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Karte des ithilianischen Kernlands: https://ibb.co/W664tZb
(Hinweis: Die Karte ist mit der Gratisversion des Inkarnate Map-Editors erstellt und somit nicht maßstabsgetreu, sowie mit begrenzten Mitteln erstellt, da mir die Premiumversion zu teuer war.)
Die Kinder Ithilias: Feuer, Blut und Wasser
Die Wärme des Sandes war selbst durch die Sohlen von Kel'thanas Stiefeln hindurch zu spüren. Es war einer dieser letzten wirklich heißen Sommertage im Monat der Mal'nel'ra, bevor die Herbstkühle die Tage füllen würde. Mit einem Lächeln schritt die Magierin durch die Dünen am Strand ihrer Insel, hin zu der Stelle, an der ihre Tochter mit den anderen Kindern aus der kleinen Siedlung spielte, welche Kel'thana mit ihrem Mann Eamór hier gegründet hatte. Obwohl bereits eine Stadt im Norden des Reiches nach ihr benannt worden war, hatte sie dennoch nicht gezögert, sie für diese wunderschöne Inselgruppe in der weitläufigen Lagune vor der Königinnenstadt Ithiliara zu verlassen. Kel'thana war überzeugt gewesen, hier ihr Glück zu finden, und so benannte sie den Archipel nach ihrer neugeborenen Tochter: Ledárna.
Diese war nun acht Jahre alt, zartestes Kindesalter in dem schier endlos langen Leben eines Ithiliers. Und Kel'thana genoss es, Ledárna all das erfahren zu sehen, was ihr selbst verwehrt geblieben war. Sie und Eamór gehörten zu den ersten Tausend. Die Väter und Mütter Ithilias, geboren aus dem Licht im Angesicht der Göttin, nur Augenblicke nach den Heiligen Drei und den neun Engeln. Eine Kindheit war ihnen nicht vergönnt gewesen. Stattdessen gehörten sie zu jenen, welche der Weisheit der göttlichen Frau vom ersten Tag an bis zu ihrem Aufstieg gelauscht hatten. Gesetz, Glaube, Magie... all das und so viel mehr hatte Ithilia sie gelehrt, während sie unter ihrer Schöpfung weilte. Und nun war es an ihnen, es weiterzugeben.
Ledárna und die anderen Kinder tollten wild im warmen Sand herum, verwickelt in ein Spiel, dessen Sinn und Zweck sich wohl nur einer Kinderseele erschließen mochte. Kel'thana entschied sich, noch etwas zu verweilen und sie zu beobachten, bevor sie ihre Tochter zum Abendessen nach Hause rufen würde.
Ein Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie kurz die Augen schloss. Selbst im magischen Spektrum war die Lebensfreude von Ledárna sichtbar, ein pulsierendes, reines Licht in der astralen Ebene.
Doch gerade als Kel'thana ihre Augen wieder öffnen und sich auf die sichtbare Welt konzentrieren wollte, bemerkte sie noch etwas anderes. Eine Präsenz im Ozean. Etwas Unbehagliches, das sich jedoch vor ihr zu verstecken versuchte.
Mit einem Stirnrunzeln lief Kel'thana die Düne hinab. Sie wollte einen genaueren Blick darauf werfen. Das Meer war ruhig, nur kleine Wellen trafen auf den Strand. Die Magierin machte einen Schritt ins Wasser hinein, beugte sich herab und tauchte ihre Hand in das kühle Wasser der südlichen See, bevor sie erneut ihre Augen schloss.
Und dann konnte sie es deutlich sehen:
Dunkle Magie war im Wasser. Sie hatte so etwas ähnliches bereits schon einmal gesehen, vor etwa achttausend Jahren, als ein Schamane des großen Biests während der Überlebenskriege einen See vergiftet hatte. Doch diese Präsenz war völlig anders. Viel intensiver und mehr durchtränkt von Hass als damals. Konnte es wirklich noch bösere Geschöpfe geben als die Monster aus der Wildnis?
