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Die Freundschaft der Fledermaus
Die Freundschaft der Fledermaus
Einst, vor vielen Jahren, trug es sich zu, dass ein Mann namens Fredor in Sorgen geriet, weil sein Geschäft keinen Gewinn mehr abwarf. Sein Beruf war der des Tischlers, eine gefragte Tätigkeit, die normalerweise eine sehr einträgliche war. Doch mit der Zeit gab es im Dorf, in dem er wohnte, keinen Bedarf mehr an seinen Möbeln. Die Steuern wuchsen zu diesen Zeiten ins Unermessliche, denn der König hatte kein Interesse am Wohlstand seiner Untertanen, nur die Gier trieb ihn voran und verführte zur Schröpfung seines Volkes. Die Bewohner des Reiches hielten ihr Geld zusammen und kauften nur das Nötigste, wodurch mancher braver Händler dazu gezwungen wurde, seine Waren für winzige Beträge zu verkaufen. So auch Fredor, der inzwischen kaum noch die Mittel besaß, sich etwas zu Essen zu leisten, geschweige denn, um neue Waren anzufertigen. Schon bald war der letzte Heller aufgebraucht und der Hunger fraß erbarmungslos an seinen Eingeweiden. Er führte schon bald das Leben eines Bettlers und ernährte sich von den kläglichen Resten, die er im Abfall fand. Krankheiten nagten zusätzlich an dem ausgemergelten Leib und vor Fredors Augen zog der Tod heran. Für ihn lag kein Schrecken in dieser Vorstellung, nur Erlösung, die sein Leid ungeschehen machte.
Eines Tages verjagten ihn die Dorfbewohner, erinnerte er doch an die Not, die jeden ereilen konnte. Deshalb packte Fredor die wenigen Habseligkeiten, die er noch sein Eigen nannte, hastig zusammen und verließ das Dorf, wissend, das er niemals wiederkehren würde. So kam es, dass der einstige Tischler durch die Wälder zog und jedem Menschen aus dem Wege ging, denn zu groß war seine Enttäuschung, angesichts der Gleichgültigkeit die man ihm entgegenbrachte. Viele Tage wanderte er ziellos umher und ernährte sich auf seinem Weg von Früchten und Wurzeln, da er nichts von der Jagd verstand. Aber als der Winter Einzug hielt, wurde ihm auch das verwehrt und sein Ende schien näher denn je. Erschöpft sank er zusammen und beobachtete die Dämmerung des Abends, die, wie er hoffte, seine letzte sein würde. Das Sternenlicht erhellte das unglückliche Schicksal eines gebrochenen Mannes, der inmitten des Waldes auf den Hungertod wartete.
Doch es kam anders.
Ein voller Mond schien vom Himmel herab und reflektierte sein Licht von einem winzigen Gegenstand direkt in die müden Augen des Wanderers. Etwas erschrocken suchte er die Quelle des plötzlichen Funkelns und fand sie wenige Meter entfernt auf einem Baum. Dort hing eine schwarze Fledermaus von einem Ast herab und um ihren Hals lag ein goldener Reif, der immer noch im Mondlicht schimmerte. Verwundert beobachtete Fredor das Geschöpf, das seinerseits neugierig auf den Menschen hinabsah und mit dem Kopf nickte, so, als wolle es ihn begrüßen. Die Verwunderung fand ihren Höhepunkt, als die Fledermaus zu lächeln schien und ein seltsamer Ausdruck ihre Augen erfüllte, der Fredor an das vergessen geglaubte Gefühl der Freude und Herzlichkeit erinnerte. Sie erhob sich in die Lüfte und summte eine einfache Melodie vor sich hin, die mit wunderschönem Klang betörte und die Sorgen des Bettlers für eine Weile vertrieb. Für ihn tanzte sie in der Nacht umher und zauberte ein Lächeln auf seine aufblätternden Lippen. Nachdem einige Zeit verstrichen war, flog sie ein Stück voraus und gab ihm mit ihren Lauten zu verstehen, dass er ihr folgen solle. Fredor entsprach ihrem Wunsch, erhoffte er sich doch Hilfe von dem freundlichen Geschöpf, das ihn jetzt durch die Nacht geleitete. Neue Kraft füllte seinen Körper als er der Fledermaus folgte und schließlich der Höhle gelangte, in der sie, wie er vermutete, zu Hause war.
Dort verschwand sie ins Dunkel hinein und der Wanderer glaubte sich am Ziel. Er entzündete eine Fackel, betrat die Höhle und spürte dabei einen Hauch von Hoffnung, welche schwach glimmend den Weg zu neuem Lebenswillen bereitete. Nach einigen Schritten sah er wieder das Funkeln, das ihn noch vor wenigen Momenten hierher geleitet hatte, doch es gehörte nicht zum Reif der Fledermaus, sondern schimmerte von den Wänden herab. Erstaunt erkannte Fredor, dass es sich hierbei um Gold handelte. Das wundersame Geschöpf hatte ihn zu einer Goldader geführt, einer Quelle von unermesslichen Reichtums, entdeckt im sonst so unerbittlichen Strom der höchsten Not. Freudentränen rannen aus Augen, die jetzt nur noch die Armut kannten und voller Dankbarkeit suchten sie nach dem Tier, das sein Retter war. Nicht lange mussten sie suchen, denn die Fledermaus hing in geringer Entfernung an einem Felsen und betrachtete das neu geborene Glück mit strahlenden Augen. Ihre Blicke trafen sich in tiefer Freundschaft und tief klaffte die Wunde, die hässlich grinsend auf Fredors Nacken entstand. Der Schwarzbär, der hinter ihm gelauert hatte, beendete das blutige Werk mit wuchtigen Hieben und schmetterte ihn kalt zu Boden. Nachdem die Beute gerissen war, nagte der Bär genüsslich an den Knochen und schlang gierig das warme Fleisch hinunter, das endlich den nagenden Hunger beendete, der so lange an ihm gezehrt hatte. Die Fledermaus gesellte sich zu ihm und schlürfte das strömende Blut, aus der Quelle der gestorbenen Not.
Glücklich sahen die beiden Tiere einander an und spürten ein rotes Band der Freundschaft, das niemals zerreißen würde. Als der Bär Fredors Leichnam zu den anderen schleifte, schüttelte er verständnislos den Kopf, als er all den Schmuck sah, den die Kadaver noch immer an zerfetzten Hälsen, Armen und zerkauten Fingerknöcheln trugen. Niemals würde er die Bedürfnisse der Menschen begreifen und doch war er dankbar, dass es sie gab. Mit zuckenden Schultern und vollem Magen, legte er sich zur Ruh und ließ die Fledermaus dabei in seinem weichen Fell kuscheln. Schon bald schliefen sie ein und träumten süße Träume, die von einer Art Schlaraffenland handelten.
Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute mit reich gedeckter Tafel und in ewiger Freundschaft.
Und die Moral von der Geschicht’: Freunde hat man oder man hat sie nicht.