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Die Grillparty
Ruckelnd kam der Regionalzug zum Stillstand. Ein Geruch nach frisch gemähtem Gras, in der Ferne Kuhglocken, das Bellen eines Hundes. Reto stieg aus und schaute sich um. Gestutzte Kastanienbäume auf dem Vorplatz, ein abgestellter Viehtransporter, daneben leere Fahrradständer. Ein ausgedientes Bahnwärterhäuschen mit verrammelten Fenstern, davor Fahrkarten- und Snackautomat. Aus dem Schatten löste sich eine schlanke Gestalt. Sandra. Wie er den Moment herbeigesehnt hatte, und nun flatterten seine Knie. Schnell schaute er ins Tal hinunter, atmete tief durch, bevor er seinen Rucksack hochwuchtete und lässig Richtung Vorplatz schlenderte. Sandra hatte ihre langen, braunen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihre Füsse steckten in festen Schuhen mit grobem Profil. Reto schaute auf seine flachen Sneakers.
„Keine Angst, wird ein Spaziergang“, erriet Sandra seine Gedanken. „Willkommen auf dem Lande, Stadtmensch“, sagte sie und nahm Reto kurz in die Arme.
Ihre Haare rochen nach Pfirsich und er spürte samtene Haut. Sein Herz pumpte drauflos.
„Äh, happy Birthday zum sechzehnten und danke für die Einladung“, stammelte er, unschlüssig, ob er ihr nicht doch einen Kuss geben sollte.
„Komm!“ Sandra grinste und setze sich die Sonnenbrille auf.
„Wo bleibt ihr?“
Ein untersetzter Junge kam ihnen entgegen. Weit auseinanderstehende Augen, breiter Mund, flache Nase, dunkle Haare. Reto schätzte ihn auf fünfzehn Jahre. Allerdings war das bei Menschen mit Trisomie oft schwierig.
„Ich bin Marcel. Und du bist Reto. Bist du jetzt mit Sandra zusammen? Eigentlich waren ja Toni und Sandra ..."
„Mein kleiner Bruder scherzt gerne, nicht wahr?“, unterbrach Sandra und wuschelte ihm durch die Haare.
„Lass das, mag ich nicht. Komm Reto, wir müssen da lang“, sagte Marcel und stapfte los.
„Er mag dich“, raunte Sandra neben ihm und folgte Marcel mit festem Schritt.
Sie wanderten bergan auf einer schmalen Schotterstrasse, linker Hand fiel der Hang steil ins Tal. Durch krumme Fichten und umgestürzte Tannen erkannte Reto den Grund für das laute Rauschen.
„Der Bunschenbach“, erklärte Sandra, „hat bei einem Unwetter vor zehn Jahren Onkels Schreinerei zerstört.“
Es war schön, einfach neben Sandra herzulaufen und sie reden zu hören. Was sollte er jetzt bloss antworten? Er sah ihre Hände, wie sie zum Gesagten durch die Luft tanzten, ihren Pferdeschwanz, der bei jedem Schritt neckisch hüpfte. Rosa Bändchen schimmerten durchs T-Shirt, ihre festen Brüste machten ihn ganz wuschig. Er würde jetzt gerne den Arm um sie legen, einfach so.
Onkels Schreinerei wurde zerstört, hatte sie gesagt. Er hatte nichts erwidert. Sollte er? Aber dann würde sie denken, er hätte eine lange Leitung.
Marcel kickte einen Tannzapfen ins Gebüsch, riss einen Grashalm ab und steckte ihn in den Mund.
Rechts ragte der gezackte Fels in die Höhe, einzelne Kalkbrocken lagen auf dem Weg. Ein verwittertes Schild warnte vor Steinschlag.
„Rutschgebiet, hier müssen wir zügig durch“, sagte Sandra und zog das Tempo noch mal an.
Reto sagte nichts, sparte die Luft, um mit Sandra mithalten zu können.
„Das ist die Quellwasserleitung aus der Fassung oberhalb des alten Hotels“, sagte Sandra und deutete auf ein armdickes Rohr, das parallel zum Weg an Stahlseilen hing.
„Ah, am Bahnhof, der Brunnen im Holzhäuschen?“, sagte Reto und hielt sich die stechende Seite.