Ein Gedanke ließ Kel'thana erschrecken. Ja, es konnte sie geben! Die göttliche Frau hatte ihr Volk davor gewarnt, und Dal'ne'mara, die Erstgeborene der Engel, hatte es in den Feuern der Zerstörung im Dunkelschacht gesehen: Die Dunkelheit, der alte Feind der Göttin, hatte einen Weg in ihre Welt gefunden!
Die Magierin wurde aus ihren Gedanken gerissen, als plötzlich das Wasser rund um ihre Hand verschwand. Sie öffnete die Augen und sah, dass das Meer sich in einem rasend schnellen Tempo zurückzog, viel schneller und weiter als bei jeder normalen Ebbe. Am Horizont begannen sich die Wassermassen bedrohlich aufzutürmen. Wirbel aus Dunkler Magie trübten das azurblaue Nass, das nun eine Fläche freigegeben hatte, die größer war als Kel'thanas Insel selbst.
Ihre Handlung war mehr ein Reflex als Rationalität. Sie stand auf und rannte zu den spielenden Kindern, wo sie sich sofort den Arm ihrer Tochter griff.
"Lauft! Lauft zu euren Eltern!", rief sie den Kindern panisch zu. "Sie sollen im Dorf die Glocken läuten!"
Die Kinder gehorchten, und als Kel'thana zurückblickte, sah sie auch, warum: Die Wassermassen am Horizont stürzten nun in Form einer gewaltigen Flutwelle auf die Insel zu. Sie griff ihre Tochter fester und rannte, das kleine Mädchen im Schlepptau. Das Grollen der Welle kam immer näher, während sie den Rand der kleinen Siedlung erreichten. Die Einwohner hatten das Grollen bereits gehört, und Chaos war gerade dabei, auszubrechen.
"Macht die Boote klar! Die Kinder zuerst. Sie müssen von der Insel runter!"
Kel'thanas Befehle waren laut, aber ruhig. Und all die Ithilier, die ihr vor acht Jahren hierher gefolgt waren, folgten ihr auch jetzt. Schnell kam zumindest etwas Ordnung in die Menge, und die Boote wurden bemannt. Doch es war zu spät.
Mit einem ohrenbetäubenden Krachen traf die Welle auf das Land. Instinktiv schob Kel'thana die völlig verängstigte Ledárna hinter sich und warf mit einer schnellen Handbewegung einen magischen Schild in die Luft, der zumindest ein paar der Anlegestellen abdeckte. Sie legte all ihre Kraft in den Zauber, während sie der Wand aus Wasser entgegenstarrte. Im letzten Moment kam Eamór zwischen den Häusern hervorgesprintet und brachte sich mit einem Hechtsprung hinter dem magischen Schutzschild seiner Frau in Sicherheit. Das Wasser schlug auf die Barriere, und für mehrere bange Sekunden hielt der alles verschlingende Strom an, bevor die panischen Schreie und Gebete verstummten und die Leute anfingen, aufzuatmen. Kel'thanas Barriere hatte gehalten. Die gesamte Siedlung war zerstört, doch die meisten ihrer Einwohner waren am Leben. Die Welle hatte die Insel passiert und verlor nun in der Lagune an Kraft. Sie würde die Königinnenstadt durch die dichten Wälder im Flussdelta nicht erreichen können.
Erleichtert senkte Kel'thana die Barriere. Doch die Dunkelheit war immer noch klar spürbar. Und nur Sekunden später hörte sie auch, warum: Durch die Häuserruinen hindurch kam das, wovor die Göttin sie einst warnte. Kreaturen der Dunkelheit, triefend von purer, manifestierter Bosheit. Die Dämonen des Erzfeindes. Wie eine schwarze Flut rannten sie auf die Überlebenden zu, aus voller Kehle ihre Mordlust herausbrüllend.
