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Die Farbe Orange

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08.08.2002
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Die Farbe Orange

Lena schlendert durch den fast menschenleeren Raum des Museums. Es ist früher Nachmittag und sie genießt die Stille, die angenehme Atmosphäre des Alleinseins.

An einem der großen Fenster lehnt sie sich gegen den weiß lackierten Holzrahmen und blickt hinunter zu den alten Hofstallungen. Zu Kaisers Zeiten waren hier die Kutschen und Pferde untergebracht, ehe zwei Weltkriege die umliegenden Grundstücke, Häuser und vor allem auch die Seelen der Menschen auf Jahre hinaus zerstörten.

Wo einst die österreichisch-ungarische Monarchie das Land in den Zuckerguß der kaiserlich-königlichen Hof-Bäckereien eingetaucht hatte, ließen in den Dreißigerjahren die Nationalsozialisten das Sonnenrad rückwärts laufen und gleichsam verbrannte Erde zurück.

Wie eine, an diese Zeiten gemahnende, dunkelgraue Wand, wächst der moderne Teil des Wiener Museumsquartiers glatt und ohne Fenster, unberührbar in seinem Ausdruck, aus der Tiefe des Innenhofs empor. Er verbannt unbarmherzig das Außen. Gleichzeitig scheint er die Kunst im Inneren schützen zu wollen.

Bäume, mit im Wind raschelndem Laub, verbinden den alten und den neuen Teil zu einem harmonischen Zeitenspiel. Auf den Terrassen der Cafes treffen sich Menschen aller Altersgruppen um sich über Malerei, Architektur und den vorherrschenden Zeitgeist ebenso zu unterhalten, wie über die unsensibel putzende Hausmeisterin vom Nachbarhaus, die nicht beherrschbaren Kinder und die Sorge um unzureichende Ausbildungs- und Altersheimplätze.

Die über den Hof spazierenden Gäste aus aller Herren Länder vermischen sich mit flanierenden einheimischen Großstadtmenschen. Ein sich sehr leidenschaftlich küssendes Liebespärchen führt dazu, dass zwei alte Damen sich entrüstet abwenden und den Kopf über so viel Unmoral endlos zu schütteln bereit sind. Ein kleiner Junge fährt mit seinem Trittroller Slalom durch die Menschenmenge. Lenas Blick verweilt auf dem unter ihr ausgebreiteten Gesellschaftsmosaik.

Dann wendet sie sich vom Draußen ab und ihre Aufmerksamkeit dem Inneren des Raumes zu. Ölig glänzende, in dicken Pinselstrichen aufgetragene Farben, welche die Kraft und die Seelentiefe des Malers erkennen lassen, schimmeren ihr ebenso entgegen, wie die mit mattem Kohlestaub festgehaltenen Konturen, fein gezeichneter Körper, auf gelbstichigem Papier.

Langsam durchschreitet sie den Raum. Der Holzboden unter ihren Füßen knarrt und ächzt. Dieses Geräusch vermittelt ihr vertraute Behaglichkeit. Aus dem angrenzenden Raum dringt Stimmengewirr herüber. Lena blickt durch die offene Flügeltür. Eine Reisegruppe schart sich um einen jungen Mann. Mit leiser Stimme versucht er die Aufmerksamkeit auf ein Bild zu lenken, ohne die anderen Museumsgäste zu stören. Er ist in dezentes Schwarz gekleidet und in seinem braunen Haar verirren sich, durch einfallende Sonnenstrahlen, rote Irrlichter.

Lena entfernt sich von der offenstehenden Tür und den ineinanderfließenden Stimmen. Ihr genau gegenüber, macht sich an der Stirnseite des Raumes, ungefähr eine Fläche von drei mal drei Metern einnehmend, ein orangefarbenes Bild breit. Es hat keinen Rahmen, keine Schattierungen, kein Muster, keine erkennbare Struktur. Es ist orange, nichts sonst.

Zwei Frauen um die dreißig, gestylt als wären sie eben der Vogue entsprungen, halten ihre Köpfe schief, die Finger gespreizt an Kinn und Wange und unterhalten sich, vor dem Bild stehend, über das formlose Gemälde. Sie sind sichtlich gebannt von dem Grauen, die Unnahbarkeit und die Feindseligkeit die dieses Bild auf sie ausstrahlt.