„Genau. Alles in Ordnung mit dir?“
„Klar, bin fit wie ein Turnschuh. Weiter geht’s.“
Eine gute halbe Stunde später erreichten sie eine von Kastanienbäumen gesäumte Lichtung. Auf der Rasenfläche jagten ein paar Jungs dem Ball hinterher, dahinter waren die Überreste eines Gebäudes zu sehen. Weiss getünchte Wände ragten wie Zahnstummel in den Himmel.
„Das ehemalige Kurhotel, oder was davon übriggeblieben ist“, sagte Sandra.
Es war tatsächlich nur eine Ruine. Zwei offene Mauerdurchbrüche gaben den Blick in einen einzelnen Raum frei. Der Boden gefliest mit Ornamenten, die Wände weiss verputzt.
„Da seid ihr ja.“ Ein Junge, Statur wie ein Holzfäller, kam lachend und mit ausgebreiteten Armen auf sie zu geschlendert. „Dachte schon, ihr wolltet auf dem Bahnhof übernachten.“ Ein untersetztes Mädchen mit blonden Haaren und einem runden Gesicht überholte den Jungen und umarmte Sandra.
„Alles Gute zum Geburtstag, Sandy.“
„Hei, Carmen – ich war eigentlich zuerst da", griente der Junge und wollte Sandra ebenfalls umarmen.
„Habt ihr schon Feuer gemacht? Ich riech' so gar nichts“, sagte Sandra und hielt dem Holzfäller die Hand vor die Brust.
„Äh, Res wollte sich darum kümmern – spielt aber lieber Fussball.“
„Schon klar, Toni. Nur nicht überarbeiten …“
Das war also Toni. Seine Bizeps spannten die Hemdsärmel und Reto verstand, weshalb Sandra mit ihm was hatte.
Für einen Moment sagte niemand ein Wort.
„Und du musst Reto sein“, versuchte Carmen die Anspannung zu lösen.
Sie streckte ihm die Hand entgegen, ein Silberkettchen mit Anhänger glitzerte in der Sonne.
„Sandra hat schon so viel von dir erzählt ...“
„Klappe, Carmen. Also, Toni, habt ihr wenigstens schon die Getränke in den Bach gestellt?“
Reto wunderte sich, dass Sandra plötzlich so schroff drauf war.
„Na ja, wir hatten keinen Schlüssel für den Schuppen“, sagte Toni, fuhr sich über die kurzen Haare und blickte zur Hütte neben der Grillstelle.
Sandra kramte in ihrem Rucksack und zog einen Schlüssel aus der Seitentasche. „Mist, dachte ich hätte ihn Res mitgegeben. Okay, mein Fehler, aber jetzt hopp das Bier ins Wasser stellen und Feuer anmachen.“
Sie liess Toni stehen und marschierte aufs Feld. Die Jungs kamen angerannt, begrüssten Sandra stürmisch und gratulierten ihr zum Geburtstag.
„Komm, ich helf dir, dann gehts schneller“, sagte Carmen und klopfte Toni auf die Schulter. Er schenkte Carmen ein dankbares Lächeln und sie stapften zusammen Richtung Schuppen.
„Ja gut, dann machen wir zwei mal Feuer, was Marcel?“
„Jep, das machen wir. Kein Feuer – keine Grillwürste.“
Während sie Papier zerknüllten und Reisig zu einer Pyramide stapelten, schielte Reto zu Sandra, die immer noch mit den Fussballern plauderte. Hatte sie etwa wegen ihm mit Toni Schluss gemacht? Aber waren er und Sandra wirklich schon zusammen? Er musste an den Moment denken, wie Sandra ihn lächelnd auf dem Pausenhof angesprochen hatte und er vor Schreck seine Hefte fallen liess. Sie half ihm beim Aufsammeln. Seither war das Lächeln und ihre tolle Figur Teil seiner Träume.
„Magst du meine Schwester?“, fragte Marcel und steckte das Zeitungspapier in Brand.
„Ja, sehr. Aber ...“
„Du weisst nicht, ob sie dich auch mag.“
Reto war verblüfft, wie Marcel seine Gedanken las.
„Nun ja, sie war ja vorher mit Toni zusammen.“
Sie schauten den Flammen zu, wie sie auf das Reisig übersprangen und grösser wurden.
„Frag sie doch einfach, dann weisst du es“, sagte Marcel und legte Holzscheite nach.
