehe da bis auf die strukturelle Frage am Ende keinen Überarbeitungsbedarf. Finde das rund so.

Noch Kleines:

Freisprechung

das ging mir wie Novak. Gerade weil deine Stories ja auch mit Gesetzeskonflikten zu tun haben, habe ich da auch gleich diesen Kontext mitgelesen. Beim zweiten Lesedurchgang war das natürlich was anderes, aber vielleicht geht ja das mit der Lossprechung, wenn das nicht regional unstimmig ist.


gibt es nur in Siegburg, oder?

Ich guck' gerne so Dokus, `s gibt da echt abgefahrenes Zeug manchmal

musste hier ein bisschen schmunzeln, weil mir dieser Sprachduktus vertraut vorkommt und da ja fast so was Rechtfertigendes mitschwingt. Und auch weil 'abgefahren' so ein schön unpassendes Wort für die beschaulichen Beobachtungen dieser 3Sat-Dokus ist.

Beste Grüße
Carlo

PS
Übrigens bin ich beeindruckt, dass du neben deinen ganzen Projekten und gelegentlichen Stories plus vielen Kommentaren hier gerade einen neuen Roman schreibst. Ich muss mir endlich mal Dunkels Gesetz bestellen oder Könige von Nichts bestellen. Viel Erfolg erstmal.

 

Hallo @Kellerkind,

Das ist für mich in dem Moment schwer zu deuten. Sicher willst Du das auch so, aber mich lässt das zu sehr im Dunkeln.

Das ist ein guter Punkt. Ich habe mir das auch schon überlegt, ob da der Einstieg zu konfus ist, oder ob das zu uneindeutig ist. Auf der einen Seite, das steht für genau diesen Anfang, mag ich, wie langsam sich das entwickelt. Natürlich ist das auch ein wenig manipulativ, weil der Leser eventuell eher dran bleibt, weil er nicht direkt diesen Aha-Effekt hat. Auf der anderen Seite ist es halt auch so, dass ich verstehen kann, wenn es etwas zu verdunkelt wird, wenn es zu unklar geworden ist. Muss ich mal drüber nachdenken, was ich da draus mache.

Im Nachhinein betrachtet, ist der Text in vielen Details darauf ausgerichtet und vielleicht war ich zu unkonzentriert.

Ist natürlich so eine Sache, weil ein Text schon so reingehen sollte. Man muss nicht alles runterdummen, aber je eher ein Text low key ist, desto eher wird der Leser die Figuren verstehen, sie begreifen. Und darum geht es mir ja. Es ist nicht so, dass ich komplexe Texte nicht mag, ich lese gerade Gerald Murnane, das ist auch sehr komplex und man muss sehr dranbleiben, aber das ist halt auch eine andere Art des Lesens, eine andere Art von Literatur, ich weiß nicht, wie ich das genau ausdrücken soll, nicht wertend, einfach nur anders in seiner Form und Funktion.

Einen weiteren Moment der Irritation erlebe ich, als Prota mit dem Auto weg fährt und plötzlich bei seinem Bruder landet. Da fände ich einen Hinweis angebracht, dass er wieder zurück in Richtung Wohnung gefahren ist. Hab ich's überlesen?

Ich hatte es so gemacht, dass er am Ende dieser längeren Sequenz im Auto den Rückwärtsgang einlegt. In meinen Augen würde das reichen, aber hey, ich bin auch der Autor! Also, ich glaube, Carlo hat in dem folgenden Kommentar etwas ganz Ähnliches gesagt, nun muss ich mir da Gedanken machen drüber, weil es wohl tatsächlich etwas zu viel Transfer ist, zu viel Auslassung. Check.

Sehr gut gefallen mir die Details, die mich wunderbar in die Szenerie hineinziehen und natürlich die reduzierten Sergio Leone-Dialoge.

Ja, vielen Dank. Es ist immer ein Kampf für mich, einen Text nicht so dicht belegt wie ein Wurstbrot werden zu lassen, weil am Anfang ist das alles noch voller, und dann muss ich mich entscheiden, was ich drinnen lasse und was rausfliegt - oft, sehr oft ist das für mich schwierig, weil ich oft denke, nee, passt schon, aber mit etwas Abstand sieht das dann schon anders aus; immer erstaunlich, wie offensichtlich das wird, wenn du den Text ein paar Tage weglegst.

Ja, vielen Dank für deinen Kommentar und deine Zeit!

Gruss, Jimmy

wird fortgesetzt!