Lena beobachtet die Szene aus einer angemessenen Entfernung. Unbeweglich wie die beiden Frauen in ihren bunten Gewändern vor dem Bild verharren nehmen sie aus Lenas Perspektive gleichsam Raum auf der Leinwand ein. Ein völlig neues Gemälde, getragen von der starren orangefarbenen Fläche und zwei, fast ängstlich vor der Farbintensität zurückweichenden Menschen, entsteht.

"Zwei Papageien auf orangem Hintergrund", flüstert eine angenehme Stimme in Lenas Ohr. Verwundert dreht sie sich um und blickt in ein spitzbübisch lächelndes Männergesicht. Ein verwegener Schnurrbart und dichte Augenbrauen geben dem Antlitz etwas Komisches, Sympathisches. Lena lächelt zurück und geht dann, etwas verlegen geworden, weiter durch den Saal. Als sie sich umwendet, hat der Mann einen Arm um einen der Papageien gelegt und das Bild um eine Person erweitert.

Lena unterdrückt ein Lachen und fragt sich gleichzeitig welche Rolle Achtung in dieser Beziehung wohl spielen mag. Eine kurze Diskussion darüber, was Kunst denn überhaupt sei und ob eine Farbfläche ohne Inhalt irgendeine Aussagekraft hätte, entsteht zwischen den drei Menschen im Bild. Dann verlässt die kleine Gruppe, weiter die Kunstfrage leise erörternd den Saal, wobei der Mann Lena nochmals zulächelt. Sie kann es sich nicht verkneifen, ihm verschwörerisch zuzuzwinkern.

Dann ist sie mit dem orangefarbenen Bild allein. Sie empfindet es als angenehm, in die warme Farbe einzutauchen, begreift nicht, was daran erschreckend oder gar Grauen verströmend sein soll. Sie geht durch den Saal auf das Bild zu, bis sie fast mit der Nase daran anstößt. Nun ist das Raster des gespannten Leinenstoffes zu erkennen und ganz feine Bruchlinien durchziehen die Farbe.

Sie denkt an die vielen Linien ihrer Handinnenseiten. Das Stoffgewebe erscheint ihr wie unzählige, kleine Bausteine des Lebens. Und da wünscht sie sich eine reichhaltige Farbpalette um die Regelmäßigkeit und die genaue Linienführung zu durchbrechen. Die Eintönigkeit durch intensive und gefühlsmäßig gesetzte Pinselstriche zu verändern, neue Akzente einzubringen und Einfluss zu nehmen.

 

Eine Abänderung von Textinhalten vorzuschlagen ist auch nicht so ganz das, das hinter dem netten Wörtchen Orthografie - auch Orthographie - steckt. Was meint hierzu die Gräfin?
Es steht wohl nirgends geschrieben, lieber Aqua, daß ich als Orthogräfin nur mehr Fehler berichtigen und mich zur Geschichte an sich nicht mehr äußern darf. Jedenfalls ist mir so ein Maulkorb nicht bekannt.

 

Das ist schon richtig, Susi.
Maulkörbe gehören nicht zur Literatur.
Aber genauso wenig das ewige verbessern Wollen. Warum kann ein Text nicht bleiben, wie er nun mal gewollt wurde? Warum ist das so?

Einfach zum Nachdenken.
Aber dafür gibt's schon einen thread.

Liebe Grüße, Gräfin - Aqua

 

Hallo Eva!

Eine vielleicht unspektakuläre, aber umso interessantere Geschichte. Sie war angenehm zu lesen und läßt mich mit einem positiven Gefühl zurück. Vor allem hast du mir auch Lust gemacht, das MuQua zu besuchen und dann meine Eindrücke mit jenen der Prot. zu vergleichen. ;)