Er hat recht, dachte Reto. Ich werde sie fragen – bei der nächsten Gelegenheit.
Die Holzscheite hatten Feuer gefangen, es knisterte und ein Duft nach rauchigem Tannenharz erfüllte die Luft.
„Gut gemacht“, sagte Reto und klopfte Marcel anerkennend auf die Schulter.
Die Party war voll im Gange, jemand hatte fette Lautsprecher mitgebracht und Billy Talent rumpelte über das Rauschen des Bunschenbachs.
Alle sassen ums Lagerfeuer und tranken Quöllfrisch. Das Bier war angenehm kühl, die laue Sommerluft roch nach Fichtennadeln und Ferien.
Marcel liess sich neben Reto ins Gras fallen und öffnete eine Coladose. Reto drehte seinen Cervelat am Spiess über dem Feuer.
„Ich mag am liebsten die Wurstbeinchen“, sagte Marcel.
„Ha, ich auch. Wichtig ist, dass man den Cervelat an den Enden tief einschneidet. Dann werden sie so richtig kross.“
„Vielleicht sehen wir ja noch die weisse Frau“, flüsterte Marcel und legte eine in Alufolie gepackte Banane in die Glut.
„Die weisse Frau?“, fragte Reto. Sandra gesellte sich mit einer Flasche Twister zu ihnen und drückte ihm einen Kuss auf die Backe. Reto spürte ein Ziehen in den Lenden und war froh, die festen Jeans den luftigen Shorts vorgezogen zu haben. Toni schaute zu ihnen herüber und grinste frech.
„Marcel meint, er habe mal die weisse Frau gesehen“, sagte sie.
„Das stimmt auch. Aber keiner glaubt mir.“
„Was ist denn mit dieser weissen Frau?“
„Ach, eine Sagengestalt eben. Die Tochter eines Grafen aus dem Mittelalter, glaube ich. Lebte in der Burg auf dem Dorfhügel", sagte Sandra.
„Als Kinder spielten wir dort oben oft Verstecken“, ergänzte Toni, „war natürlich verboten, aber das machte es nur interessanter …“
„Und die weisse Frau war …?“
„… eine holde Maid, die sich aus Liebeskummer vom Burgturm stürzte. Seither wandelt sie als Geist durch die Gegend auf der Suche nach ihrem Geliebten.“
„Und ich habe sie gesehen. In der Ruine“, sagte Marcel.
„Na ja, die Leute erzählen sich allerlei Geschichten am Stammtisch. Von einer langen, schlanken Gestalt in einem weissen Nachthemd, wie sie laut klagt und nach ihrem Liebsten ruft ...“
„Schauermärchen“, grunzte Toni, „um kleine Kinder vom Spielen in der Burg abzuhalten.“ Er stand auf, warf seine leere Flasche auf den Haufen unter der Tanne.
„Sandra, kann ich dich kurz sprechen?“
„Klar, ich wollte sowieso noch den Schlafplatz checken.“ Sandra stand auf und marschierte Richtung Hotelruine. Toni folgte ihr langsam, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Reto sah beiden hinterher. Wütend schleuderte er einen Ast ins Feuer.
„He, deine Wurst“, rief Marcel.
„Scheisse – da war es nur noch Kohle.“ Reto zog den Cervelat heran und schabte mit seinem Schweizer Armeemesser die schwarze Kruste ab. „Vielleicht ist noch was zu retten.“
Beide prusteten los. Marcel hatte inzwischen seine Banane abkühlen lassen und schlürfte genüsslich die weiche Masse aus der Alufolie.
Am gestauten Wasserlauf oberhalb des Grillplatzes angelte Reto sich gerade eine frische Flasche Quöllfrisch, als Carmen neben ihm auftauchte.
„Bekomme ich auch eins?“
„Klar“, Reto zog eine weitere Flasche aus dem Wasser. „Du bist doch Sandras Freundin.“
„Ja, wir kennen uns seit der ersten Klasse, warum?“
„Na ja, ich wollte fragen, also wegen Toni ...“
„Aus und vorbei, hat sie jedenfalls gesagt.“
Reto nickte nur und nahm einen Schluck aus der Flasche.
„Wie hast du eigentlich Sandra kennengelernt?“, fragte Carmen, als sie Richtung Grillplatz zurückschlenderten.
„Wir gehen auf die gleiche Berufsschule“, sagte Reto und hätte von dem Moment auf dem Pausenhof erzählen können.