 

Hey Jimmy,

Nee, mal im Ernst, ich habe da dieses Experiment am laufen, wo ich versuche, den Lesefluss nicht zu unterbrechen; ich habe immer so das Gefühl, dass manchmal dieser Flow bei Dialogen stockt, weil man sich hineindenken muss, weil man die Dialogführung erstmal organisieren muss, und da dachte ich, vielleicht zieht man den Leser durch so kleine Tricks eher in das Geschehen hinein - ich weiß aber, um ehrlich zu sein, nicht, ob das tatsächlich so ist.

Das ist mir auch aufgefallen, sah ich aber als künstlerische Freiheit ein. Für mich hatte das aber mehr Distanz zum Bruder. Ich hatte das Gefühl, Dein Protagonist wiederholt den Dialog im Gedanken, was ja einen Unterschied macht zu einem Selbstreden des Bruders. Ich habe die Welt daher sehr aus den Augen Deines Protagonisten gesehen. Keine Ahnung, ob das so gewollt war.

LG
Mae

 

Bei der Frage, was er guckt, das finde ich schwierig, denn es ist ja auch so eine Art der Kommunikation, bzw der Beginn davon, es ist so eine Art der Überbrückung, obwohl er weiß, was auf er Mattscheibe läuft, er sieht es ja, aber es ist eher so eine Introduction.
Alles klar, hab ich verpeilt. Lass das so. Dann mach aber den folgenden Dialog stärker. Der verträgt das. Und ich auch. Das wirkt beiläufiger als dir recht sein kann.
Da willst du viel mehr Kontroverse drin haben als drin ist. Liegt ja in der Luft, also lass sie raus.

Das wirkt auch in die nachfolgenden Szenen. Da liegt ein Konflikt zwischen den Gebrüdern. Der darf an die frische Luft. Meine Meinung.

 

Ich kenne das vom Film. Tarantino macht das. David Lynch hat das in Twin Peaks – das war richtig genial: die schauen alle eine Seifenoper ("Einladung zur Liebe") und das konterkariert das vermeintlich kitschige Setting von Lynchs Serie

Hallo Carlo, und vielen Dank für deinen Hammer-Kommentar. Ja, ich hab mir das so etwas abgeguckt, mir ist das auch bei einigen Regisseuren des New Hollywood aufgefallen, Hal Ashby, Robert Altman, die im Grunde auch sehr viel mit Medien erzählen, den Einfluss oder auch einfach nur Bilder als eine Art Meta-Ebene inkorporieren. Finde ich gut, wenn es nicht zu offensichtlich ist. Natürlich trainiert man auch sein Auge, seine Rezeptionsgewohnheiten, und dann erkennt man solche Gimmicks früher oder überhaupt. Also, yes, I am guilty! :D Ich finde solche Motive, die unter dem Eigentlichen liegen, kleine Nebensächlichkeiten, die bestimmte Atmosphären amplifizieren können, ohne das man genau sagen könnte, warum und wieso, sehr spannend in erzählenden Texten. Natürlich darf das kein Trick werden, der einfach immer da ist, ich muss da auch aufpassen, denn oft wiederhole ich solche Sachen bis zur Unendlichkeit, und das kriegt der Leser auf jeden Fall mit.

Ja, das Ende. Ich denke, ich lasse das sacken, und dann ergänze ich das nochmal, bearbeite das. Mir ist schon klar, dass ich da noch ein paar Sätze einfügen muss, um es etwas besser erklärbar zu machen, der Schnitt kommt vielleicht einfach zu krass, das mag sein, ich werde da mir was überlegen.

Der letzte Blick des Protas auf seinen Bruder und zugleich das Schlussbild ist für mich von einem gewissen Mitleid gezeichnet; es lässt es dem Bruder aber auch seine Würde. Der steht da im Regen, hat eine beschissene Zeit, aber er steht eben auch aufrecht.

Ist schön, dass du es so siehst. Ich will nicht sagen, so sollte man es lesen, aber es freut mich, dass dieser intime Moment nicht als würdelos empfunden wird.

Übrigens bin ich beeindruckt, dass du neben deinen ganzen Projekten und gelegentlichen Stories plus vielen Kommentaren hier gerade einen neuen Roman schreibst. Ich muss mir endlich mal Dunkels Gesetz bestellen oder Könige von Nichts bestellen. Viel Erfolg erstmal.

Neuer Roman ist fertig, deswegen bin ich hier wieder etwas aktiver. Alles kein Hexenwerk. Aber natürlich danke ich dir für dein Kompliment. Dieses Jahr, muss ich ganz ehrlich sagen, steckt mir auch richtig in den Knochen.

Danke dir für deinen Kommentar und deine Zeit, Carlo!

Gruss, Jimmy

wird fortgesetzt!