Interessant ist das Thema Kunst aufgearbeitet. Die ständig wiederkehrende Frage, was Kunst eigentlich sei, regt dazu an, sich selbst Gedanken zu machen, ob ein orangenes Bild Kunst ist. Nun ja, ich bin da nicht so kompetent, aber so wie du die intensive und auch unterschiedliche Wirkung auf die Betrachter beschreibst, würde ich die Frage einmal mit ja beantworten.
Eine interessante Perspektive ist, wie du die Betrachter des Bildes als Teil des Werkes beschreibst. War das die Intention des Künstlers oder ein ungewollter Nebeneffekt? Was trägt der "Konsument" von Arbeiten dazu bei, dass daraus Kunst wird? Inwiefern wird der "Konsument" zum (Interpretations-)Künstler?
Hmm .. wie gesagt, ich hab mich mit solchen Fragen noch nicht beschäftigt und habe kaum einen theoretischen Background, aber ich finde sie spannend. In diesem Sinn finde ich die Geschichte ziemlich reizvoll. :)

lg
klara

 

@Aqua

ist mit dem Denken und Fühlen zubereitet. Daher ist Abänderung nicht möglich, schon gar nicht ehrlich gegenüber dem Leser.
Eigenartige Argumentation, Aqua. Wer sagt denn, dass winter.eules Text ihre Gefühle und ihr Denken wirklich adäquat widergibt? Hat sie das gesagt?

Das ist schon richtig, Susi.
Maulkörbe gehören nicht zur Literatur.
Aber zu Susi schon, oder wie? :rolleyes:

Warum kann ein Text nicht bleiben, wie er nun mal gewollt wurde?
Soll heißen: Evas Text ist bereits per se perfekt gestaltet und moduliert? Jeder gutgemeinte(!) Verbesserungsvorschlag kommt einer Art Anmaßung gleich?

Ich für meinen Teil habe hier jedenfalls noch nie einen Text abgeliefert, den ich uneingeschränkt als "gewollt" einstufen konnte. Das ist einer der Gründe, deretwegen ich hier bin: um von anderen kg'lern zu lernen. kg als Schreibwerkstatt und Diskussionsforum. Nicht als literarisches Museum!!

Aber dafür gibt's schon einen thread.
Vielleicht dieser hier?

 

Servus Barde!

Wow - wie find ich denn das? Also ich freu mich schon sehr, ist doch ein gewisser Anfang würd ich sagen, hm?

Lieben Gruß - Eva


Servus Klara!

Wie schön, du bekommst Lust aufs MQ? Bummeln wir doch einfach mal durch und du erzählst mir danach wie die Atmosphäre auf dich gewirkt hat.

Du hast interessante Fragen aufgeworfen. Was mich dabei sehr überrascht hat war der Begriff Konsument. Den Betrachter von Kunst habe ich so noch nie definiert. Du hast natürlich recht, trotzdem es mir fremd scheint.

Dieser Konsument ist immer Bestandteil des Objekts. Egal ob ein Bild, eine Skulptur oder auch eine unserer Geschichten - es ist immer derjenige der betrachtet oder liest mit seinem Denken, Fühlen, Reagieren am Kunstgeschehen beteiligt. Etwas entsteht, wird vom Schaffenden zum Ausdruck gebracht und lebt weiter durch das was er in anderen Menschen hervorruft, egal was das ist. Abwehr, Vertiefung, vor allem aber Fragestellungen und neue Perspektiven die sich eröffnen. Ich sehe darin den eigentlichen Sinn von jeglicher Kunst.

Lieben Gruß an dich - Eva

Zur allgemeinen Diskussion:

Die letzten Zeilen an Klara sind meinerseits stimmungsgebend. Jede Art von Kritik ist sinnvoll, bringt uns weiter. Was wir davon für uns herausfiltern, was wir verwerfen, bleibt ohnehin jedem frei gestellt. Auch warum eine Kritik eine bestimmte Reaktion in uns hervorruft, egal ob Freude, Zorn oder Verletztheit ist interessant zu hinterfragen.

Wie andere Menschen mit dem umgehen was wir loslassen, oder auch was wir in Texten gepresst festhalten und zu verbergen suchen, finde ich bereichernd. Und sei es noch so erfunden, es hat doch immer mit unserem Fokus, mit unserer Art das Leben zu betrachten, unserer Verarbeitung, zu tun. Egal ob wir Verbesserung unserer Schreibtechnik, Bestätigung unserer Arbeit, neue Blickwinkel oder aufgeworfene Fragen suchen. Ohne die Freiheit der Kritik ist nichts davon möglich.