„Und du und Toni? Läuft da was?“, fragte er stattdessen und erschrak über seine eigene Forschheit.
Carmen bückte sich und hob einen Tannzapfen auf.
„Der Holzkopf müsste nur fragen.“ Sie schleuderte den Tannzapfen durch die Luft. Da sahen sie, wie Sandra Toni hinter der Ruine umarmte und ihm einen Kuss auf die Wange drückte.
„Oh – das hätte ich jetzt nicht erwartet“, flüsterte Carmen.
Ein Schrei aus dem Wald. Das Echo war noch nicht verklungen, als erneutes Rufen zu hören war.
„Hilfe! Hil – fe! “
„Das ist Marcel“, rief Sandra und löste sich von Toni.
Reto war bereits in Richtung der Hilferufe unterwegs, sie kamen aus dem hinteren Teil der Schlucht. Kurz darauf erreichten alle vier das felsige Ufer des Bunschenbaches. Der Weg ging über eine Brücke und gab den Blick frei auf eine Wasserfassung, die zu einem kleinen Kraftwerk weiter unten im Tal gehörte. Daneben rauschte der Bach in die Tiefe. Talaufwärts hingen Äste von umgestürzten Bäumen über den Bach, deren Blätter im Wasser tanzten. Ein Stück Stoff hatte sich in den Ästen verfangen. Oder war es eine Jacke? Reto sprang neben der Brücke auf eine Betonplatte, die zur Wasserfassung gehörte. Toni hatte aufgeholt und kletterte zu ihm hinunter.
Es war Marcel, der mit seiner Jacke im Geäst festhing. Die Wasserflut zerrte an ihm, sein Kopf tauchte unter. Prustend kam er wieder an die Oberfläche.
„Hilfe, ich hänge …“ Der Rest ging im Gurgeln des Baches unter.
„Marcel“, rief Sandra. „So helft ihm doch!“
„Ich springe hinein“, rief Toni und wollte gerade zum Sprung ansetzen.
„Warte“, rief Reto. „Das Wasser wird euch beide mitreissen.“
Marcel zappelte wild umher, die Jacke rutschte ein Stück hoch und verdeckte sein Gesicht.
„Halt still! Wir holen dich da raus“, rief Toni. Reto schaute sich hektisch um. Auf dem Plateau lag allerlei Baumaterial. Reto fand, nach was er Ausschau hielt. Eine alte Kabelrolle.
„Du bist der stärkere von uns beiden. Ich binde mir das Kabel um und du sicherst mich.“
Toni schaute mit blitzenden Augen auf Reto. Der hielt ihm das abgerollte Kabel entgegen.
„Okay“, lenkte Toni ein und schlang gekonnt das Kabel um Retos Brust. Danach setzte er sich und stemmte beide Beine gegen die Betonmauer.
„Los!“, rief Toni und Reto stieg in den Bach. Sofort zerrte das Wasser an seinen Waden, Toni hielt das Kabel straff, Reto musste sich so nur mit den Füssen gegen die Flut stemmen.
„Ich helfe euch“, rief Sandra, setzte sich vor Toni und ergriff mit beiden Händen das Kabel. Reto sah im Augenwinkel, wie Sandra sich vor Toni ebenfalls gegen die Betonmauer stemmte. Hätte er Toni in den Bach steigen lassen, würde sie jetzt zwischen seinen Beinen sitzen. Er schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe.
„Halte durch, ich bin fast bei dir.“ Marcels Zappeln hatte aufgehört. Als das Kabel unvermittelt nachgab, verlor Reto kurz den Halt. Beide Arme tauchten in kaltes Wasser, scharfkantiger Fels bohrte sich in seine Hände. Das Kabel straffte sich wieder und Reto rammte seine Füsse in den Kies.
„Ich bin da, Marcel, alles wird gut“, rief er und setzte sich in den Bach, ignorierte das kalte Wasser in seiner Hose, packte Marcel unter den Armen und befreite ihn aus dem Geäst.
„Hab ihn“, rief er.
Toni und Sandra zogen mit aller Kraft am Kabel. Reto stemmte sich mit dem schlaffen Körper Schritt für Schritt gegen den Bach zur Betonplatte hoch. Hier betrug der Wasserstand nur noch wenige Zentimeter, so konnte er Marcel mit eigener Kraft halten.