 

Was guckste?, frage ich und sehe auf die Mattscheibe.
Wie geht‘ s dir?, frage ich, ich betrachte sein Gesicht dabei, und da ist etwas mit seinen Augen, sie sehen eingefallen aus, alt und müde, der Blick starr.
Er nimmt die Fernbedienung von der Couchlehne, fährt mit dem Daumen langsam über die Knöpfe.
Ja, sagt er leise. Muss.
Dann schaltet er um auf einen Sportkanal. Eishockey.
Waren auch schon ewig nicht mehr in der Kölnarena …
Haie sind doch nix mehr, sagt mein Bruder. Und Jonesy ist auch nicht mehr da.
Ich schon wieder. Die Szene lässt mich das Haupt kratzen. Vielleicht den Ich-Erzähler die Fernbedienung greifen und zurück zum Eishockey zappen lassen (statt "Was guckste")? Ist ja der Bruder und kein Kumpel und der drängt sich mitten rein ins depressive Leben. Keine Ahnung, wie die Taste heißt, aber mal gucken, wo du vorher warst. Ertappt. Und dann das über die Haie.

Grüße
Joyce

 

Ich hatte das Gefühl, Dein Protagonist wiederholt den Dialog im Gedanken, was ja einen Unterschied macht zu einem Selbstreden des Bruders. Ich habe die Welt daher sehr aus den Augen Deines Protagonisten gesehen. Keine Ahnung, ob das so gewollt war.

Ist richtig, dieses in Gedanken-Wiederholen, das fügt sich dann so, so lese ich das auch, man weiß eben nicht genau, um was es sich handelt. Es darf halt nur nicht so sein, dass es konfus wird.

Da willst du viel mehr Kontroverse drin haben als drin ist. Liegt ja in der Luft, also lass sie raus.

Nee, ich sehe da keine Kontroverse. Da ist im Grunde auch kein Konflikt. Es ist einfach so, dass der Bruder mehr oder weniger alle anderen über seine verletzte Hand im Unklaren gelassen hat. Man könnte jetzt auf die gesamte familiäre Konstellation schließen, dass denen das sowieso egal wäre, weil er ja sagt: Was hätte das geändert?, aber so ist es ja nicht, weil die Mutter hat es bemerkt und der Bruder sieht nach ihm, allerdings erst auf das Geheiß seiner Mutter hin.

Dann mach aber den folgenden Dialog stärker.

Ich weiß nicht genau, was du mit stärker meinst? Einfach nur mehr? Oder sollen dich sich verbal anmachen, soll der Text lauter werden? So sollte der Text eben gerade nicht sein. Der sollte schon eher leise sein.

Vielleicht den Ich-Erzähler die Fernbedienung greifen und zurück zum Eishockey zappen lassen

Die Szene lässt mich das Haupt kratzen.

Und warum genau?

Wichtig ist doch, dass da wieder die Hand eine Rolle spielt, dass der Bruder aktiv ist, dass er schon noch weiß, was Sache ist, da ist ja auch eine Widersprüchlichkeit, und der ist ja kein Bedürftiger, den man ab sofort füttern muss. Sonst würde das doch total respektlos erscheinen, der nimmt ihm einfach die Fernbedienung ab und kontrolliert, was der Bruder guckt. Die Dynamik ist ja nicht, der ist verloren, sondern der hat etwas verloren und wie geht es weiter? Der Erzähler drängt sich auch nicht ins depressive Leben rein, der weiß ja noch gar nichts davon, der sieht das alles das erste Mal. Auf mich wirkt der Erzähler ja auch viel eher so still geschockt, also der kann gar nicht richtig fassen, was da passiert. Deswegen darf das alles auch nicht so reflektiert wirken, der Bruder meint ja mittendrin noch, dass er glaubt, dem Bruder gehe es gut, das impliziert ja: Mutter geht's auch gut so weit. Das ist ein Abtasten, und auch ein wenig ein Aneinandervorbeireden.

Gruss, Jimmy

 

Sonst würde das doch total respektlos erscheinen, der nimmt ihm einfach die Fernbedienung ab und kontrolliert, was der Bruder guckt.
Wie das unter Geschwistern halt so ist.
Der Erzähler drängt sich auch nicht ins depressive Leben rein
Und aus der Sicht des Bruders? Geht dem das nicht auf den Sack? Also - geh dem doch mal auf den Sack! Danach wäre das Leise mit den Haien und die Einsicht
der sieht das alles das erste Mal
viel stärker.
Im Moment habe ich das Gefühl, dass da ganz viel in deinem(!) Kopf ist. Der Ich-Erzähler ist noch mitten in der Situation, aber schon komplett durchdacht. Das lässt mich das Haupt kratzen, der macht nix falsch, der Bruder ist nicht genervt, erstaunlich.
Aber vielleicht habe ich auch einfach ein komplett schiefes Bild vor Augen und das soll alles so, dann nützt dir der Einwand gar nix.

Gruß
Joyce

 

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