Einen lieben Gruß an alle - Eva

 

Hallo Philo- Ratte,

bitte keine wie auch immer geartete Aufregung.
Alles halb so wild.
Ich meine nur, dass Textinhalte wahrlich Sache des Autors/der Autorin zu bleiben haben.
Ich meine auch, dass das Hineinfühlen wichtiger ist als das Verbessern wollen. Ich für meinen Teil will meine Texte hier in kg nicht verbessert haben, ich will aber, dass sie nachdenklich machen und mit ihrem Inhalt Anlass für Gespräche bieten.
Wenn du ein Buch liest, dann holst du dir danach auch nicht dessen Erschaffer und sagst: Das würde ich aber umschreiben...dieser Absatz passt so gar nicht....etc.
Literatur zur Kenntnis nehmen bedeutet, diese auch mit all ihrer Individualität erkannt zu haben.
In Texten Anderer nach Rechtschreibfehlern und Inhaltslücken suchen hat mit Erkennen wenig zu tun. Ich meine, dass dies auch am Sinn dieser Plattform arg vorbeigeht, weil ich von absolvierten Schulbesuchen aller hier Postenden ausgehe. Wenn ich denke, wieviel Zeit dafür von Manchen hier geopfert wird! In dieser verloren gegangenen Zeit ließe sich manch anderer fruchtbarer Gedanke zu diversen Texten spinnen. Zusätzlich gibt es für die ganz Dummen ein Rechtschreibprogramm, das einem die Wahrheit zuflüstert.

So, jetzt gehe ich schwimmen, gegen den Strom.

Ich wünsch dir einen schönen Tag, Ratte.
Liebe Grüße - Aqua

 

Ich meine auch, dass das Hineinfühlen wichtiger ist als das Verbessern wollen.
Ich hingegen finde beides gleich wichtig. Daher wende ich meist auch die Zeit für beides auf, die oft mehrere Stunden pro Geschichte beträgt.

Wenn du ein Buch liest, dann holst du dir danach auch nicht dessen Erschaffer und sagst: Das würde ich aber umschreiben...dieser Absatz passt so gar nicht....etc.
Das ist ja eben das Schöne an diesem Board hier, daß man nicht etwas nur vorgesetzt bekommt, sondern auch seine eigene Meinung dazu ausdrücken kann, darf und soll!

In Texten Anderer nach Rechtschreibfehlern und Inhaltslücken suchen hat mit Erkennen wenig zu tun. Ich meine, dass dies auch am Sinn dieser Plattform arg vorbeigeht
Weil es bei Dir offensichtlich nur ein Entweder-oder gibt. Daß man sowohl den Sinn als auch die Fehler sucht scheint in Deinem Denken nicht vorzukommen.
Am Sinn der Plattform geht es jedenfalls sicher nicht vorbei. Du bist der, der den Sinn hier nicht erkannt hat.

In den Regeln steht:

Kritik sollte konstruktiv sein und zu einem Verbessern der Geschichte beitragen.

 

Alles klar, Aqua. Das ist ein sehr weites Feld, das Du hier ansprichst und jeder in diesem Forum, Schreibende wie Lesende, knüpft unterschiedliche Erwartungen an dieses.
Meine Haltung, wie auch diejenige vieler anderer hier, ist beispielsweise, dass ich mich in meinen Texten nicht nur inhaltlich bzw. auf Aussagen fixiert zum Ausdruck bringen möchte (im Gegenteil: manchmal möchte ich auch einfach nur unterhalten, dort liegt mir nichts daran, etwa zum Nachdenken anzuregen). Es geht mir auch um die Technik beim Schreiben, die ich für verbesserungswürdig halte. Und dafür brauche ich darauf bezogene Vorschläge anderer kgler.

In einem stimme ich aber mit Dir überein: 1. Inhalt/Aussage, 2. der Stil/die Logik und erst zuletzt die Orthographie sollte die Prioritätenliste jeder Text-Bewertung lauten!

@Häferl
Immer kühl bleiben, Susi! Is besser so... :cool: ;)

 

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