Eamór und die anderen Krieger unter den Ithiliern zogen entschlossen ihre Schwerter, bereit sich der Horde entgegenzustellen.
Kel'thanas Hand jedoch griff nach den drei Dolchen an ihrem Gürtel und sie drehte sich zu ihrer Tochter um, die gerade unter Tränen von einer der anderen Frauen in ein Boot geschoben wurde, weg von ihrer Mutter. Die Magierin kniete auf dem Steg nieder, während hinter ihr schon die Linien der Ithilier und Dämonen mit lautem Geschrei und Schwertergeklirr aufeinandertrafen. Schnell schnitt sie mit einem der drei Dolche, die sie einst selbst aus drei verschiedenen seltenen Erzen geschmiedet hatte, einen breiten Streifen ihres Gewands ab und wickelte die Waffen darin ein. Als sie Ledárna, die schon im Boot saß, das Bündel übergab, standen Tränen in ihren Augen.
"Mama, komm ins Boot!"
Die Kleine versuchte förmlich, ihre Mutter zu sich zu ziehen, doch Kel'thana konnte schon die Schreie von Verwundeten hinter sich hören.
"Es tut mir so leid, mein Schatz. Aber wenn ich gehe, dann habt ihr nicht mehr genug Zeit zum Entkommen."
Sie drückte ihrer Tochter das Päckchen mit den Dolchen an die Brust.
"Nimm es. Sie werden dich immer an mich erinnern."
Nun liefen sowohl Mutter als auch Tochter die Tränen über die Wangen.
"Ich liebe dich, mein kleiner Stern. Nun geh, Ledárna! Überlebe. Lebe!"
In diesem Moment wurden die Leinen gekappt und die Boote setzten sich in Bewegung. Mit einem glühenden Schmerz in ihrer Seele wandte Kel'thana sich ab, zog ihr Schwert und ging der dunklen Brut entgegen, während die Rufe ihrer Tochter hinter ihr langsam vom Schlachtenlärm ertränkt wurden.
Noch über eine halbe Stunde lang leisteten die Ithilier Widerstand, einer nach dem anderen ließ sein Leben, bis nur noch Eamór und Kel'thana übrig waren.
Er fiel als erster, getroffen von einem Speer, den einer der Dämonen nach ihm geschleudert hatte. Das Geschoss bohrte sich in Eamórs Brust und schleuderte ihn zu Boden, von wo er sich nie wieder erheben würde. Nun war Kel'thana alleine. Die Dämonen schlugen kreischend auf die magische Barriere ein, die sie um sich errichtet hatte. Das Konstrukt würde nicht mehr lange halten. Sie blickte hinter sich, wo sie die Boote schon fast nicht mehr sehen konnte.
Zitternd richtete Kel'thana ein letztes Gebet gen Himmel:
"Mutter Ithilia, ich bitte dich, rette Ledárna vor der Dunkelheit! Lass sie nicht sterben an diesem Tag!"
Sie sah zur Barriere, deren Standhaftigkeit nun am seidenen Faden hing. Mit einem tiefen Atemzug ging sie in Kampfposition und beendete den Gebetsspruch:
"Und gib mir den Willen und die Macht, mein Leben dem Dunkel entgegenzustellen. Durch deine Gnade werde ich keine Angst kennen."
Die Barriere brach, und Kel'thana war bereit für ihr letztes Gefecht. Sie tötete noch sieben der Kreaturen, bevor eine schwarze Klinge sich durch ihr Herz bohrte. Das Letzte, was sie sah, war der strahlend blaue Himmel Ithilias, nur getrübt von dem Rauch, der aus den während dem Kampf entstandenen Feuern in den Trümmern ihrer Siedlung aufstieg.
Und dann, als der Schmerz plötzlich aufhörte, war da wieder die Stimme, der Kel'thana viele tausend Jahre lang jeden Tag gelauscht hatte:
"Fürchte dich nicht. Deine Tochter ist in Sicherheit. Willkommen zuhause, mein Kind."