Die Jungfrau von Maria Buch
Es war Dämmerung, als eine junge Frau die Landstraße Richtung Maria Buch fuhr. Sie hatte sich mit ihrem Freund gestritten, diesmal schlimmer als zuvor. Er kam mit ein paar Kratzern davon, sie hatte ein blaues Auge abbekommen. Er war schon zuvor handgreiflich geworden. Nie war sie geflohen, bis heute. Sie hatte ihm mit der Polizei gedroht, sollte er sie nicht gehen lassen. Also fuhr sie. An den Ort, an dem sie sich schon immer sicher gefühlt hatte. An den Ort, wo sie niemand jemals suchen würde.
Ein Kiesweg mit groben Steinen führte sie zu der kleinen und alten Kapelle. Durch die Fenster leuchtete das gelbe Licht, das im Inneren der Kapelle leuchtete. Es führten drei Steintreppen und zwei schwere Eichentüren, gehalten von zwei Eisenscharnieren, in das kleine Gotteshaus. Die Türen wurden in einen Rundbogen gebaut. Ein kleines Licht beleuchtete den Eingang. Die junge Frau drückte die schwere Messingklinke der linken Tür hinunter und betrat die dunkle Kapelle.
Die Jungfrau Maria wurde von der einzigsten Lichtquelle im ganzen Haus beleuchtet. Der jungen Frau kam es wie eine Erscheinung vor, der Lichtblick am Ende eines langen, dunklen Tunnels. Mit leisen Schritten schritt sie den Gang entlang. An den Wänden hingen Bilder mit lateinischer Schrift. Die Bänke waren aus altem Holz, es musste sehr alt sein wenn man dem Geruch Glauben schenkt. Dieser heilige Boden, gefliest mit grauen, abgenutzten Fliesen. Vor dem Altar standen zwei rote Grabkerzen und in der Mitte ein Strauß mit weißen Blumen und ein wenig Grün. Als die junge Frau ihren Blick vom Boden nach oben gleiten lies, erblickte sie die hell erleuchtete Jungfrau Maria.
Die Statue stand auf einem hölzernen Podest. Um die Jungfrau herum wurden Blumen in weißen Vasen gereiht. Zwei große, weiße Kerzen auf goldenen Kerzenständern standen perfekt rechts und links der Figur. Die Jungfrau war in ein pompöses aber gleichzeitig schlichtes Kleid gehüllt. Ihre langen, welligen Haare schmiegten sich an ihre Schulter hinunter zu ihrem Brustkorb. Ihren Kopf zierte eine goldene Krone auf einem schlichten, weißen Tuch. Ihr Blick zeigte nach unten, auf das Jesuskind das aufrecht in ihrem Arm lag. Auch dieses, war in ein pompöses aber gleichzeitig schlichtes Kleid gehüllt. In der linken Hand hielt es eine goldene Kugel. Auch sein Blick war nach unten gerichtet. Hinter den beiden Statuen, kam ein Schein hervor. Es war, als wäre dies die Quelle des Lichtes.
Der jungen Frau liefen Tränen die Wangen hinunter. Noch nie hatte sie die Jungfrau Maria mit dem Jesuskind so pur und real wahrgenommen wie heute. Ergriffen von der Intensität dieses Anblickes, setzte sie sich auf die Bank der ersten Reihe. Wie gebannt, konnte sie ihren Blick nicht mehr von der Frau lösen. In sich zusammengekauert, saß sie auf der Bank. Nicht glaubend was sie fühlte. In diesem Moment spürte sie keinen Schmerz, keine Sorgen oder Ängste. Sie fühlte sich warm und geborgen.
Beschützt.
Völlig gebannt von der Jungfrau und dem Gefühl von Geborgenheit, überhörte die Frau das Knarren der schweren Eichentüren und die Laute von schweren Stiefeln auf dem kalten Fliesenboden.
Die morgendlichen Sonnenstrahlen fielen auf das mit Moos bedeckte Dach der Kapelle. Vögel zwitscherten, das Wasser des kleinen Brunnens fing an zu fließen. Eine alte Nonne hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Kapelle und die Anlage um sie herum instand zu halten und zu pflegen. Sie kam nun schon viele Jahre, jeden Tag um dieselbe Uhrzeit, auch für sie hatte dieser Ort Sicherheit bedeutet. Und deshalb wunderte sie sich über das andere Auto auf dem Parkplatz. Um diese frühe Morgenstunden, hatte sie noch nie jemanden angetroffen.
Der Kiesboden mit den groben Steinen knirschte als sie sich auf den Weg zu der Kapelle machte. Wie jeden Morgen seit vielen Jahren, würde sie in der zweiten Reihe der Bänke ein Gebet sprechen und sich dann an die Arbeit machen. Vor den zwei großen und schweren Eichentüren stehend, nahm sie die schwere Messingklinke in die Hand, doch zögerte, bevor sie diese herunterdrückte und die linke Holztür öffnete. Langsam und ehrfürchtig schritt sie den Gang nach vorne. Ihr Blick starr auf die Jungfrau Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm gerichtet.
Sie kniete sich vor die Bank in der zweiten Reihe und betete in vollkommener Stille. Erst als sie die Augen wieder öffnete, nahm sie ein Tropfen wahr. Ein untypisches Geräusch für das kleine Gotteshaus. Der alten Nonne blieb das Herz für einen Moment stehen, als sie die Ursache des Geräusches wahrnahm. Auf der Bank der ersten Reihe, lag eine junge Frau.
Die junge Frau lag auf der Seite, ein Bein hing von der Bank, das Andere lag leblos auf dem alten Holz. Ein Arm war um ihren Bauch geschlungen, der Andere hing leblos hinunter. Ihr Oberkörper war in sich zusammengesackt und der Kopf leicht überstreckt. Die Kleidung der jungen Frau war in Blut getränkt. Die langen, nun rot gefärbten, blonden Haare klebten an der schneeweißen Haut der Frau. Aus dem tiefen Schnitt in die Kehle der jungen Frau, floss noch ein wenig Blut. Das Gesicht der Frau war zu der Jungfrau Maria gerichtet, die offenen Augen blickten diese noch an. Ihr Blick war entspannt.
Friedvoll.