Hände griffen nach ihnen, zogen an Marcel, und gemeinsam hievten sie ihn auf die Plattform.
„Er atmet nicht“, rief Sandra. Reto zog sich hoch, rollte über den Boden, kniete sich triefend neben Marcel und hielt sein Ohr an dessen Nase.
„Nichts.“
Mit raschen Bewegungen riss Reto ihm Jacke und Hemd auf. Mit gestreckten Armen wollte er auf Marcels Brustkorb drücken, da spuckte dieser einen Schwall Wasser aus, hustete und drehte sich auf die Seite.
„Marcel“, rief Sandra, packte ihn bei den Schultern, als wollte sie ihn schütteln.
„Was machst du nur für Sachen“, schluchzte sie, nahm ihn in die Arme und streichelte seinen Hinterkopf.
Reto liess sich nach hinten fallen. Toni klopfte ihm auf die Schulter.
„Gut gemacht, Alter. Das war knapp.“
„Waren ein gutes Team, Toni.“ Reto befreite sich vom Kabel und im selben Moment schlang Sandra ihre Arme um ihn, gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund.
„Danke, wenn du und Toni nicht gewesen wärt …“
Sandra zog Toni am Ärmel heran und nun standen sie zu dritt umarmt auf der Betonplattform neben dem rauschenden Bach.
„Ich habe sie gesehen …“, flüsterte Marcel zu Carmen, die sich neben ihn gesetzt hatte.
„Wen hast du gesehen?“
„Die weisse Frau. Sie hat mir zugewunken. Dann bin ich ins Wasser gefallen.“
Sie sassen alle um das lodernde Feuer, die Sonne war bereits hinter den Bergspitzen verschwunden und tauchte den Himmel in rosarotes Licht.
Sandra hatte beschlossen, die Party abzubrechen und mit dem Handy ihren Vater informiert.
„Papa kommt mit dem Unimog. Dann bringen wir dich ins Tal“, sagte Sandra und setzte sich neben Reto. „Versprich mir, dass du so was nie mehr machst. Wenn Reto und Toni nicht gewesen wären …“.
„Ja, ich glaube auch, dass ich so was nie mehr mache“, sagte Marcel und zog die Rettungsdecke enger um seinen Körper.
„Ich muss dich was fragen, wegen uns ...“ Reto drehte sich zu Sandra um, sah rotgelbe Flammen in ihren dunklen Augen tanzen, wusste nicht, wie er weiterfahren sollte. Sandra nahm den Ball auf, wie ein Stürmer eine Flanke.
„Ich möchte mit dir zusammen sein, Reto“, sagte sie und versenkte damit den Ball im Tor.
„Aber, du und ... hinter der Ruine, ich dachte ...“, weiter kam Reto nicht, verwirrt drehte er einen Tannzapfen in den Händen.
„Was? Nein!“ Sandra rückte näher zu Reto und fing an zu flüstern. „Toni wollte nur wissen, ob Carmen ... also ob sie einen festen Freund hat.“ Retos Tannzapfen sah zerrupft aus, am Boden die ganzen Samen.
„Und weil ich mich für ihn freute“, flüsterte Sandra, „gab ich ihm einen Schmatz auf die Backe. Mehr war da nicht, ehrlich."
„Ich möchte auch mit dir zusammen sein.“ Jetzt war es raus, erleichtert warf er den kläglichen Rest seines Tannzapfens ins Feuer, puhlte das Harz von den Fingern und während er einen Arm um Sandras Schultern legte, fing er den neidischen Blick von Carmen auf. Toni, ganz in Gedanken, stocherte mit einem Ast im Feuer herum.
Reto lächelte Carmen zu und liess seine Augen mehrmals rasch in Richtung des stochernden Tonis wandern. Nachdem Reto auch noch eindeutig mit dem Kopf nickte, hatte Carmen begriffen. Sie gab sich einen Ruck und stand auf.
„Kommst du mal, Toni?“, sagte sie und verschwand Richtung Hotelruine.
Toni schaute verdutzt auf, doch dann warf er den Stock ins Feuer und folgte ihr.
„Wurde aber auch Zeit“, murmelte Sandra und kuschelte sich an Reto.
Der gab ihr einen Kuss. „Ich glaube, die weisse Frau hat heute Abend mit uns Schicksal gespielt.“